Länderberichte
Der Beginn des Vorwahlkampfes und des innerparteilichen Strategiekonfliktes
Zu Beginn des Jahres 2009 kristallisierten sich die sogenannten „Pre-Candidatos“ für die Präsidenschaftskandidatur der Konservativen Partei heraus. Es handelte sich um den ehemaligen Parteivorsitzenden und Innenminister Carlos Holguín, den ehemaligen Landwirtschaftsminister Andrés Felipe Arias, den ehemaligen Außenminister Fernando Araujo sowie den Rektor der Universidad La Gran Colombia, José Galat Noumer. Der Präsidentschaftskandidat sollte im Wege einer „consulta popular“, d.h. eine Art „offener primaries“, am 27. September 2009 bestimmt werden. Am gleichen Tag waren auch die „consultas populares“ der beiden größten Oppositionsparteien, der Partido Liberal und dem linken Bündnis POLO, geplant.Dies war Teil der Doppelstrategie, mit der die PCC ihre positive Grundtendenz für eine weitere Amtszeit Uribes und die nationale Präsenz der Partei mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten verbinden wollte.
Allerdings gab es bereits zu diesem Zeitpunkt Spekulationen darüber, ob die Botschafterin in Großbritannien, Noemi Sanín, die bereits früher zweimal, allerdings nicht für die PCC , als Präsidentschaftskandidatin angetreten war, ebenfalls und unter welchen Bedingungen auf das Bewerberkarussell der PCC aufspringen oder sich einer anderen Partei anschließen würde.Im Lauf des innerparteilichen Wahlkampfes wurde deutlich, dass Arias, der jüngste der Kandidaten, und wegen seiner Nähe zu Uribe als „Uribito“ bezeichnet, die größten Chancen haben dürfte, die Vorwahlen der PCC für sich zu entscheiden. Sein wichtigster Kontrahent war zum Erstaunen Vieler der über 80jährige Galat, der es über Monate verstand, die ultrakonservativen und streng katholischen Sektoren der Partei und ihres Umfeldes an sich zu binden.
Die Ankündigung von Arias, seine Kandidatur zurückziehen, falls Staatspräsident Uribe erneut antreten würde, sollte zu einem der entscheidenden Katalysatoren der innerparteilichen Entwicklung werden. Zum einen sahen auch die Anhänger von Arias in seiner „Kandidatur unter auflösender Bedingung“ eine Schwächung seines Wahlkampfes. Vor allem aber wurden drei innerparteiliche Gruppierungen auf den Plan gerufen. Zum einen diejenigen, die mit dem Bewerberfeld nicht zufrieden waren und eine Kandidatur von Sanín so lange wie möglich offenhalten wollten, weshalb angesichts der für den 10. August terminierten Schließung der Bewerberliste Eile geboten war. Hinzu kamen diejenigen, die in einer Fortführung der Bündnispolitik der PCC, d.h. ihrer Koalitionstreue zu Uribe, die größte Gefahr für eine in ihren Augen dringend erforderliche stärkere Profilierung der Partei sehen und daher auch im Falle einer erneuten Kandidatur Uribes mit einem PCC-Kandidaten im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen antreten wollen. Zu nennen sind schließlich diejenigen, die sich für eine vorbehaltlose Unterstützung des Wiederwahlreferendums stark machen und das Vorantreiben einer eigenen Präsidentschaftskandidatur der Partei vor einer Entscheidung über das juristische oder politische Schicksal des Wiederwahlreferendums als inkonsequent und widersinnig ansehen.
Interessanterweise finden sich Unterstützer von Sanín in allen Gruppierungen. Dies zeigt zum einen, dass die strategischen Überlegungen durchaus auch rein personalistische Beweggründe haben können, lässt aber auch die Lesart zu, dass einige der Unterstützer von Sanín in ihrer Person ein geringeres Problem sehen, in einer bestimmten Konstellation von einer eigenständigen Kandidatur der Partei abzusehen.
Diese im Einzelfall nicht ganz einfach nachzuvollziehenden temporären Konstellationen und Bündnisse lassen sich aber auch bei anderen Kandidaten feststellen. So wird Arias von einflussreichen Parteimitgliedern unterstützt, die sich sehr frühzeitig und öffentlich gegen eine erneute Kandidatur von Uribe ausgesprochen haben, d.h. sie unterstützen einen Kandidaten, der im Falle einer erneuten Kandidatur Uribes seine eigene zurückzieht und damit genau der politischen Konstellation den Weg ebnet, die sie verhindern wollen.
Zwischen Konflikt und Burgfrieden
Die erwähnte Doppelstrategie wurde im Juni 2009 von einer Gruppe von Senatoren durch einen öffentlichen Brief an den Parteivorsitzenden in Frage gestellt. Die Forderung war, dass sich die Partei ohne Wenn und Aber hinter das Wiederwahlreferendum stellen und die Consulta Popular absagen solle. Ergebnis des wochenlangen innerparteilichen Kräftemessens war eine Kompromissformel: Die Partei vertagt die „consulta popular“ und unterstützt das Wiederwahlreferendum. Sollte Uribe nicht mehr antreten dürfen oder wollen, wird zeitgleich mit den Kongresswahlen am 14. März 2010 via „consulta popular“ der Präsidentschaftskandidat der PCC bestimmt. Sollte Uribe erneut antreten, wird ein Parteitag darüber beschließen, ob die Partei seine Kandidatur unterstützt und oder (zumindest im ersten Wahlgang) mit einem eigenen Kandidaten antritt und wer dies gegebenenfalls sein soll.
Das Bewerberfeld kommt in Bewegung
Seit der Suspendierung der „consulta popular“ im September 2009 wird der innerparteiliche Vorwahlkampf eher verhalten geführt. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass völlig offen ist, ob es zu einer „consulta popular“ kommt, hängt aber auch damit zusammen, dass diese Kampagnen finanziell aufwendig sind und die Kandidaten aufgrund der Absage der September-Consulta für 2009 nicht mit der ansonsten möglichen staatlichen Finanzierung rechnen können.
Dennoch strukturierte sich das Bewerberfeld bis Dezember 2009 um. Zunächst zog Carlos Holguín, dessen Kampagne zur Überraschung vieler Altgedienter in der Partei nicht verfing, seine Kandidatur zurück und tritt inzwischen vehement für eine Wiederwahl Uribes ein. Auch Fernando Araujo gab seine Kandidatur auf und übernahm im November den Parteivorsitz der PCC. Zudem kam es zu drei weiteren Bewerbungen. Neben Noemi Sanín schrieben sich Marta Lucía Ramírez und Álvaro Leyva Durán in die Kandidatenliste der PCC ein.
Marta Luica Ramírez, ehemalige Aussenhandelsministerin unter Pastrana und erste weibliche Verteidigungsministerin Kolumbiens in der ersten Regierung Uribe, verließ zu Beginn des Jahres die Uribe Partei „ de la U“ aus Protest gegen das Wiederwahlreferendum. Da ihr der Staatsrat das 2006 errungene Senatorenmandat wegen eines für Kandidaten sechs Monate vor der Wahl verbotenen Vertragsabschlusses aberkannt hat, ist allerdings aktuell offen, ob ihre Kandidatur rechtlich überhaupt möglich ist.
Álvaro Leyva, ein altgedienter Konservativer, ehemaliger Parlamentarier und Minister, tritt seit Jahren für eine Verhandlungslösung mit der Guerrilla ein.
Von der Strategiedebatte zur Schlammschlacht: Die Auseinandersetzung Arias – Sanín wird zum Problem für die Partei
Nach der Suspendierung der „consulta popular“ brachen die Vorwahlkampagnen ein, Galat, Leyva und Ramírez treten so gut wie nicht mehr in Erscheinung. Es kristallisierte sich relativ schnell heraus, dass die Entscheidung zwischen Arias und Sanín fallen würde. Zwischen diesen beiden hat sich inzwischen eine sich immer dramatischer zuspitzende Auseinandersetzung entwickelt, die weit über das Ausmaß eines innerparteilichen Wettbewerbs hinausgeht. Inzwischen scheint jedes Mittel recht, und kein Preis zu hoch, den Kontrahenten zu beschädigen.
Dabei spielte Sanín zunächst der AIS-Skandal in die Hände, was Sanín, teilweise noch stärker als die Opposition, auszunutzen wusste. Hintergrund dieses Skandals ist folgender: Noch zur Zeit von Arias als Landwirtschaftsminister wurde das Programm „Agro Ingreso Seguro“ (AIS) aufgelegt, mit dessen Hilfe kleine und mittlere Landwirte staatliche Zuschüsse zu bestimmten Investitionsmassnahmen erhalten sollten. Nun wurde bekannt, dass einige der reichsten Agrarunternehmer vor allem mittels unzulässiger formaler Aufteilung ihres Besitzes von dieser Subvention profitierten. Da diese Familien auch zu den Finanziers von Uribes vergangenen Wahlkampagnen und Unterstützern Arias zählten, wurde der Vorwurf laut, dass mit Staatsgeldern politischer Klientelismus betrieben werde.
Auch wenn nicht bestritten wird, dass das Programm als solches sinnvoll ist und der größte Teil des Programms ordnungsgemäß abgewickelt wurde, war dieser Vorgang über Wochen ein dankbares Thema für die Opposition.
Nachdem ein Misstrauensvotum gegen den Landwirtschaftsminister im Kongress abgelehnt wurde, verlor dieses Thema in der oppositionellen Agenda an Bedeutung, wird aber von Sanín am politischen Leben erhalten. Arias jedenfalls war politisch angeschlagen.
Eine weitere Zuspitzung des Konflikts liegt darin, der ehemalige konservative Staatspräsident und unmittelbare Vorgänger Uribes, Andrés Pastrana, zunehmend in die Auseinandersetzungen involviert wird.Dies beschränkte sich zunächst darauf, dass Pastrana als heimlicher Drahtzieher der Sanín-Kandidatur vermutet wurde. Dies sorgte für eine Überraschung angesichts seines zumindest gespannten Verhältnisses zu Sanín. Ein Erklärungsansatz für dieses neue Bündnis wird in der offenen und entschiedenen Gegnerschaft Pastranas zu Uribe gesehen. Diese wird vor allem darauf zurückgeführt, dass Uribe sich von der nach seiner Auffassung katastrophalen Amtsführung seines unmittelbaren Amtsvorgängers Pastrana, vor allem in Gestalt des gescheiterten Verhandlungsprojekts mit den FARC (Proceso de Caguán) abgrenzt und Pastrana für die Schwächung des Staates in diesen Jahren wesentlich verantwortlich macht.
Pastrana sieht demgegenüber die von ihm geschaffenen Grundlagen, die nach seiner Auffassung den Erfolg der Uribe-Regierung erst ermöglichten, herabgewürdigt. Pastrana, dem anfänglich Gefallen an einer Kandidatur von Felipe Arias nachgesagt wird, zog sich jedoch zurück, als Arias erklärte, nur dann antreten zu wollen, wenn Uribe nicht wieder für das Amt des Staatspräsidenten kandidiere.Um auch innerparteilich einen Gegenpol zu dieser Konstellation zu schaffen, nahmen die Bemühungen an Intensität zu, Sanín, eine erklärte Wiederwahlgegnerin, für eine Kandidatur zu gewinnen. Dies führte zur der Konstellation Pastrana – Sanín.
Arias, der als Vertreter der harten Linie gegenüber der Guerrilla allein auf eine militärische Lösung setzt, hielt es auf der Suche nach einem Befreiungsschlag Mitte Dezember für angeraten, Andrés Pastrana direkt anzugehen und klarzustellen, dass mit ihm, Arias, eine „Caguanisierung“ der kolumbianischen Politik nicht machbar wäre. Dies rief nun wiederum Pastrana auf den Plan – die innerparteiliche Auseinandersetzung erhielt eine neue Dimension.
Aber auch im unmittelbaren Verhältnis Arias - Sanín eröffnete sich eine neue Front. Hintergrund ist, dass im Dezember der Bericht einer Wahrheitskommission veröffentlicht wurde, der den Überfall der Guerrilla-Gruppe M-19 auf den Obersten Gerichtshof und die anschließende Erstürmung durch das Militär im Jahre 1985 aufarbeitet, bei dem es zahlreiche Tote und Verschwundene gegeben hatte. In diesem Bericht wird u.a. auch die Pressezensur thematisiert, die Sanín nach Aussagen von Journalisten als verantwortliche Informationsministerin verhängt haben soll und die seitens der Medien mitverantwortlich für „den Tod der Gerichte“ gemacht wird.
Nachdem Arias sich seit Wochen in die Defensive gedrängt sah, attackiert er nun Sanín wegen ihrer Verantwortung in diesem historischen Drama und fordert ein Verfahren vor der Ethik-Kommission der Partei. Dieser erbitterte Zweikampf zwischen Sanín und Arias hat für die PCC mehrere problematische Konsequenzen.
Zum einen nimmt die interne Polarisierung zu, hier werden Wunden geschlagen, die unter Umständen nach Abzug der Kampfesschwaden lange Zeit brauchen, um zu verheilen. Die Aussenwahrnehmung der PCC wird auf diesen Zweikampf ohne Grenzen reduziert, eine inhaltliche Debatte findet weder zwischen den Pre-candidatos selbst noch mit dem politischen Gegner statt.
Die dadurch gebundenen Kräfte fehlen der Partei in der programmatischen Eigenprofilierung vor den Kongresswahlen. Eine Diskursentwicklung mit der die Partei programmatisch identifiziert und kampagnenmässig wahrgenommen werden kann ist aktuell nahezu unmöglich.
Führt man sich vor Augen, dass die PCC unter Umständen erneut als der Partner einer breiten „uribista-Koalition“ die Wahlen des nächsten Jahres bestreitet, wird die Unverhältnismäßigkeit der aktuellen Befehdung noch problematischer. Die Anlage dieser Auseinandersetzung hat alles Potential zur Selbstzerstörung wichtiger Teile einer erfolgreichen Wahlkampagne.
Das Verhandlungskapital einer einigen PCC wird signifikant geschwächt, diese Schwächung wird sich, sollte dieser Prozess so weiterlaufen, negativ in den künftigen „cuotas del poder“ in einer „uribista-Koalition“ niederschlagen und damit künftige Probleme in der PCC vorhersehbar machen.
Die konservativen Pre-candidatos in den Umfragen
In der zweiten Dezemberhälfte wurde eine groß angelegte Umfrage (Ipsos-Napoleón Franco) veröffentlicht, die interessanten Aufschluss über den aktuelle Stand der konservativen Pre-Candidatos (Galat, Leyva, Ramírez , Arias, Sanín) gibt.
Galat, Leyva und Ramírez spielen in der Aussenwahrnehmung des Vorwahlkampfes kaum eine Rolle.Eine Frage der Umfrage bezog sich auf den Bekanntheitsgrad bzw. die positive oder negative Einschätzung der Kandidaten. (alle Angaben in Prozent)
Kandidat | Unbekannt k.A. | Positive Einschätzung | Negative Einschätzung |
Uribe | 2 | 70 | 27 |
Sanín | 21 | 43 | 36 |
Santos | 25 | 39 | 36 |
Fajardo | 43 | 35 | 22 |
Mockus | 23 | 31 | 46 |
Arias | 39 | 30 | 32 |
Pardo | 40 | 30 | 30 |
Petro | 33 | 28 | 40 |
Vargas LLeras | 45 | 24 | 30 |
Ramírez | 54 | 18 | 28 |
Leyva | 58 | 12 | 30 |
Galat | 65 | 11 | 23 |
Im Duell Arias – Sanín ist dabei festzustellen, dass die Positivbewertung von Arias zwischen Mai, September und Dezember von 50% auf 37% schließlich auf 30% gefallen und seine Negativbewertung von 18% (Mai und September) auf 30% angestiegen ist. Im gleichen Zeitraum ist die Positivbewertung von Sanín von 54% auf 43% gefallen, ihre Negativbewertung von 28% auf 36% angestiegen.
Die Frage, für wen die Wähler stimmen würden, sollte Uribe wieder antreten, zeigt ein deutliches Bild: 57% würden Uribe wählen, jeweils 2% Arias und Sanín, während Galat und Ramírez jeweils 0,3% und Leyva 0,2% erhielten.
Sollte Uribe nicht wieder antreten, liegt das Bewerberfeld deutlich enger beieinander. Santos erreicht 13%, die Oppositionska ndidaten Petro (Polo) 12%, Pardo (Partido Liberal) 7%, der sogenannte Unabhängige Fajardo 10%. Arias kommt auf 10%, Sanín auf 7%. Galat und Ramírez (jeweils 12%) sowie Leyva (0,2%) spielen auch in dieser Konstellation keine Rolle.
Zwischen Mai und Dezember 2009 gingen die Werte für Arias von 12% auf 10% zurück, Sanín konnte sich von 4% auf 7% verbessern. Gleichzeitig sagen 10% der Wähler, dass sie auf keinen Fall für Arias oder Sanín stimmen würden.
Interessant für die Einschätzung von Arias und Sanín in der Öffentlichkeit ist auch die Frage, wer als der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat gilt, sollte Uribe nicht wieder kandidieren. Hier erreicht Arias hinter Santos (15%) mit 12% den zweiten Platz, während Sanín lediglich den siebten Platz (3%) erreicht. Aufschlussreich auch die Vergleichswerte von Mai und September (Arias: 12% / und 14%, Sanín 3% und 6%).
Diese Zahlen machen deutlich, dass Arias mit Blick auf seine allgemeine Beurteilung signifikant eingebüsst hat. Allerdings ist festzustellen, dass sich dies nicht in vergleichbarem Ausmaß auf seine Wahlchancen ausgewirkt hat. Er behält einen deutlichen Vorsprung vor Sanín, die offensichtlich von der Zuspitzung der Auseinandersetzung bislang nicht profitieren konnte.
Erkennbar sind allerdings die Auswirkungen auf die Partei. Sympathisierten im September noch 15% der Bevölkerung mit der PCC, so waren es im Dezember nur noch 11%.
Das Wiederwahlreferendum: Darf er oder darf er nicht?
Nachdem das Wiederwahlreferendum zwar spät, aber doch noch die zu Beginn für unproblematischer gehaltene parlamentarische Hürde genommen hat, liegt die nächste Entscheidung nun in den Händen des Verfassungsgerichts. Der berichterstattende Richter hat, sofern sich angesichts geraumer Zeit unvollständiger Prüfungsunterlagen keine weiteren Änderungen ergeben, bis zum 20. Januar Zeit, seinen Urteilsentwurf vorzulegen. Danach bleiben dem Verfassungsgericht 30 Arbeitstage, um ein Urteil zu fällen. Sollte das Verfassungsgericht diesen Zeitraum ausschöpfen, dann wäre erst am 3. März 2010 klar, ob das Wiederwahlreferendum rechtlich zulässig wäre.
Da die Wahlen zum kolumbianischen Kongress (Abgeordnetenkammer und Senat) am 14. März stattfinden, wird deutlich, wie eng gestrickt der Fahrplan für das Wiederwahlreferendum ist. Je nachdem, wann das Verfassungsgericht entscheidet, dürfte sehr wahrscheinlich sein, dass die Abstimmung über das Referendum frühestens im zeitlichen Umfeld der Kongresswahlen erfolgen kann. Dies macht auch deutlich, wie schwer die so einfach klingende Beschlussfassung der PCC für ihr weiteres Verfahren in diesem Kontext umzusetzen ist und die PCC das Heft des Handels deutlich weniger in der Hand, als die Beschlusslage der Partei auf den ersten Blick vermuten lässt.
Die Hürden für das Referendum sind hoch. Es bedarf der Beteiligung von rund 7,6 Mio. Wählern, damit das Referendum als solches gültig ist, davon wiederum müssen 50% „JA“-Stimmen erzielt werden.Die Opposition wird in einem solchen Falle eine massive Enthaltungskampagne fahren, damit die 7,6 Mio. Stimmen nicht erreicht werden. Auch wenn die Regierung darauf setzt, das Wiederwahlreferendum zusammen mit dem Referendum über die Höchststrafe bei Missbrauch Minderjähriger vorzulegen, dürfte diese Stimmenzahl schwer zu erreichen sein.
Die Bereinigung des Wahlregisters, von der Regierung vor einigen Monaten ins Spiel gebracht, wäre nach breiter Auffassung zwar angemessen, und würde die erforderliche Stimmenzahl deutlich senken, dürfte politisch jedoch so knapp vor dem Wiederwahlreferendum nicht durchsetzbar sein.
Szenarien der weiteren Entwicklung
Szenario 1: Das Verfassungsgericht erklärt das Referendum für verfassungswidrig –eine weitere Kandidatur Uribes ist damit grundsätzlich ausgeschlossen
Für die PCC bedeutet dies, dass die „consulta popular“ gemeinsam mit den Kongresswahlen am 14. März durchgeführt werden kann. Dies wird zu einer Zuspitzung der Entscheidung zwischen Arias und Sanín führen, die weiteren Kandidaten dürften keine entscheidende Rolle spielen.
Arias ist ohne Frage durch den Skandal um AIS geschwächt, nach dem aktuellen Umfragestand offensichtlich aber nicht derart, dass er Sanín unterliegt. Nach wie vor verfügt Arias in den Reihen der Kongressmitglieder (ihm werden 1/3 der Senatoren und 2/3 der Abgeordneten zugeschrieben) über eine starke Basis.
Die PCC kann in diesem Szenarium mit einem eigenen Kandidaten in den ersten Wahlgang gehen. Mit welchen Chancen ist auch davon abhängig, wie gut ihr Ergebnis bei den Kongresswahlen und der „consulta popular“ ausfällt.
Szenario 2: Das Verfassungsgericht erklärt das Referendum für verfassungsgemäss – Das Referendum muss dann stattfinden – Uribe erklärt seinen Willen, wieder anzutreten
Nach der aktuell gültigen Beschlusslage müsste dann die Partei, unter Umständen sehr kurzfristig, entscheiden, ob eine erneute Kandidatur Uribes unterstützt wird, was de facto bedeuten würde, zunächst das im Ausgang offene Referendum zu unterstützen, oder trotz der Durchführung des Referendums auf eine eigene Kandidatur im ersten Wahlgang abzustellen.
Im Kontext des Szenariums 2 spricht sehr viel dafür, dass die PCC auf eine eigene Kandidatur verzichtet und alles auf eine Karte, sprich die Unterstützung des Referendums setzt.Die Unwägbarkeiten eines anderen Weges sind zu groß. Trotz aller Probleme dürfte Arias eine „consulta popular“ oder eine Parteitagsnominierung gewinnen. Sollte Uribe aber das Referendum gewinnen und Arias dann seine Kandidatur wie angekündigt zurückziehen, stünde die PCC ohne eigenen Kandidaten da.Sollte das Wiederwahlreferendum an den Urnen nicht die erforderliche Mehrheit erhalten, müsste die PCC dann entscheiden, ob sie sich einer breiteren „uribista-Koalition“ mit einem gemeinsamen Spitzenkandidaten anschließt, der kaum von der PCC gestellt werden dürfte, oder ob sie für den ersten Wahlgang mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten antritt.
Ob es die PCC im dann gegebenen zeitlichen Kontext riskiert, erst wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen ihren Kandidaten zu bestimmen, darf bezweifelt werden.
Szenario 3: Das Verfassungsgericht erklärt das Referendum für verfassungsgemäss – Das Referendum muss dann stattfinden – Uribe erklärt, auch bei erfolgreichem Ausgang nicht kandidieren zu wollenDieses Szenario formuliert ohne Frage eine Minderheitenposition, deren Realitätspotential jedoch nicht unterschätzt werden sollte.
Alle Debatten und Umfragen, alle Polemiken und Auseinandersetzungen um Pro und Contra einer zweiten Wiederwahl Uribes standen und stehen unter dem Vorbehalt zweier Unbekannter: Zum einen muss rechtlich geklärt sein, ob Staatspräsident Uribe erneut kandidieren kann oder nicht. Ist das positiv geklärt, muss Uribe auch erklären, ob er antreten will oder nicht. Und gerade hier könnte er, allen Unkenrufen zum Trotz, für eine Überraschung gut sein. Trotz allen Machtwillens, trotz aller, auch von der Opposition nicht in Abrede gestellten „Berufung zum Dienen“, sollte man es nicht für ausgeschlossen halten, dass Uribe, dann knapp zwei Monate vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen, einer erstaunten Öffentlichkeit erklärt, dass er für eine erneute Kandidatur nicht zur Verfügung steht. Uribe hätte damit das den ausscheidenden Präsidenten schwächende „lame duck“-Syndrom vermieden, die Kongresswahlen als gleichsam vorgezogenes Plebiszit über sich selbst und seine Politik instrumentalisiert, dadurch aller Voraussicht nach eine breite uribistische Mehrheit im Kongress sichergestellt, vor dem Verfassungsgericht gewonnen und auf der Grundlage dieser gestärkten Position im Zweifel durch den „guiñon“, den cäsaristischen Daumen, auch noch dem ihm genehmen Nachfolger den Weg bereitet. Ob dies dann, worauf aktuell Vieles hindeutet, der ehemalige Verteidigungsminister Manuel Santos von der Präsidentenpartei „ de la U“ wird, oder Uribe einen Phönix aus der Asche zaubert, bleibt abzuwarten.
In diesem Szenario könnte die PCC ihre aktuelle Beschlusslage am unproblematischsten umsetzen, indem sie die „consulta popular“ am 14. März zusammen mit den Kongresswahlen durchführt. Der so bestimmte Präsidentschaftskandidat könnte dann im ersten Wahlgang, in dem für keinen Kandidaten die absolute Mehrheit zu erwarten ist, antreten. Der Ausgang dieses ersten Wahlganges entscheidet dann über die Kräfteverhältnisse und Einflüsse im Kontext der für den zweiten Wahlgang zu führenden Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien der bisherigen uribistischen Koalition.
Die PCC vor neuer Beschlussfassung?
In der Debatte um die möglichen Szenarien fehlen auch nicht diejenigen, die, je nach Standpunkt als Pessimisten oder Realisten bezeichnet, jede Wette darauf halten, dass es gleichgültig in welcher Konstellation weder zu einer „consulta popular“ noch einem Parteitag der PCC kommt, sondern die davon ausgehen, dass sich die PCC zur Sicherung ihrer „cuotas del poder“ in einer „Uribista-Koalition“ auf jeden Fall hinter einen Kandidaten stellen wird, sei dieser nun Uribe selbst oder Santos.Die Vertreter dieser Auffassung stützen sich inzwischen neben ihrer grundsätzlichen Einschätzung der PCC auch darauf, dass in der PCC die Befürchtung zunimmt, aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen Sanín und Arias in einer „consulta popular“ nicht mehr das im Oktober 2008 bei der Wahl ihrer Vorstände erzielte historisch beste Stimmenergebnis (1,7 Mio. Stimmen) erreichen zu können und damit ihr Gewicht in späteren Verhandlungen erkennbar zu schwächen.
Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die PCC alles versuchen wird, in der dritten, wenngleich modifizierten Auflage einer „uribista-Koalition“ die Position des Vize-Präsidenten zu besetzen.Zudem wird nicht ausgeschlossen, dass sich sowohl Arias als auch Sanín von einer Kandidatur zurückziehen.
Sollte sich die PCC ohne Wenn und Aber für eine Unterstützung einer erneuten Kandidatur Uribes oder einer gemeinsamen Kandidatur im Kontext einer „uribista-Koalition“ entscheiden, stellt sich die Frage nach den innerparteilichen Auswirkungen eines solchen Kurses. Es gibt viele Konservative, die „Uribistas“, aber „anti-reelecionistas“ (Wiederwahlgegner) sind. Es ist schwer einzuschätzen wie organisiert und entschlossen entsprechende Reaktionen ausfallen können. Ob sich solche Reaktionen auf persönliche Konsequenzen beschränken werden, oder ob die PCC, die im Gefolge der vor wenigen Monaten verabschiedeten „reforma política“ und der dadurch ermöglichten Parteiwechsel zahlreiche „Parteiflüchtlinge“ der vergangenen Jahre wieder hinter ihrer Fahne versammeln konnte, erneut einen umfangreicheren politischen Aderlass erleiden könnte, bliebe dann abzuwarten.