Veranstaltungsberichte
Eine Woche lang vermittelten ausgewiesene Recherche-Experten aus Deutschland, den USA, den Philippinnen, Großbritannien, Serbien, Kroatien, Montenegro und Rumänien den Summer-School-Teilnehmern erprobte Techniken und Insidertricks des investigativen Journalismus. Die jungen Journalisten aus der Region, die teils schon sehr erfolgreiche Undercover-Reportagen in ihren Portfolien hatten, freuten sich besonders auf das Computer-Assisted-Reporting-Training des deutschen Medienexperten Marcus Lindemann, der ihnen zeigte, wie viel mehr als angenommen man mit einer Internet-Suchmaschine herausfinden kann, welche spezielle Online-Plattformen Auskunft über die Vertrauenswürdigkeit von Internetseiten geben und wie man eine Tabellenkalkulation zum Vergleichen und Auswerten verschiedener Daten nutzen kann.
Helen Darbishire, Leiterin von Access Info, Europas führender NGO im Bereich der Informationsfreiheit, erläuterte zusammen mit Lawrence Marzouk von BIRN alle Wege und Abkürzungen, um Informationen von EU-Organen und Institutionen einzelner Länder anhand der Informationsfreiheitsgesetze zu bekommen. Auch hier bekamen die Teilnehmer wertvolle Hinweise auf Internet-Quellen, etwa die von Access Info Europe getragene Seite www.asktheEU.org, wo man nicht nur Anfragen direkt stellen kann, sondern auch professionell von Experten der NGO beraten wird.
Sehr spannend für die Journalisten aus Südosteuropa waren die Vorträge von Paul Radu und Stevan Dojcinovic von dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), die anhand von aktuellen Beispielen aus den Balkanländern die Schemata der Off-shore-Unternehmen und der Geldwäsche erörterten.
Die hohe Kunst des Investigativen Journalismus
Direkte Beispiele für die hohe Kunst des Investigativen Journalismus sowie praktische Hinweise zur Organisation der Recherche und für die Konzeption einer Story lieferten Sheila Coronel, Leiterin des Zentrums für Investigativen Journalismus an der Columbia-Universität New York, Paul Lewis, Chefredakteur für besondere Projekte des „Guardian“, und Stephen Grey, Sonderkorrespondent von Reuters für Europa, den Mittleren Osten und Afrika. Geschichten wie die Aufdeckung eines Finanzskandals des philippinischen Präsidenten, die zu seiner Absetzung führte, der per Twitter enthüllte Mord eines friedlichen Bürgers durch einen Polizisten in London, aber auch praktische Hinweise, wie ein investigativer Artikel konzipiert werden soll, damit er verständlich wirkt, begeisterten und inspirierten die Teilnehmer.
Bei zwei in das Training integrierte Podiumsdiskussionen über Zensur und Selbstzensur in den Balkan-Medien und über Korruption, an denen bekannte Journalisten und Experten der Korruptionsbekämpfung teilnahmen, erwies sich, dass die Eigenverantwortung und das Gewissen im journalistischen Beruf der Schlüssel zur Verbesserung der Medienlage und der Arbeitsbedingungen von Journalisten sind. Journalisten müssten zusammenhalten und sich nicht manipulieren oder gegeneinander ausspielen lassen, sagte German Filkov, Leiter des Center for Civil Communications Macedonia, der früher Journalist beim mazedonischen Fernsehen war und aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit der Leitung kündigte und den Weg in eine NGO einschlug. Die Teilnehmer thematisierten die besonders schwierige Lage von Mazedonien, dessen Medien durch Mangel an Transparenz, Pluralismus und Meinungsfreiheit und durch weit verbreitete Korruption zu kennzeichnen sei. In den anderen Ländern der Region gebe es im Moment in diesen Bereichen höhere Standards.
Statt einem gleich drei Förderpreise
Das vermittelte Wissen konnten die Teilnehmer sofort praktisch umsetzen. Die etwa 30 Journalisten teilten sich in sechs Gruppen, die jeweils einen Vorschlag für investigative Recherche über aktuelle Balkan-Themen präsentierten. Die Qualität der vorgeschlagenen Projekte war so hoch, dass die KAS-Partner von BIRN statt einem nun gleich drei Förderpreise finanzieren. Mit dieser Hilfe sollten nun investigative Artikel zu folgenden Themen erscheinen: „Holy water drugs: bribing healthcare officials gets medicines on the list for subsidized drugs“, „Peace has a price, but where is the money? The implementation of the Ohrid Agreement“ und „Is there abuse of tax payers’ money for financing NGOs in Croatia and Serbia?”.
Die BIRN Summer School of Investigative Reporting 2012 war daher ein voller Erfolg. Sie hat ihren Zweck erfüllt, jungen Journalisten aus Südosteuropa die Möglichkeit zu geben, ihre Recherche- und Ermittlungsfertigkeiten zu vertiefen, ihre Techniken und ihren Schreibstil zu verfeinern. Viel tiefgreifender und bedeutender ist aber die Fähigkeit, die alle Trainer und Panellisten den Teilnehmern vermittelten – nämlich die hohe Kunst des Hinterfragens zu beherrschen. Der Schlüssel zum Erfolg des investigativen Journalistmus ist die Aufmerksamkeit, eine Wachsamkeit dubiose Vorkommnisse, die Fähigkeit, Abweichungen im politischen oder wirtschaftlichen Geschehen aus dem Stand zu bemerken und zu hinterfragen. Der investigative Journalist muss seine Arbeit mit Leidenschaft und Hingabe erfüllen, aber auch ein Team-Player sein.
Wichtig ist auch, dass die Summer School Netzwerke bildet. In Südosteuropa mehr als anderswo benötigen Journalisten verlässliche Netzwerke von Kollegen und Freunden, um internationalen kriminellen Machenschaften oder bestechlichen Politikern und Beamten auf die Spur zu kommen. Und mehr als anderswo ist diese Aufgabe in Südosteuropa, wo viele der Länder noch in der jüngsten Vergangenheit miteinander Krieg führten, eine Herausforderung.
Die Teilnehmer der Summer School, die aus Albanien, Bosnien und Herzegovina, Bulgarien, Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Rumänien, Serbien, Großbritannien, Italien, Mexiko, Portugal und Österreich kamen, schlossen Freundschaft untereinander und unterstützen sich nicht nur mit Blick auf die gemeinsamen Summer-School-Projekte, sondern auch für bestehende oder zukünftige Projekte ihrer Alltagsarbeit zu Hause.
Der Auftrag, den das KAS-Medienprogramm Südosteuropa und BIRN gemeinsam haben, ist, Journalisten und Medienschaffende aus Südosteuropa zusammen zu bringen und eine Plattform zur gegenseitigen Unterstützung zu schaffen. Das ist der BIRN Summer School of Investigative Reporting 2012 sehr deutlich gelungen.