Hendrik Sittig, Leiter des Medienprogramms, begrüßte die Runde und wies auf die außerordentliche Situation hin, die die demokratischen Defizite in der Region weiter verstärke: „Verschärft wird die Lage durch mangelndes Bewusstsein für Qualitätsjournalismus, oft interessengeleitete, zum Boulevard neigende Medien sowie ein relativ niedriges Vertrauen in die journalistische Arbeit und eine gering ausgeprägte Medienkompetenz der Bevölkerung.“
Infodemie der Falschnachrichten und Selbstzensur
Während der Corona-Krise wurden verschiedene Tendenzen beobachtet. Eine davon ist die steigende Selbstzensur, die aufgrund restriktiver Gesetzgebungen aufkam. Die unangemessen hohen Geld- und Freiheitsstrafen führten zur Einschüchterung sowohl bei Journalisten als auch bei der Bevölkerung. Dies erschwere eine ausgewogene Berichterstattung und führe zu weiterem Misstrauen in den Medien. Eine andere zu beobachtende Tendenz sei die massive Konfrontation mit Falschnachrichten. Online-Medien fungierten in den meisten Ländern der Region während der Krise als Hauptinformationsquelle. Der steigende Konsum von Online-Nachrichten brachte aber auch die Gefahr mit sich, ungeprüfte Informationen (einschließlich verschiedener Verschwörungstheorien) in der Ausnahmesituation als echt wahrzunehmen. „Die Menschen leiden unter einem Mangel an verlässlicher Information und wir brauchen solche mehr denn je in der heutigen Zeit“, sagte Dr. Brikena Kasmi, Anwältin und Medienrecht-Dozentin an der Universität in Tirana. Allerdings seien Gesetzesentwürfe entstanden, die auf Papier Desinformation und Falschnachrichten bekämpfen sollten, aber in der Tat Beschränkungen für unabhängige Medien vorsahen, die in der Krisenzeit umso mehr um ihre Existenz kämpfen mussten. Zivilgesellschaft, Medien und NGOs blieben in solchen Fällen nicht gleichgültig und reagierten schnell. So wurde zum Beispiel in Bulgarien ein Gesetzesvorschlag zur Änderung des Mediengesetzes, der die Schließung von Internetseiten und Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren im Falle von Falschnachrichtenverbreitung vorsah sowie eine Abänderung des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten abgelehnt.
Unterstützung der Medien und gesellschaftliches Engagement
Die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft, der Nichtregierungsorganisationen und Journalistenverbände hob Nadine Gogu, Leiterin des unabhängigen Journalistenzentrums in der Republik Moldau hervor. So seien während der Corona-Krise Journalisten mit der skurrilen Entscheidung konfrontiert gewesen, dass sie nur offizielle Aussagen (z. B. von der Regierung) zitieren dürfen, was folglich zu einer extrem einseitigen Berichtserstattung hätte führen können. Diese Entscheidung wurde jedoch aufgrund des großen gesellschaftlichen Drucks zurückgezogen. Es wird ebenso weiterhin dafür gekämpft, die verlängerte Frist für Anfragen an staatliche Institutionen (von 15 auf 45 Tagen) abzuschaffen. “Wir haben gelernt, solidarischer zu sein und in solchen Fällen, bei denen es notwendig ist, die Rechte der Journalisten zu schützen, sofort zu handeln“, kommentierte die Expertin.
Über die aktuelle Lage in Deutschland sprach Prof. Johannes Weberling, Leiter des Studienund Forschungsschwerpunkts Medienrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Auch in Krisenzeit werde weiterhin an der Änderung des Rundfunkstaatsvertrags gearbeitet. Medien wurden als „kritische Infrastruktur“ eingestuft, d.h. deren Versagen würde dramatische Konsequenzen für die Gesellschaft mit sich tragen. Für Angestellte mit systemrelevanten Berufen gab es unter anderem Kinderbetreuung auch während der Ausgangsbeschränkungen sowie weitere Regulierungen, zum Beispiel eine Flexibilisierung der Arbeitsstunden für Medienschaffende. In fast allen Bundesländern seien die Medien als systemrelevant eingestuft worden.
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