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Veranstaltungsberichte

Die Menschenrechte in der mexikanischen Verfassung

Änderungen durch die Verfassungsreform im Bereich Menschenrechte

Am 01. Juli 2011 veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Mexikanischen Kommission für Menschenrechte (CoMexDH) ein Expertengespräch zur am 10. Juni in Kraft getretenen Änderung der mexikanischen Verfassung im Bereich Menschenrechte. Die insgesamt etwa 200 Teilnehmer tauschten sich im Hauptstadtdistrikt mit hochrangigen Referenten aus Politik und Justiz über die Herausforderungen und Konsequenzen der Reform aus.

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Eugenia del Carmen Diez Hidalgo, Vorsitzende der Mexikanischen Kommission für Menschenrechte (CoMexDH), begrüßte die Zuhörer mit dem Hinweis, dass Politik, Verwaltung und Justiz die geänderten Normen in der Praxis nun sinnvoll anwenden und umsetzen müssten. Hauptziel müsse sein, die Würde des Menschen und des Lebens besser zu schützen. Dies beinhalte, die Grundrechte aller Bürger zu respektieren und zu sichern. Die staatlichen Institutionen hätten darauf zu achten, dass sich Ungerechtigkeiten, Egoismus und Partikularinteressen, die dem Allgemeinwohl schweren Schaden zufügen können, nicht unter dem Deckmantel der Freiheitsrechte verbergen. Falls dies nicht gelänge, könne sich Mexiko unter Umständen in ein autoritäres Regime zurückentwickeln.

Frank Priess, Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko, betonte in seiner Begrüßungsansprache, dass die Verfassungsreform von vielen Politikern, Staats- und Verfassungsrechtlern als die wichtigste Gesetzesänderung seit Inkrafttreten der mexikanischen Verfassung im Jahre 1917 angesehen werde. Die Hauptaufgabe stünde der Nation jedoch noch bevor. Die neue normative Grundlage müsse mit einer konsistenten und langfristig stringenten Rechtsprechung und Verfassungsinterpretation im Sinne des Menschenrechtsschutzes in Einklang gebracht werden. Zum Vergleich erläuterte er, dass in einigen Staaten Europas und Lateinamerikas die Politik und die öffentliche Meinung dazu tendierten, einen immer detaillierteren Rechte- und Pflichtenkatalog in die Verfassung aufzunehmen zu wollen. Dies sei jedoch kontraproduktiv, weil es deren grundlegende Aussagekraft und Klarheit verwässere und sie damit zum Kampfplatz um sekundäre und tertiäre Partikularrechte verkomme. Er hielt die Verantwortungsträger in Mexiko dazu an, diesen Fehler zu vermeiden und stattdessen den Fokus auf die unveräußerbaren Rechte und Pflichten der Bürger zu legen, um deren Essenz langfristig zu erhalten und zu kultivieren.

Im ersten Veranstaltungsteil äußerten sich ranghohe Persönlichkeiten aus der Legislative, Exekutive und Judikative Mexikos in einem Panel zu ihrer Einschätzung der in Kraft getretenen Reform.

Minister Sergio Salvador Aguirre Anguiano, Vorsitzender der Zweiten Kammer des Obersten Mexikanischen Gerichtshofs (SCJN), referierte über "Die Auswirkungen der Verfassungsreform im Bereich Menschenrechte auf die Judikative". Er zeigte sich davon überzeugt, dass die beschlossenen Modifikationen einen positiven Wandel des mexikanischen Rechtsverständnisses darstellten. Während die Grundrechte der Bürger vor der Reform lediglich durch die Verfassung und die staatlichen Organe "anerkannt" wurden, respektiere diese im Zuge der Überarbeitung nun deren Unveräußerbarkeit. Er merkte jedoch an, dass es noch große Herausforderungen zu bewältigen gebe. Vor allem müsse die Frage geklärt werden, auf welche Art und Weise die Judikative in Mexiko die neuen Normen konsistent und in Vereinbarung mit den ratifizierten internationalen Verträgen auslege und anwende.

Bei konfligierenden Normen zwischen nationalem und internationalem Recht spricht er sich dafür aus, dass sich Mexiko nicht selbst behindern solle: internationale Normen habe die Höchste Rechtsprechung nur anzuwenden, falls der Republik dadurch ein Vorteil entstehe.

Felipe de Jesús Zamora Castro, Staatssekretär für Rechtsangelegenheiten und Menschenrechte im mexikanischen Innenministerium (SEGOB), erläuterte seine Sichtweise zu den "Auswirkungen der Verfassungsreform im Bereich Menschenrechte auf die Exekutive".

Er verdeutlichte, dass die Verfassung den Staat gegenüber seinen Bürgern nun wesentlich stärker in die Verantwortung nehme. Verstoße dieser gegen seine Schutzpflichten, so drohten ihm Entschädigungsklagen und Reparationszahlungen. Diese Rechenschaftspflicht werde einen Wandel in der Amtsauffassung öffentlich Bediensteter herbeiführen und somit künftig den Ursachen von Menschenrechtsverletzungen vorbeugen. Ob sich die Reform als erfolgreich erweise, hänge gleichsam davon ab, inwiefern die Justiz es vermöge, die neuen Verfassungsgrundsätze und die internationalen Menschenrechtsabkommen miteinander zu vereinbaren und in ihre Urteile zu integrieren. Die nationale Rechtsprechung müsse sich zudem in Menschenrechtsangelegenheiten stark an den Urteilen der internationalen Gerichtshöfe orientieren: es sei die Verpflichtung Mexikos, die eigenen Verfassungsgrundsätze auch weiterhin proaktiv an internationales Recht anzupassen.

Letztendlich seien es jedoch nicht die einzelnen Normen, sondern der integrale Wandel der Rechtskultur, der eine besondere Relevanz besitze: Die Menschenwürde und die Grundrechte der einzelnen Person würden nun ins Zentrum des Verfassungsrechts gestellt.

Senator Alejandro Zapata Perogordo, Vorsitzender der Legislativkommission des Senats, sprach zu den "Auswirkungen der Verfassungsreform im Bereich Menschenrechte auf die Legislative".

Die Debatte um Menschenrechte und Menschenwürde habe in Mexiko sehr spät eingesetzt, weil die politischen Repräsentanten lange Zeit nicht im Dialog und Austausch mit der Zivilgesellschaft gestanden hätten.

Auch wenn die Reform nicht perfekt sei und auf dem Weg zu ihrer korrekten Anwendung noch viel zu tun bleibe, so habe sie doch das grundrechtsphilosophische Fundament der mexikanischen Verfassung deutlich verändert. Mexiko trete im internationalen Umfeld bereits seit langem als Förderer der Menschenrechte auf, was sich jedoch bis Juni 2011 formal nur unzureichend in der eigenen Verfassung widergespiegelt habe. Nun endlich würden die Grundsätze der Unteilbarkeit und der fortschreitenden Umsetzung der Menschenrechtsgrundsätze als Projektion der internationalen Verträge verwirklicht. Er stimmte mit Staatssekretär Zamora Castro darin überein, dass die internationalen Verträge zum Thema Menschenrechte im Einklang mit der reformierten Verfassung umzusetzen seien.

Zamora Castro und Zapata Perogordo unterstrichen beide die Tragweite des reformierten Artikels 29. Dieser lasse Beschränkungen der Grundfreiheiten nur noch in streng geregelten Fällen, beispielsweise im Rahmen von Evakuierungsmaßnahmen, zu. Das Primärrecht auf Leben bleibe von derartigen Beschneidungen kategorisch ausgeschlossen. Damit stelle er den grundlegenden Kern der neuen Verfassungsphilosophie dar. Über Artikel 29 könnten nun durch die Nationale Menschenrechtskommission Mechanismen etabliert werden, die Menschenrechtsverstöße besser sanktionieren.

Dr. Raúl Plascencia Villanueva, Vorsitzender der Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH), äußerte sich zum Thema "Die Nationale Menschenrechtskommission und die Verfassungsreform im Bereich Menschenrechte".

Dabei ging er auf die historische Bedeutung der Reform ein. Menschenrechte als grundlegende Garantie für das Individuum hätten vorher in der mexikanischen Verfassung nicht existiert. Die oberste Rechtsprechung in Mexiko sei künftig verpflichtet, die überarbeitete Verfassung und die internationalen Abkommen zum Thema Menschenrechte in ihren Urteilen zu berücksichtigen. Anstatt Bedenken vor der Umsetzung der Urteile der internationalen Gerichtshöfe zu haben, sollte Mexiko anerkennen, dass es sich dabei um einen globalen Rechtsstandard der zivilisierten Welt handele.

Die Erziehung der nachfolgenden Generationen hin zur Achtung und Praxis der universellen Menschenrechtsgarantien stellten nun eine Grundverpflichtung des mexikanischen Staates dar. Plascencia selbst habe sich erst während der Promotion in Rechtswissenschaften mit dem Thema befasst, weil es während der Studienlaufbahn früherer Generationen selbst an den Universitäten völlig ignoriert worden sei. Dementgegen könne und müsse nun jeder Bürger in der Gegenwart bereits ab dem Kindesalter über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt werden.

Die Nationale Menschenrechtskommission werde künftig besonders bei den Themen soziale Teilhaberechte und Arbeitsrecht gestärkt. Mexiko habe bereits unzählige Verträge der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) unterschrieben. Die CNDH werde nun befähigt, deren Einhaltung zu überwachen.

Eine besondere Verantwortung komme der öffentlichen Verwaltung zu. Denn im Falle von Menschenrechtsverletzungen durch öffentlich Bedienstete werde nicht der Täter als Individuum wahrgenommen, sondern die Institution als ganze in ihrer Reputation diskreditiert und im Vertrauen der Bürger beschädigt. Daher müsse besonders hier frühzeitig in Form von Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen die Akzeptanz der Grundrechte und die Wichtigkeit ihres Schutzes erreicht werden.

Im Rahmen des zweiten Veranstaltungsteils eröffnete Salvador Abascal Carranza, Stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Rafael Preciado Hernández die Hauptkonferenz mit einem Vortrag zum Thema “Das Naturrecht und die Menschenrechte". Er veranschaulichte die naturrechtliche Grundidee, nach der die Menschenrechte ab dem 18. Jahrhundert, ähnlich den naturwissenschaftlichen Gesetzen, schrittweise "entdeckt" worden seien. Diese naturrechtliche Gesetzmäßigkeit stelle die Regeln bereit, die das friedliche und prosperierende Zusammenleben in Einklang mit der sozialen Natur des Menschen auf Basis der individuellen Grundrechte ermöglichen.

Durch Inkrafttreten der Verfassungsreform in Mexiko am 10. Juni 2011 sei die Stufe erreicht, auf der die Menschenrechte auch in Mexiko über den Gesetzen des Staates stünden und nunmehr unveräußerbar sind. Dies stehe im Gegensatz zum Presidentialismus der PRI, mit dem diese das 20. Jahrhundert hindurch den Staat per Dekret regiert habe. Zwar seien bereits unter der PRI in den 1990ern erste bescheidene Fortschritte beim Thema Grundrechte gemacht worden. Diese Modifikationen der Verfassung erfolgten jedoch nicht freiwillig. Sie waren vielmehr dem Druck Kanadas geschuldet, nur unter dieser Bedingung dem geplanten NAFTA-Beitritt Mexikos zuzustimmen. Die PRI hätte daher nicht aus Überzeugung gehandelt und nur die Minimalanforderungen erfüllt.

Victor Manuel Montoya Rivero, Hauptgeschäftsführer der Anwaltskanzlei Montoya Rivero, referierte über “Die Verfassung, die internationalen Verträge und das Recht auf Leben".

Er äußerte die Meinung, dass ein absolutes Recht auf Leben in Mexiko vor Juni 2011 nicht verfassungsrechtlich verankert gewesen sei. Dieses habe nur indirekten Schutz als zivilrechtliches Gut genossen.

Nach der Reform existiere nun auch in Mexiko ein verfassungsrechtlicher Lebensbegriff, der über der zivilrechtlichen Definition stehe. Während nach dem Zivilrecht unklar bleibe, wer als schützenswerte Person einzustufen sei, könne das Verfassungsrecht einen umfassenderen Begriff des Lebens greifbar machen, da es auf einem ethischen und philosophischen Fundament aufbaue.

In Rückgriff auf Beispiele verschiedener internationaler Verträge verdeutlichte er seine These, dass es beim Thema "Ungeborenes Leben" seines Erachtens keine Grundrechtskonflikte zwischen Kind- und Mutterrechten gebe, weil das Recht auf Leben allen anderen Grundrechten vorgeschaltet sei.

Rigoberto Ortiz Treviño, Wissenschaftlicher Berater der Mexikanischen Kommission für Menschenrechte, sprach zum Thema “Die Nicht-Diskriminierung und der Schutz der Familie in der Verfassung und den internationalen Verträgen”.

Eingangs behandelte er die Frage, welche Probleme der Laizismus mexikanischer Prägung mit sich gebracht habe. Er pointierte, dass der Staat besonders während der PRI-Herrschaft im 20. Jahrhundert oftmals unter dem Deckmantel des Laizismus seine Neutralitätspflicht verletzt habe. Anstatt weltanschauliche Neutralität zu wahren, hätten sich die mexikanischen Laizisten oftmals offen und direkt gegen die Kirche und die freie Glaubensausübung gerichtet. Besonders in der Schulerziehung sei dies deutlich der Fall gewesen.

Den öffentlichen Raum der Schule missbräuchlich für ideologische Indoktrination verwendet zu haben, zeige, dass der Staat nicht der Haupterzieher des Nachwuchses sein könne. Vielmehr stelle die Familie den Hauptbezugspunkt der Erziehung dar. Er fordert daher, dass die Eltern auch in die Inhalte der schulischen Erziehung miteinbezogen werden müssen, um dem Missbrauch des Unterrichts unter ideologischen Vorzeichen vorzubeugen. Der Verweis auf die Teilhaberechte der Eltern an der Mitgestaltung der Erziehung ihrer Kinder fehle jedoch in der reformierten Verfassung. Zudem müsse in Erziehungsfragen das Subsidiaritätsprinzip verankert werden, dass den Eltern die Befugnis anerkenne, für die Werteerziehung der Kinder verantwortlich zu sein.

Um im öffentlichen Raum die Begrifflichkeit und die Inhalte der Menschenrechte neutral zu unterrichten, müssten vorab noch viele Begrifflichkeiten besser ausdefiniert werden. So fehle u.a. eine Definition des Laizismus-Begriffs. Er hätte sich gewünscht, dass hierzu bereits bei der Verfassungsänderung durch die Reformer klarere Hinweise abgegeben worden wären. Die Rechte und Pflichten der einzelnen Akteure sowie der Würde- und Personenbegriff seien jedoch im Unklaren geblieben.

Der abschließende Vortrag von Dr. Rafael Estrada Michel, Leiter der Abteilung "Benachteiligte Bevölkerungsgruppen" in der Bundesbehörde für ganzheitliche Familienentwicklung (DIF), behandelte das Thema "Neue Befugnisse der Nationalen Kommission für Menschenrechte und die internationalen Verträge".

Er hielt fest, dass die Verfassungsrichter keine grundsätzlich reaktionäre oder linke Grundhaltung einnehmen könnten. Vielmehr verpflichte sie ihre Verantwortung, Rechtsfragen auf Grundlage der Verfassung ohne ideologische Färbung zu lösen.

Als wichtigste Auswirkung der Verfassungsreform sieht er den Wandel des kulturellen Rechtsverständnisses an. Im Gegensatz zu Zamora Castro und Zapata Perogrodo unterstrich er jedoch, dass die Verfassungsreform nicht der Anfangspunkt des kulturellen Wandels des Rechtsverständnisses sei, sondern dessen Veränderung vielmehr bereits in der Vergangenheit eingesetzt habe und nun deren Auswirkung darstelle. Der Fortschritt der Rechtskultur schlage sich nun in der modernen Weiterentwicklung der Rechtsnormen nieder.

Die positiven Auswirkungen der Reform auf die Nationale Menschenrechtskommission bestünden aus seiner Sicht in der besseren Kontrolle der Organisationsfreiheit der Gewerkschaften, die nun stärker geschützt werde. Zudem könne sie Menschenrechtsverletzung auf erweiterten Kompetenzfeldern, bspw. im Arbeitsrecht, aufgreifen. Generell besitze sie nun die Ermächtigung, eigene Ermittlungen anstellen, also in Grundrechtsfragen selbständig ermitteln.

Die Nachteile der Reform zeigten sich vor allem beim Artikel 3, der seines Erachtens unvollständig geblieben ist. So werfen ungena ue Formulierungen weiterhin die Frage auf, was genau unter Grundrecht, Menschenrecht und Person zu verstehen sei.

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