Asset-Herausgeber

Veranstaltungsberichte

KULTURELLE IDENTITÄT INDIGENER VÖLKER UND WESTLICH HUMANISTISCHE WERTEORDNUNG - WIE MAN BRÜCKEN SCHLAGEN KANN

von Janina Grimm-Huber

DRITTER FORTBILDUNGSKURS FÜR INDIGENE FÜHRUNGSKRÄFTE IN MEXIKO-STADT

Im Rahmen des dritten Spezialisierungskurses “Humanismo y líderes indígenas“ kamen vom 16. bis zum 19.08. indigene Führungspersönlichkeiten aus den Bundesstaaten Oaxaca, Veracruz, Yukatan und Sonora in Mexiko-Stadt zusammen, um ihre Kenntnisse zu den Themen kulturelle Identität und humanistische Werte zu vertiefen.

Asset-Herausgeber

Die Veranstaltung begann mit den Begrüßungsworten des Büroleiters der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mexiko, Hans Blomeier, und Projektkoordinatorin Janina Grimm-Huber. Beide wünschten den Teilnehmern viel Erfolg für das bevorstehende Seminar.

„Wir sehen die Dinge nicht wie sie sind, wir sehen sie so wie wir sind“: mit diesen Worten des deutschen Philosophen Immanuel Kant leitete Carlos Villaseñor Anaya, Mitglied der Expertengruppe des UNESCO-Fonds für kulturelle Vielfalt, seinen Vortrag über kulturelle Identität ein. Auf Grundlage dieses Leitspruchs verdeutlichte er, dass in Mexiko nicht von einer einzigen nationalen Identitätskultur (mit westlicher Prägung) die Rede sein könne. Vielmehr gebe es viele verschiedene kulturelle Ausprägungen in Mexiko, weil es eine Fülle von indigenen Völkern beherberge, die alle die Geschichte und Kultur des Landes mitprägen würden. Trotz dieser großen Bedeutung, die die indigenen Völker für das kulturelle Erbe der Nation haben, seien ihre Weltansichten, Traditionen und Bräuche über viele Jahrzehnte hinweg ignoriert und wenig wertgeschätzt worden. Damit gehe auch einher, dass ihre gesellschaftlichen und politischen Teilhabemöglichkeiten heutzutage begrenzt seien. „Das Recht auf eine eigene kulturelle Identität und ihre Auslebung steht jedoch jedem Menschen bedingungslos zu“, betonte Herr Villaseñor zum Abschluss seines Vortrages. Deshalb sei es unabdingbar, dass der Staat die indigenen Völker schütze und mehr einbinde.

Germánico Galicia García, Leiter für Holzgewinnung und Produktivität der Bundeskommission für nachhaltige Forstwirtschaft Mexikos, und Noemí Agapito Confesor, Juristin und Dolmetscherin der indigenen Sprache „Mixe“, verdeutlichten den Kursteilnehmern, wie stark die kulturelle Identität indigener Völker mit der Natur verbunden ist. Im Rahmen eines Workshops bekamen die Teilnehmer die Aufgabe, Pflanzen und Tiere zu identifizieren, die eine besondere Funktion und Stellung für ihre Gemeinde haben und ihr kulturelles Selbstverständnis prägen.

Am zweiten Kurstag stand die Bedeutung der Sprache für die Identitätsbildung des Menschen im Vordergrund. Tomás López Sarabia, Mitbegründer des Zentrums für Beratung, Verteidigung und Übersetzung indigener Sprachen, betonte zunächst, dass eine Sprache zu sprechen und sich über diese mit anderen zu verständigen, ein fundamentales Menschenrecht darstelle. In Mexiko existieren neben der spanischen, 68 indigene Sprachen. 6,6 Prozent der mexikanischen Bevölkerung, rund 7,2 Millionen Menschen, sprechen eine indigene Sprache. Ein bedeutender Teil von ihnen sei, laut Tomás López, des Spanischen nicht mächtig. Er machte außerdem darauf aufmerksam, dass die spanische Sprache in Mexiko, im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern, nicht offizielle Amtssprache sei, weshalb den indigenen Sprachen somit faktisch die gleiche Bedeutung zukommen müsste. In der Praxis sehe dies allerdings anders aus. Viele Indigene, die kaum oder gar kein Spanisch sprechen können, sähen sich stark benachteiligt. Mithilfe des Dokumentarfilms „Justicia sin palabras“ von 2011 machte der Referent auf diesen Missstand aufmerksam. Der Dokumentarfilm handelt von zwei indigenen Männern, die angeklagt wurden, ein Verbrechen begangen zu haben. Diese konnten sich jedoch aufgrund ihrer fehlenden Spanischkenntnisse nicht verteidigen und erhielten vom mexikanischen Staat auch keinen bilingualen Rechtsbeistand, wozu er per Gesetz allerdings verpflichtet wäre. Das tragische Ergebnis: sie unterschrieben ein vom Gericht auf Spanisch verfasstes Schuldbekenntnis, das sie weder lesen noch verstehen konnten und wurden damit zu mehr als 70 Jahren Haft verurteilt. Herr López erklärte weiterhin, dass es nicht Schuld der indigenen Bevölkerung sei, kein Spanisch zu sprechen. Ihr „linguales“ Recht zu garantieren und zu wahren, läge vielmehr in der Verantwortung des mexikanischen Staats.

Während seines Vortrages war deutlich zu spüren, dass dieses Thema die Teilnehmer sehr berührte. Eine der Teilnehmerinnen zum Beispiel meldete sich zu Wort, um ihr persönliches Erlebnis diesbezüglich zu teilen. Sie berichtete, dass sie als Schülerin für jedes gesprochene Wort Maya, das sie mit ihren Mitschülern wechselte, zwei Pesos Strafe zahlen musste.

Die Referentin Lorena Córdova Hernández, Anthropologin und Professorin an der autonomen Universität Benito Juárez in Oaxaca, thematisierte im Anschluss ebenfalls die Bedeutung der indigenen Sprachen und stellte die politischen Maßnahmen der Regierung in den Vordergrund.

Marco Buenrostro, Wissenschaftler mit Forschungsschwerpunkt auf den traditionellen Kulturen Mexikos, stellte danach die geschichtlichen und anthropologischen Ursprünge Mexikos und den gesellschaftlichen sowie sozialen Wandel des Landes im Laufe der Zeit vor.

Hugo Varas Yance, Mitarbeiter des Sekretariats für indigene Angelegenheiten in Oaxaca, legte als letzter Referent des Tages dar, wie wichtig eine interkulturelle (Schul-) Bildung für die Einbindung und Beteiligung der indigenen Völker im öffentlichen Raum und für ihre Anerkennung in der mexikanischen Gesellschaft ist. In Mexiko werde die Kultur der indigenen Bevölkerung grundsätzlich zwar geachtet, sagte er, aber im Vergleich zu den westlich geprägten Traditionen, nicht als gleichwertig angesehen, sondern eher als Folklore abgetan. Deshalb sprach sich Herr Varas für eine gesellschaftliche Transformation aus, in der die verschiedenen Kulturen unterschiedlichen Ursprungs als gleich bedeutend angesehen und dementsprechend auch so behandelt werden.

Dr. Andrés Jouannet, Doktor der Politikwissenschaft und Berater der Konrad-Adenauer-Stiftung für Lateinamerika, gab am dritten Kurstag eine Einführung in den christdemokratischen, humanistischen Wertekanon. Mit der traditionellen Begrüßungsformel der Mayas „Ich bin ein anderes Du, du bist ein anderes Ich“ (In Lak´Ech–Hala Ken), machte er deutlich, dass die westlichen Werte, insbesondere die der Solidarität und Brüderlichkeit, durchaus ihr Pendant in den Weltansichten der indigenen Völker haben. Deswegen sei es seiner Meinung nach auch immer möglich, Brücken zwischen beiden Welten zu schlagen, vor allem immer dann wenn der gegenseitige Respekt und das Prinzip der Nächstenliebe gewahrt werden.

In einer Gesprächsrunde mit Prisco Manuel Gutiérrez, zuständig für indigene Fragen in der Parteizentrale der PAN, und Xavier Abreu, PAN-Politiker und Direktor einer NGO, die sich für die Gleichstellung indigener Frauen einsetzt, wurde die Aufmerksamkeit schließlich auf die PAN, die christdemokratische Partnerpartei der CDU, und ihren Beitrag zur Stärkung der indigenen politischen Teilhabe in Mexiko gelenkt. Xavier Abreu betonte, dass sich die Partei bereits seit ihrer Gründung für die Anerkennung der indigenen Völker Mexikos einsetzte. Insbesondere seit die PAN mit Vicente Fox und danach mit Felipe Calderón das Land regierte, wurden bedeutende Maßnahmen ergriffen. Die Gründungen des Nationalen Instituts für indigene Sprachen (INALI) und der Nationalen Kommission für die Entwicklung indigener Völker (CDI) im Jahr 2003 würden davon zeugen. Trotz dieser Fortschritte merkten er und Prisco Gutiérrez an, dass sich die Partei noch mehr für die Belange der indigenen Bevölkerung einsetzen müsste. Ein erster wichtiger Schritt sei es die Parteisatzung anzupassen und das Thema hier explizit zu behandeln. Am Sonntag wurde diese Diskussion weiter fortgeführt. Die Teilnehmer beteiligten sich sehr aktiv an der Debatte und berichteten von ihren Erfahrungen mit der PAN. Prisco Manuel Gutiérrez hatte ein offenes Ohr für ihre Anliegen und sprach sich dafür aus, das Thema innerparteilich verstärkt angehen zu wollen.

Nach den Vorträgen unternahm die Gruppe einen Ausflug ins nationale Museum der Volkskulturen Mexikos in Coyoacán. Zum krönenden Abschluss des Seminars fand ein kultureller Abend statt. Es wurde gemeinsam zu Abend gegessen, getanzt, Bräuche und Rituale der hier repräsentierten Völker und Regionen vorgestellt und traditionelle, indigene Kunsthandwerke unter den Teilnehmern verschenkt und ausgetauscht.

Co-Autorin: Veronika Wies, Praktikantin

Asset-Herausgeber

Das Seminar wurde tatkräftig von unseren Praktikantinnen unterstützt. Ein besonderer Dank geht an Veronika Wies, Co-Autorin des VA-Beitrags.

comment-portlet

Asset-Herausgeber

Asset-Herausgeber