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Veranstaltungsberichte

Soziale Marktwirtschaft - eine Alternative für Oaxaca und Mexiko?

Seminar im Bundesstaat Oaxaca

Am 12., 19. und 20. September führte die Organisation „Movimiento Ciudadano Oaxaca“ in Kooperation mit der „Universidad Iberoamericana“ und deren Internationalen Forschungszentrum für Soziales und Solidarisches Wirtschaften (CIIESS) sowie mit der Universität La Salle und der KAS Mexiko das Seminar „Soziale Marktwirtschaft und ihre Anwendung in Oaxaca“ durch. Studenten, Akademiker und Unternehmer nahmen daran teil. Ziel des Seminars war es, den Teilnehmern die Soziale Marktwirtschaft als Konzept vorzustellen und darzulegen, welche Vorteile es für Mexiko und Oaxaca bringen kann.

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Am 12. September, dem ersten Seminartag, gab Sandra Beatriz Silva Salmiento von der Universität La Salle Oaxaca eine Einführung in die Wirtschaftswissenschaft und die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns auf die Gesellschaft. Daraufhin stellte der Stadtrat und Direktor von „Movimiento Ciudadano Oaxaca“, Fransisco Reyes, die Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft und ihre Entwicklung vor. Abschließend erklärte Juan Carlos Mondragón, Doktorand an der Universität Bristol in England in seinem Online-Vortrag über Skype, in welcher Form der Staat nach dem Modell der Sozialen Marktwirtschaft in die Wirtschaft eingreift.

Am folgenden Seminarwochenende standen zuerst weitere theoretische Vorträge auf der Tagesordnung: Dr. Luis Fonserrada, Forscher am Zentrum für Wirtschaftsstudien des Rats für Unternehmenskoordination (CCE), gab einen Überblick über Mexikos Wirtschaft und deren Einbindung in den globalen Markt. Mexiko hänge wirtschaftlich sehr stark von den USA ab, deshalb solle das Land die Beziehungen zu anderen Ländern stärken und neue Absatzmärkte suchen, so der Referent. Außerdem sei das Land stark vom Fall der Ölpreise betroffen, da der Erdölsektor Mexikos stärksten Wirtschaftsbereich darstellt. Aufgrund dessen wäre es ratsam, in andere, noch nicht so entwickelte Sektoren wie z.B. die Textilindustrie, zu investieren, rät der Experte. Um ausländische Investoren anzuziehen, müsse der Staat insbesondere die Infrastruktur ausbauen, um so ein besseres Investitionsumfeld zu schaffen.

Ein weiteres Problem, so Fonserrada, stelle der informelle Sektor am Arbeitsmarkt dar. Die unangemeldeten Arbeiter zahlen keine Steuern und haben auch keinen Zugang zur Sozialversicherung. Laut dem Nationalen Institut für Statistik und Geografie (INEGI) sei die Arbeitslosigkeit zwar im Sinken begriffen, allerdings sei dies eher auf eine Formalisierung bereits vorhandener Arbeitsplätze als auf die Schaffung neuer Stellen zurückzuführen.

Raúl Paulin vom Internationalen Forschungszentrum für Solidarisches und Soziales Wirtschaften in Mexiko führte im Anschluss dem Publikum einige alarmierende Statistiken vor Augen: Laut den jüngsten Zahlen des Nationalen Rats für die Bewertung der Politik zur sozialen Entwicklung (Coneval) reiche für 52 Prozent der mexikanischen Bevölkerung das Einkommen nicht zur Stillung der Grundbedürfnisse aus. Die durchschnittlichen fixen Einnahmen der Bevölkerung hätten seit 2012 um 3,5 Prozent abgenommen. Außerdem sei die absolute Anzahl der in Armut lebenden Bevölkerung von 39,8 Millionen 1984 auf 63 Millionen 2012 angestiegen. Ansätze der Sozialen Marktwirtschaft könnten hier Alternativen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der mexikanischen Bevölkerung bieten, so der Referent, allerdings fehle ganz grundsätzlich eine kritische öffentliche Debatte zum Thema.

Fransisco Reyes stellte anschließend die anthropologischen und ethischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft vor und nahm dabei Bezug auf das mexikanische Schulsystem: Um die Situation der mexikanischen Bevölkerung zu verbessern, müsse das Bildungssystem reformiert werden, da noch immer viele Menschen keinen Zugang zu Bildung hätten, obwohl diese ein Menschenrecht und in der Verfassung verankert sei. Es sei anzunehmen, dass bessere Bildungschancen für alle Mexikaner zu einem höheren Lebensstandard im Land führen. Für den Wohlstand der Menschen zu sorgen sei allerdings nicht nur eine Verpflichtung des Staates, sondern auch eine persönliche Verantwortung jedes einzelnen. Den Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft entsprechend, wäre die Thematisierung und Förderung von Werten wie Subsidiarität, Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Gemeinsinn und die Achtung der Menschenwürde des anderen auch in diesem Zusammenhang sehr hilfreich, so Reyes. Auch sollte mehr Solidarität für die in Armut lebende Bevölkerung gezeigt und diese dabei unterstützt werden, sich aus eigenen Kräften eine bessere Zukunft aufbauen zu können. Auch heute sei nationale Solidarität, wie sie nach dem starken Erdbeben 1985 in Mexiko-Stadt zu Tage trat, von Nöten, äußerte Reyes.

Im aktuellen Wirtschafts-Liberalismus stünde an erster Stelle der Gewinn und nicht die Menschen, so der Referent weiter. Die Soziale Marktwirtschaft vertrete die Einschränkung des Liberalismus durch den Staat, z.B. durch die Regulierung des Wettbewerbs, um bessere Entwicklungschancen für alle zu ermöglichen.

Zum Schluss des zweiten Seminartages gab Juan Carlos Mondragón einen Überblick über den Staat und seine Aufgaben sowie über die Staatsorgane und Institutionen, die in Gesetzesbildungsprozesse eingebunden sind. In einer Gruppendiskussion, die der Referent ebenfalls wieder über Skype koordinierte, diskutierten die Teilnehmer anschließend darüber, welche Akteure sich an den Bildungs-, Gesundheits-, Landwirtschafts-, Arbeits-, und Wirtschaftspolitiken beteiligen und wie derartige Prozesse ablaufen.

Der Abschluss des Seminars am Sonntag, den 20. September war sehr praxisbezogen und fand in der Gemeinde Ixtlán de Juárez in der Sierra Norte Oaxacas statt. Ziel der Exkursion war, zu sehen, wie sozial-orientiertes Wirtschaften in die Praxis umgesetzt werden kann. Die Gemeinschaft von Ixtlán, bestehend aus 384 Personen – großteils aus der indigenen Gruppe der Zapoteken -, bewohnt ein Gebiet von 19 310 Hektar. Die Gemeinde hat sich dem sozialen Wirtschaften verschrieben, sowie dem Ziel, allen Mitgliedern einen guten Arbeitsplatz zu ermöglichen und sich gegenseitig zu unterstützen. Die Entscheidungen der Gemeinde werden in einer regelmäßigen Versammlung im Konsens getroffen. Um Teil der Gemeinde zu sein, müssen bestimmte Pflichten erfüllt werden, im Gegenzug dazu erhalten die Gemeindemitglieder Vorteile, wie z.B. günstige Kredite oder ein Vorrecht auf Arbeitsplätze in den gemeindeeigenen Betrieben. Wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen, können sie sanktioniert werden, indem ihnen die Begünstigungen gestrichen oder sie im schlimmsten Fall von der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Die gemeinschaftlichen Unternehmen sind ein Geschäft, eine Tankstelle, eine Bank, ein Ökotourismus-Unternehmen (http://www.ecoturismocertificado.mx/empresa.php?id=30), ein Kohleunternehmen sowie ein Sägewerk und eine Möbelfirma. Die Gewinne dieser Unternehmen werden zurückgelegt und später u.a. in Gemeindeprojekte investiert. Die Seminarteilnehmer hatten die Möglichkeit, die Holzkohleöfen sowie das Sägewerk und die Möbelfirma zu besuchen. Das Holz, das verarbeitet wird, wird vom Forest Stewardship Council (FSC), das für eine nachhaltige Waldnutzung steht, zertifiziert. Darüber hinaus unterhält das Unternehmen noch eine Baumschule.

Außer der Gemeinde von Ixtlán gibt es 35 andere Gemeinden in Mexiko mit einer ähnlichen Vision eines sozial-orientierten Wirtschaftens. Ein Kritikpunkt am nationalen Steuerrecht eint derartige Unternehmen: die sozial-orientierten Betriebe sind nicht damit einverstanden, dass sie die gleichen Steuern zahlen müssen wie „normale“ Firmen, obwohl sie mit ihren Gewinnen Projekte für die Gemeinde fördern und somit teilweise Aufgaben des Staates übernehmen. Sie sind der Meinung, es solle bestimmte steuerliche Vorteile für besonders sozial agierende Unternehmen geben.

Die Gemeinde von Ixtlán ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass die Bevölkerung durch Eigeninitiative ein gewinnbringendes und gleichzeitig sozial vertretbares Wirtschaften erreichen kann. Wenn es auch wünschenswert wäre, dass derartige Überlegungen ebenso auf bundesstaatlicher bzw. staatlicher Ebene stattfänden und auch, wenn Unternehmertum mit sozialem Bewusstsein nur einen Teilaspekt des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft ausmacht, so können in derartigen Versuchen doch erste Ansätze für ein Handeln gemäß den Ideen der Sozialen Marktwirtschaft verortet werden.

(Autorin: Bianca Cornean, Praktikantin KAS Mexiko)

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