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Veranstaltungsberichte

Wie ist die Migrations- und Integrationspolitik in Deutschland gestaltet?

von Janina Grimm-Huber

Studien- und Dialogprogramm für Migrationsexperten aus Mexiko und Mittelamerika

Das Inlandsprogramm der KAS in Berlin organisierte gemeinsam mit dem Auslandsbüro Mexiko im September 2015 ein fünftägiges Studien- und Dialogprogramm für Migrationsexperten aus Mexiko, Costa Rica, Honduras und Guatemala. So besuchten sieben Teilnehmer aus Lateinamerika vom 06. bis 12. September die Städte Stuttgart, Berlin und Frankfurt (Oder), um sich mit Akteuren der Zivilgesellschaft, der Kirche und politischen Entscheidungsträgern aus Deutschland über das deutsche Migrationsrecht und Integrationspolitiken auszutauschen.

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Der erste Tag der Dialog- und Studienreise begann mit einem Termin bei Herrn Richard Joseph Arnold, Oberbürgermeister der Stadt Schwäbisch-Gmünd im Bundesland Baden-Württemberg. Neben den Delegationsmitgliedern nahmen auch die Mitarbeiter der Stadt Schwäbisch-Gmünd, Frau Daniela Dinser, Leiterin der Ausländerbehörde, Karoline Hirner aus der Abteilung Wirtschaftsförderung, Katharina Aubele, zuständig für Internationales und Protokoll, Schwester Benedikta des Franziskanerinnenklosters und Herr Steffen Alt, Filialdirektor der Kreissparkasse Ostalb und gemeinsam mit OB Arnold an der Spitze der Ehrenamtsbewegung in Schwäbisch Gmünd, an dem Treffen teil. Zweck des Gesprächskreises war es, den Besuchern aus Lateinamerika das Integrationskonzept der Stadt Schwäbisch-Gmünd vorzustellen.

In seiner Einführung gab Herr Arnold an, dass 33 Prozent der Einwohner dieser Stadt einen Migrationshintergrund hätten, 13 Prozent einen ausländischen Reisepass, davon aber knapp mehr als die Hälfte einen unbefristeten Aufenthaltstitel besitzen würden. Aufgrund dieser signifikanten Zahlen, sei es nach Meinung des Oberbürgermeisters wichtig, dass die Stadt Schwäbisch-Gmünd eine „Kultur des Miteinanders“ fördere, insbesondere da durch den großen Flüchtlingszustrom aus Syrien immer mehr ausländische Menschen ihren Weg in diese Stadt finden würden. Daher habe die Stadt auch ein eigenes Integrationskonzept mit dem Titel „Miteinander in Schwäbisch Gmünd“ ins Leben gerufen, das nach dem Motto „Arbeit ist die beste Integration“ den Einwanderern zunächst Deutschunterricht geben würde, um ihnen im Nachhinein die Möglichkeit zu bieten, ihren Hauptschulabschluss und eine anschließende Ausbildung zu absolvieren. Allianzen mit der regionalen Industrie, Handwerksbetrieben und anderen Unternehmen würden letzteres Vorhaben unterstützen. Neben den Programmen der Stadt seien die Integrationsprojekte der kirchlichen Einrichtungen und der engagierten Zivilbevölkerung zu gleichen Teilen von Bedeutung. Zum Schluss seines Vortrages sensibilisierte er dafür, dass es für eine erfolgreiche Integration wichtig sei, den Asylbewerbern Sicherheit in Form von beruflichen Perspektiven und Sozialleistungen zu geben, aber auch die kulturelle Einbindung nicht zu vernachlässigen.

In der zweiten Tageshälfte besuchten die Programmteilnehmer ein Projekt im Bereich der Flüchtlingshilfe in der Stadt Schwäbisch-Gmünd. Es handelte sich um eine Handwerksstätte, die von zwei deutschen Berufshandwerkern ehrenamtlich betreut wird. Vor allem männliche Asylbewerber werden hier mit den wichtigsten Fertigkeiten dieses Berufszweiges vertraut gemacht.

Am Dienstag, den 8. September, traf die Delegation auf Herrn Thomas Fuhrmann, Mitglied der CDU Stadtratsfraktion Stuttgart, und im Anschluss auf Herrn Wolfgang Molitor, stellvertretender Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten.

Ersterer sprach vor allem über das akute Problem der Schaffung von zusätzlichen Flüchtlingsunterkünften, dem sich die Stadt Stuttgart mit Blick auf die neuen Flüchtlingszuströme stellen müsse. Zur Veranschaulichung gab er einige Zahlen zu Protokoll: In Stuttgart leben 5.500 Flüchtlinge bzw. Asylsuchende, welche fast zehn Prozent der Stadtbevölkerung aus-machen würden. Bis zum Jahresende 2016 erwarte die Stadt Stuttgart einen weiteren Zu-wachs von 2.800 Menschen. All diese müssten natürlich anständig untergebracht werden, so Thomas Fuhrmann, weshalb die Stadt mithilfe des „Stuttgarter Modells“ die dezentrale Unterbringung der Neuankömmlinge in verschiedenen Stadtbezirken vorsehe. Der Plan setze fest, in der vierten Tranche dreißig Neubauten in jeweils elf Stadtbezirken zu errichten. In einer Unterkunft könnten 75 bis 80 Personen untergebracht werden. Das bedeute, dass Platz für insgesamt 2.200 Flüchtlinge geschaffen würde. Jeder Systembau koste dabei fast zwei Millionen Euro, was einer Gesamtinvestition von 51,7 Millionen Euro entspräche, welche im ersten Schritt von den Gemeinden selbst finanziert, aber vom Land Baden-Württemberg dann innerhalb von zehn Jahren zurückerstattet werden würde. Er argumentierte im Anschluss, dass mit diesem Ausbauplan zwar eine erste schnelle Lösung für das akute Problem der Flüchtlingsunterbringung geschaffen worden sei, doch würden noch große Herausforderungen bestehen bleiben, wie zum Beispiel das Problem der Verteilung der Flüchtlinge auf die jeweiligen Asylhäuser, oder der besorgniserregende Umstand, dass schlichtweg keine Grundstücke mehr für die Neubauten im Stadtgebiet Stuttgart existieren würden. Die bereits konstruierten Einrichtungen stünden an Standorten, wo sie kraft Gesetzes eigentlich nicht stehen dürften. Sie seien deswegen auf fünf Jahre befristet und müssten spätestens nach einer Verlängerung von weiteren fünf Jahren wieder abgerissen werden. Auch sei noch unklar, was eigentlich mit den Flüchtlingen passiert, deren Asylantrag anerkannt wurde, fuhr Stadtrat Fuhrmann fort. Schon jetzt sei die Wohnungssuche in Stuttgart aufgrund der hohen Nachfrage und den Preisanstiegen sehr schwierig. Ebenso informierte er seine Gesprächspartner darüber, dass die Antragsteller aus Drittherkunftsländern nach wie vor von der Landesregierung auf die Gemeinden umgelegt würden, was nicht mehr sein dürfe, müssten nach geltendem Recht doch all diese abgeschoben werden. Das geschehe jedoch nur in 20 Prozent der Fälle.

In diesem Zusammenhang bestätigte Herr Molitor der Delegation einige Stunden später, dass Deutschland sich schwer täte, die Asylsuchenden abzuschieben. In den letzten Jahren seien nur 12.000 Menschen bisher deportiert worden, während in den USA vergleichsweise jedes Jahr mehrere tausend Migranten in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden würden. Das Thema Migration in Deutschland und Europa sei allerdings weit mehr als die aktuelle Asyl- und Flüchtlingsdebatte. Er listete folglich weitere wichtige Aspekte auf: Zum Beispiel werde das Phänomen der Binnenmigration innerhalb Europas kaum thematisiert, diese sei jedoch mit Blick auf die Tatsache, dass die größte Migrantengruppe in Europa aus der EU selbst komme, für die Migrationspolitiken der EU und ihrer Mitgliedsstaaten bedeutend. Das im Jahr 2014 ergangene Urteil des europäischen Gerichtshofes zum Familiennachzug von türkischen Ehegatten nach Deutschland habe den verstärkten Zustrom von vielen türkischen Staatsbürgern in die Bundesrepublik bewirkt. In den Debatten um Integration und Migration spiele diese richterliche Entscheidung und ihre Auswirkungen kaum eine Rolle, ebenso wenig wie eine der größten Einwanderergruppen in Deutschland, nämlich die Aussiedler und Spätaussiedler (gemeint sind u.a. die Russlanddeutschen).

Am Abend trafen sich die sieben Mitglieder der Reise mit Dr. Stefan Hofmann, Landesbeauftragter für Baden-Württemberg der KAS, und dem ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeister, Wolfgang Schuster, zu einem Tischgespräch. Ebenso wie sein Kollege aus Schwäbisch-Gmünd bezeichnete Exbürgermeister Schuster das Erlernen der deutschen Sprache und eines praktischen Berufes als Schlüssel zum Erfolg. Gleichzeitig stünde auch die gleichberechtigte Teilhabe der Einwanderer am gesellschaftlichen Leben im Fokus der Stuttgarter Integrationspolitik. Während und auch nach seiner 16-jährigen Amtszeit würden die Förderung der Partizipation und der Chancengleichheit von Menschen unterschiedlicher Herkunft, die Förderung des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Bevölkerungsgruppen sowie die Nutzung der kulturellen Vielfalt den Grundstein für Stuttgarts Migrationspolitik bilden.

Mitte der Woche standen unter anderem Besuche bei der Nichtregierungsorganisation Refugio und dem diakonischem Werk der Evangelischen Kirche in Württemberg auf dem Programm. Hier erfuhren die Teilnehmer mehr über die unmittelbare Arbeit mit und für Migranten. Die Geschäftsführerin von Refugio, Cornelia Vereecke-Richter, erklärte, dass ihre Organisation den Flüchtlingen vor allem psychosoziale Beratung und Behandlung anbiete. Frau Birgit Susanne Dinzinger, Leiterin der Abteilung für Migration und internationale Diakonie und landeskirchliche Beauftragte für den Migrationsdienst, präsentierte den Lateinamerikanern, dass sich die Migrationsarbeit der Diakonie in die drei Tätigkeitsfelder „Hilfe, soziale Anwaltschaft und Zusammenleben im Gemeinwesen vor Ort“ untergliedere. Konkret betreue die evangelische Kirche auf der einen Seite staatlich finanzierte Beratungsstellen für Migranten und Flüchtlinge und auf der anderen Seite führe sie mit eigenen Geldern, vom Staat also unabhängige Projekte durch. Im Verlauf ihrer Präsentation merkte sie an, dass sich die sogenannte „Liga der freien Wohlfahrtsverbände“ regelmäßig mit den entsprechen-den Abteilungen der Landesregierung im Rahmen eines Arbeitskreises abstimme. Nur so gelänge es, die Gesamtheit aller Bemühungen der beteiligten Akteure (Staat, Kirche und Zivilgesellschaft) besser zu koordinieren und damit zu potenzieren.

Am Donnerstag, den 10. September, fand sich die Gruppe von Experten aus Mittelamerika und Mexiko in Deutschlands Hauptstadt Berlin ein. Zum Frühstück trafen sie sich für ein Tischgespräch mit Nicole Stopfer und Miriam Fischer, Referentinnen für das Team Lateinamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung. Anschließend begrüßten sie die Diözesencaritasdirektorin Prof. Dr. Ulrike Kostka im Caritasverband für das Erzbistum Berlin. Im Anschluss an das Mittagessen empfang sie Herr Marius Dietrich, Mitglied des Arbeitsstabes der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Bundeskanzleramt. Somit erhielt die Delegation für eine gute Stunde die Möglichkeit, aus erster Hand mehr über Deutschlands Integrationspolitik der letzten Jahre und Detailliertes über die aktuellsten Entwicklungen in der Flüchtlingsdebatte zu erfahren. Auch beim nächsten Gespräch mit den Vertretern des Arbeitskreises Lateinamerika der CDU/CSU-Bundestagsfraktion tauschten sich die Mitglieder der Delegation zum Thema aus und bekamen zudem die Möglichkeit, über die Umstände in ihren eigenen Ländern zu berichten.

Zum Abschluss dieser Studien- und Dialogreise besuchten die Gäste der KAS am letzten Tag ihres Aufenthaltes die Bundespolizeiinspektion Frankfurt (Oder). Neben einer grundsätzlichen Einführung in das bundesdeutsche Polizeisystem und ihren grundlegenden Aufgaben –Luftsicherheit, Grenzschutz, Bahnpolizei, Migrationspolizei, Küstenwache, Kriminalitätsbekämpfung und andere Sonderaufgaben- kam es zu einer Vorstellung der Einsatzstelle mit der praktischen Darstellung einer Kontrolle auf der Autobahn. Im Fokus des Vortrages stand unter anderem das Problem der Schleuserkriminalität, die nach Ralph W. Krüger, Vizepräsident der Bundespolizeidirektion Berlin, in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe. Deutsche Schleusernetzwerke würden aber de facto nicht existieren, diese befänden sich in anderen Ländern, weshalb die Bundespolizei bei der Bekämpfung dieser auf die Kooperation mit den Kollegen im Ausland angewiesen sei. Grundsätzlich weise Deutschland die Besonderheit auf, dass das Land mitten in der EU liege, weshalb es über keine Schengen-Außengrenze verfüge. Dennoch erfahre das Land einen hohen Migrantenzuwachs, weil die Bundesrepublik aufgrund ihrer Wirtschaftskraft und sozialstaatlichen Vorteile für Migranten sehr attraktiv sei. Daher sei es ein großes Anliegen der Bundesregierung, bei der Eindämmung der illegalen Übertritte an den Grenzen zur europäischen Union mitzuwirken. Auch hierbei sei der deutsche Grenzschutz natürlich auf seine Partner vor Ort angewiesen. So arbeite er z.B. gemeinsam mit Frontex und den griechischen und türkischen Grenzbeamten zusammen. Mit dem polnischen Grenzschutz sei ein Pilotprogramm zur Bekämpfung von Schleuseraktivitäten ebenso seit Jahren sehr erfolgreich.

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