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Veranstaltungsberichte

New School of Multilateralism – Wiener Denker:innenkreis

Sinne schärfen für ein zeitgemäßes Sicherheitsdenken. (Thomas Greminger)

Internationale Ordnung in Bewegung: Während die Wissenschaft große Schritte in Richtung Lösung globaler Probleme setzt, gewinnt man den Eindruck, dass in multilateralen Foren Funkstille zu gemeinsamen Zielsetzungen herrscht und das Ende der Gespräche angebrochen ist. Eine prekäre Situation. Der unabhängige Wiener Denker:innenkreis unter Leitung von Ursula Werther-Pietsch widmet sich dem Thema Multilateralismus (ML) zur Bewältigung globaler Herausforderungen.

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Herausforderungen der Gegenwart

Ein eminenter Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust sowie eine enorme Polarisierung im internationalen System kennzeichnen den Status-quo im ML1– warum?

  • Logik der Rivalität. China – Russland - Westen - neue „Blockfreie“. Globaler Systemwettbewerb und eine Rekonfiguration regionaler Machtzentren kristallisieren sich heraus.

  • Realpolitik und Abschreckung dominieren den sicherheitspolitischen Diskurs. Polarisierung, Bündnisse und Aufrüstung engen die breite Fächerung an Standpunkten ein.

  • Langsames Demokratiesterben. Die Landkarte der Herrschaftsformen wird aktuell neu geschrie-ben. IDEA Stockholm hat 2023 eine Studie veröffentlicht, wonach 72% der Weltbevölkerung in autokratischen Systemen lebt im Vergleich zu 46% vor zehn Jahren.2

Idee der WeltNetzOrdnung

Normative Grundsatzfragen stellen sich von Neuem. Angesichts des Auseinandertriftens der Lebenswelten und der Dysfunktionalität multilateraler Foren, werden normative Grundsatzfragen wie etwa zum Konsens der universellen Menschenrechte oder der Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure immer drängender: Können wir in einem neuen von Systemkomplexität geprägten Balancemodell, das den Ausgleich berechtigter Interessen zum Ziel hat, ultimativ Frieden sichern? Wir stehen vor der Aufgabe, Vorschläge für eine Form des ML zu entwickeln, um die Gewalt, die er ermöglicht, zu beseitigen oder zu begrenzen und (wieder) ins Gespräch zu kommen.

Netzwerk-ML. Eine Antwort auf diese Frage kann in einer WeltNetzOrdnung (WNO) liegen - einem regelbasierten, differenzierten und ergebnisoffenen ML, der über einen zweistufigen Konfliktlösungsmechanismus verfügt. Flexibilität im Normsetting („Knotenpunkte“) erfordert mehr Transpa-renz, gibt aber auch mehr Raum für angepasste Lösungen („Netzwerke“). In dem Ausmaß, in dem staatliche wie nichtstaatliche Akteure mitgestalten, erhöht sich auch ihre Verantwortung und diese muss eingefordert werden können. Komplexität ist ein positiver „driver“ in der WNO.

Multilaterales Systemdenken3 folgt drei Axiomen:

  • Gestaltungsfreiheit durch multipolare Netzwerke als Grundregel im komplexen System4;

  • Problemlösung durch Prozessgerechtigkeit – für mehr Autonomie und Selbstbestimmung,

  • Optimierung der kollektiven Friedenssicherung durch ein Mehrebenensystem5.

Antworten, die wir antizipieren können

Dynamischer Neostrukturalismus. Eine neue „Agenda for Peace“ muss, um wirksam zu sein, an bestehenden Strukturen anknüpfen, sie aber innovativ ergänzen. Was können wir neu gestalten? Die folgenden Neuerungsschritte sind als Paket zu sehen:

  1. eGovernance Zentrum als „Regelwerkbetreiber“: In der WNO wird Macht durch Pluralität eingehegt: dezentrale inklusive Netzwerke, wo nur einige Akteure betroffen sind, globale Ansätze im Fall von globalen öffentlichen Gütern. Alle interessengeleiteten Netzwerke erfordern stärkere vertikale Kontrolle und Transparenz. Dazu brauchen wir ein Steuerungselement für den ML: das eGovernance Center zur Überwachung globaler normativer Impulse.

  2. Schärfung des Telos „Friede und Sicherheit“: Aufgrund der Flexibilisierung durch Netzwerkbildung ist ein globaler Friedens-Konsensus als verbindendes Dach notwendig, der ein universelles individuelles Recht auf Frieden als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ in den Mittelpunkt stellen könnte. Dieser im Interesse aller stehende Kern der WNO muss, Beispiel „Helsinki 2.0-Prinzipien“6, neu verhandelt werden („repacked universalism“). Dabei spielt das Prinzip begrenzten Autonomie eine zentrale Rolle, keiner der Akteure ist im komplexen System allein dominant!

  3. Regionale Peace & Security Hubs und unabhängige Frühwarnzentren: Im Bereich Friedenssicherung ergibt sich daraus die Forderung nach einer Dezentralisierung: Ein Zwei-Ebenen-System erhöht die strategische Kompetenz mittlerer Akteure durch einen der globalen Ebene vorgeschalteten „Cooling off“-Mechanismus mit robusten Mitteln mit rotierendem Vorsitz unter Einbeziehung der ständigen Sicherheitsratsmitglieder). Als „demokratisches“ Korrektiv dienen unabhängige regionale Frühwarnzentren mit internationaler Beteiligung.

Schub für mehr Empirie: Strategisches Vorausdenken ist essenziell

Ein Schlüssel für einen wirksamen ML liegt im Erkennen, Formulieren und Einbringen gemeinsamer globaler Interessen. Dies setzt ein verstärktes Ineinandergreifen von praxisorientierter Forschung und wissenschaftsbasierter Politik voraus. Policy Making benötigt aufgrund immer komplexerer
Fragen mehr strategische Kompetenz, die wiederum auf Visionen aufbaut. Das Ideen Lab ist ein Diskussionsprozess und „Work in Progress“. Die Ergebnisse werden in den Vorlauf des Zukunftsgipfels der UNO 2024 eingespeist. 

Hier geht’s zum Schlussdokument und den NSM Papers: www.kas.de/wien und www.uni-graz.at.

 

 

1 Siehe dazu NSM Paper 1 Martin KREUTNER, Was ist Multilateralismus.

2 IDEA Report 2023, released on 5 July 2023, https://www.idea.int.

3 Siehe dazu NSM Paper 2 Ursula WERTHER-PIETSCH; Florian WEINREICH, Multilaterales Systemdenken.

4 Siehe dazu NSM Paper 4 Velina TCHAKAROVA, Zweiteilung der Welt?; NSM Paper 5 Heinz GÄRTNER, Auswege.

5 Siehe dazu NSM Paper 3 Michael STAUDINGER, ML als Antwort zur Klimakrise.

6 NSM Paper 6 Thomas GREMINGER, Sinne schärfen für menschliche und kooperative Sicherheit; NSM Paper 7 Bea AUSTIN, Transformative Friedenskonsolidierung.

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Kontakt

Benedikt Zanzinger

Portrait Benedikt Zanzinger

Wissenschaftlicher Referent

benedikt.zanzinger@kas.de +43 1 890 1465 13

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