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Auf beiden Seiten schwindet der Glaube an eine gewaltfreie Lösung

von Michael Mertes, Dr. Hans Maria Heyn

Befunde der gemeinsamen israelisch-palästinensischen Meinungsumfrage von Ende Dezember 2012

Die Ende 2012 veröffentliche gemeinsame Israelisch-Palästinensische Umfrage verdient aus zwei Gründen besonderes Interesse: Zum einen dokumentiert sie die Nachwirkungen der gegen den Raketenbeschuss aus Gaza gerichteten israelischen Operation „Säule der Verteidigung“ (14.-21. November 2012) auf das Meinungsklima bei Israelis und Palästinensern; zum anderen gibt sie Auskunft über das Maß der Kompromissbereitschaft in beiden Gesellschaften zu Beginn des Jahres, in dem der 20. Jahrestag der Oslo-Vereinbarungen begangen wird.

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In ersten Kommentaren zu der Frage nach den politischen „Gewinnern“ und „Verlierern“ der Operation „Säule der Verteidigung“ auf palästinensischer Seite hieß es durchweg, die Hamas habe sich zulasten der Fatah und des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas als international ernst genommener Akteur profilieren können. Kurz darauf (29. November 2012) konnte jedoch Abbas mit dem palästinensischen Abstimmungserfolg in der Generalversammlung der Vereinten Nationen ebenfalls einen – zumindest symbolischen – Erfolg für sich verbuchen. Hat er damit Boden gegenüber der

Hamas gut gemacht?

Die Antwort ist ein klares „Nein“. Fast 81 % der Palästinenser sind der Ansicht, dass die Hamas als Sieger aus der bewaffneten Konfrontation mit Israel hervorging. Und auf die Frage, welche Methode am besten geeignet sei, die israelische Besetzung des Westjordanlandes zu beenden und einen Palästinenserstaat zu verwirklichen, meinen fast 60 % der Befragten, der von der Hamas eingeschlagene Weg verspreche mehr Erfolg; nur rund 28 % halten den von Abbas und der Fatah gewählten Kurs gewaltfreien Drucks auf Israel für besser.

„Methode Hamas“ vs. „Methode Fatah“

Dem entspricht, dass gut 41 % der Befragten sich für eine Wiederaufnahme der Intifada – einschließlich Angriffen auf israelische Soldaten und Siedler – aussprechen, während 24 % gewaltfreien Widerstand (namentlich durch Demonstrationen) und rund 30 % die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Israel bevorzugen. Im Vergleich zu den demoskopischen Befunden Ende 2011 hat unter den Palästinensern die Zahl der Anhänger eines gewaltsamen Widerstandes um 11 Prozentpunkte zugenommen; die Zahl der Anhänger gewaltloser Widerstandsformen ging um 7 Prozentpunkte zurück.

Dies spiegelt sich auch bei den gegenwärtigen Wahlabsichten der palästinensischen Bevölkerung wider. Bei neuen Präsidentschaftswahlen könnte Ismail Haniyeh als Kandidat der Hamas mit 48 % knapp Präsident Abbas (45 %) schlagen. Noch vor drei Monaten lagen die Umfragewerte für Haniyeh bei 40 % und für Abbas bei 51 %. Damit erreicht Ismail Haniyeh die höchsten Werte seit dem Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006. Sollten Parlamentswahlen stattfinden, würde die Hamas laut dieser Umfrage 35 % erreichen – ein Zugewinn von sieben Prozentpunkten im Vergleich zum September 2012. Die Unterstützung für die Fatah blieb in diesem Zeitraum stabil bei 36 %.

Das Meinungsbild auf israelischer Seite ist dagegen konstant geblieben. 40 % der dort Befragten halten es für die beste Vorgehensweise gegen den Raketenbeschuss, die Abschussbasen im Gazastreifen ad hoc zu bekämpfen und sich dann gleich wieder zurückzuziehen. Dabei sind 54 % der Meinung, dass Israel, wenn es wollte, durchaus in der Lage wäre, das Hamas-Regime zu stürzen. Gleichwohl befürworten 55 % der Israelis die mit der Hamas vereinbarte Waffenruhe. Eine knappe Mehrheit von 51 % spricht sich für Verhandlungen mit der Hamas-Regierung im Gazastreifen aus, sollte dies notwendig sein, um mit den Palästinensern einen Kompromiss zu erreichen.

Allerdings halten 65 % der Israelis es für ausgeschlossen, dass derzeit eine Vereinbarung über die endgültige Beilegung des Konflikts mit den Palästinensern erreicht werden könnte; genauso sehen es 63 % der Palästinenser.

Schatten über Oslo

Dieser Pessimismus wirft einen Schatten auf den bevorstehenden 20. Jahrestag der Oslo-Vereinbarungen. Seit Dezember 2003 ermittelt die Gemeinsame Israelisch-Palästinensische Umfrage am Ende jedes Jahres (Ausnahme: August 2009), wie es auf beiden Seiten um die Kompromissbereitschaft bei den Hauptstreitpunkten steht. Diese Streitpunkte – ebenso wie mögliche Kompromisse – werden von den beteiligten Meinungsforschungsinstituten auf Basis der so genannten Clinton-Parameter identifiziert. Am 23. Dezember 2000, nach dem Scheitern des Gipfels von Camp David im Juli desselben Jahres, stellte der damalige US-Präsident Clinton die heute nach ihm benannten sechs Parameter bei einem Treffen israelischer und palästinensischer Repräsentanten vor. Sie werden bis auf den heutigen Tag von der Ende 2003 ins Leben gerufenen „Genfer Initiative“ , einem Partner der KAS Israel, propagiert:

(1) Endgültige Grenzen und Gebietstausch: Israel zieht sich aus 97 % der Westbank zurück. Für die verbleibenden 3 % – den großen jüdischen Siedlungsblöcken in Grenznähe – erhält der (künftige) Palästinenserstaat einen Ausgleich aus israelischem Territorium. 53 % auf palästinensischer und 46 % auf israelischer Seite unterstützen diesen Vorschlag, 45 % bzw. 49 % lehnen ihn ab.

(2) Flüchtlinge: Die palästinensischen Flüchtlinge von 1948 erhalten mehrere Wahlmöglichkeiten für ihren künftigen Wohnsitz. Eine Option ist der (künftige) Palästinenserstaat einschließlich der von Israel als Kompensation abgetretenen Gebiete. Eine andere Option sind jene Länder, die bereit sind, Flüchtlinge als Neubürger aufzunehmen; dabei handelt es sich um die gegenwärtigen Gastländer, um Drittstaaten oder um Israel. Israel würde seine eigene Aufnahmebereitschaft an der Durchschnittszahl der von Australien, Kanada, Europa etc. aufgenommenen palästinensischen Flüchtlinge ausrichten. Alle Flüchtlinge bekämen Anspruch auf finanzielle Kompensation. Unter den Palästinensern stimmen 41 %, unter den Israelis 42 % dem zu; 56 % bzw. 51 % sind dagegen.

(3) Jerusalem: Ost-Jerusalem wird Hauptstadt des (künftigen) Palästinenserstaates. Die Altstadt – einschließlich des Tempelbergs/al-Haram asch-Scharif – kommt unter palästinensische Oberhoheit, mit Ausnahme des Jüdischen Viertels und der Klagemauer. Unter den Palästinensern sind 29 %, unter den Israelis 38 % dafür; dagegen sprechen sich 70 % bzw. 59 % aus.

(4) Entmilitarisierter Palästinenserstaat: Der (künftige) Palästinenserstaat hat keine eigene Armee, verfügt jedoch über starke Sicherheitskräfte; außerdem sorgt eine multinationale Truppe für seine (äußere) Sicherheit. Israel und Palästina verpflichten sich zu einem vollständigen wechselseitigen Gewaltverzicht. Dafür sind 28 % auf palästinensischer und 70 % auf israelischer Seite, dagegen 71 % bzw. 26 %.

(5) Sicherheitsarrangements: Palästina erhält die Hoheit über sein Territorium, seine Gewässer und seinen Luftraum. Allerdings darf Israel den palästinensischen Luftraum zu Übungszwecken benutzen und 15 Jahre lang zwei Frühwarnstationen im Westjordanland betreiben. Eine multinationale Truppe bleibt im Palästinenserstaat und an dessen Grenzübergängen auf unbestimmte Zeit stationiert. Ihre Aufgabe ist es vor allem, die Einhaltung des Abkommens zu überwachen. Einverstanden mit dieser Lösung sind 46 % der Palästinenser und 59 % der Israelis; nicht einverstanden sind 53 % bzw. 35 %.

(6) Schlussstrich: Beide Seiten erklären, dass mit vollständiger Erfüllung der einzelnen Vereinbarungen ihr Konflikt endgültig beendet ist und keine wechselseitigen Ansprüche mehr bestehen. Sie erkennen einander als Heimat des palästinensischen bzw. des jüdischen Volkes an. Auf palästinensischer Seite könnten 59 %, auf israelischer Seite 68 % dem zustimmen; dagegen wären 39 % bzw. 28 %.

Gesamtpaket: Bemerkenswert ist – wie schon in den vergangenen Jahren –, dass die Zustimmung zum Gesamtpaket auf beiden Seiten größer ist als die Zustimmung zu einzelnen Punkten, wie etwa dem für beide Seiten hochsensiblen Thema „Jerusalem“. Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch: Er löst sich auf, wenn man berücksichtigt, dass es auf beiden Seiten immer noch eine beachtliche Bereitschaft gibt, um einer dauerhaften Gesamtlösung willen auch bei wichtigen Einzelfragen zurückzustecken.

Auf palästinensischer Seiten unterstützen 43 % das Gesamtpaket (7 Prozentpunkte weniger als vor Jahresfrist); 56 % könnten sich nicht damit anfreunden. Auf israelischer Seite sind 56 % dafür (kaum weniger als vor Jahresfrist) und 39 % dagegen.

Durchführung der Umfrage

Bei der Befragung unter der palästinensischen Bevölkerung betrug die Stichprobengröße 1270 Erwachsene, die in persönlichen Gesprächen im Westjordanland, Ost-Jerusalem und dem Gazastreifen zwischen dem 13. und dem 15. Dezember 2012 an 127 zufällig ausgewählten Orten interviewt wurden. Die Fehlerquote liegt bei 3 %. Bei der Befragung unter der israelischen Bevölkerung betrug die Stichprobengröße 600 volljährige Israelis, die zwischen dem 9. und dem 13. Dezember 2012 am Telefon auf Hebräisch, Arabisch und Russisch interviewt wurden. Die Fehlerquote liegt bei 4,5 %.

Die Umfrage wurde von Prof. Yaacov Shamir vom Harry S. Truman Research Institute for the Advancement of Peace und dem Department of Communication and Journalism an der Hebräischen Universität gemeinsam mit Prof. Khalil Shikaki, Direktor des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR), geplant und betreut.

Detaillierte Ergebnisse der Umfrage finden Sie in dem PDF-Download oben.

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