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Wem ''gehört'' der Gaza-Abzug?

Der Abzug und seine Folgen für das Kräfteverhältnis innerhalb der palästinensischen Autonomie erfordern internationale Aufmerksamkeit - viele Fragen sind noch unklar.

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Kurz vor dem Abzug der israelischen Siedler und Militärs wehen sie in den Straßen von Gaza um die Wette: Die gelben Fahnen der Fatah von Präsident Abbas und die grünen der Hamas. Laut den von der Konrad-Adenauer-Stiftung geförderten Meinungsumfragen liegt Abbas’ Partei mit 41 % in den palästinensischen Autonomiegebieten deutlich vor den Islamisten, die 30 % Zustimmung erhalten, allerdings mit steigender Tendenz. Beide ringen darum, wer den israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen, der immerhin rund ein Drittel des dicht besiedelten Gebietes in palästinensische Hände zurückführt, politisch für sich verbuchen kann.

Nicht nur in Israel wird dieses Projekt höchst kontrovers diskutiert. Unter den 3,5 Millionen Palästinensern in der Westbank und im Gaza-Streifen ist die Auffassung weit verbreitet, der bereits im Jahr 2003 als einseitige Maßnahme vorgestellte "Abkopplungsplan" von Ministerpräsident Scharon sei ein Resultat der "zweiten Intifada", und mithin ein Erfolg der Gewalt, der Molotow-Cocktails und Selbstmordattentate (Palestinian Public Opinion Poll, 22 June 2005). Die aktuellen Anschläge und Gewaltausbrüche sind nicht zuletzt ein Versuch, dieser Interpretation Nachdruck zu verleihen. Setzt sich diese nicht zuletzt auf einer Fehleinschätzung der militärischen Kräfteverhältnisse basierende Auffassung durch, wären die Folgen für den Friedensprozess verheerend. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt würde sich weiter drehen.

Um die Ereignisse der kommenden Wochen und Monate dagegen als Ergebnis friedlicher Verhandlungen im Gedächtnis der palästinensischen Bevölkerung zu verankern, müssen - auch in Anbetracht der wahrscheinlich im Januar bevorstehenden Parlamentswahlen - die palästinensische Autonomiebehörde und die moderaten Kräfte in der Westbank und in Gaza in der Lage sein, den Abzug zu ihrem Erfolg machen: Zu einem Erfolg, den die Menschen in Gaza im Alltag erleben können und der den Grundstein legt für weitere Schritte hin zu einer nachhaltigen Einigung auf dem Verhandlungsweg.

Damit dies möglich wird, müssen einige Fragen gelöst werden, an deren Beantwortung die internationale Gemeinschaft ein lebhaftes Interesse haben muss, will sie weiterer Gewalt im Nahen Osten - und darüber hinaus - den Nährboden entziehen. Es sind gleichzeitig die Felder, auf denen James D. Wolfensohn, der Sondergesandte des Nahost-Quartetts (die Vereinigten Staaten, Russland, die Europäische Union und die Vereinten Nationen), derzeit einen Kompromiss auszuhandeln versucht.

  • Primär muss die Kontrolle über die Grenzen des Gaza-Streifens und die Grenzübergänge geregelt werden. Neben dem Übergang Rafah nach Ägypten betrifft das vor allem den Flug- und den Seehafen in Gaza. Während letzterer erst noch gebaut werden muss - internationale Unterstützung ist zugesagt - könnte ersterer nach wenigen Monaten Instandsetzungszeit wieder in Betrieb genommen werden.
  • Ein funktionierendes Grenzregime muss dabei einerseits den Schmuggel vor allem von Waffen wirksam unterbinden, andererseits der Wirtschaft im Gazastreifen Handel und den Menschen größere Bewegungsfreiheit ermöglichen. Damit ist sowohl die in den Pariser Protokollen von 1994 - dem wirtschaftlichen Teil der Verträge von Oslo - enthaltene Zollunion zwischen Israel und den Palästinensischen Gebieten tangiert, als auch die Frage der Arbeitsgenehmigungen von Palästinensern in Israel. Es ist besonders der psychologische Druck mangelnder Bewegungsfreiheit, der den Kessel Gaza immer wieder zum Überkochen bringt.
  • Ein weiterer Aspekt ist die „Safe Passage“, die ungehinderte sichere Verkehrsverbindung zwischen Gaza und der Westbank. Sie ist für die politische und ökonomische Integration der Palästinensischen Gebiete von entscheidender Bedeutung.
  • Weitere Aspekte betreffen die Klarheit über den Status des Gaza-Streifens nach der Abkoppelung, deren dauerhaften Bestand und die Kontrolle über die dortige Infrastruktur.
  • Über den Abriss der Wohngebäude in den israelischen Siedlungen wurde zwischenzeitlich Einigkeit erzielt. Trotzdem sind bezüglich der Siedlungen selbst noch viele Probleme ungelöst: Der Bestand der ökonomischen und landwirtschaftlichen Einrichtungen, Umweltaspekte wie der Grad der Bodenbelastung bis hin zur Frage der Übernahme anfallender Kosten für die Beseitigung des Bauschutts - immerhin 60.000 LKW-Ladungen.

Antworten auf diese Fragen sind entscheidend dafür, wie sich der israelische Abzug aus dem Gaza-Streifen auf die öffentliche Meinung in der palästinensischen Bevölkerung auswirken wird. Einerseits werden - besonders im wirtschaftlichen Bereich - Erfolge nicht schon nach kurzer Zeit sichtbar sein. Andererseits muss auf eine Lösung dieser offenen Fragen bereits im Vorfeld des Abzugs hingearbeitet werden. Nur wenn umfassende Konzepte präsentiert werden, kann - gegebenenfalls unter Vermittlung und Aufsicht der internationalen Gemeinschaft - eine nachhaltige Einigung erzielt werden. Die Zeit drängt.

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