Ausgabe: 4/2025
- Seit dem Ende des Krieges 1975 hat sich Vietnam von einem zerstörten Land zu einer dynamischen Exportnation entwickelt. Mit der Reformpolitik doi moi öffnete es sich 1986 der Marktwirtschaft und strebt an, bis 2045 eine Industrienation mit hohem Einkommen zu werden.
- Die Beziehungen zu den USA wandelten sich von der Kriegsaufarbeitung zu enger wirtschaftlicher und strategischer Zusammenarbeit. Unter Präsident Biden erreichten sie 2023 mit einer „Umfassenden Strategischen Partnerschaft“ ihren Höhepunkt.
- Nach guten Erfahrungen während Trumps erster Amtszeit blickte Hanoi zunächst positiv auf dessen Wiederwahl, um schnell negativ überrascht zu werden. Nach der Verhängung eines 46-Prozent-Zolls reagierte Vietnam umgehend und handelte eine Reduktion auf 20 Prozent aus.
- Die abrupte Einstellung von USAID-Programmen gefährdete jedoch Projekte zur Beseitigung von Kriegsfolgen und erschütterte das Vertrauen zwischen beiden Staaten.
- Vietnam setzt auf wirtschaftliche Diversifizierung und technologische Weiterentwicklung. Mit seiner Bambusdiplomatie balanciert es geschickt zwischen den Großmächten, um zur Not auch einen Rückschlag im Handel mit den USA verkraften zu können.
Als die Kämpfer des kommunistischen Nordvietnams im April 1975 in Saigon einmarschierten und den Zaun der US-Botschaft durchbrachen, war die Supermacht USA endgültig in ihre Schranken verwiesen. Der Demokratischen Republik Vietnam, die Ho Chi Minh 1945 ausgerufen hatte, war es gelungen, einen der brutalsten Konflikte des 20. Jahrhunderts für sich zu entscheiden. Damit endete die mehr als 100 Jahre währende Geschichte von Kolonialisierung und ausländischen Interventionen in Vietnam. So groß der Jubel in Hanoi war, die Wiedervereinigung von Nord und Süd zur Sozialistischen Republik Vietnam im Jahr 1976 brachte noch kein Ende des Leids: Durch den Krieg war das Land großflächig zerbombt, verseucht und traumatisiert. Um das kommunistische Vietnam größtmöglich zu isolieren, verhängten die USA direkt nach Kriegsende ein Handelsembargo. In den Folgejahren der sozialistischen Planwirtschaft lebte ein Großteil der Bevölkerung am Existenzminimum und Nahrungsknappheit war keine Seltenheit.
Im Jahr 1986 legte Vietnam schließlich mit seiner Politik der Erneuerung (doi moi), nach dem Vorbild der Volksrepublik China, den Grundstein für eine marktwirtschaftliche Entwicklung. Nachdem es größere Anreize gab, eine möglichst effektive Landwirtschaft zu betreiben, produzierte das Land innerhalb weniger Jahre einen Überschuss an Reis. Mit diesem Produkt begann auch der Außenhandel. Als sich das Land immer mehr der Weltwirtschaft zuwandte, hoben die USA unter Präsident Clinton 1994 schließlich ihr Embargo auf. Im Jahr darauf wurden diplomatische Beziehungen zwischen Washington und Hanoi aufgenommen. Im Zuge seiner Öffnung stellte Vietnam klar, dass es auf der Weltbühne nicht wieder zwischen die Fronten geraten würde. In seinem Weißbuch aus dem Jahr 1998 formalisierte es erstmals eine Politik der „Drei Neins“, nach der Vietnam keine militärischen Allianzen eingehen würde, keine ausländischen Militärbasen im eigenen Land dulden würde und in keiner Form die eigenen Ressourcen gegen Dritte einsetzen dürfte. Im Jahr 2019 fügte Vietnam ein viertes „Nein“ hinzu, wonach das Land jegliche Form von Gewalt und deren Androhung zur Durchsetzung nationaler Interessen verurteile.
50 Jahre nach dem Ende des Krieges, der in Vietnam heute der „Amerikanische Krieg“ genannt wird, hat sich das Land in eine dynamische Volkswirtschaft gewandelt. Seit 1985, als das Pro-Kopf-Einkommen noch bei 238 US-Dollar lag, hat es sich um den Faktor 20 erhöht und lag im Jahr 2024 bei 4.717 US-Dollar.1 Angespornt von der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen 40 Jahre hat sich die politische Führung in Hanoi das Ziel gesetzt, ihr Land bis 2045, dem 100-jährigen Jubiläum der Staatsgründung, in eine Industrienation mit hohem Einkommen zu entwickeln. Der Motor für diese riesigen Ambitionen ist Vietnams exportorientiertes Gewerbe. In dieser Disziplin ist Vietnam fast mit keinem anderen Land zu vergleichen: Im Jahr 2023 trugen die Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen laut Weltbank 86,47 Prozent zu seiner Wirtschaftsleistung bei – verglichen mit einem Weltdurchschnitt von 45,02 Prozent, in dessen Größenordnung auch Deutschland rangiert. Eine offensichtliche Schwachstelle dieses Modells ist der Anteil von Vietnams Exporten in die USA; sie machen rund 30 Prozent des vietnamesischen Bruttoinlandsprodukts aus.2 Gleichzeitig ist Vietnam in besonderem Maße auf China als Quelle von Rohstoffen und Bauteilen für die eigene Exportwirtschaft angewiesen. In beide Richtungen besteht daher ein großes Abhängigkeitsverhältnis.
Das Jahr 2025 markiert auch das 30-jährige Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen Vietnam und den USA. In den Anfangsjahren konzentrierten sich die Beziehungen auf die Aufarbeitung des Krieges, den die USA zwischen 1965 und 1973 mit massiver Zerstörung in Vietnam führten. Zu dieser Aufarbeitung gehörten humanitäres Engagement und Abhilfen zur Überwindung der Folgeschäden durch das als Entlaubungsmittel eingesetzte Gift „Agent Orange“3. Ab den 2000er-Jahren nahm Handel eine zunehmend wichtige Rolle im Verhältnis der beiden Länder ein und mit dem ersten Hafenbesuch eines US-amerikanischen Marineschiffs im Jahr 2003 signalisierten Hanoi und Washington eine weitere Normalisierung der Beziehungen. Unter Präsident Obama gingen die USA und Vietnam 2013 eine „Umfassende Partnerschaft“ ein, in der – neben vielen anderen Bereichen, von Bildung bis Klimawandel – auch eine Kooperation in der maritimen Sicherheit festgeschrieben war. Auch wenn dieses Niveau der Partnerschaft nur Rang drei in der diplomatischen Hierarchie Vietnams bedeutet, legten die beiden Länder damit den Grundstein für eine vertiefte Zusammenarbeit. Mit Nguyen Phu Trong besuchte 2015 erstmals ein Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams die USA.4 Im Jahr 2016 war die Vertrauensbasis so gewachsen, dass Obama die Entscheidung traf, ein bis dahin gültiges Waffenembargo gegen Vietnam aufzuheben.
Wenn zwei sich streiten …
Wie in vielen anderen Kontexten markiert die erste Präsidentschaft von Donald Trump einen besonderen Punkt in den bilateralen Beziehungen. In der Rückschau ging Vietnam als einer der Gewinner aus dieser Episode hervor, die von einem Streit zwischen China und den USA geprägt war. Das bilaterale Handelsvolumen stieg von rund 52 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016 auf mehr als 112 Milliarden US-Dollar im Jahr 20215, wobei das Handelsdefizit für die USA immer größer wurde: Während die US-amerikanischen Ausfuhren bei circa 11 Milliarden US-Dollar stagnierten, stiegen die vietnamesischen Exporte sprunghaft an. In diesem Zuge vergrößerte sich die Bandbreite des produzierenden Gewerbes in Vietnam erheblich. Als Trump kurz nach seiner ersten gewonnen Wahl zum Präsidenten die USA aus dem bis dahin lange vorbereiteten Handelsabkommen Trans-Pacific Partnership zurückzog, zeigte sich Hanoi enttäuscht, unterstützte aber nach Kräften die Alternative ohne die USA: Der APEC-Gipfel 2017 in Da Nang wurde ein Wegbereiter für die Unterzeichnung des Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership 2018 in Chile. Auch mit der EU wurden erfolgreich Verhandlungen geführt: Das EU-Vietnam Free Trade Agreement wurde 2019 unterzeichnet und ist seit August 2020 in Kraft, als zweites Freihandelsabkommen der EU in Südostasien (nach Singapur).
Die Beziehungen zwischen Hanoi und Washington erreichten ihren bisherigen Höhepunkt unter der Präsidentschaft von Joe Biden, als die beiden Länder 2023 eine „Umfassende Strategische Partnerschaft“ eingingen. Vorausgegangen waren Besuche des damaligen US-Verteidigungsministers Lloyd Austin und der Vizepräsidentin Kamala Harris sowie eine prominente Beteiligung US-amerikanischer Rüstungsunternehmen bei Vietnams erster internationaler Rüstungsmesse im Dezember 2022.6 Die neue Ebene der diplomatischen Beziehungen war ein Ausdruck steigender wirtschaftlicher Verflechtung und größeren Vertrauens in sicherheits- und rüstungspolitischen Fragen. Gleichzeitig manifestierte sich in diesem Upgrade die Bambusdiplomatie7, für die Vietnam inzwischen bekannt geworden ist. Nachdem Vietnam eine Umfassende Strategische Partnerschaft, als höchste Ebene seines diplomatischen Repertoires, bereits mit China (2008), Russland (2012) und Indien (2016) geschlossen hatte, nahm die Schlagzahl dieser Übereinkommen ab 2022 rapide zu: Vor den USA trat Südkorea diesem Kreis bei, kurz darauf Japan und bis heute folgten mit Malaysia, Indonesien und Singapur drei südostasiatische Partner, Australien und Neuseeland als Vertreter des Indo-Pazifiks sowie Frankreich als erstes europäisches Land. Ende Oktober 2025 machte das Vereinigte Königreich diesen Schritt, nachdem Generalsekretär To Lam von Premierminister Keir Starmer in London empfangen wurde.
Dieses diplomatische Austarieren zeigt auf, wie sehr Hanoi darauf bedacht ist, Abhängigkeiten zu minimieren und seinen Anspruch auf Neutralität zu verankern. Gleichzeitig deutet die Ausweitung der Umfassenden Strategischen Partnerschaften auch darauf hin, dass sowohl Groß- als auch Regionalmächte ein eigenes Interesse an engen Beziehungen zu Hanoi haben und sich der Rolle Vietnams als ein wichtiger wirtschaftlicher Motor und politischer Stabilitätsanker in Südostasien bewusst sind. Dies gilt umso mehr im Falle der USA, die im Zuge der Aufwertung die zweite Stufe des vietnamesischen diplomatischen Werkzeugkastens – die „Strategische Partnerschaft“ – übersprangen. Besonders greifbar wird das wachsende politische Kapital Vietnams in einer Reihe von Besuchen auf höchster Ebene. In den Jahren 2023 bis 2024 erwarb sich Vietnam das Alleinstellungsmerkmal, in einem Zeitraum von neun Monaten die Präsidenten Biden, Putin und Xi jeweils zu Staatsbesuchen empfangen zu haben.
Vietnams Platz in Trumps Zoll-Universum
Um Vietnam in die Zollpolitik von Trump 2.0 einzuordnen, muss man sich vor Augen führen, auf welche Weise Vietnam während der ersten Präsidentschaft von Donald Trump profitieren konnte. In dieser Zeit hatte Trump zwar bereits Handelsbarrieren als politisches Druckmittel eingesetzt, seine Maßnahmen richteten sich allerdings in erster Linie bilateral gegen China. In der Folge verlagerten viele chinesische und internationale Unternehmen ihre Produktion in andere Länder, wobei Vietnam sich durch ein niedriges Lohnniveau und verlässliche Rahmenbedingungen hervorhob. Angetrieben durch die Handelspolitik unter Trump 1.0, konnte Vietnam von 2018 bis 2022 seinen Anteil an den Einfuhren der USA, insbesondere im Bereich der Mobiltelefone und anderer elektronischer Geräte, von 4,6 auf 15,5 Prozent steigern. Bezeichnenderweise fiel der Anteil Chinas im Handel mit den USA für dieselbe Sparte in diesem Zeitraum von 63 auf 48 Prozent.8 Auch in diplomatischer Hinsicht konnte sich Hanoi während Trumps erster Präsidentschaft profilieren: Im Februar 2019 wurde Vietnams Hauptstadt zum Schauplatz des zweiten Gipfeltreffens zwischen Trump und Nordkoreas Diktator Kim Jong Un. Obgleich das Treffen keine besonderen Ergebnisse lieferte und sogar vorzeitig beendet wurde, bekräftigte es Vietnams Anspruch, als unabhängiger, stabiler und zuverlässiger Akteur wahrgenommen zu werden.
Da Trumps erste Regierungszeit in Vietnam mit einer positiven Entwicklung verknüpft war, fiel die Reaktion auf seine erneute Wahl zum Präsidenten im Jahr 2024 in Vietnam deutlich optimistischer aus als in Europa. Die USA waren als Absatzmarkt und damit als Rückgrat der vietnamesischen Industrie zu diesem Zeitpunkt fest etabliert, gekoppelt mit einer starken Importabhängigkeit von China für die eigene Produktion. Um bis zum Jahr 2045 den anvisierten Aufstieg zu einer Industrienation zu schaffen, muss die Kommunistische Partei den stark exportorientierten wirtschaftlichen Trend nicht nur beibehalten, sondern gleichzeitig in der Wertschöpfungskette einige Stufen nach oben klettern. Das Land ist in besonderem Maße auf Investitionen angewiesen, die technisches Know-how fördern und komplizierte, wertsteigernde Produktionsverfahren in Vietnam ermöglichen, um sein BIP über einen bestimmten Punkt zu bringen und das Szenario einer middle-income trap9 abzuwenden. Ein einschlägiges Beispiel dafür ist eine Investition von Nvidia von 250 Millionen US-Dollar in die angehende Zuliefererindustrie für Halbleiter in Vietnam.10 Diese und weitere Investitionen gingen einher mit dem Aufschwung, den die Beziehungen seit rund einem Jahrzehnt erfuhren, und wurden in zeitlicher Nähe zur Aufwertung der Partnerschaft 2023 getätigt.
Umso größer war die Bestürzung, als Donald Trump am 2. April 2025 einen „reziproken“ Zollsatz von 46 Prozent gegen Vietnam verhängte.11 Obwohl Vietnam im Vorfeld des „Liberation Day“ bereits angefangen hatte, Handelsbarrieren gegenüber den USA abzubauen, fand sich das Land in Trumps neuem Zoll-Universum ganz oben wieder und war unter den ASEAN-Staaten hinter Kambodscha (49 Prozent) und Laos (48 Prozent), die beide aber deutlich weniger wirtschaftlich mit den USA verflochten sind, am stärksten betroffen. Es dauerte nur zwei Tage, bis To Lam, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams, nach der Zollankündigung mit Donald Trump telefonierte. Mit dieser schnellen Reaktion und der Versicherung, dass Vietnam seinerseits weitere Erleichterungen für die USA schaffen würde, zeigte To Lam seinem Gegenüber in Washington, wie wichtig ihm eine Einigung war. Der umgehende Anruf, den Donald Trump auf Truth Social lobend hervorhob12, verdeutlichte auch den unbedingten Willen Vietnams, selbstbewusst für seine eigenen Interessen einzutreten und im Wettbewerb mit anderen Staaten nicht ins Hintertreffen zu geraten. Anfang April waren Konsultationen der ASEAN-Finanzminister zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region vorgesehen. Anstatt diese Gelegenheit unter Führung der malaysischen ASEAN-Präsidentschaft für eine abgestimmte Position gegenüber den USA zu nutzen, ging es der vietnamesischen Staatsführung offenbar darum, möglichst rasch die bestmöglichen Voraussetzungen für ein bilaterales Übereinkommen mit den USA zu schaffen.
Anfang Juli, unmittelbar nach dem Ablauf der von Trump gewährten Schonfrist von 90 Tagen, in der ein Zollsatz von 10 Prozent galt, konnte Vietnam als drittes Land – nach dem Vereinigten Königreich und China – eine Einigung mit den USA vorweisen. Statt der angedrohten 46 Prozent, die einem Totalschaden gleichgekommen wären, sah sich Vietnam nun einem angepassten Satz von 20 Prozent ausgesetzt.13 Berichten zufolge hatten sich sowohl Verhandler als auch Unternehmer auf vietnamesischer Seite ein deutlich besseres Ergebnis erhofft14, entscheidend ist letztlich jedoch, dass Vietnam damit unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsfähigkeit im regionalen Vergleich keinen Schaden davontrug. Allerdings behielt sich die US-Regierung vor, auf Durchgangsausfuhren eine höhere Abgabe von 40 Prozent zu erheben. Nach traditionellem Verständnis betrifft dies jene Waren, die nach der Einfuhr in Vietnam schlicht mit einem neuen Etikett versehen und dann weiterverschifft werden. Beobachter der US-Handelspolitik gehen aber davon aus, dass Washington die Definition für Durchgangsexporte auf enger gefasste Herkunftsregeln ausweiten wird und dann auch Waren betroffen sein werden, bei denen der Großteil der Komponenten aus einem Drittland stammt, auch wenn die Weiterverarbeitung und Herstellung des Endprodukts im exportierenden Land erfolgt.15 Für Vietnam ergeben sich daraus zwei Handlungsimperative: Erstens muss es sich umso mehr darum bemühen, von der klassischen Produktfertigung in die breitere Herstellung von Bauteilen zu expandieren; zweitens muss es versuchen, sich soweit wie möglich von seiner Abhängigkeit von den USA als Konsummarkt zu lösen. Mit dieser Zielsetzung hat Premierminister Pham Minh Chinh im September angekündigt, noch in diesem Jahr weitere Handelsabkommen mit dem Mercosur und den Staaten des Golf-Kooperationsrats zu schließen.16
Wenn Transaktionalismus zu kurz greift
Abseits der Zollpolitik gab es zwei weitere markante Entwicklungen in den ersten Monaten der zweiten Amtszeit Trumps. Die erste betrifft Trumps transaktionalen Stil der Außenpolitik, den er seit Januar 2025 noch radikaler umsetzt als in seiner ersten Amtszeit. Die zweite ist außerhalb der offiziellen Außenpolitik angesiedelt und bezieht sich auf die persönlichen und privatwirtschaftlichen Interessen des Präsidenten.
Die Entscheidung der Trump-Regierung, die Behörde für internationale Entwicklungszusammenarbeit USAID abzubauen, zog in Vietnam verschiedenen Programmen zur Aufarbeitung von Kriegsfolgen den Boden unter den Füßen weg. Die Projekte zur Räumung von Minen und Blindgängern waren über Jahrzehnte eine Säule der Beziehungen und vor allem in den Anfangsjahren der diplomatischen Beziehungen essenziell, um Vertrauen zwischen Hanoi und Washington neu aufzubauen. Einen besonderen Stellenwert nahm ein Programm zur Beseitigung von Dioxin auf dem Gelände des ehemaligen US-Luftwaffenstützpunkts in Bien Hoa ein. Auf dieser Basis in der Nähe der Millionenstadt Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) hatte die US-Armee während des Kriegs einen Großteil des Gifts „Agent Orange“ verladen, von dem sie mehr als 40 Millionen Liter über Vietnam versprühte. Die verheerenden Langzeitfolgen für Mensch und Natur reichen bis in die Gegenwart. Daher war es ein Schritt von immenser Bedeutung, als die US-Regierung im Jahr 2019 eine Kooperation im Umfang von 430 Millionen US-Dollar mit dem vietnamesischen Verteidigungsministerium zusagte, um das verseuchte Gelände in einem aufwendigen Prozess nachhaltig zu reinigen.17
Als am 24. Januar 2025 alle USAID-Verträge abrupt eingestellt wurden, kamen auch die Säuberungsarbeiten in Bien Hoa zu einem Stopp. Bei diesem Projekt geht es aber nicht darum, eine Bombe nach der anderen unschädlich zu machen; die Arbeiter graben große Mengen vergifteter Erde auf und unterziehen sie einer Aufbereitung in verschiedenen Stufen. Als die Arbeiten zwangsweise unterbrochen wurden, konnten einige der offenen Becken nur behelfsmäßig abgedeckt werden und waren Wind und Regen ausgesetzt. Alarmiert von einer drohenden Verunreinigung der umliegenden Wasserläufe und der damit einhergehenden Gefahr für die Bevölkerung drängten die in Vietnam stationierten US-amerikanischen Diplomaten Washington zum Umdenken.18 Vietnam verzichtete auf eine großangelegte öffentliche Bekanntmachung dieser Vorfälle, allerdings äußerte das vietnamesische Außenministerium am 13. Februar Bedenken zu der Einstellung der Aufbereitungsprogramme und ging dabei ausdrücklich auf Bien Hoa ein.19 Anfang März reagierte die Trump-Administration schließlich und ließ die Arbeit wieder aufnehmen. Im September erreichte das Projekt schließlich einen Meilenstein: Nach sechsjähriger Laufzeit übergab die US-Botschaft Zertifikate an das vietnamesische Verteidigungsministerium über die Dekontaminierung von sechs Hektar Land auf dem Gelände des ehemaligen Stützpunktes, was in etwa der Hälfte der betroffenen Fläche entspricht.20 Ob das Projekt fortgesetzt wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen.
Die Dramatik um das Rehabilitationsprojekt in Bien Hoa zeugt mindestens von Unwissen und Kurzsichtigkeit und schlimmstenfalls von Gleichgültigkeit aufseiten der Entscheidungsträger in Washington. Das Beispiel zeigt, wie die radikale Fokussierung auf reine Transaktionen zur Förderung von US-amerikanischen Interessen ihr Ziel verfehlen kann. Die Bedeutung der Aufbereitung von Folgeschäden des Kriegs ist im Verhältnis der beiden Länder kaum überzubewerten und wurde letztlich von der US-Regierung erkannt. Dennoch lässt sich festhalten, dass ein vermeidbarer diplomatischer Schaden eingetreten ist und die Beziehungen von einem klaren Bekenntnis zu allen Aufbereitungsprogrammen in Vietnam profitieren würden.
Privatwirtschaftliche Interessen der Trump-Familie
Seit Trumps zweitem Amtsantritt bemühen sich Staats- und Regierungschefs aus aller Welt um die persönliche Gunst des Präsidenten. In diesem Eifer hat das Überreichen von außergewöhnlichen Geschenken Schule gemacht. Bundeskanzler Merz überreichte Trump eine Geburtsurkunde dessen in Deutschland geborenen Großvaters, Premierminister Starmer holte im Oval Office einen persönlichen Brief von König Charles hervor und das Emirat Katar hatte gar eine Boeing 747 im Wert von 400 Millionen US-Dollar parat. Wenn es aber um die Vorlieben des Präsidenten geht, stellt der Golfsport wahrscheinlich alles andere in den Schatten. Zwei Großprojekte der Trump Organization, im Verbund mit vietnamesischen Partnern, verdienen daher Beachtung.
Das erste Projekt ist eine umfangreiche Golfanlage unweit von Hanoi. Mitte Mai 2025 feierte Eric Trump, zweitältester Sohn des Präsidenten und einer der Geschäftsführer der Trump Organization, gemeinsam mit vielen prominenten Gästen den Spatenstich. Erst im September 2024 hatte er die ersten Dokumente mit einer vietnamesischen Partnerfirma in New York unterzeichnet. Anwesend war dabei auch sein Vater Donald Trump, der sich wenige Wochen vor dem Wahltermin dafür Zeit nahm. Die erwartbare Dauer des Antragsprozesses, der zwischen diesen beiden Ereignissen liegen sollte, schätzte eine Recherche der New York Times für ein Projekt dieser Größenordnung auf zwei bis vier Jahre.21 Die nötigen Genehmigungen wurden auf vietnamesischer Seite jedoch priorisiert, wie Premierminister Chinh selbst verlauten ließ. Durch ihre Teilnahme an der Spatenstich-Zeremonie zeigte die vietnamesische Regierung ihre Unterstützung für das Projekt in aller Deutlichkeit. Für Eric Trump ging es nach der Feier direkt weiter nach Ho-Chi-Minh-Stadt, wo seine Firma in einem neu entstehenden Finanzzentrum ab 2026 einen Trump Tower mit mindestens 60 Stockwerken bauen will.22 In Anbetracht der Pläne, nach denen sich Vietnams größte Stadt und Wirtschaftszentrum des Landes in den kommenden Jahren zu einer integrierten Metropolregion entwickeln soll, ist diese Investition am Puls der Zeit.
Inwieweit die Bauprojekte der Trump Organization Einfluss auf das Verhältnis beider Länder nehmen, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Das Weiße Haus erklärte, dass die in dieser Zeitspanne laufenden Verhandlungen über Handelsabkommen in keinem Zusammenhang mit den Aktivitäten der Trump Organization gestanden hätten. Für die Golfanlage lässt sich allerdings mit Gewissheit sagen, dass Vietnam den Plänen der Trump-Familie eine übergeordnete Bedeutung beimaß. Im Rahmen der Zeremonie im Mai betonte der Premierminister, dass das Projekt auch der Stärkung der bilateralen Beziehungen dienen sollte.
Ausblick: Wirtschaftsboom mit Netz und doppeltem Boden
In dem halben Jahrhundert seit 1975 haben sich die Beziehungen zwischen Vietnam und den USA auf beeindruckende Weise entwickelt. Der Vietnamkrieg stellt für beide Länder ein einschneidendes Trauma dar, das Generationen prägte und bis in die Gegenwart hineinwirkt. Umso bemerkenswerter ist der privilegierte Status der Beziehungen, den Präsident Biden und Generalsekretär Nguyen Phu Trong im Jahr 2023 beschlossen haben. Um dorthin zu gelangen, musste eine neue Vertrauensbasis geschaffen und über Jahre gefestigt werden: von der marktwirtschaftlichen Öffnung Vietnams 1986 über die Rehabilitationsmaßnahmen in den 1990er-Jahren bis hin zu den ersten Hafenbesuchen US-amerikanischer Marineschiffe Anfang des neuen Jahrtausends. In dieser Abfolge stellt die nahezu kompromisslose Streichung der USAID-Programme unter Trump ein erhebliches Risiko dar. Die Unterbrechung des Bien-Hoa-Projekts griff die Vertrauensbasis in ihrer Substanz an. Seine Fortsetzung war von großer Bedeutung.
Am wichtigsten für die Annäherung war die wirtschaftliche Integration beider Länder, die sich mit dem Wachstum Vietnams stetig erhöhte und insbesondere durch den Handelskrieg der ersten Trump-Regierung gegen China einen gewaltigen Sprung machte. Für die Entwicklung der nächsten 20 Jahre steht Vietnam vor einem enormen eigenen Anspruch und großen Herausforderungen. Will es sein Ziel erreichen, bis 2045 in den „Club der Industrienationen“ aufzusteigen, muss es bereit sein, mutige und radikale Entscheidungen zur Neuordnung und Stärkung seiner Wirtschaft zu treffen. Dazu zählt die umfassende Verwaltungsreform, die To Lam fast unmittelbar nach seiner Amtseinführung als Generalsekretär der Kommunistischen Partei angestoßen hat, ebenso wie die massive Förderung des Privatsektors. Auch die schnelle Umsetzung von Projekten wie denen der Trump Organization zeugt von einem gefestigten politischen Willen zur Umsetzung von Vorhaben von großer Tragweite mit Blick auf die eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen.
Gleichzeitig versteht es Vietnam wie kaum ein anderes Land, auf pragmatische Weise Partnerschaften zu schließen und so das Risiko eines einseitigen Schocks zu minimieren. Beachtlich ist dabei vor allem, dass es Vietnam gelingt, bei einer Vielzahl von anderen Ländern ein hohes Gegeninteresse zu generieren und im Ausbalancieren verschiedener Partnerschaften nicht von den geopolitischen Mühlen zerrieben zu werden. Wissend um seine große Abhängigkeit von den USA im Export und bei Investitionen hat Vietnam eine Einigung im Zollstreit ganz oben auf die Agenda gesetzt und durch den Einsatz von großem politischem Kapital im Eiltempo vollzogen. Im selben Zug verliert Hanoi keine Zeit, seine Absicherung anderswo weiter voranzutreiben. Vietnam wird alles dafür tun, weiter schnell zu wachsen und sich in der Weltwirtschaft als unverzichtbarer Produktionsstandort auch im Segment der Hochtechnologie zu verankern. Es wäre äußerst schmerzhaft für Vietnam, bei der wirtschaftlichen Verflechtung mit den USA zurückstecken zu müssen. Aber falls diese Säule zu bröckeln droht, will Vietnam bestmöglich vorbereitet sein. In Europa schaffen Frankreich und das Vereinigte Königreich in jüngster Zeit die diplomatischen Grundlagen, um noch zielgerichteter mit Vietnam zu kooperieren. Deutschland sollte diesem Beispiel folgen, um den Anschluss an eine der wichtigsten Wachstumsgeschichten in den kommenden Jahrzehnten nicht zu verpassen.
Lewe Paul ist Leiter des Auslandsbüros Vietnam der Konrad-Adenauer-Stiftung.
- World Bank Group: GDP per capita (current US$) - Viet Nam, in: https://ogy.de/m5by [18.08.2025]. ↩︎
- Guarascio, Francesco 2025: Vietnam’s US exports account for 30% of GDP, making it highly vulnerable to tariffs, Reuters, 25.02.2025, in: https://ogy.de/4ds3 [18.08.2025]. ↩︎
- „Agent Orange“ ist ein chemisches Entlaubungsmittel, das die US-Streitkräfte während des Vietnamkriegs großflächig eingesetzt haben, um den dichten Dschungel, in dem sich die Guerillakämpfer des Vietcong versteckten, zu entlauben und deren Nahrungsgrundlagen zu zerstören. Das in dem Mittel enthaltene Dioxin rief sowohl bei der vietnamesischen Bevölkerung als auch bei US-Soldaten schwere Gendefekte hervor, die bis heute andauern. ↩︎
- U.S. Embassy & Consulate in Vietnam: Chronology of U.S. – Vietnam Relations, in: https://ogy.de/r6js [25.09.2025]. ↩︎
- United States Census Bureau: Trade in Goods with Vietnam, in: https://ogy.de/l8bw [27.10.2025]. ↩︎
- Mai, Lauren / Poling, Gregory B. / Quitzon, Japhet 2024: An Indispensable Upgrade: The U.S.-Vietnam Comprehensive Strategic Partnership, Center for Strategic and International Studies, 19.08.2024, in: https://ogy.de/yahf [30.08.2025]. ↩︎
- Die Bambusdiplomatie ist zentraler Bestandteil der aktuellen Außenpolitik Vietnams. Sie nutzt das Bild des Bambus – starke Wurzeln, ein stabiler Stamm und flexible Äste – als Metapher für die Prinzipien und Strategien, nach denen Vietnam seine internationalen Beziehungen gestaltet. ↩︎
- Yamashita, Nobuaki / Ha, Doan Thi Thanh 2024: The Third-country Effect of the United States-China Trade War on Viet Nam, ERIA Discussion Paper Series Nr. 531, Economic Research Insititute for ASEAN and East Asia, 26.09.2024, in: https://ogy.de/kepl [13.09.2025]. ↩︎
- „Middle Income Trap“ bezieht sich auf ein wirtschaftliches Entwicklungsphänomen, bei dem Länder nach einer Phase raschen Wachstums von einem niedrigen zu einem mittleren Einkommensniveau aufsteigen, anschließend jedoch in ihrer weiteren Entwicklung stagnieren und den Sprung zu einem hochentwickelten, wohlhabenden Industrieland nicht schaffen. ↩︎
- Zhang, Vincent / Faida, Arrizka / Nishiuwatoko, Lei 2024: Vietnam’s Semiconductor Industry Attracts US Investments, East-West Center, 25.03.2024, in: https://ogy.de/w1t8 [25.09.2025]. ↩︎
- The White House 2025: Regulating Imports with a Reciprocal Tariff to Rectify Trade Practices that Contribute to Large and Persistent Annual United States Goods Trade Deficits, Annex I, 02.04.2025, in: https://ogy.de/75u8 [31.10.2025]. ↩︎
- Viet Nam News 2025: Việt Nam takes swift, proactive actions in response to new US tariff policy, 08.04.2025, in: https://ogy.de/imct [29.10.2025]. ↩︎
- Buerstedde, Peter 2025: Vietnam kommt bei US-Zöllen mit blauem Auge davon, Germany Trade & Invest, 01.08.2025, in: https://ogy.de/mwul [29.10.2025]. ↩︎
- Ebd. ↩︎
- The Economist 2025: Fee-asco: why Trump’s tariffs have hit South-East Asia so hard, Money Talks Podcast, 14.08.2025, in: https://ogy.de/05on [25.09.2025]. ↩︎
- Vu, Khanh / Guarascio, Francesco 2025: Vietnam PM seeks new trade deals to counter US tariff impact, Reuters, 24.09.2025, in: https://ogy.de/yk7q [25.09.2025]. ↩︎
- Barry-Jester, Anna Maria / Murphy, Brett 2025: Trump Halted an Agent Orange Cleanup. That Puts Hundreds of Thousands at Risk for Poisoning., ProPublica, 17.03.2025, in: https://ogy.de/wzka [06.10.2025]. ↩︎
- Ebd. ↩︎
- Voice of Vietnam 2025: Vietnam’s stance on US decision regarding USAID, 13.02.2025, in: https://ogy.de/0eez [25.09.2025]. ↩︎
- Anh, Phương 2025: US Embassy Hands over 6 Hectares of Dioxin-remediated Land at Bien Hoa Airbase Area, Vietnam Times, 18.09.2025, in: https://ogy.de/xup6 [29.10.2025]. ↩︎
- Cave, Damien 2025: Why Vietnam Ignored Its Own Laws to Fast-Track a Trump Family Golf Complex, The New York Times, 25.05.2025, in: https://ogy.de/qytn [13.09.2025]. ↩︎
- Guarascio, Francesco 2025: Exclusive: Work on $1 bln Trump Tower in Vietnam could start next year, source says, Reuters, 30.05.2025, in: https://ogy.de/g6n6 [30.09.2025]. ↩︎