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Peruanischer Innenminister tritt nach Humala-Rebellion zurück

von Markus Rosenberger
„Wenn eine Regierung sein Volk verrät, bin ich als Soldat verpflichtet, diese Regierung zu stürzen. Wenn man dies Staatsstreich nennt, dann liebe ich Staatsstreiche.“ Dieses Zitat von Antauro Humala aus dem Jahr 2003 bezogen viele Peruaner auf den Putschversuch im Jahr 2000 gegen den autoritär regierenden Ex-Präsidenten Alberto Fujimori. Nun versuchte sich die nationalistische Humala-Bewegung ein zweites Mal – diesmal war das Ziel der Sturz Präsident Alejandro Toledos.

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Humala-Bewegung versucht den Aufstand

Das Jahr 2005 hatte noch gar nicht richtig begonnen und schon sah sich das von politischen Unruhen und Korruptionsskandalen gebeutelte Land vor eine erneute Zerreißprobe gestellt. Am Neujahrsmorgen stürmten etwa 150 Gefolgsleute der ultranationalistischen Humala-Bewegung, angeführt von Antauro Humala, die Polizeistation der im südöstlichen Andenhochland gelegenen Stadt Andahuaylas und forderten den Rücktritt des - Zitat Humala - „unfähigen, korrupten und dem Ausland hörigen“ Präsidenten Alejandro Toledo. Das Ziel wurde nicht erreicht. Die Rebellen ergaben sich nach knapp drei Tagen den eiligst entsandten staatlichen Polizei- und Militäreinheiten. Traurige Bilanz des gescheiterten Aufstandes: 4 tote Polizisten, 2 tote Rebellen und der Rücktritt des Innenministers Javier Reátegui. Ersetzt wurde Reátegui durch den Chef der nationalen Polizei Félix Murazzo, der sich bei der Aufstandsbeendigung persönlich hervorgetan hatte.

Was ist unter der Humala-Bewegung zu verstehen?

Der Movimiento Nacionalista Peruano (MNP), besser bekannt als Movimiento Humala (Humala-Bewegung), wird von den Brüdern Antauro und Ollanta Humala angeführt. Beide sind Reservisten der peruanischen Streitkräfte. Der 41-jährige Antauro Humala ist Major d.R., sein Bruder Ollanta, bis vor wenigen Wochen Militärattaché an der peruanischen Botschaft in Seoul, hat den militärischen Rang eines Oberstleutnants.

Die Bewegung zeichnet sich durch ihren ultranationalistischen, totalitären, faschistischen, usa-feindlichen und antisemitischen Diskurs aus. Politisches Vorbild ist der venezolanische Präsident Hugo Chávez. Sprachrohr der Humalas ist die seit Februar 2002 zweimal monatlich erscheinende Zeitung „Ollanta“ (Auflage ca. 60.000), die käuflich erworben werden kann. Der Verkauf (Preis entspricht etwa dem einer Tageszeitung) erfolgt durch Sympathisanten an Straßenecken und in Bussen und sichert der Bewegung ein gewisses Einkommen. Die aktiven Mitstreiter kommen hauptsächlich aus dem Kreis der Reservisten. Der militärische Geheimdienst geht von mehr als 4.300 Reservisten aus, die in Humala-Batallonen und –basen landesweit organisiert sind. Geographische Schwerpunkte sind die Hauptstadt Lima und die zweitgrößte, im andinen Süden gelegene Stadt Perus Arequipa. Es existieren weitere Gruppen in den nördlichen Küstenregionen, in Cajamarca sowie in einigen südlichen Departments (Cusco, Apurímac, Moquegua und Tacna). Viel spekuliert wird über die möglichen Finanzquellen der Humalas. Gesicherte Erkenntnisse diesbezüglich gibt es nicht. Neben den erwähnten Einkünften aus der Zeitung „Ollanta“ wird vermutet, dass die Kontakte und die Sympathie zu den Kokabauern - Zitat Antauro Humala: „Peruano haz patria, siembra coca“ („Peruaner, unterstütze dein Vaterland, bau Koka an“) - genutzt werden, um an Drogendollars heranzukommen. Enge Verbindung besteht zur Conferencia Nacional de Productores Agropecuarios de las Cuencas Cocaleros del Perú (CONPACCP). Angeblich gibt es zudem finanzielle Unterstützung aus dem Norden des Subkontinents vom Movimiento Chavista de Venezuela.

Die nationalistisch-indigen geprägten Humalas bezeichnen sich selbst als „Etnocaceristas“ und fordern die Gründung einer neuen Republik, die auf einer Wiederbelebung der kulturellen Errungenschaften des Inkareichs beruhen soll. Durch den Namensteil „caceristas“ drücken sie ihre Bewunderung für den früheren Präsidenten Andrés Avelino Cáceres aus, der im von Peru verlorenen Salpeterkrieg (1879-1883) hartnäckigen Widerstand gegen die chilenischen Soldaten leistete. Bekannt wurden die Humalas im Oktober 2000, als Ollanta Humala den Rücktritt des damaligen Präsidenten Fujimori forderte und sich zusammen mit 60 Soldaten in einer Mine verschanzte. Trotz Ermittlungen wegen Aufruhr, Verschwörung und illegalem Waffenbesitz wurden sie nicht verurteilt. Im Gegenteil: Beide wurden von der Übergangsregierung Paniagua amnestiert. Ollanta Humala wurde gar zum Militärattaché in Paris und später in Seoul ernannt.

Der Movimiento Nacionalista Peruano zeigte sich in der Vergangenheit stets selbstbewusst und ließ keinen im unklaren über die nationalistischen Vorstellungen. So wolle man nach einer Machtübernahme den Erzfeind Chile angreifen. Ecuador solle nur dann verschont bleiben, wenn dort die Confederación Nacional Indígena regiere. Gemeinsam mit einem vom selbsternannten Indígena-Führer Evo Morales geführten Bolivien wolle man dann – nach gewonnener Schlacht – die alten Grenzen des Inkareiches als Grenzen des zu schaffenden „Tahuantinsuyo“ wiedereinsetzen. Die globalisierte Welt wird genauso abgelehnt wie die freie Marktwirtschaft und die „kreolische Form der in Peru anzutreffenden Demokratie“.

Warum Andahuaylas?

Nach wie vor ist unklar, warum Antauro Humala am Neujahrsmorgen gerade die Polizeistation in der etwa 30.000 Einwohner zählenden Stadt Andahuaylas überfiel. Welchen Zweck verfolgte er genau mit dieser Aktion? Warum ergab er sich so schnell?

Die Ortswahl könnte mit dem Selbstverständnis der Humala-Bewegung zusammenhängen. „Uns interessiert nicht, ob ‚Ollanta’ in den reichen Stadtteilen Limas gelesen wird. Wir bewegen uns in den Armenvierteln. Denn das entspricht der peruanischen Realität.“, so Antauro Ollanta in einem Interview im Jahr 2003. Andahuaylas liegt im Departement Apurímac, der zweitärmsten Region des Landes mit 78 Prozent Armut und mehr als 47 Prozent extremer Armut. Vielleicht erhoffte man sich spontane Unterstützung der Bevölkerung? Sicher aber wurde der Ort aus symbolischen Gründen gewählt, um die Verbindung zu den Ärmsten der Armen zu dokumentieren. Wahrscheinlich ist auch, dass Humala den Aufstand durchführte, um Öffentlichkeit zu erlangen und den Bekanntheitsgrad der Bewegung zu erhöhen. Eine Verhaftung kann durchaus vorher eingeplant gewesen sein. Man spekuliert auf eine spätere Amnestie wie beim Aufstand vier Jahre zuvor. Die Tatsache, dass bei der Rebellion sechs Menschen starben, scheint diesem Ziel nicht abträglich gewesen zu sein. In der jüngsten Umfrage der Universidad de Lima findet die Aktion bei 34 Prozent (!) der befragten Bürger Limas Zustimmung. 56 Prozent glauben, dass die etnocaceristische Bewegung „soziale Verantwortung“ übernehmen möchte. Immerhin 39 Prozent fordern eine Amnestie der Aufständischen.

Diese Zahlen zeigen nicht nur ein gewisses Verständnis - bis hin zu Sympathie - großer Teile der Bevölkerung. Sie zeigen vor allem eine besorgniserregende Unzufriedenheit mit der jetzigen Regierung und beweisen, dass die Humala-Forderung nach einem Rücktritt Präsident Toledos von vielen geteilt wird.

Regierung Toledo in Nöten

Geopfert wurde jedoch nicht der Präsident sondern sein Innenminister Javier Reátegui. Die Stühle vom Ministerratsvorsitzenden Carlos Ferrero und von Verteidigungsminister Roberto Chiabra wackelten ebenfalls heftig. Jedoch überstanden beide ein Misstrauensvotum, das die Parlamentsopposition im Zuge der Untersuchungen der Vorgehensweise der Regierung beim Aufstand in Andahuaylas eingeleitet hatte. Dies verschaffte der Regierung Toledo jedoch nur kurzzeitig Luft, denn kurz nach den Geschehnissen in Andahuaylas kam Carmen Burga, die Kronzeugin der angeblichen Unterschriftenfälschungen der Präsidentenpartei Perú Posible nach Peru zurück. Es gibt ernstzunehmende Hinweise darauf, dass die Einschreibung von País Posible, der Vorgängerpartei von Perú Posible im Jahr 1998, nur durch eine massive Fälschung der dazu benötigen Unterschriften zustande kam. Angeblich sollen 4/5 der Unterschriften in einer „fábrica de firmas“ produziert worden sein. Journalistische Recherchen führten in diesem Zusammenhang bereits zum Rücktritt von Fredy Otárola, Präsident der Corporación Peruana de Aeropuertos y Aviación Comercial (Córpac) und hoher Perú-Posible-Funktionär. Er soll verantwortlich dafür gewesen sein, die Kronzeugin Carmen Burga außer Landes gebracht zu haben, um sie so aus der Schusslinie der Ermittlungen zu bringen. Politisch schwerer wiegen dürfte jedoch die Rolle von Margarita Toledo an der Fälschungsaktion. Die Schwester des Präsidenten steht mittlerweile unter Hausarrest. Ihr wird vorgeworfen, die Hauptverantwortliche des Betrugs zu sein. Ob Toledo auch diese Krise schadlos überstehen wird, bleibt abzuwarten. Mittlerweile werden weiteren politischen Parteien Unterschriftenfälschungen vorgeworfen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ermittelt. Zur Stärkung des politischen Systems Perus haben diese Ereignisse jedenfalls kaum beigetragen. Das Vertrauen der Menschen in die Glaubwürdigkeit der demokratisch gewählten Repräsentanten schwindet immer mehr. Kein Wunder also, dass Extremisten und Systemfeinde wie die Humalas immer mehr Zulauf haben.

Die nächste Regierung wird demnach vor allem die Aufgabe haben, das verlorene Vertrauen in die Demokratie zurückzugewinnen - ein schwieriges Unterfangen.

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