Digitalisierung wird in Singapur groß geschrieben. Seit 2014 ist es das Ziel der Regierung, zu einer „Smart Nation“ zu werden. Der Staat ist hier nicht nur Innovationsförderer sondern bringt selbst Neuerungen durch eigene IT-Entwicklungen hervor und kann in beiden Rollen Superlative vorweisen: So war es die dortige staatliche Behörde GovTech, die die weltweit erste Corona-Warn-App entwickelte. Zudem ist im Stadtstaat das Start-up- Unternehmen „Grab“ vom einstigen Wettbewerber des US-amerikanischen Dienstes „Uber“ zur größten Vermittlungs-App für Fahrten in Südostasien gewachsen.
Der vorliegende erste Bericht in der Reihe „Daten und Innovation in in Asien-Pazifik“ betrachtet daher, wie der Staat datengetriebene Innovation hervorbringt und wie Daten im Transportbereich für Diversifizierung genutzt werden, besonders von Vermittlungsplattformen, die einen wichtigen Bestandteil des lokalen Transportwesens darstellen.
Dabei werden zunächst die Rahmenbedingungen für Innovation wie Datenschutz und Wettbewerbsrecht skizziert und die Funktion der staatlichen IT-Entwicklung und das Transportwesen in Singapur erläutert. Die erste Fallstudie untersucht am Beispiel von Innovationen zu COVID-19, wie staatliche Innovation in Singapur vorangetrieben wird und welches Verständnis vom Nutzen und vom Umgang mit Daten dabei herrscht. Die zweite Fallstudie zeigt, wie Daten beim Fahrtenvermittler Grab genutzt werden und wie das Zusammenspiel von staatlicher Regulierung und privatwirtschaftlicher Innovation organisiert ist.
Als zentrale Erkenntnisse lassen sich festhalten:
1. Die sogenannte „Smart Nation Initiative“ gibt als umfassendes Regierungsprogramm klare Ziele und Digitalprojekte vor, unter anderem in den hier untersuchten Bereichen Transport und digitale öffentliche Verwaltung. Dabei geht es nicht nur um Infrastruktur und Digitalisierung der Prozesse sondern auch gezielt um die Nutzung und Bereitstellung von Daten und Datenanalyse zur Politikgestaltung. Es bestehen sowohl die operativen und technischen Ressourcen als auch ein breites Bewusstsein für den Mehrwert, den die strukturierte Bereitstellung relevanter Daten durch die Verwaltung schafft.
2. Für die Digitalisierung aller Verwaltungsprozesse ist die ministerienübergreifend arbeitende Behörde GovTech zuständig, die die digitale Infrastruktur bereitstellt, die Aufbereitung aller Regierungsdaten verantwortet, und eigene Apps und digitale Services bereitstellt. Allein im Kampf gegen Corona hat die Behörde bis zum Sommer 2020 zwölf Apps und digitale Dienstleistungen entwickelt. Diese reichen von der weltweit ersten Tracing-App, über einen Chatbot zu Fragen rund um COVID-19 bis hin zum täglichen Update zu Fallzahlen und Regularien, das per WhatsApp und Telegram abonniert werden kann.
3. Nichtsdestotrotz haben technologische Lösungen beim Kampf gegen eine Pandemie ihre Grenzen. Bei der Diskussion um die Funktionsweise der Tracing-App haben auch in Singapur Datenschutzbedenken eine Rolle gespielt. Die vergleichsweise geringe Zahl von Downloads mag als indirekte „Abstimmung mit den Füßen“ gewertet werden.
4. Der hohe Grad an staatlicher digitaler Innovation in Singapur speist sich auch aus der Ansicht, dass im Bereich öffentlicher Infrastruktur Innovation aufgrund des Fehlens eines Gewinnanreizes von Seiten der Regierung gesteuert werden muss.
5. Regulierungen zum Umgang mit Daten zielen in Singapur nicht allein auf den Schutz von personenbezogenen Daten ab sondern auch darauf, datenbasierte Innovation zu ermöglichen. Die Regulierungen zum Datenschutz, die in Singapur im Personal Data Protection Act dargelegt sind, gelten nur für Privatpersonen und privatwirtschaftliche Unternehmen und zeigen breite Möglichkeiten auf, persönliche Daten auch ohne Zustimmung zu nutzen. Auf staatliche Stellen, die Daten sammeln, speichern, auswerten und teilen, erstrecken sich die Bestimmungen nicht; sie sind beim Umgang mit Daten an verschiedene für Beamte geltende Vorschriften gebunden.
6. Eine weit verbreitete Ansicht ist, dass zu viel Datenschutz Innovationen verhindert. Andererseits wird auch darauf hingewiesen, dass hohe datenschutzrechtliche Standards wiederum bestimmte Innovationen nach sich ziehen können, beispielsweise im Bereich Cybersicherheit zum Schutz der gesammelten Daten. Singapur war in der Lage, auch während einer Pandemie agil mit Dateninnovationen umzugehen, weil mit GovTech und der Smart Nation Initiative Ressourcen und Kompetenzen vorhanden sind und auch die Bürger im Umgang mit digitalen Technologien versiert sind. Aber es wird erwartet, dass die anhaltenden Bedenken – geschürt durch einen Hack der Gesundheitsdaten von Millionen Bürgern in 2018 – hinsichtlich der Verwaltung der von Regierungsbehörden gesammelten und verwendeten Bürgerdaten zunehmen werden.
7. In Singapur haben sich dem US-amerikanischen Uber ähnliche Vermittlungsplattformen von disruptiven Spielern zum wichtigen Bestandteil des Transportsystems entwickelt und auch für Neuerungen bei klassischen Taxiunternehmen gesorgt.
8. Transportunternehmen halten große Datenmengen vor, wobei Taxiunternehmen und Vermittlungsplattformen hier über sehr spezifischen Daten, wie Anfangs- und Endpunkt der Fahrten sowie die Fahrtenhistorie der Kunden verfügen. Diese können auch als Anhaltspunkte für die Verbesserung des Transportwesens im Allgemeinen genutzt werden. Privatwirtschaft und Universitäten kooperieren in diesem Bereich: Das vergleichsweise junge Unternehmen Grab verfügt noch nicht über eine große Analyse- und Forschungs-Abteilung. Eine Kooperationen zwischen Grab und der National University of Singapore soll dazu führen, dass diese Daten besser genutzt und daraus Innovationen entwickelt werden können. Entsprechende PhD-Programme werden aus Mitteln des „Economic Development Board“ gefördert.
9. Da die Transportunternehmen ihren Datenschatz aus Wettbewerbsgründen nicht teilen, agieren hier die Universitäten zudem als vertrauenswürdige Drittparteien, die Daten analysieren können. Auf diese Weise gewinnen die Forscher Erkenntnisse, von denen alle profitieren können, ohne dass die Unternehmen ihre Daten untereinander offenlegen oder veröffentlichen müssen.
10. Für Bikesharing vergibt Singapur aktuell ein- bis zwei-jährige Probelizenzen. Während frühere Fahrrad- und E-Roller-Sharing-Programme eingestellt wurden, haben Firmen nun die Möglichkeit, eine volle Lizenz zu erhalten, wenn sie in dieser Probezeit sichergestellt haben, dass unbeabsichtigte Konsequenzen ihres Geschäftsmodells, wie das wahllose Abstellen der Fahrräder und Roller, verhindert werden können. Diese Lizenz verpflichtet die Anbieter, Daten zu Standorten ungenutzter Räder, gefahrenen Strecken und Fahrtzeitpunkten wöchentlich mit den Behörden zu teilen. Mithilfe dieser Daten soll das Transportwesen im dicht besiedelten Inselstaat verbessert werden. Eventuelle Bedenken von Kundenseite spielen hierbei eine untergeordnete Rolle.
11. Der Wert von Daten ergibt sich durch Aggregieren. Im Gegensatz zu den in der DSGVO der EU verankerten Verpflichtungen zur Datenminimierung sammeln die Transportunternehmen in der Regel so viele Daten wie möglich und entscheiden später, wie sie analysiert werden sollen – denn oftmals kennen nicht einmal die für die Datenverarbeitung Verantwortlichen den Wert der Daten bei der Erfassung vollständig. In unserer Fallstudie zu Grab waren Daten Grundlage für die Diversifizierung der Dienstleistungen. So werden Daten, die die Vermittlungsplattformen durch ihre Fahrdienste erhoben haben, zur Etablierung neuer Dienstleistungen wie Essensauslieferung genutzt. Diskussionen um Datenportabilität oder die Offenlegung aggregierter Kundendaten von Firmen für die Nutzung durch die Allgemeinheit sind noch nicht abgeschlossen.
12. Im südostasiatischen Singapur ist es für multinationale Firmen aufgrund der unterschiedlichen Datenschutzgesetze in den jeweiligen Standorten schwierig, Daten aus unterschiedlichen Ländern zu aggregieren und analysieren. Im Gegensatz dazu bietet der für 2021 angestrebte europäische Binnenmarkt für Daten sicherlich große Vorteile für hier ansässige Firmen.
Der vollständige Bericht steht in englischer Sprache zum Download zur Verfügung.