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Länderberichte

Parlamentswahlen in Singapur

Fünf Fragen zu den Wahlen im Little Red Dot

Am Freitag gehen die Wähler im südostasiatischen Stadtstaat Singapur an die Urnen – trotz Covid-19. Das Virus sorgt für einen ungewöhnlichen Wahlkampf sowie für erhöhten logistischen Aufwand am Wahltag.

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Was ist anders durch Covid-19?

Keine öffentlichen Wahlkampfkundgebungen, kein Händeschütteln mit Wählern, dafür aber verstärkt Podcasts und TV-Diskussionen sowie aufwändig produzierte YouTube-Videos – die Kampagne steht ganz im Zeichen des Kampfes gegen Covid-19. Singapur meldet nach wie vor deutlich über 100 Neuansteckungen pro Tag, betroffen sind vor allem geringverdienende Wanderarbeiter, die in Mehrbettzimmern am Stadtrand wohnen. Premierminister Lee Hsien Loong von der People’s Action Party (PAP) sieht nun trotzdem den richtigen Zeitpunkt für die Wahl gekommen. Singapur befindet sich in Phase 2 nach Ende des Lockdowns, das öffentliche Leben ist größtenteils wiederhergestellt, auch wenn sich nach wie vor nur maximal fünf Menschen treffen dürfen und die Grenzen weitestgehend dicht sind. Nachdem die Regierung mit hohem finanziellen Aufwand (bisher rund 60 Milliarden Euro) ein Covid-19-Rettungsnetz gespannt hat, stehen nun wegweisende Entscheidungen für die Zeit nach dem Virus an, für die Lee gerne das klare Mandat der Bevölkerung möchte. So sagte er es in seiner Ansprache am 23. Juni, mit der er die Neuwahlen innerhalb von drei Wochen ankündigte. Die Wahl ist in Singapur verpflichtend für alle Staatsangehörigen ab 21 Jahren. Für die rund 2,65 Millionen Wahlberechtigten gibt es mehr Wahlstationen als üblich sowie ein vorgegebenes Zeitfenster, um lange Schlangen zu vermeiden.

 

Warum die Eile?

Singapur ist bekannt für die allgegenwärtige Effizienz, die auch bei der demokratischen Mitbestimmung zum Zuge kommt. Innerhalb von gut zwei Wochen wurden neue Kandidaten vorgestellt, verdiente Parlamentarier und Minister verabschiedet, beherrschende Themen identifiziert und diskutiert. Daneben wird mit Werbetrucks und Plakaten eine möglichst große Partei-Präsenz im Stadtbild geschaffen. Wie bei früheren Wahlen auch wurde das Parlament etwas früher als eigentlich nötig aufgelöst. Dieses Verfahren stellt einen Vorteil für die Regierungspartei PAP dar, die in der Regel darum bemüht ist, den optimalen Zeitpunkt für die Wahl zu finden. Das dürfte auch in diesem Jahr wieder gelungen sein – die Erleichterung in der Bevölkerung über die schrittweise Rückkehr zur Normalität ist groß, während die wirtschaftlichen Folgen der Covid-Pandemie noch nicht in vollem Umfang zu spüren sind. Zudem kann die PAP ihren Wahlkampf auf diese Weise ziemlich präzise planen, während die Oppositionsparteien über Monate hin nur wissen, dass sie auf Knopfdruck bereit sein müssen. Die drei Wochen zwischen Parlamentsauflösung und Neuwahl dürften international zu den kürzesten Phasen für politische Willensbildung zählen.

 

Was sind die Themen?

In erster Linie geht es natürlich um Covid-19 und die wirtschaftlichen Folgen. Diese sind für den Stadtstaat nicht unerheblich, lebt Singapur doch von seiner globalen Anbindung und der Präsenz vieler internationaler Großunternehmen. Das sehr vorsichtige Hochfahren nach dem Lockdown beschädigt zudem die mittelfristigen Aussichten für die in großer Zahl vorhandenen Hotels und Restaurants. Die Regierung kann eine solide, aber nicht hervorragende Bilanz im Kampf gegen Covid vorweisen. Vor allem in den ersten Wochen der Ausbreitung wurde sie dem eigenen Anspruch als „Smart Nation“ umfänglich gerecht. Mit sehr gezielten Maßnahmen wurde das Virus gut kontrolliert, ohne das öffentliche Leben zu sehr einzuschränken. Dann aber begann die Ausbreitung in den Unterkünften der Wanderarbeiter, die auf den vielen Baustellen der Stadt arbeiten. Dieser blinde Fleck kostete Singapur viel Reputation im Kampf gegen Covid-19, inzwischen hat das Land rund 45.000 Ansteckungen gemeldet. Zwar gibt es erst 26 Corona-Tote zu beklagen, dennoch hat das Land im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung die mit Abstand höchste Infektionsrate in Südostasien.

Während es in Bezug auf die Rettungs- und Stimulationspakete weitreichende Einigkeit zwischen den Parteien gibt, stehen vor allem die Jobaussichten im Mittelpunkt der Diskussion. Hier gibt es durchaus unterschiedliche Konzepte und Schwerpunkte zwischen Regierung und Opposition. Grundsätzlich schwingen dabei auch nationalistische Untertöne mit, wenn auf eine stärkere Bevorzugung einheimischer Arbeitskräfte gegenüber ausländischen hochqualifizierten Expats gedrungen wird. Vor allem die bisher führende Oppositionspartei, die Worker‘s Party (WP), will Arbeitgebern das Einstellen von Ausländern erschweren. Weitere wichtige Themenbereiche, die in allen Parteiprogrammen diskutiert werden, sind Umweltschutz, Erziehungspolitik und Maßnahmen für die alternde Bevölkerung. Während Außenpolitik insgesamt eine untergeordnete Rolle spielt, drängen vor allem die Oppositionsparteien auf eine gerechtere Gesellschaft mit mehr Meinungs- und Medienfreiheit, einem besseren sozialen Netz und mehr Angeboten für benachteiligte Bevölkerungsgruppen.

Für alle die sich detaillierter mit den Parteiprogrammen beschäftigen wollen, hat die Journalistin Kirsten Han eine gute Übersicht mit den wichtigsten Positionen zusammengestellt.

 

Wie schlägt sich die Opposition?

Insgesamt zehn Parteien treten in diesem Jahr an, um der übermächtigen PAP Parlamentssitze streitig zu machen. Ob es ihnen gelingt, die Regierungspartei erstmals seit der Unabhängigkeit Singapurs unter 60 Prozent der Stimmen zu drücken, ist allerdings fraglich. Die größten Herausforderungen stellen nach wie vor das Wahlsystem und der Zuschnitt der Wahlkreise dar. Über die Hälfte der 29 Wahlkreise sind sogenannte Gruppenwahlkreise – wer sie gewinnt, kann alle vier bis sechs Kandidaten in diesem Kreis ins Parlament entsenden. Eine anteilige Repräsentation der unterlegenen Parteien ist nicht vorgesehen. So konnte die PAP selbst bei ihrem bisher schlechtesten Wahlergebnis – 60,1 Prozent im Jahr 2011 – dennoch über 90 Prozent der durch Wahl bestimmten Parlamentssitze für sich beanspruchen. Fast alle Oppositionsparteien fordern daher die Abschaffung der Gruppenwahlkreise in ihren Wahlprogrammen.

Doch es gibt auch hausgemachte Probleme für die Opposition. Erneut ist es den Parteien nicht gelungen, durch engere Zusammenarbeit in einem halbwegs geeinten Block als homogene Alternative zur PAP wahrgenommen zu werden. Zu unterschiedlich sind die Wahlprogramme, zu groß ist manche Eitelkeit der Parteiführer. Immerhin konnte es in den meisten Wahlkreisen vermieden werden, dass mehr als eine Partei gegen die PAP-Kandidaten antritt, was die Chancen auf Parlamentssitze noch weiter verringern würde. Unter den drei neugegründeten Parteien seit der letzten Wahl ist die Progress Singapore Party (PSP) die interessanteste. Sie wird vom langjährigen PAP-Parlamentarier Tan Cheng Bock geführt und hat in Lee Hsien Yang einen prominenten Unterstützer. Dieser ist der Bruder des aktuellen Premierministers, und gemeinsam sind sie Söhne des in Singapur zutiefst verehrten ersten Premierministers Lee Kuan Yew. Während sich die bisher größte Oppositionspartei WP um 21 der insgesamt 93 Sitze im Parlament bewirbt, geht die PSP ins Rennen um 24 Sitze. Sie könnte die WP damit sogar als wichtigste Oppositionspartei ablösen.

 

Was sind die Aufreger des Wahlkampfs?

Kandidat für vier Tage – dieses Schicksal ereilte Ivan Lim Shaw Chuan, der als eines der ersten neuen Gesichter der Regierungs-Partei PAP vorgestellt wurde. Innerhalb kürzester Zeit mehrten sich vor allem in den Sozialen Medien Berichte über Lims angeblich arrogantes und elitäres Verhalten. Nachdem eine Online-Petition gegen seine Kandidatur fast 20.000 Unterstützer gefunden hatte, zog er nur eine halbe Woche nach seiner Vorstellung die Reißleine.  Die PAP kündigte an, die Vorwürfe nach der Wahl genauer zu untersuchen, um Lims guten Namen gegebenenfalls wieder halbwegs herstellen zu können.

Während sie diesem offensichtlich organisch gewachsenen Unmut der Internet Community wenig entgegenzusetzen hatte, bemühte die PAP an anderer Stelle das noch junge Gesetz gegen „Online-Falschinformationen“, um eine Diskussion über die Pläne der Regierung zur Bevölkerungsentwicklung zu unterbinden. Dieses Thema ist aufgrund der niedrigen Geburtenrate emotional aufgeladen. Einige Oppositionskandidaten interpretierten frühere PAP-Aussagen dahingehend, dass die Bevölkerung durch eine angepasste Einwanderungspolitik langfristig von knapp 6 Millionen auf 10 Millionen Menschen vergrößert werden soll. Nachdem das erwähnte Gesetz in diesem Zusammenhang zum Zug kam, mussten alle Online-Medien und –Plattformen, auf denen die Opposition sich entsprechend geäußert hatte, diese Äußerung als „Unwahrheit“ (Falsehood) markieren. Frühe Bedenken, dass dieses Gesetz für politische Zwecke missbraucht werden könnte, scheinen sich damit zu bestätigen.

 

In der Woche nach der Wahl wird das Regionalprogramm Politikdialog Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung eine Analyse zum Ausgang der Wahl veröffentlichen.

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Kontakt

Christian Echle

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Leiter der Abteilung Asien und Pazifik

christian.echle@kas.de +49 (0) 30 26996 3534

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