Ist das gesellschaftliche Klima rauer geworden?
Steht die Demokratie tatsächlich unter ernsthafter Bedrohung?
Und wer ist der Ansicht, dass nicht mehr alles gesagt werden kann?
Mit diesen Fragen eröffnete Jens Hennig Fischer, Präsident der Deutschen Debattiergesellschaft, am 08 April die Veranstaltung zum Thema „Können wir noch richtig streiten?“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe Quo, vadis Demokratie?. In den Räumen der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden gab er den rund 50 Teilnehmenden eine prägnante Einführung in die Kunst der Debatte. Er erläuterte den Unterschied zwischen Debatte und Diskussion: Während in einer Debatte eine dritte Partei entscheidet und das Ziel die Widerlegung der gegnerischen Position ist, erfolgt die Entscheidung in einer Diskussion durch die Streitenden selbst, wobei ein Konsens, Kompromiss oder das Einverständnis, sich nicht einig zu werden (agree to disagree), erreicht werden kann.
Der zweite Referent der Veranstaltung, Dr. Mathias Jaudas von der Universität der Bundeswehr München mit Forschungsschwerpunkt Sozial- und Konfliktpsychologie, vermittelte den Teilnehmenden ein Verständnis darüber, wie Konflikte entstehen. Er erläuterte, dass Konflikte vor allem dann entstehen, wenn normative Unvereinbarkeiten auftreten – also, wenn tiefgreifende Werte und Überzeugungen miteinander kollidieren. Dies sei etwa der Fall, wenn bei einem Wettkampf zu früh gestartet wird oder wenn grundlegende Prinzipien in Frage gestellt werden, die für eine Gruppe oder Gesellschaft als unverhandelbar gelten.
In der anschließenden Diskussionsrunde stellten die Teilnehmenden spannende Fragen, die die Komplexität des Themas widerspiegelten: Wie kann man sich trauen, in einer polarisierten Gesellschaft zu diskutieren? Was bedeutet es, richtig zu streiten? Sollte man sich mit extrem rechten Positionen auseinandersetzen, oder ist es besser, diese zu meiden? Und müssen nicht nur die Älteren, sondern auch die Jüngeren wieder lernen zu streiten, um damit die Grundlage für eine lebendige Demokratie zu bewahren?
Gesellschaftliche Umbrüche. Ethik und Digitalisierung in der Demokratie
Die zweite Veranstaltung am 15. April widmete sich dem Thema „Gesellschaftliche Umbrüche: Ethik und Digitalisierung in der Demokratie“.
Eröffnet wurde der Abend von Dr. Sigurd Rink, Theologe und ehemaliger Militärbischof, der mit dem sogenannten Böckenförde-Diktum einen Denkanstoß setzte:
„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“
In einer Zeit, in der demokratische Systeme weltweit unter Druck geraten, lässt sich die deutsche Demokratie im internationalen Vergleich zwar noch als relativ stabil einordnen – doch auch hierzulande sind Herausforderungen spürbar. Während sich in Deutschland eine starke gesellschaftliche Mitte behauptet, die von lautstarken Rändern flankiert wird, zeigen sich in anderen Ländern – etwa in den USA – gegenteilige Tendenzen: Eine geschwächte Mitte bei gleichzeitig breiter werdenden Rändern.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die zentrale Frage, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt nachhaltig gefördert werden kann, um die Resilienz demokratischer Strukturen zu sichern?
Im Anschluss betrachteten Dr. Herrmann Diebel-Fischer von der TU Dresden sowie Benjamin Läpple die Wechselwirkungen zwischen Demokratie und technologischer Entwicklung. Dr. Diebel-Fischer beleuchtete insbesondere das Potenzial Künstlicher Intelligenz im Kontext des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels. KI könne etwa als Prognoseinstrument, als automatisiertes Entscheidungssystem (beispielsweise bei Passkontrollen an Flughäfen) oder als Assistenzsystem in der Pflege eingesetzt werden. Dabei warf er die grundlegende Frage auf, wie weit unser Vertrauen in technische Systeme reichen kann – und ob künftig der Mensch die Technik steuert oder umgekehrt die Technik den Menschen. Benjamin Läpple lenkte den Blick auf die Schattenseiten der digitalen Welt und ihre potenziellen Gefahren für demokratische Prozesse. Er warnte vor einer zunehmenden Reizüberflutung durch digitale Inhalte, die zu einem Abbau von Empathie führen könne. Zudem begünstigten extreme und emotionalisierende Inhalte in sozialen Netzwerken die gesellschaftliche Radikalisierung. Insgesamt, so Läpple, verändere der digitale Raum nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern auch unser Fühlen und Handeln – mit spürbaren Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs.
Die Suche nach Zusammenhalt: Vom Leben in Gesellschaft
Zur dritten und letzten Veranstaltung erweiterte Prof. Dr. Wilhelm Schmid, Philosoph und Autor, die Perspektive um die philosophische Dimension. Im Zentrum stand das Thema „Die Suche nach Zusammenhalt: Vom Leben in Gesellschaft“, wobei insbesondere Fragen wie der Stellenwert der Einzigartigkeit des Einzelnen in einer global vernetzten Welt behandelt wurden und ob diese Einzigartigkeit eher als positiv oder negativ zu bewerten ist. Darüber hinaus wurde die zentrale Frage aufgeworfen, warum Autokratien, trotz ihres momentanen Aufschwungs, keine langfristige Zukunft haben können. In seiner Auseinandersetzung mit letzterer Fragestellung griff Prof. Schmid auf sein jüngstes Werk „Die Suche nach Zusammenhalt“ zurück, in dem er zehn Argumente dafür anführt, dass Autokratien langfristig nicht bestehen können. Ein besonders gewichtiger Punkt in seiner Argumentation war die Feststellung, dass autokratische Gesellschaften zu einem Stillstand hinsichtlich von Innovationen führen. Ohne die Fähigkeit zu Innovationen können Gesellschaften nicht auf die immer komplexeren Herausforderungen der Zukunft reagieren.
In der anschließenden Fragerunde erörterte Prof. Schmid seine Überlegungen, einen verpflichtenden Dienst für alle Bürgerinnen und Bürger einzuführen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig zu stärken. Für ihn ist es unumstößlich, dass eine Gesellschaft nur dann stabil und zukunftsfähig bleibt, wenn jeder Einzelne aktiv Verantwortung übernimmt und sich in den gesellschaftlichen Kontext einbringt, um so das kollektive Wohl zu fördern.
Zum Abschluss der Veranstaltung unterstrich er, dass er den gesellschaftlichen Zusammenhalt keineswegs als gefährdet betrachtet. Vielmehr sei es von entscheidender Bedeutung, dass sich die Gesellschaft in einem stetigen Prozess der Reflexion und Anpassung befinde, um flexibel auf die sich wandelnden globalen und sozialen Dynamiken reagieren zu können. Der soziale Zusammenhalt sei nicht unmittelbar bedroht, doch er müsse aktiv gefördert und weiterentwickelt werden, um den zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein.