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Thailand – Die Demokratie steht auf dem Spiel

Es sind erst 8 Monate her, dass Thailand die Militärherrschaft abgeschüttelt hat. Die Parlamentswahlen im Dezember 2007 hatten den Prozess zur Wiederherstellung der Demokratie eingeleitet. Nun besteht die Gefahr, dass die demokratische Entwicklung einen Rückschlag erleidet. Seit drei Monaten demonstrieren Tausende Thailänder gegen den amtierenden Premierminister und seine Regierung. Die Lage eskalierte als die Demonstranten das Regierungsgebäude besetzten. Mobilisiert sind inzwischen auch die Regierungsanhänger. Der Premier hat zwar den Ausnahmezustand ausgerufen, ob damit die Krise ausgeräumt werden kann, bleibt aber fraglich. Die thailändische Gesellschaft ist polarisiert. Eine Lösung zur Überwindung dieser tiefen politischen Spaltung ist nicht in Sicht. Weder die Opposition, noch die Regierung scheinen bereit, durch Zugeständnisse zur Entspannung der Lage beizutragen.

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Die aktuelle Krise ist Ausdruck der Pattsituation im innenpolitischen Machtkampf. Auf der einen Seite stehen die städtische Mittelschicht in Bangkok, die Medien und vor allem aber die bürokratisch-militärische Elite des Landes, die unter legitimer politischer Herrschaft lediglich good governance im Sinne von Korruptionsfreiheit versteht. Auf der anderen Seite steht die ländliche Bevölkerung, die vielmehr die materiellen Ergebnisse der Politik bewertet. Vor diesem Hintergrund steht die politische Spaltung des Landes in engem Zusammenhang mit Ungleichheiten im Modernisierungsprozess, der in Thailand fast ausschließlich auf den Großraum Bangkok konzentriert ist. Machtpolitische Erwägungen stehen in diesem Konflikt genauso im Mittelpunkt wie wirtschaftliche Interessen.

Was will die außerparlamentarische Opposition?

Angeführt werden die Proteste von der People’s Alliance for Democracy (PAD). Die PAD ist ein Zusammenschluss von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen und einzelnen Regierungskritikern. Ihr stehen fünf prominenten Thaksin-Gegnern vor: Medientycoon Sondhi Limthongkul, NGO-Vertreter Piphop Thongchai, Gewerkschaftsführer Somsak Kosaisuk, Abgeordneter der Oppositionspartei Somkiat Pongpaiboon und Anführer eines Flügels der buddhistischen Sekte Santi Asoke Chamlong Srimuang. Damit repräsentiert die PAD ein breites Spektrum thailändischer Organisationen und Verbände. Entsprechend verfügt sie über ein großes Mobilisierungspotential. In 2006 ist es der PAD mit Massendemonstrationen gelungen, den damaligen Regierungschef Thaksin Shinawatra in die Knie zu zwingen. Die Krise hatte zum Militärputsch geführt.

Im Zentrum der Angriffe der PAD stehen nun Samak Sundaravej und seine People's Power Party (PPP). Der Hauptvorwurf lautet, dass es sich um eine korrupte Marionettenregierung des ehemaligen Premiers Thaksin handelt. Die Wahlen im Dezember 2007 hatten nämlich die Kräfteverhältnisse, wie sie vor dem Militärputsch herrschten, wiederhergestellt. Die PPP hatte als Nachfolgepartei der Thaksinschen Thai Rak Thai einen klaren Wahlsieg errungen und eine Koalitionsregierung mit weiteren 5 Parteien gebildet. Die Rückkehr Thaksins nach Thailand und die Pläne der Regierung, die von der Militärregierung ausgearbeitete Verfassung zu ändern, hatten die PAD-Führer alarmiert.

Seitdem protestiert das Anti-Thaksin-Camp gegen jede Initiative und Entscheidung der Regierung. Die parlamentarische und außerparlamentarische Opposition konnte schon etliche Minister wegen fragwürdiger Entscheidungen zum Rücktritt bewegen. Thaksins Flucht nach London am 11. August schien zunächst die Voraussetzung zur Überwindung der politischen Krise geschaffen zu haben, zumal die PAD in Thaksin und seiner Politik die Ursache für die politische Krise der letzten Jahre sah. Die allgemeine Erwartung, dass Thaksins Flucht die politische Krise entspannen würde, hat sich jedoch nicht erfüllt. Im Gegenteil haben sich die Proteste der PAD verschärft. Das bedeutet, dass die politischen Krise über die Person von Thaksin hinausgeht. Das Anti-Thaksin-Camp strebt die Zurückerlangung seiner Machtstellung vor der Thaksin-Ära an. Es geht um die „Ent-Thaksinisierung“ des politischen Systems, in dem Thaksin tiefe Spuren hinterlassen hat.

„Neue Politik“ ist das Schlagwort der PAD. Das Land soll von Korruption befreit, eine neue effiziente politische Ordnung aufgebaut werden. Die führenden Köpfe der PAD glauben, dass Thailand, insbesondere die ländliche Bevölkerung aufgrund ihres niedrigen Bildungsstandes für eine Demokratie nach westlichem Standard nicht bereit ist.

Die Kernidee, die hinter dieser so genannten „Neuen Politik“ steckt ist, dass 70% des Repräsentantenhauses ernannt werden sollen. Wahlen sieht die PAD nur für die restlichen 30% der Vertreter vor. Wer oder welche Institution die Volksvertreter ernennen soll, ist nicht bekannt. Klar ist aber, dass damit die Rolle des Parlaments geschwächt und die der Bürokratie gestärkt wäre. Das von der PAD favorisierte politische System unterminiert somit zentrale Prinzipien der Demokratie und würde das Land hinter die halb-demokratischen Bestimmungen der Verfassung von 1932 zurückwerfen, mit der die konstitutionelle Monarchie eingeführt worden war.

Ursprünglich entstanden als demokratische Bewegung gegen eine autoritäre Herrschaft, versucht sich die PAD in den letzten Monaten als Hüter der Monarchie und Religion zu profilieren. Dabei läuft sie Gefahr, sich in eine anti-demokratische, rückwärtsgewandte, ultranationalistische Bewegung zu verwandeln. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Gewaltbereitschaft, die die PAD an den Tag legt, werden immer mehr Stimmen laut, die sich kritisch gegen die rechtswidrigen Aktionen der PAD äußern. Der thailändische Politikwissenschaftler Thitinan Pongsudhirak spricht sogar von der Tyrannei einer von der PAD angeführten Minderheit, die die Mehrheit der Wähler verachtet. Andere unterstellen der PAD den Versuch eines zivilen Putsches.

Die Machtlosigkeit der Regierung

Seit der Regierungsbildung steht die PPP unter Druck. Sie ist nicht nur der Opposition ein Dorn im Auge. Auch der überwiegende Teil der Medien ist regierungskritisch ausgerichtet und nimmt alle Regierungsentscheidungen unter die Lupe. Darüber hinaus werden Verfassungsorgane, die Kontrollfunktionen gegenüber der Regierung erfüllen, von Personen beherrscht, die nicht nur regierungskritisch sind, sondern auch den Militärcoup von 2006 befürwortet haben. Dazu gehören die Nationale Antikorruptionskommission, die Wahlkommission sowie das Verfassungsgericht. Die Wahlkommission hat an dem Tag, an dem die Regierung den Notstand über Bangkok verhängt hat, sich für die Auflösung der PPP entschieden und hat nun das Verfahren eingeleitet. Nun wird sich das Verfassungsgericht mit dem Auflösungsverfahren befassen.

Führende Mitglieder der PPP rechnen fest mit der Auflösung ihrer Partei und auch mit Politikverboten für die Funktionäre. In der Tat ist die Rechtslage relativ eindeutig. Nach Artikel 237 kann eine Partei aufgelöst werden, wenn ein Vorstandsmitglied Wahlbetrug begangen hat. Es gilt inzwischen als erwiesen, dass PPP-Funktionär Yongyut Tiyapairat in Stimmenkäufe involviert war. Auflösungsverfahren drohen auch für weitere zwei Koalitionsparteien.

Die Samak-Regierung ist eingepfercht zwischen den staatlichen Kontrollinstitutionen, Massendemonstrationen und gerichtlichen Verfahren. Dass sie kaum handlungsfähig ist, zeigt sich auch an ihrem Umgang mit den Protesten. Die Regierung musste tatenlos zusehen, wie das Regierungsgebäude, Ministerien und der staatliche Fernsehsender belagert werden. Gewerkschaften, die unter dem Einfluss der PAD stehen, haben Streiks ausgerufen, um durch „zivilen Ungehorsam“ die Regierung zusätzlich unter Druck zu setzen. Der Eisenbahntransport ist seit einigen Tagen lahm gelegt. Die Demonstranten haben zeitweise Flughäfen im Süden des Landes blockiert. Unterbrechungen der Strom- und Wasserversorgung in Bangkok sollen folgen.

Nach den ersten Straßenschlachten zwischen Regierungsgegnern und -unterstützern hat Premier Samak den Notstand über Bangkok verhängt. Damit ist der oberste Armeechef, General Anupong Paojinda mit der Aufgabe betraut, die Sicherheit in Bangkok zu gewährleisten. Das Notstandsgesetz sieht darüber hinaus ein Versammlungsverbot für mehr als 5 Personen vor. Die PAD zeigt sich unbeeindruckt. Denn General Anupong hat angekündigt, dass die Armee die Demonstrationen nicht auflösen wird. Sie sieht ihre Aufgabe in erster Linie darin, Zusammenstöße zwischen den rivalisierenden Gruppen zu verhindern. Der Konflikt müsse politisch gelöst werden. So scheint der Notstand nur von Regierungsanhänger Ernst genommen zu werden. Die aus dem Norden und Nordosten des Landes angereisten PPP-Anhänger haben Bangkok größtenteils wieder verlassen. Für die Regierung bedeutet die Untätigkeit der ihr nicht besonders freundlich gesonnenen Armee, dass sich der Druck auch unter dem Ausnahmezustand nicht vermindern wird.

Der Ausweg

Die politische Geschichte Thailands zeigt, dass in Krisensituationen der inzwischen seit über 60 Jahren amtierende König Bhumibol Adulyadeh die Entwicklungen maßgeblich beeinflusst. Diesmal hält sich der König zurück. Es gibt zwar keine offiziellen Stellungnahmen über die Audienz, die Premier Samak beim König hatte. Es kann vermutet werden, dass die Verhängung des Notstandes Resultat dieses Gespräches ist. Das bedeutet wiederum, dass der König nicht willens ist, Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen.

Die Geschichte Thailands lehrt auch, dass Ausbruch von Gewalt immer einen Regierungswechsel herbeiführt, meistens durch einen Putsch. Dies war bei Auseinandersetzungen in 1973, 1976 und 1992 der Fall. Premier Samak ist sich dessen bewusst und verzichtet daher auf gewaltsame Mittel. Das weiß aber auch die PAD und fordert die Regierung weiterhin heraus.

Wie geht es weiter? Premier Samak hat klar gemacht, dass er nicht zurücktreten wird. Er sieht sich als Repräsentant einer demokratisch gewählten und legitimierten Regierung und will sich der Kraftprobe mit der außerparlamentarischen Opposition stellen. Sein Rücktritt würde das Problem ohnehin nicht lösen, da die PAD eine PPP-geführte Regierung kategorisch ablehnt. Eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen bringen auch keine Lösung. PAD wird es nicht akzeptieren, wenn die PPP die Wahlen erneut gewinnt und die Regierung bildet. Umgekehrt könnten bei einer Wahlniederlage die Anhänger der PPP auf die Straßen gehen.

Der Premier spielt derzeit auf Zeit und hofft, dass die PAD an öffentlichem Zuspruch verliert. Durch Zurückhaltung versucht er die Unterstützung der Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Das Volk soll entscheiden. Entsprechend hat sich das Kabinett für ein Referendum ausgesprochen, mit dem die Entscheidung über die Lösung der Krise den thailändischen Bürgern überlassen werden soll. Ein Referendum dürfte aber weniger einer Versöhnung der verfeindeten Camps dienen, als vielmehr die politische Spaltung vertiefen.

Thailand steckt seit Jahren in einer Krise, aus der kein Ausweg erkennbar ist, solange die tiefer liegenden Ursachen nicht politisch angegangen werden. Seit 2005 gab es drei Wahlen, zwei Parlamentsauflösungen, drei Parteienverbote, einen Putsch und eine neue Verfassung. Das bedeutet, dass Konflikte auf Kosten der Demokratie ausgetragen werden.

Auch im aktuellen Konflikt steht die demokratische Entwicklung des Landes auf dem Spiel. Entweder darf weiterhin der politische Wille des Volkes über die Regierung entscheiden oder Thailand wird einen Wandel in Richtung eines autoritären Systems durchmachen. Insofern scheint für die langfristige demokratische Entwicklung des Landes das Überleben der Samak-Regierung wichtig. Zugleich müssten die rivalisierenden politischen Lager die rechtsstaatlichen Prinzipien respektieren und der Justiz die Möglichkeit zugestehen, die laufenden Verfahren gegen die PPP abzuschließen. Der Ausweg aus der Krise ist nur möglich, wenn der Rechtsstaat funktioniert.

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20. August 2008
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