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Veranstaltungsberichte

Organisierte Kriminalität

von Steven Bickel

Clanstrukturen und Mafiaorganisationen als Gefahren für die Innere Sicherheit

Organisierte Kriminalität (OK) in ihren verschiedenen Ausprägungen, Aktivitäten und Folgen wird in den vergangenen Jahren verstärkt medial und öffentlich diskutiert. Das Thema ist für die öffentliche Debatte von hohem Interesse, weil die Wahrnehmung organisierter Kriminalität das Rechtsempfinden und Rechtsbewusstsein der Bevölkerung empfindlich beeinflusst. Wenn staatliche Akteure nicht in der Lage sind, oder nicht ausreichend in die Lage versetzt werden, OK zu bekämpfen und internationale Verbrechen im Zusammenhang mit OK zu sanktionieren, kann dies zu einem tiefgreifenden Autoritätsverlust des Staates führen.

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Organisierte Kriminalität in ihren verschiedenen Ausprägungen, Aktivitäten und Folgen wird in den vergangenen Jahren verstärkt medial und öffentlich diskutiert. Das Thema ist für die öffentliche Debatte von hohem Interesse, weil die Wahrnehmung Organisierter Kriminalität (OK) das Rechtsempfinden und Rechtsbewusstsein der Bevölkerung empfindlich beeinflusst. Wenn staatliche Akteure nicht in der Lage sind, oder nicht ausreichend in die Lage versetzt werden, OK zu bekämpfen und internationale Verbrechen im Zusammenhang mit OK zu sanktionieren, kann dies zu einem tiefgreifenden Autoritätsverlust des Staates führen.


Aus diesem Grund hat sich das Politische Bildungsforum Thüringen der Konrad-Adenauer-Stiftung – auch im Rahmen des Kernthemas „Sicherheit“ – am Abend des 20. Februars 2020 zwei zentrale Themenbereiche innerhalb des großen Komplexes der OK herausgenommen, um diese mit interessierten Bürgern vor Ort zu diskutieren. Dabei wurden die deutschlandweit häufig diskutierte Erscheinungsform der Clankriminalität mit der besonders auch in Mitteldeutschland und dem Freistaat Thüringen auftauchenden OK innerhalb von Mafiastrukturen gewählt, um verschiedene Perspektiven aufzuzeigen. Neben einer Bestandsaufnahme sollte auch die Bekämpfung von Strukturen Organisierter Kriminalität erörtert werden.


Nachdem bereits die Veranstaltung am Vortag in Erfurt auf eine hohe Resonanz gestoßen war, zeigte sich auch in Eisenach ein großes Interesse an der Thematik. Mit Peter Alexander Meißner, Vorsitzendem des Landesverbandes Sachsen-Anhalt des Bundes der Deutschen Kriminalbeamten und Experten zur Clankriminalität, dem MDR-Investigativjournalisten Ludwig Kendzia und dem Leitenden Kriminaldirektor und Leiter der Abteilung Ermittlungen und Auswertung beim Landeskriminalamt (LKA) Thüringen, Peter Hehne, war das Podium mit Experten verschiedener Fachrichtungen besetzt. Die Moderation der Veranstaltung übernahm der Landtagsabgeordnete Raymond Walk.


Steven Bickel, Referent für Politische Bildung im Politischen Bildungsforum Thüringen der KAS, eröffnete den Abend mit einigen einleitenden Worten und stellte die Gesprächspartner auf dem Podium vor und übergab das Wort an den Vertreter des Landeskriminalamtes Thüringen.


Der Leiter der Abteilung Ermittlungen und Auswertung beim LKA ging das Phänomen der OK zunächst definitorisch an und verwies auf die langwierigen Findungsprozesse innerhalb des föderalen Systems. Nach den ersten Definitionen in den 1990er Jahren sei es inzwischen besser gelungen, gegen Strukturen der OK vorzugehen. Als Beispiel verwies er auf die Projektgruppe gegen russisch-eurasische OK FATIL (Fight against thieves in law), die in einer Bund-Länder-Kooperation und unter Beteiligung aller notwendigen Behörden ab 2015 stattfand.


Von der allgemeinen OK mit dem Phänomenbereich der Mafiaorganisationen trennte Hehne defi-nitorisch den Bereich der Clankriminalität ab. Clankriminalität sei in Thüringen zwar derzeit kein Problem, dennoch seien die Sicherheitsbehörden wachsam, damit sich derartige Strukturen überhaupt nicht bilden können. Clankriminalität sei nicht zu unterschätzen, weil Mitglieder krimineller Familienclans darauf hinwirken würden, dass der Staat ihnen gegenüber keinerlei Sanktionen mehr verhänge. Es kommt in diesem Phänomenbereich daher oft zu Bedrohungen wegen Nichtigkeiten, mit dem Ziel staatliche Institutionen und Mitarbeiter unter Druck zu setzen und den Staat aus den selbstgeschaffenen Strukturen, einer Paralleljustiz und Parallelgesellschaft, herauszuhalten.


Als Lösungsansatz staatlicher Stellen sei nur ein „Null-Toleranz-Ansatz“ möglich. Dabei sei es nötig, dass verschiedene Behörden miteinander arbeiten (Administrative Approach). So könne durch die bestmögliche Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen auch die Problematik gefälschter Identitäten angegangen werden. Identitätsfälschung – so Hehne – sei in den letzten Jahren zu einem Problem mit einem enorm hohen Schadenspotential geworden. Pro Person sei ein Schaden zwischen 50.000 und 60.000 Euro möglich, der vor allem durch (Sozial-)Betrug zusammenkomme. Generell verwies Hehne allerdings darauf, dass OK in Thüringen zurzeit vor allem im Bereich der russisch-eurasischen OK im Fokus stehe. Dennoch sei darauf hinzuweisen, dass im Bereich der OK die meisten Täter deutsche Staatsangehörige seien.


Seinen Vortrag schloss der Vertreter des LKA mit einem Blick auf Faktoren, welche dem Kampf gegen die OK im Wege stehen. Hierunter fallen: immer komplexere Verfahren, eingeschränkte Möglichkeiten der technischen Überwachung, das Fehlen eines „Mafiaparagraphen“ im deutschen Strafrecht, fehlende personelle Ressourcen und finanzielle Ausstattung sowie die notwendige Klärung zum Umgang mit vorhandenen, rechtlich möglichen Instrumenten. Außerdem sei auch die Konfliktverteidigung als Problem zu benennen, durch die Prozesse unnötig und strategisch in die Länge gezogen werden. Mit Blick auf die Politik und die EU wünschte sich Hehne eine Diskussion über die Einführung eines Mafiaparagraphen sowie die weitere Harmonisierung europäischer Polizeien, Strafverfolgungsbehörden und der Justiz.


Der Clanexperte Peter Alexander Meißner führte zur Orientierung für das Auditorium zunächst einige wichtige Kennzahlen aus dem Bundeslagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) zur OK und zum Subthema Clankriminalität ein. Gestützt durch Folien konnte er erste Eindrücke zum Hellfeld, also zum polizeibekannten Ausmaß der OK, und wichtige Unterscheidungskriterien sowie Formen der OK geben. Er verwies dabei auch auf die dringend nötige Sicht, dass verschiedene Formen der Kriminalität nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden sind.


Mit dem Fokus auf die Clankriminalität verwies Meißner unter anderem auf die Hauptaktionsfelder kriminell agierender Clans, unter denen mit knapp einem Viertel der erfassten Fälle vor allem der Bereich der Betäubungsmitteldelikte heraussticht. Ebenso wurden aus dem Bundeslagebild des BKA 2018 die Staatsangehörigkeiten der bekannten Clanmitglieder in die Debatte eingebracht. Für die Bekämpfung der OK, so Meißner, müsste weiterhin an den Bekämpfungsstrategien gearbeitet werden. Unter diesen stechen vor allem die Stärkung der Möglichkeiten und der Anwendung von Vermögensabschöpfungen sowie die stärkere und effizientere internationale und europäische Vernetzung von Sicherheitsbehörden hervor. Die Aktionsbefugnisse im Bereich der Kriminalität – gegenüber international agierenden, kriminellen Netzwerken und Strukturen – sei noch zu stark bei den Nationalstaaten angesiedelt. Hier müsse die Europäische Union dringend weiter am Aufbau ihrer Strukturen und Kompetenzen arbeiten.


Den inhaltlichen Abschluss der Impulsreferate gestaltete der Journalist Ludwig Kendzia. Kendzia ist Teil eines Recherchenetzwerks von Investigativjournalisten, das seit 2015 immer wieder neue Erkenntnisse zu den Aktivitäten der Mafia in Thürigen veröffentlicht. Mit einer kurzen Anekdote aus dem Thüringer Landtag von 1997 unterstrich der Journalist, dass das Thema lange Zeit politisch und staatlich kaum ernst genommen wurde. Dabei seien nachweislich schon 1993 erste Immobilienkäufe der italienischen Mafiaorganisation `Ndrangheta in Erfurt zu verzeichnen gewesen. Anschließend berichtete Kendzia über einige Erkenntnisse zur „Erfurter Gruppe“. Diese sei nicht von Journalisten so genannt wurden, sondern werde ganz offiziell in italienischen Ermittlungskreisen als solche bezeichnet. Bei seinen Ausführungen unterstrich er, dass Mafiastrukturen in Mitteldeutschland keineswegs auf eine Stadt beschränkt seien. Vielmehr müsse die Struktur in ganz Deutschland gesehen werden – so sei im Zusammenhang mit den Mafiamorden in Duisburg 2007 eine enge Verbindung mit der Erfurter Gruppe festzustellen. Thüringen, so Ludwig Kendzia, ist dabei nicht für Drogengeschäfte interessant, sondern vor allem als Rückzugsraum zur Geldwäsche ein wichtiger Standort. Um die Bedeutung und Größe der italienischen Mafiaorganisationen zu verdeutlichen, brachte Kendzia die geschätzten Gewinne der `Ndrangheta in das Gespräch ein. So werde geschätzt, dass die kalabrische Mafiaorganisation insgesamt pro Jahr etwa soviel Umsatz zu verzeichnen habe, wie der deutsche Autokonzern „Audi“. Experten gehen davon aus, dass dieser Umsatz bei 50 bis 70 Milliarden Euro pro Jahr zu beziffern ist.


Gegenüber den deutschen Sicherheitsbehörden sei die italienische Polizei und Justiz, bedingt durch die längere Vorgeschichte mit OK-Organisationen, deutlich besser mit Werkzeugen gegen Mafiastrukturen ausgestattet. Besonders sei der „Mafiaparagraph“ im italienischen Strafrecht zu nennen, der die Mitgliedschaft in einer Mafiaorganisation unter Strafe stellt. Einen vergleichbaren rechtlichen Hebel gäbe es in Deutschland nicht.


In einem zweiten Teil seines Impulses ging der Referent auf die russisch-eurasische OK ein. Hierunter fallen laut Definition des BKA verschiedene russischsprachige, kriminelle Netzwerke. Seit 2014 sei öffentlich bekannt, dass in Thüringen Aktivitäten der armenischen Mafia zu verzeichnen sind. Anhand eines komplexen Schaubildes konnte Kendzia die engen Verstrickungen in diesem Millieu zeigen und unterstrich die Rolle der sog. „Diebe im Gesetz“, welche in der russisch-eurasischen OK eine den „Paten“ vergleichbare Rolle einnehmen. Als wichtige Frage stellte Kendzia in den Raum: Welche Auswirkungen wird das auf uns als Gesellschaft haben, bzw. welche Folgen sind bereits zu verzeichnen. Hierbei verwies der Journalist vor allem auf die Immobilienpreise, die stark durch kriminell erwirtschaftetes Geld getrieben seien.
Der Landtagsabgeordnete Raymnond Walk leitete nach den eingehenden Darstellungen zu einem Gespräch mit dem Publikum über. Gefragt wurde unter anderem nach den tatsächlichen Verurteilungen in OK-Verfahren sowie der Größe des Dunkelfeldes. Ebenso interessierten sich die Gäste der Veranstaltung für die Gründe, die zur personellen Schwäche der Polizei in Thüringen und im Bund geführt haben. Darüber hinaus interessierten sich die Zuhörer für Fragen der wirtschaftlichen Stärke von OK-Organisationen und ob diese es schaffen würden, durch ihre wirtschaftlichen Potenziale Einfluss auf die Politik und Gesellschaft zu gewinnen. Im Zwiegespräch mit dem Publikum wurde auch diskutiert, ob der Staat überhaupt noch in der Lage sei, OK und Clankriminalität überhaupt noch in den Griff zu kriegen. Aus dem Publikum kam hierbei Unterstützung für die Argumentation, dass dies nur durch eine enge europäische und internationale Vernetzung der Sicherheitsbehörden möglich sei.

Im Anschluss an das Gespräch mit dem Publikum beendeten Raymond Walk als Moderator und Steven Bickel vom Politischen Bildungsforum Thüringen die Veranstaltung mit einigen abschließenden Worten und der Einladung zu weiteren Veranstaltungen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Thüringen.

 

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