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Senat ratifiziert den Lissabonner Vertrag

von Dr. Hubert Gehring, Tomislav Delinić

Unterschrift von Präsident Klaus fehlt noch

Mehr als sieben Stunden dauerte die entscheidende Sitzung bis das Ergebnis bekannt wurde: Der tschechische Senat hat den Lissabonner Vertrag ratifiziert. Damit ist die zweite Verfassungshürde genommen. Bereits im Februar 2009 hatte das Abgeordnetenhaus dem Vertragswerk zugestimmt. Nun setzten sich im Senat die Europragmatiker und –befürworter durch und konnten eine Mehrheit von 54 zu 20 Stimmen erreichen (5 Enthaltungen). Die deutliche Abstimmung zugunsten des Vertrages läßt dabei Spielraum für Spekulationen, denn eigentlich galt gerade die ODS-Fraktion im Senat als Europaskeptisch.

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Die Klage gegen das Vertragswerk vor dem tschechischen Verfassungsgericht wurde von dieser Fraktion eingereicht und auch nach dem Scheitern der Klage spekulierten Beobachter darüber, ob einzelne Senatoren nicht erneut eine Beschwerde vor dem Gericht einbringen könnten, was auch nach einer Ratifizierung im Senat noch nicht ganz ausgeschlossen ist. Fakt ist: Das Parlament hat dem Vertrag zugestimmt, obwohl es lange Zeit nicht so aussah.

Wie ist das zu erklären?

Sieg der Pragmatiker in der ODS

Nach den Turbulenzen in der ODS im Umfeld der heftigen Niederlage bei den Regionalwahlen im Herbst 2008 und dem kurz darauf statt findenden Parteikongreß in Prag, sehen Experten im pragmatischen Kurs Richtung Europa die starke Handschrift des Parteichefs Mirek Topolanek. Nachdem sich der Parteigründer und Staatsgründer Vaclav Klaus auf dem Parteitag von der ODS verabschiedet hatte („Ich erkenne die Partei nicht wieder“), setzt sich nun der Topolanek-Flügel immer weiter durch. Nach dem Ausscheiden des „Euro-Dissidenten“ Vaclav Klaus hat der 54-jährige Topolanek mehr Freiraum in der Partei und, obwohl er selbst noch zu Amtsantritt als Premierminister im Januar 2007 eine recht zurückhaltende Haltung zum Thema Europa hatte, ist das jetzt anders. Es hat den Anschein, die ODS ist Europapolitisch erwachsener geworden.

Anti-Klaus-Effekt im Tschechischen Senat

Spätestens seit Beginn der EU-Ratspräsidentschaft im Januar 2009 und des ad-hoc Krisenmanagements in Russland und Gaza hat Tschechien begriffen, dass es in Europa eine Rolle spielt und spielen muss. Zuvor noch als Tabu-Themen behandelte Fragen wie die Euro-Einführung oder der Lissabonner Vertrag wurden fortan offen zwischen ODS-Vertretern diskutiert und von höchsten Stellen in der Partei gefördert – in der Ära Klaus noch undenkbar. Der Flügel des einstigen Partei-Gründers Klaus verlor zunehmend an Boden und musste noch eine weitere Schlappe hinnehmen: Das Verhalten des Staatspräsidenten während der aktuellen Regierungskrise. Nachdem die Opposition Mirek Topolanek als Premier Ende März stürzte (siehe Länderbericht), verhielt sich der Präsident zögerlich und übergab nicht dem Vorsitzenden der stärksten Fraktion im Abgeordnetenhaus das Mandat zur Regierungsbildung – Mirek Topolanek – sondern liess verlauten, er würde denjenigen ernennen, der ihm eine Mehrheit von 101 Stimmen im 200 Sitze-Parlament Tschechien garantieren könne: Für viele ODS-Abgeordnete ein Affront. Ist die Zustimmung der Europaskeptischen Senatsabgeordneten der ODS damit eine „Retourkutsche“ für den Staatspräsidenten? Das kann bejaht werden.

Unterschreibt Klaus jetzt auch?

Fakt ist: Das Parlament hat ratifiziert. Laut Verfassung ist der Staatspräsident die finale Instanz im Ratifzierungsprozeß: „Der Präsident verhandelt und ratifiziert internationale Verträge“, heißt es in Artikel 63. Doch wie bereits in anderen Fragen zuvor, zeigt sich die 1992 erlassene Verfassung interpretationsfreudig. Rechtsexperten sind sich bisher nicht vollends einig darüber, welche Rolle die Unterschrift des Präsidenten für die Gültigkeit des Dokuments hat. Hierbei suchen Experten gar nach Präzedenzfällen aus der Zeit der Ersten Republik (1918-1938), um Aufschluss über das weitere Vorgehen zu bekommen. Laut letzter Interpretationen kann der Präsident die Ratifizierung nicht grundsätzlich ablehnen, aber zumindest durch Verweigern der Unterschrift zeitlich aufhalten – und zwar auf unbestimmte Zeit.

Präsident Klaus steht unter Druck

Wie aber wird sich Vaclav Klaus jetzt verhalten? Noch im Februar hatte er im Anschluß an die gescheiterte Verfassungssklage in einer ersten Stellungsnahme verkündet, er werde sich als Staatspräsident nicht als einziger gegen Lissabon stemmen, falls zuvor der Senat und das Abgeordnetenhaus zugestimmt haben. Dies ist nunmehr geschehen. Der Ball liegt jetzt beim Präsidenten. Und der Druck auf ihn ist erheblich, nicht zuletzt durch ihn selbst. Seit Beginn der Diskussionen um den Ratifizierungsprozeß hat sich der 67-jährige vehement gegen den Vertrag gestellt. „Seine“ ODS spaltete sich anhand dieser Frage in zwei Lager – Euroskeptiker und Pragmatiker. Vaclav Klaus zog als Verlierer aus dem ODS-internen Kampf davon: Sein Kandidat Pavel Bem ging in der Wahl zum Parteivorsitzenden im Dezember 2008 gegen den Pragmatiker Mirek Topolanek regelrecht unter. Und auch der Sturz als Premier scheint Topolanek parteiintern nicht ins Wanken gebracht zu haben. Fortan suchte sich Vaclav Klaus neue Verbündete: Der irische Millionär und Libertas-Gründer Declan Ganley stand für öffentlichkeitswirksame Termine bereit. Der politische Klaus-Ziehsohn und Vorsitzende des Vaclav Klaus nahestehenden Think-Tanks CEP, Petr Mach, gründete gar die Partei SSO – um die „verweichlichte“ ODS (Mach) mit hartem Kurs anzugreifen. In der Bevölkerung genießt der Staatspräsident laut einer aktuellen Umfrage weiter Rückhalt: 60 Prozent der Bürger vertrauen dem als charismatisch geltenden Vaclav Klaus – ein Spitzenwert, sieht man dagegen die 28 Prozent Zustimmung zur Arbeit des Parlaments.

Wohin führt der Weg Tschechiens?

Auf der anderen Seite hat die Europäische Union im Ansehen der Bürger zunehmend Boden gutgemacht – zum Unwillen Vaclav Klaus. Die Ratspräsidentschaft hat den Tschechen gezeigt: Europa braucht Tschechien, und Tschechien braucht Europa. Die Vergangenheit macht es einigen Tschechen nicht leicht, ohne Skepsis gegenüber Europa aufzutreten. Doch rieben sich viele Tschechen die Augen, als in den angesprochenen Krisensituationen Anfang des Jahres (Gaskrise, Gazakrise) es auch tschechische Politiker waren die bei der Lösungssuche im Blickpunkt standen. Das passte plötzlich nicht mehr zum Europaskeptischen Bild, das in Tschechien über Jahre geprägt wurde. Tschechien hatte plötzlich eine Stimme in der Union und die älteren und v.a. größeren Mitgliedsstaaten agierten als Partner. So wie die ODS europapolitisch durch eine Weiterentwicklung geht, zeigt sich auch die tschechische Bevölkerung zunehmend offen in Richtung Europa. Die Euphorie rund um die ersten Wochen der Ratspräsidentschaft war bemerkenswert, das Interesse an Veranstaltungen, Themen und Publikationen zu Europa nahm zu. Jetzt liegt es nicht zuletzt an Vaclav Klaus, zu bestimmen, wohin der Weg führt. Der Ratifizierungsprozeß des Lissabonner Vertrags ist letztendlich auch eine Art Richtungsentscheidung für Tschechien. Und das junge EU-Mitgliedsland zögert, wie ein Wanderer an einer Weggabelung: Führt der Weg gen Westen? Und wenn nicht, wohin dann? Beobachter und Journalisten in Tschechien spekulieren bereits über die Bedeutung der guten Beziehungen des Staatspräsidenten zu Russland. Ein Fingerzeig? Vaclav Klaus hat es in der Hand aber zugleich auch keine wirkliche Wahl. Nach einigem medienwirksamen Zaudern und Zögern, vielleicht bis nach dem zweiten Referendum in Irland, wird er unterscheiben.

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6. April 2009
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