Länderberichte
An den Tagen nach der Bekanntgabe überwog im Kongress und bei Beobachtern aus Medien und Think Tanks die Skepsis. Dies verdeutlicht, dass die Befürworter, allen voran Präsident Obama und Außenminister Kerry, besondere Anstrengungen unternehmen müssen, um Skeptiker und Kritiker zu überzeugen. Insbesondere gilt dies für den Kongress, der innerhalb von 60 Tagen, d.h. nach der Sommerpause abstimmen wird. Die Stimmung in den Wahlkreisen dürfte dann Einfluss haben. Der beginnende Präsidentschaftswahlkampf wird diesen Meinungsbildungsprozess ebenso beeinflussen – bisher hat sich kein Republikaner gefunden, der die mit dem Iran erzielte Vereinbarung öffentlich unterstützt. Die Reaktionen der Israel unterstützenden Organisationen spielen dabei eine besondere Rolle in der öffentlichen Meinungsbildung, weil Mitglieder des Kongresses, vor allem die zur Wahl anstehenden Abgeordneten und Senatoren, auf sie Rücksicht nehmen müssen.
Der US-Kongress hat in Bezug auf das Abkommen nur eine eingeschränkte Machtposition. Der „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA), der am 14. Juli in Wien unterzeichnet wurde, ist ein Abkommen auf exekutiver Ebene und kann nicht im US-Kongress verändert werden. Er steht deshalb auch nicht wie völkerrechtliche Verträge im US-Senat zur Ratifizierung zur Abstimmung, sondern wird in den Ausschüssen und öffentlichen Anhörungen nun geprüft und diskutiert, auf den Grundlagen des Iran Nuclear Agreement Review Act. Für eine Prüfung hat der Kongress 60 Tage Zeit. Nach dieser Phase kann die Wiener Vereinbarung zur Abstimmung gestellt werden. Sollte es dann zu keiner zustimmenden Mehrheit kommen, kann der US-Präsident sein Veto einlegen, welches nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit in einem der beiden Häuser überstimmt werden kann. Erst dann kann JCPOA umgesetzt werden, d.h. der Präsident die gegen den Iran verhängten und im Abkommen definierten Sanktionen aufheben.
Ziele der Diplomatie
Barack Obama hat in einer Pressekonferenz nach dem Abschluss der Verhandlungen schnell klar gestellt, was das alles überragende und letztlich entscheidende Ziel seiner Diplomatie war – den Iran an einer Nuklearwaffe zu hindern. Dieses Ziel sei erreicht worden. Es diene sowohl den sicherheitspolitischen Interessen der USA als auch denjenigen der Verbündeten in der Region mehr, als wenn kein Abkommen hätte erzielt werden können, so Obama. Ohne das Abkommen gäbe es nach wie vor viele Möglichkeiten („pathways“) für den Iran, erfolgreich nach einer Atombombe zu streben. Mit der Einigung hingegen sei eine Überwachung („monitoring“) und Prüfung („verification process“) vereinbart worden, der die Rolle der Atomenergiebehörde IAEA stärke, etwa bei der Identifizierung möglicher verdeckter Nuklearprogramme. Der Präsident betonte, dass das „Versprechen“ dieses Deals allerdings nun nur durch Wachsamkeit bei der Implementierung in den nächsten Jahren eingelöst werden könne.
Andere Wunschergebnisse hätten diesem Ziel untergeordnet werden müssen. Die Differenzen zwischen Iran und den USA auf anderen Feldern blieben bestehen. Obama nannte hier die Unterstützung terroristischer Gruppen durch das Ayatollah-Regimes.
Die anderen Herausforderungen in der Region hätten sich mit einer Atommacht Iran eher vergrößert, so der Präsident. Es sei also nicht logisch, nur deshalb kein Abkommen anzustreben, weil die anderen Differenzen nicht ausgeräumt werden konnten. Außerdem hätten die Kritiker, allen voran der israelische Regierungschef Netanyahu, bisher keine überzeugende Alternative vorlegen können.
Besonders beachtet wird in den USA, dass Präsident Obama auch ausdrücklich auf die konstruktive Hilfe Russlands bei den Verhandlungen verwiesen hat. Dies wird bewertet als wichtiger Hinweis auf die Möglichkeit, auch in anderen Fragen mit Russland zusammenarbeiten zu können, etwa in Bezug auf Syrien.
Grundsätzliche Kritik der Präsidentschaftskandidaten
Ob man mit dem Iran überhaupt ein tragbares Abkommen eingehen kann ist in Washington nach wie vor höchst umstritten. In einer Atmosphäre politischer Polarisierung in Washington und anderthalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen ist wenig Platz für Zwischentöne zwischen den Extrempositionen "historische Vereinbarung" und "historischer Fehler. Besonders Obama-freundlich kommentierte z.B. das Center for American Progress, das im Abkommen das bestmögliche Ergebnis für die USA und ihre Partner sieht. CAP attestiert dem Abkommen zudem den besten Weg, einen nuklear bewaffneten Iran zu verhindern.
Besondere Beachtung fanden die Stellungnahmen aus dem Lager der republikanischen Präsidentschaftskandidaten, nachdem die demokratische Favoritin Hillary Clinton das Ergebnis als wichtigen Schritt bezeichnete und damit dem Präsidenten beisprang.
Einige Bewerber wie der ehemalige Gouverneur Mike Huckabee unterstellen dem „evil Iranian regime“ feindliche Absichten, vor allem mit Bezug auf Israel. Auch US-Senator Lindsey Graham hatte Israel im Blick und argumentierte, dass der „weit schlechtere Deal als er es sich jemals erträumt habe“ einer Kriegserklärung gegenüber Israel ähnelte. Jeb Bush bewertete das Ergebnis als „sehr mangelhaft und kurzsichtig“, Scott Walker sprach von einem der schlimmsten diplomatischen Versagen Amerikas, kurz – an starken Worten mangelte es in diesen Reaktionen nicht.
Generell wird bei der inhaltlichen Bewertung der Vereinbarung in den Zeitungskommentaren auf historische Ereignisse wie den Verhandlungen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow verwiesen, oder auch die Annäherung zwischen China und den USA unter Richard Nixon, und die Unterschiede zwischen diesen diplomatischen Anstrengungen werden herausgearbeitet – etwas, was Historiker und Politologen noch länger beschäftigen dürfte.
Detailfragen der Vereinbarung
Bei aller Vorsicht mit historischen Vergleichen sind sich die meisten Beobachter einig, dass es auf den Prozess der Möglichkeit der Prüfung vor Ort, also auf die „verification requirements“ und das Monitoring, die der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA im Vertragswerk bescheinigt werden, ankommen wird. Für Kritiker klingt das erzielte Monitoring „where necessary, when necessary“ abgeschwächter als das ursprünglich zugesagte „anywhere, anytime“, wie es der Kolumnist David Ignatius in der Washington Post ausdrückte. Bei aller Erfahrung, die die Experten des IAEA an den Tag legen könnten, sei dieser „managed access“ doch sehr kompliziert, auch wenn weder Russland, China noch der Iran gewünschte Inspektionen blockieren können. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass keine amerikanischen Teilnehmer bei den Inspektionsteams zugelassen werden. So kommt der Kommentator Michael Gerson in der Washington Post zum Ergebnis, das Verhandlungsergebnis als „leichtsinnige Wette“ des Präsidenten zu bezeichnen. Andere, wie der frühere Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium Eric Edelman und der Senior Fellow am Council on Foreign Relations Ray Takeyh, variieren diese Kritik und fordern Nachverhandlungen zum JCPOA. Ähnlich gemischte Gefühle werden den Vereinbarungen zur Aufhebung des Waffen-Embargos nach fünf Jahren entgegengebracht, was von manchen als besonderer Schwachpunkt der Vereinbarungen benannt wird.
In der Tat weisen Beobachter darauf hin, dass alleine die Komplexität des Verhandlungsergebnisses dieses „Turnens am diplomatischen Hochreck“, wie ein erfahrener ehemaliger Diplomat meinte– rund 150 Druckseiten – dafür spricht, dass, was das Atomprogramm des Iran angeht, viel mehr geregelt und vereinbart werden konnte als ursprünglich erhofft, was die Prüfung und Interpretation umso langwieriger macht.
Der Nahostexperte und langjährige Diplomat Dennis Ross, der in den letzten 20 Jahren federführend bei mehreren Verhandlungsrunden in Nahost beteiligt war, verweist in seiner Analyse auf die gute („a plutonium pathway to a bomb is essentially blocked“) und die schwierige Seite („the deal will legitimize the Islamic Republic as a threshold nuclear state“) des Ergebnisses. Ebenso verwies er, wie auch andere Beobachter, auf die Möglichkeit, dass nach dem Aufheben der Sanktionen der Iran Verbündete in der Region wie Hizbullah finanziell stärker unterstützen kann. Dies würde weitere Konflikte und Aggressivität einzelner Gruppen ermöglichen. Allerdings betont Dennis Ross bei allen Schwierigkeiten („vulnerabilities“) von JCPOA auch, dass gerade die Gegner und Kritiker erläutern müssten, was denn die andern Optionen und realistischen Alternativen wären. Er erinnerte in seiner Analyse daran, dass sich auch die diplomatischen Partner, also die Vetomächte und Deutschland, in diesen Verhandlungen engagiert hätten und der Kongress dann gegenüber diesen Bündnispartnern in Erklärungsnot sei, falls er das Ergebnis ablehne. In der Tat sei es in dieser doch recht komplexen Gemengelage wohl so, dass etwa die Europäische Union anders über das Aufheben der Sanktionen urteilten könnte als der US-Kongress, was zu weiteren Schwierigkeiten in der internationalen Zusammenarbeit führen könne. Der UN-Sicherheitsrat hatte bereits die Aufhebung der UN-Sanktionen beschlossen.
Kritiker stellen zudem die Frage, wie das Abkommen in eine größere Strategie für die Region eingebettet sei. Nach weit geteilter Meinung führt das Abkommen mit dem Iran zu einer Neuordnung im Nahen Osten nach jahrzehntelanger wirtschaftlicher Isolation des Iran. So nannte die New York Times in einem Leitartikel die über das Abkommen hinausgehenden Aufgaben: Verbesserung der Beziehungen zu Israel und Partnern wie dem sunnitisch geführten Saudi-Arabien, aber auch grundlegende Fragen wie die Verbesserung der Menschenrechtslage in der Region, die Ablösung erstarrter autoritärer Regime, und die Vermeidung weiter Konflikte.
Reaktion jüdisch-amerikanischer Organisationen
Eine besondere Rolle in den Analysen nimmt die Frage ein, wie das Abkommen mit dem Iran von den jüdisch-amerikanischen Organisationen bewertet wird. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Politik, insbesondere auf die Abstimmung im Kongress. So wird etwa das Abstimmungsverhalten des jüdischen US-Senators Charles „Chuck“ Schumers besonders beobachtet, der zudem in seinem Heimatstaat New York eine starke jüdische community hat. Schumer ist im Gespräch für die Nachfolge des demokratischen Minderheitsführers im Senat, Sen. Harry Reid. Auch auf die wichtige Positionierung von Steny Hoyer, dem demokratischen Minderheitenführer im Repräsentantenhaus und ausgesprochenen Israel-Unterstützer, dürften jüdische Organisatinen Einfluss haben.
Einige der einflussreichen jüdisch-amerikanischen Organisationen, die dem Schicksal Israels besonders verbunden sind, haben bereits breite Ablehnung geäußert und beginnen sich auch in Kampagnen zu engagieren. So hat das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) die Organisation Citizens for a Nuclear Free Iran gegründet, die nun eine nationale Kampagne gegen den Deal starten soll.
Auf der anderen Seite gibt es unter jüdischen Organisationen auch Zustimmung. J Street etwa hat eine Kampagne zur Unterstützung des Abkommens angekündigt. Diese Organisation hat jedoch bei weitem nicht den Einfluss wie etwa AIPAC. Andere jüdische Gruppen halten sich (noch) bedeckt.
Welche Richtung auch immer die Diskussion nehmen wird, die Beobachter sind sich darin einig, dass viele Auswirkungen der Vereinbarung erst in einigen Jahren sichtbar werden. Erst dann kann nach Beobachtern wie Jon Wolfsthal, Senior Director Nonproliferation and Arms Control des Nationalen Sicherheitsrates eingeschätzt werden, ob das Abkommen im Interesse der Sicherheit der USA ist.