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„Alliance Revitalized“ -

DIE ROLLE DER NATO ALS INTERNATIONALE INSTITUTION UND INNERHALB DER TRANSATLANTISCHEN BEZIEHUNGEN BEDARF MITTELFRISTIG EINER NEUEN STANDORTBESTIMMUNG, SIND SICH EXPERTEN BEIDER SEITEN DES ATLANTIKS EINIG. FÜNF ETABLIERTE THINK TANKS AUS DEN USA HABEN SICH IM „WASHINGTON NATO PROJECT“ ZUSAMMENGETAN UND NUN EINE STUDIE ZUR ZUKUNFT DES NORDATLANTIK-BÜNDNIS VERÖFFENTLICHT.

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Unter Führung des Center for Transatlantic Relations (CTR) arbeiteten German Marshall Fund (GMF), Atlantic Council (AC), das Center for Strategic and International Studies (CSIS) und das Center for a New American Security (CNAS) seit Herbst 2015 an einer gemeinsamen Studie. Ziel war es, die aktuellen Herausforderungen der NATO in ihrer internationalen Gesamtheit darzustellen und daraufhin Ideen zu sammeln, wie das Transatlantische Bündnis sowie die Rolle der NATO in der Zukunft neu ausgerichtet und gestärkt werden können.

Am 27. April 2016 diskutierten die Think Tanks die Ergebnisse im Rahmen der veröffentlichten Studie mit zahlreichen Experten aus den eigenen Reihen sowie Gästen vom US-Außenministerium, dem NATO-Hauptquartier in Brüssel und dem US-Verteidigungsministerium. In Anbetracht des anstehenden NATO Gipfels in Warschau, der am 8./9. Juli alle Staats- und Regierungschefs des Bündnisses in der polnischen Hauptstadt zusammenbringt, war auch der polnische Botschafter,Ryszard Schnepf, anwesend und begrüßte die Anreize der Studie.

Strategien für „Osten“ und „Süden“

Bereits im November 2010 hatte die NATO in Lissabon unter dem Titel "Aktives Engagement, Moderne Verteidigung" ein neues Strategiepapier veröffentlicht und daraufhin versucht, sich effektiv mit neuen Fähigkeiten und Partnern gegen neue Bedrohungen in der sich wandelnden Welt einzustellen. Angesichts des dynamischen Wandels, den die globale Lage seitdem erfahren hat, ist die NATO umso mehr von einer hohen Komplexität als multipler Sicherheitsanbieter geprägt und eine eindeutige Festlegung der strategischen Reichweite des Bündnisses, wie zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes, scheint unmöglich.

In „Alliance Revitalized“ stellen die Experten zu Beginn fest, dass sich die NATO Allianz aktuell mehreren Gefahren an ihrer östlichen und südlichen Grenze sowie zahlreichen Herausforderungen, die nicht eindeutig geografisch zuzuordnen sind, gleichzeitig stellen muss. Dabei nehmen sie zum Beispiel Bezug auf die zunehmend aggressivere Außenpolitik Russlands, die aus ihrer Sicht darauf abziele, das Europäische Bündnis zu schwächen und den Einfluss der NATO im Osten Europas einzudämmen. Während der Panel-Diskussionen betonten mehrere Experten, dass sich die russische Politik zunehmend militarisiert und man sich demgegenüber stärker positionieren müsse. Dafür würden sowohl strategische Umstrukturierungen des Bündnisses als auch die konkrete Positionierung von NATO Militärbasen und –Einheiten in Betracht gezogen.

Europa - ein Importeur von Instabilität?

Im Süden stehe man zudem vor der Frage, wie man sich gegenüber dem Islamischen Staat und dessen Terrorzellen weiterhin verhält oder inwieweit man den darunter leidenden Staaten im Nahen Osten Unterstützung leistet. Die NATO muss also in nächster Zeit an mehreren Fronten über zukünftige Aktionen entscheiden, während auf beiden Seiten des Atlantiks die Kritik am Nord-Atlantik-Bündnis selbst wächst und dessen generelle Daseinsberechtigung von Opposition und Teilen der Gesellschaft in Frage gestellt wird.

„Europe risks turning from an exporter of stability to an importer of instability. The vision of a Europe whole, free and at peace is challenged by a Europe fractured and anxious.“

Aus US-Sicht könne sich Europa in der aktuellen Lage innerhalb des Bündnisses von einem Exporteur an Stabilität zu einem Importeur von Instabilität entwickeln. Umso wichtiger also, resümierten die Experten der Think Tanks, dass man sich über eine Umstrukturierung des Bündnisses Gedanken macht, um den internen Aufgaben und externen Gefahren gerecht zu werden. Nur so könne der Fortbestand des Bündnisses gewährleistet und eine Stärkung der Transatlantischen Beziehungen erreicht werden.

Neue Ziele - Neue Wege - Neue Mittel

In der Studie benennen die Experten daraufhin die kurz- und mittelfristigen Ziele im Osten, Norden und Süden, mit welchen Wegen es diese zu verfolgen gilt und was für Mittel dafür benötigt werden.

(1) Vorantreiben einer dreigleisigen Russland-Politik: westliche Nationen sollten Russlands Politik eindämmen wenn nötig, die selektive Kommunikation und Interaktion mit der Regierung aufrechterhalten wenn sinnvoll und sich um die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren bemühen wo immer möglich.

(2) Führen einer hochrangigen Diskussion zur Situation der Arktis, um die sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region neu auszurichten.

(3) Initiieren einer Strategie der „Umfassenden Unterstützung“ für den Süden: NATO-Förderung führender Operationen einzelner Staaten und Koalitionen; kollektive Raketenabwehr-, Luftunterstützung und weiterführende maritime Einsätze; Investitionen in NATOs Krisenmanagement-Kompetenzen; stärkere regionale Partnerschaften und Fokus auf Maßnahmen zur Verteidigung und Abschreckung entlang der Syrisch-Türkischen Grenze.

Engere US-EU-Beziehungen sind für die Zukunft der NATO essentiell

Während der Panel-Diskussion waren sich alle anwesenden Gesprächspartner zudem sehr schnell einig, dass eine Verfolgung dieser Ziele nur Sinn mache, wenn europäische und amerikanische Seiten wieder enger zusammenrückten. Es wurde deutlich, dass vor allem die USA in dieser Debatte auf Partnerschaft und Koalition zu Deutschland und Europa setzt - jedoch nicht bedingungslos. Die Kritik an den NATO-Mitgliedern, bezüglich der vergleichsweise geringen Verteidigungsausgaben, beschäftigt die Amerikaner schon länger. Dan Hamilton, Executive Director von CTR und einer der Leitautoren der Studie, betonte diese Differenzen in seiner Einführung und rechnete vor, dass europäische NATO-Mitglieder nur 1,10€ pro Kopf für Verteidigung ausgeben, wo die USA mittlerweile 6,30€ pro Kopf investiert.

Der Republikanische „Front Runner“ auf das Präsidentenamt, Donald Trump, griff dieses Thema zuletzt in einer Rede zur Außenpolitik auf. Trump ging darauf ein, dass sich viele US-Bürger eine selbstbewusstere Haltung der USA in der Welt wünschten und auch die von ihm vorgetragene Forderung, die NATO-Partner zukünftig stärker in die Verantwortung zu nehmen, stieß auf breites Verständnis.

Zur Bewältigung der externen Herausforderungen der NATO führt die Studie mehrere Wege und Mittel an, die künftig im Mittelpunkt der zusammenarbeitenden Staaten stehen müssen. Diese wurden während der Diskussionen immer wieder aufgegriffen und aus Sichtweise der jeweiligen Vertreter beleuchtet. So wurde beispielsweise die Aufforderung, NATOs „Readiness Action Plan“ weiterzuentwickeln und sich zur Verteidigung des Ostens auf unmittelbare Einsätze in den Baltischen Staaten vorzubereiten, als eine der wichtigsten Herausforderungen dargestellt. Außerdem kamen unter dem Schlagwort „Maximizing Resiliance“ die Themen Cyber-Defense, nukleare Abschreckungspolitik und die Stärkung des strategischen Bewusstseins zur schnelleren Entscheidungsfindung zur Sprache.

„Four Paths to Deliver Capabilities“

Besonders bezüglich der Herangehensweise der NATO an die einzelnen Aufgaben stellten sich in der Abschlussdiskussion verschiedene Ansätze heraus. Während manche Experten eine große Reform der NATO und eine daraus folgende generalisierte Herangehensweise favorisieren, tendieren andere zu einer isolierten Betrachtung der Herausforderungen im Norden, Süden und Osten.

Die Panel-Diskussion endete, wie auch die Studie, mit einer Zusammenfassung der Voraussetzungen, die es für die NATO zu erfüllen gilt, um entsprechende Reformen durchzuführen: (1) Die Anpassung der Ressourcen und Gelder (Mittel) an die einzelnen Missionen. (2) Die Entwicklung eines stärkeren Rahmenkonzepts der Nationen zur allgemeinen intelligenten Verteidigungspolitik, bei gleichzeitiger Förderung der Spezialgebiete. (3) Innovationspolitik erleichtern und (4) Partnerschaften stärken.

Insgesamt fällt es derzeit schwer, eine fundierte Prognose über die Zukunft der NATO abzugeben, resümierte Dan Hamilton. Von zu vielen Faktoren hinge die Integrität der Mitgliedsstaaten ab – sodass zunächst Klarheit über bestimmte Fragen herrschen muss: Wer wird der/die nächste Präsident(in) der USA? Bleiben die Briten in der EU? Hält der Deal zwischen EU und Türkei, was er versprach? Erst dann könne man über die Bewältigung externer Aufgaben debattieren. Die konkrete Umsetzung der Richtungsentscheidungen führte in den vergangen Jahren zu anhaltenden Auseinandersetzungen und Interpretationen.

Dass sich die weltpolitische Lage seitdem noch einmal verschärfte, könnte diese Differenzen verstärken, andererseits aber auch zu einem wiederauferstehendem Zusammenhalt der westlichen Nationen führen.

Ein Bericht von Kevin Hähnlein

Verantwortlich und Redaktion: Dr. Lars Hänsel

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