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„Die neue Türkei“ - Erdoğan erzielt absolute Mehrheit bei erster direkter Präsidentschaftswahl

STIMMEN AUS DEN USA UND DIE ZUKUNFT DER TÜRKISCH-AMERIKANISCHEN BEZIEHUNGEN

Nach den Präsidentschaftswahlen am Sonntag erklärte das Weiße Haus in Washington, dass es sich auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Präsidenten, dem derzeitigen Premierminister der Türkei Recep Tayyip Erdoğan, freue. Think-Tanks und Zeitungen in den USA jedoch befürchten eine Zunahme des autoritären Regierungsstils Erdoğans.

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Die Änderungen der türkischen Verfassung im Jahr 2007, welche u.a. eine Direktwahl des Präsidenten durch das Volk beinhaltet, formte die Basis für die am vergangenen Sonntag ausgetragene Wahl. Wie von vielen Experten erwartet, entschied Erdoğan die Wahl souverän mit einer absoluten Mehrheit (51,8%) schon im ersten Wahlgang für sich.

Auch Think-Tanks in Washington D.C. zeigen sich interessiert an den Entwicklungen in der Türkei und evaluieren die möglichen Konsequenzen für die US-Außenpolitik.

Bei einem Event des Bipartisan Policy Centers (BPC) auf dem Hill, diskutierten renommierte Türkeiexperten über die Zukunft des Landes, welche lange als Brücke zwischen Europa und Nahost gesehen wurde. Michael Werz, Senior Fellow beim Center for American Progress, betonte zwei Entwicklungen, die zu beobachten sind: Erstens, der zunehmend konservative Regierungsstil der Erdoğan-Administration ist unumkehrbar. Und zweitens, der zukünftige Präsident bediene sich einer Strategie, bei der er einerseits Opposition im Land unterdrücke und seinen konservativ islamischen Kurs weiter durchsetze und andererseits auf internationalem Parkett Harmonie und Zusammenarbeit signalisiere.

Erdoğans Außenpolitik

Diese Zusammenarbeit mit den USA, einst gepriesen als besonders wichtige Säule in der US-Außenpolitik, ist jedoch spätestens nach dem arabischen Frühling verschattet.

Erdoğan setzte sich für die Muslimbruderschaft in Ägypten ein und zeigte sich entrüstet über den Militärcoup gegen Mursi. Er forderte die internationale Gemeinschaft und auch die USA direkt dazu auf, den bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen demokratisch gewählten Mursi wieder an die Macht zu bringen.

Obama distanzierte sich seinerzeit von Erdoğan, nachdem dieser die passive Haltung der USA öffentlich kritisierte.

Auch die frühe und umfassende Unterstützung für die oppositionellen Gruppen in Syrien und lasche Bewachung der türkisch-syrischen Grenze sei nach amerikanischen Experten evtl. einer der Gründe der zum rasanten Wachstum der radikalen Gruppe „Islamischer Staat“ in Syrien beigetragen hätte. Dies berichteten Zeitungen in den USA wie etwa die beiden führenden Print-Organe Washington Post und die New York Times, und sahen dies als Grund für die sich weiter verschlechternden Beziehungen zwischen Washington und Ankara.

Stimmen aus den USA

In einem Artikel in der Washington Post vom 6. August 2014 wurden die ungleichen Chancen der Kandidaten während der Kampagne beschrieben und kritisiert. Als Beispiel wurden Vorwürfe über die ungleiche Verteilung von Werbezeiten durch die zum Großteil von Erdoğan kontrollierten Medien und die Nutzung von Staatsressourcen für den persönlichen Wahlkampf aufgeführt und erläutert.

Der Wechsel Erdogans vom Amt des Premiers zum Präsidenten wird viele Änderungen mit sich bringen. Dies betonte auch Alan Makovsky beim Event zu der Zukunft der Türkei beim BPC im Juli. Makovsky, der zuvor beim Kommitee für Außenpolitik angestellt war, erklärte, dass Erdoğan öffentlich angekündigt habe das Amt des Präsidenten von einer eher repräsentativen Rolle in ein aktives Staatsoberhaupt zu transformieren und den Verantwortungsbereich seines Jobs stark zu erweitern. Den Sieg bei der Wahl sah er zudem als Bestätigung an seinem Plan, die Türkei in ein präsidiales oder semipräsidiales System umzuformen.

Der US-Experte betonte, dass ein weiterer absoluter Erfolg von Erdogans derzeitiger Partei AKP bei den Parlamentswahlen im Jahr 2015 möglich und angestrebt sei. Dreh- und Angelpunkt seines Strebens ist dabei eine Änderung des Artikels 104 der türkischen Verfassung, mit der Erdogan seine Kompetenzen ausweiten möchte. Dazu benötigt er eine Mehrheit des Parlaments, die er zurzeit noch nicht besitzt. Deshalb gibt es auch Spekulationen über eine vorgezogene Wahl, die ihm diese Mehrheit und die Konsolidierung seines Planes beschaffen könnte.

Neubesetzungen erforderlich

Nach dem Erfolg Erdoğans und dem mit dem Präsidentenamt verbundenen automatischen Austritt aus der AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, am 28. August ist die eigentliche Frage, wer seinen Posten als Parteichef und damit auch Premierminister der Türkei übernehmen wird. In einer Pressekonferenz am 11. August direkt nach der Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses kündigte Abdullah Gül, derzeitiger Präsident der Türkei, an, nach der Übergabe an Erdoğan wieder seiner alten Partei beizutreten. Dieser wird auch von vielen Experten als heißer Kandidat für das Amt des PM gehandelt, welches aller Aussicht nach mit einem „engen Partner Erdoğans“ gefüllt werden wird, um die Transformation in ein Präsidialsystem voranzutreiben und mögliche Reibungen zu verhindern. Die jedoch am selben Tag gehaltene Stellungnahme vom Pressesprecher der AKP Hüseyin Çelik brachte etwas mehr Klarheit: Die AKP wird ihren Parteikongress am 27. August halten und ihren neuen Parteivorsitzenden wählen. Dieser werde dann neben dem Parteivorsitz auch der neue Premierminister der Türkei werden. Da Abdullah Gül erst einen Tag später sein Amt Präsident niederlegen wird, scheint er jedoch zunächst aus dem Rennen zu sein.

Wie viel sich an der Außenpolitik der Türkei unter der alten/neuen Erdoğan Regierung ändern wird, ist derweilen noch unklar. Die Experten bei der BPC-Paneldiskussion schienen sich jedoch einig, dass die Rolle der Türkei im Nahen Osten an Bedeutung gewinnen wird, da Erdoğan ein klarer Befürworter und Unterstützer der oppositionellen Gruppen in Syrien und der Hamas ist.

Die Berichterstattung aus den USA scheint diesen Erfolg als ein weiteren Schritt zur Abwendung der Türkei vom Westen zu interpretieren, behält sich jedoch noch offen, wie die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Ankara und Washington DC ablaufen wird.

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Kontakt

Paul Linnarz

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Leiter des Auslandsbüros in Washington, D.C.

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