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Ukraine, Russland und die Internationale Ordnung

Zwei Experten teilen ihre Ansichten zum Auslöser und Verlauf der Krise in der Ukraine und zur Aussicht aus dem Konflikt aus westlicher Perspektive. William Hill und Timothy Snyder beziehen Position.

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Der Professor für National Security Strategy am National War College, Washington D.C., William H. Hill beschäftigte sich mit seinem Vortrag am 22. Oktober im Kennan Institute mit jener Situation in der Ukraine, in der Grenzregion zwischen der NATO und Russland. Hill, der zwei OSZE-Missionen in Moldawien anführte und dessen Expertise von Europa bis Russland und Eurasien reicht, befasste sich in seinem gut halbstündigen Vortrag mit den Fragen, was in der Ukraine passierte und wie es zu der Krise kam, wie Russlands Motivationen und Handlung in mittlerer und langer Hinsicht aussehen könnten, welche Erkenntnisse die Vereinigten Staaten daraus ziehen müssten, welche Motive sie verfolgten und welche Antworten sie gäben. Zuletzt gab Hill Auskunft über seine Eindrücke von Folge für den Euroatlantischen Raum und die internationale Ordnung. Sein Vortrag, das beteuerte er gleich zu Anfang, transportiere aber ausschließlich seine persönliche Meinung.

Unter dem Titel Russia’s War, Ukraine’s History and the West‘s Options lud das Center of Strategic and International Studies (CSIS) zu einem Vortrag des renommierten Geschichtsprofessors an der Yale-University Timothy „Tim“ Snyder ein. Snyder gilt als Spezialist des Themas. Als Autor befasste er sich mit der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, während der Krise trat er als Autor und Redner in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Sein Vortrag war der Aussage aufgebaut, die gesamte Situation sei eine Herausforderung von Seiten Russlands an die Ukraine, aber besonders an den ganzen Westen. Die Herausforderung basiere auf drei Hauptaspekten, die den Grundaufbau seines Vortrages bildeten: Zum einen die Taktik, die Russland verfolge, zum zweiten die Strategie und zum dritten die Philosophie.

Tim Snyder verdeutlichte gleich zu Anfang seine These: „Wir müssen die Herausforderung, die Russland an uns stellt, sehr ernst nehmen.“ Es sei besonders wichtig, führte er weiter aus, keine Äußerung von russischer Seite als unsinnig abzutun oder gar Russland als eine nur lokale Macht zu unterschätzen. Man beschäftige sich in diesem Konflikt mit Menschen, die sehr ernst und sehr intelligent seien und viele der amerikanischen Schwächen verstünden.

Um die Handlungen, die von Russland im Verlaufe des Konfliktes ausgehen, zu verstehen, leitet der Geschichtsprofessor mit Grundannahmen ein. Diese Bilden die Ausgans-situation für die von ihm später erläuterten Entwicklungen. Zum einen geht Snyder davon aus, dass die sogenannte Ukraine-Krise ferner eine europäische Krise sei und Ukraine „nur in der ersten Reihe“ stehe. Des Weiteren sei die gesamte Situation eine Herausforderung Russlands an den Westen und vor allem an die Geschichte des Westens. Genauer geht Snyder davon aus, dass die Krise, wie häufig anders angenommen würde, nicht von Putin heraufgeschworen worden wäre, sondern die gesamte Krise auf einer einzigen Fehleinschätzung Putins basiere. Diese sei „die fatalste Fehleinschätzung der russischen Außenpolitik seit 1941, seit der Invasion Hitlers“.

Gemeint ist damit die Annahme Putins, er könne die Westannährung der Ukraine allein damit verhindern, dass er dem damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukovitsch drohe. Sollte er die Dokumente zur geplanten Westannäherung unterzeichnen und damit den politischen Weg frei machen, so hätte Putin gedroht, würde er auf der Halbinsel Krim einmarschieren. Diese Annahme stellte sich schnell als falsch heraus. Es folgte die Revolution in Kiew und Janukovitsch, Putins Verbindung nach Kiew, flieht ins Exil. Putin sieht sich und Russland isoliert, die innenpolitische Situation verlange von ihm aber ein starkes Auftreten. Mit anderen Worten: Ein politisches Desaster, in dem sich Putin und Russland befindet. Snyder schlussfolgert: Alle sich daran anschließenden Ereignisse in der Ukraine, dienten von russischer Seite dazu, die Fehleinschätzung zu vertuschen.

Vor dem Hintergrund dieser Grundannahme, geht Snyder zu seinen drei Hauptaspekten über. Russland, das sich nun in einen Krieg verwickelt sehe, nutze die asymmetrische Kriegsführung als Mittel der Wahl und das, obwohl das russische Militär bei weitem überlegen sei. Diese Taktik würde aus Moskau mit einer Strategie kombiniert, die stark auf Propaganda ausgelegt sei. Äußerungen, die dazu aus dem Kreml zu hören seien, würden das Ziel der Verschleierung verfolgen und seien vor allem auch innenpolitisch motiviert: In Russland selbst nämlich sei eine Demokratiebewegung zu spüren, die der Kreml versuche mit Konzentration auf die Außenpolitik zu überspielen. Philosophisch, so schloss der Professor der Yale-Universität, wiesen die Entwicklungen auf die eine postmoderne Haltung hin. Diese erinnere eher an frühere Weltordnungen. Dennoch, und damit stimmt er mit vielen Experten überein, verfolge Russland mit Putin keine philosophisch basierte Politik, die es eins der Kommunismus war. Putin sei dahingehend nicht berechenbar.

Hill sieht den Ursprung der prekären Situation in einer wirtschaftlichen Krise in der Ukraine, die vor allem durch die größte Schwäche der Wirtschaft angefacht werde: Die Korruption. Zudem hätte sich Russland schon seit längerer Zeit geopolitischen Herausforderungen gegenüber gesehen: Die UN-Resolution im Fall Libyen 2011, die aufkommende Kritik der Öffentlichkeit in Putins Wahlkampagne 2012 und die Ostpolitik der NATO und der Europäischen Union, die auf Expansion ausgelegt war. Hill schlussfolgert daher auch, dass die Ukraine Krise eine europäische sei. Vor allem hätte die europäische Seite die Zeichen der Zeit nicht erkannt. All das führte, so der Vortragende, zu einem taktischen Umdenken, um den westlichen Einfluss auf die für Russland so wichtige Ukraine einzudämmen. Das Umdenken zeigte sich durch die Krim-Annexion und die Revolution in der Donbass-Region, von der die Ukraine wirtschaftlich so abhängig ist. In Hills Augen ist das russische Vorgehen also kein von langer Hand geplanter Schritt zu Expansion Russland gewesen, sondern sei durch vorherige Ereignisse beeinflusst gewesen.

Die US-amerikanische Situation beschrieb der ehemalige OSZE-Missions-Leiter als ein Dilemma. Nach dem Kalten Krieg habe sich die Außenpolitik der Vereinigten Staaten mehr auf die Sicherung der Menschenrechte, auf Demokratisierung und in die Opposition gegen diejenigen Staaten begeben, die die Menschenrechte nicht einhielten. Aus dieser Position hätten die Vereinigten Staaten den Euro-Maidan und die Flucht des Präsidenten Janukovitsch als Sieg der Demokratie gesehen. Natürlich hätte Amerika den Euro-Maidan unterstützt, aber keinen falls ausgelöst. Russland hingegen sah darin vielmehr ein globalpolitisches taktisches Manöver der USA und die Beziehungen verschlechterten sich. Das wurde und wird für Amerika mehr und mehr zum Dilemma, denn globale Herausforderungen fordern Einigkeit und gemeinsame Lösungen. Als allgegenwärtige Probleme benannte Hill die Nukleare Abrüstung in Nordkorea und im Iran, in Syrien und im Irak mit den Islamischen Staat IS oder auch Afghanistan. Stabile Verhältnisse seien wünschenswert, bedauernswerterwiese aber nicht abzusehen.

Befinden wir uns auf dem Weg in eine Neue Weltordnung oder sieht sich die jetzige „nur“ Herausforderungen gegenüber? Diese Frage könne Hill so leicht nicht beantworten. Russland würde aber momentan die Schlussakte von Helsinki in Frage stellen. Europa befinde sich dennoch nicht auf dem Weg in eine Nach-Weltkriegs-Ordnung, sondern vielmehr zu einer Weltordnung wie nach dem westfälischen Frieden, basierend auf dem Gleichgewicht der Mächte in Europa. Vorsichtige Parallelen zog er aber auch zu den Ereignissen in der Außenpolitik der Nationalsozialisten in den 1930er Jahren. Diese seien beunruhigend und seien „zu ähnlich in der Geschichte Europas schon einmal vorgefallen“, wobei er sich sofort weit davon distanzierte, Putin mit Hitler zu vergleichen. Dennoch sei die Annexion der Krim-Halbinsel im Schwarzen Meer die erste in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Ob diese vielleicht als Antwort auf Interventionen in Libyen 2011, im Irak 2003 oder in Serbien in den 1990er Jahren von amerikanischer oder NATO-Seite seien, vermochte Hill nicht zu sagen.

Die Zusammenfassung und der Ausblick Snyders fielen deftig aus. Er beschrieb die von den USA betriebene Politik gegenüber Russland, aber auch gegenüber Europa nach dem Ende des Kalten Krieges als falsch. Zu sicher sei man davon ausgegangen, dass die gewonnen Werte wie Demokratie, Freiheit oder nationale Integrität auf ewig gesichert seien. Diese Haltung führte in der Vergangenheit mehr uns mehr dazu, dass die USA Europa seinem Schicksal alleine überlassen habe. Auf Grundlage der Wahlergebnisse für das ukrainische Parlament am 26. Oktober diesen Jahres, die einen pro-westlichen Kurs der Ukraine abzeichneten, müsse jetzt begonnen werden, die Situation zu entschärfen. Snyder forderte auf der einen Seite von der Europäischen Union, der Ukraine schnellstmöglich die Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen, um vor allem finanzielle Hilfe zu ermöglichen. Auf der anderen Seite, so bezog sich der Geschichtsprofessor auf vergangene Krisen und deren Bewältigung, würde Russland auf Verbesserungsversuche der gegenseitigen Beziehungen immer symmetrisch reagieren. Das sei die einzige Chance, verkündet Snyder, die zwar einen schweren Schritt bedeute, aber schlussendlich zum Erfolg führen würde. Dass von Russland ein Annäherungsversuch ausgehe, sei illusionär.

Den Ausblick beschrieb William Hill mit George F. Kennan, dem Namensgeber des Kennan Institute, der 1947 sinngemäß sagte: Der beste Weg, den eigenen Erfolg zu sichern, geht über die Sicherung des eigenen Systems. Bill bemängelte nämlich die fehlende Glaubwürdigkeit des Demokratisierungsgedanken der Amerikaner, die sich selbst in einer demokratischen Krise befänden, und die NATO, die sich ebenfalls ihre Glaubwürdigkeit auch zurück verdienen müsse. Wenn sie beteure, keine expansiven Pläne zu verfolgen, dann müsse sie sich mehr auf die territoriale Verteidigung und die Sicherung der Integrität der Mitgliedsstaaten konzentrieren denn auf die Expansion.

Zusammenfassend überwiegen bei beiden Experten aber die Gemeinsamkeiten. Denn beide mahnten insistierend davor, die Ukraine in dieser Situation alleine zu lassen. Beide rufen zur Unterstützung durch die EU auf, wobei Snyder sicher weiter geht als Hill. Dennoch sind sich beide einig: Diese globale Herausforderung von Russland an Europa, darf die amerikanische Politik nicht kalt lassen. Handeln sei angesagt um die Krise zu bewältigen. Ein Kalter Krieg, das war bei beiden zu spüren, sei keine Option. Europas Rolle in diesem Konflikt wurde von beiden ebenfalls als Schlüsselposition beschrieben. Snyder geht in den Forderungen, welche Schritte vor allem die EU tun müsse weiter, mit der Forderungen der In Aussichtstellung der Mitgliedschaft. Hill fordert mehr Muße auf Seiten der EU und auch der NATO.

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