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Wall-Street Reform: Eine Win-Win-Situation für die Demokraten?

Pressestimmen aus den USA

Das Land vertraut seiner Regierung zwar nicht mehr, aber der Wall Street noch weniger. Die Demokraten nutzen diese Chance, um die aufgestaute Wut von sich abzulenken und gehen jetzt gegen ihre langjährigen Spender in der Finanzwelt vor.

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Auch wenn die Republikaner ihre Pläne eine Zeit lang blockieren, können die Demokraten sie damit als Vasallen der Wall Street darstellen. Sollten die Republikaner mit den Demokraten wie erwartet bald kooperieren, dann werden diese ihren „bipartisan“ Erfolg feiern. Die Republikaner versuchen nun, ihre Blockade zu nutzen, um eigene Vorschläge besser zu positionieren und damit nicht mehr als „Party of No“ im November in Erinnerung zu bleiben.

Campaigning on the most popular proposal

Präsident Barack Obama hat bereits vor einiger Zeit angefangen, seine Reformvorschläge zur Umstrukturierung der Wall Street außerhalb Washingtons zu vermarkten, so die Associated Press. In den nächsten Wochen wird Obamas Main Street Tour ihn daher u.a. nach Iowa, Missouri und Illinois bringen. Vergangene Woche erst, warnte Präsident Obama in einer Rede in New York City davor, dass eine erneute Finanzkrise sicher sei, wenn die Finanzmarktreform nicht beschlossen würde, berichtet The Hill. Obama versuchte dabei, die sich sträubenden Wall Street Banker von seinen Ansichten zu überzeugen und forderte sie dazu auf, ihre 1.500 Lobbyisten abzuberufen.

Der Kolumnist Doyle McManus lobte den Präsidenten in der Los Angeles Times (Content nicht frei zugänglich) dann auch dafür, in dieser Rede einen pragmatischen und nicht patriotischen Tonfall angeschlagen zu haben. Doyle meint, dass es Obama hauptsächlich darum geht, ein Gesetz zu verabschieden, statt nur politisch zu punkten. Daher tut er, was er am besten kann: Allianzen schmieden zwischen anscheinend gegensätzlichen Interessen, um einen politischen, pragmatischen, wenn auch unvollkommenen, Kompromiss zu erzielen. So startete die AARP, die größte Seniorenvertretung der USA, bereits letzte Woche eine Fernsehwerbekampagne in zwölf Bundesstaaten, um der Initiative mehr Nachdruck zu verleihen, schreibt Roll Call. Die Demokraten nutzen damit den Unmut in der Bevölkerung gegenüber der Wall Street, die für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht wird.

Win-Win for the Democrats?

Die Demokraten gaben sich daher schon im Vorfeld siegessicher. Bloomberg News berichtete, dass Lawrence Summers, Wirtschaftsberater des Weißen Hauses, vor einer Woche prophezeite, dass der Kongress in den folgenden Monaten einer gründlichen Überholung der Vorschriften auf dem Finanzsektor zustimmen wird und sprach sich schon damals klar dafür aus, den Handel von Derivaten als Teil des Bankgeschäfts zu beschränken.

Finanzminister Timothy Geithner sagte bereits am Sonntag vergangener Woche, dass die Senatoren beider Parteien in Punkto Finanzmarktreform zu einer Übereinkunft kommen werden. Dies sei der Fall, auch wenn die Republikaner momentan die Vorschläge der Demokraten im Senat angreifen würden, so die Washington Post. Senator Scott Brown verteidigte derweilen den Widerstand seiner Partei gegen die Reform und befürwortete die Verschleppungstaktik des Filibusters, so The Hill.

Reuters prophezeite bereits letzte Woche, dass die erste Abstimmung in einer Niederlage enden würde: Der Senat stimmte vorgestern (und gestern) tatsächlich über die Aufnahme der Debatte zur Finanzmarktreform ab. Roll Call (Content nicht frei zugänglich) berichtete gestern, dass die Ergebnisse exakt dem entsprechen würden, was sich die Demokraten von der Abstimmung versprochen hatten. Sie unterlagen den Republikanern mit 57 zu 41 Stimmen. Die von Senator Brown geplante Obstruktionstaktik ist damit aufgegangen, da die benötigten 60 Stimmen nicht erreicht wurden, um diese Taktik zu brechen. Senate Majority Leader Harry Reid hat daher erneute Abstimmungen für die nächsten Tage angesetzt. Falls die Republikaner die Finanzmarktreform weiterhin blockieren sollten, wird sie sich zu einem gefundenen Wahlkampfthema entwickeln, welches viel Anklang verspricht, so Roll Call weiter. Dieser „Showdown“ ist aber auch mit politischen Risiken für beide Parteien verbunden, warnt Bloomberg News.

Die Washington Post schrieb gestern, dass gemäß einer Umfrage der Zeitung und ABC News, fast zwei Drittel der Amerikaner strengeren Kontrollen und Auflagen der Geschäfte von Banken und Kreditinstituten zustimmen würden. Dabei würden sie vor allem die von der Finanzmarktreform vorgesehene bundesstaatliche Aufsicht zum Verbraucherschutz und das Rettungspaket unterstützen. Die Demokraten gehen daher davon aus, dass zumindest einige Republikaner, unter ihnen Olympia Snowe, Susan Colins aus Maine, Scott Brown aus Massachusetts und Charles Grassley aus Iowa, ihnen ihre Stimme geben werden, schreibt das Wall Street Journal. Wahrscheinlicher scheint jedoch, dass weitere Republikaner hinzustoßen werden, um der Partei nicht langfristig nur das Image einer „Party of No“ zu verpassen, so die Los Angeles Times.

Five Key Points

Das Gesetz zur Finanzmarktreform sieht dabei vor, dem Staat mehr Befugnisse einzuräumen und die der Banken einzudämmen, um einem erneuten Einbruch des Finanzsektors vorzubeugen. Der 1400 Seiten lange Gesetzesvorschlag sieht fünf Kernkomponenten vor. Laut der Washington Post, soll zunächst der Verbraucherschutz durch ein in die US-Notenbank integriertes „Consumer Protection Bureau“ gestärkt werden. Diese Verbraucherschutzagentur soll dafür sorgen, dass der Kunde umfassende Informationen über Hypotheken, Kreditkarten und andere Finanzierungsmöglichkeiten erhält, eigens in seinem Interesse beraten wird und damit „Kredithaien“ das Handwerk gelegt wird.

Darüber hinaus beinhaltet das Gesetz als zweiten Punkt eine Behörde zur Überwachung der Risiken auf dem Finanzmarkt und insbesondere ein Aufsichtsorgan (Clearinghouse) für den $600 Billionen Derivate-Markt. Des Weiteren sollen die Derivate auf einem separaten Markt offen gehandelt werden, welcher der Kontrolle des Clearinghouse unterliegt. Senatorin Blanche Lincoln verspricht sich mit dieser Reform, „100 Prozent Transparenz“ in das System zu bringen, so die New York Times. Gail Collins lobt dabei in der New York Times, dass die Senatorin einen Gesetzesvorschlag erarbeitet hat, der strenger war als man angenommen hatte. Insbesondere die Idee, den Handel von Derivaten an der Börse durchzuführen, um Investoren die Möglichkeit des Preisvergleichs zu bieten, würden den Banken äußerst missfallen - wahrscheinlich, weil es ihre Gewinne in den Keller fahren würde, so kommentiert Collins.

Ein weiterer Bestandteil der Reform ist die sogenannte Volcker-Regel, so die Washington Post. Banken dürfen demnach künftig nicht mehr auf eigene Rechnung spekulieren, sondern müssen ihre spekulativen Anlagengeschäfte auf Kundenaufträge beschränken. Die Finanzmarktreform sieht außerdem vor, Banken, die mit Derivaten handeln, vom „Federal Reserve’s Emergency Borrowing“ und von der „Federal Deposit Insurance“ auszuschließen, so die New York Times. Kein ausstehendes Gesetz würde den durch den Handel mit Derivaten entstehenden Missbrauch gänzlich verbieten, kritisierte die New York Times allerdings bereits letzte Woche. Der Kongress sollte daher Regeln einführen, die es ermöglichten zwischen reiner Spekulation und wirklicher Absicherung zu unterscheiden.

Der vierte Kernpunkt der Gesetzesreform ist die Erweiterung der Befugnisse der Regierung, Kreditinstitute abzuwickeln, die die Stabilität des Finanzmarkts bedrohen. Diesbezüglich soll ein $50 Milliarden Rettungspaket eingeführt werden, um die ausstehenden Forderungen von solchen Unternehmen zu begleichen. Die Mittel hierfür sollen von der Finanzindustrie gestellt werden. Kritische Stimmen unter den Republikanern befürchten jedoch, dass der $50 Milliarden Rettungsplan eher eine „Einladung“ an die Banken für erneute riskante Spekulationen sei, so die Washington Post. Senator Reids Gegenspieler im Senat, Mitch McConnell, zweifelt zudem an, ob das Gesetz diese Schlupflöcher stopfen würde und damit zukünftige, von Steuerzahlern finanzierte, Rettungspakete wirklich verhindert würden, so die New York Times. Darüber hinaus bietet Neustrukturierung des bundesstaatlichen Bankensystems den Aktionären großer Unternehmen mehr Mitspracherecht u.a. bei der Boni-Festlegung, was den letzten Kernpunkt der Gesetzesreform darstellt.

Kritik

Karl Rove meint im Wall Street Journal, dass die Demokraten glauben, mit einer Überholung der Finanzmarktgesetze, den Unmut der Bevölkerung von sich weisen und auf den Finanzsektor lenken zu können. Der ehemalige Wahlkampfstratege von Präsident Bush meint, dass die Wähler das jedoch durchschauen würden. E.J. Dionne schreibt derweilen in der Washington Post, dass die Demokraten ihre Reform so oder so als Gewinn ansehen würden. Sie bräuchten die Republikaner, um aus dem Gesetzentwurf ein Gesetz zu machen und es als einen „bipartisan“ Erfolg zu deklarieren. Die Blockade des Gesetzes durch die Republikaner, würde ihnen andererseits genauso dabei helfen, ein erfolgversprechendes Wahlkampfthema zu formulieren. Die Demokraten wären hier, ausnahmsweise, die Überlegenen.

Ähnlich sieht das auch die USA Today. Die Republikaner hätten berechtigte Einwände, die sie aber in diesen Tagen des Misstrauens gegenüber der Wall Street nicht gut verkaufen können. Kongressmitglieder, die meinten das Gesetz zur Finanzmarktreform, genauso wie die Gesundheitsreform ablehnen zu können, würden ihre Wiederwahl damit gefährden. Ihnen droht damit das Risiko, genauso in Verruch zu geraten, wie Goldman Sachs. Deren ethisch fragwürdige Handlungsweisen wurden nun von den Demokraten öffentlichkeitswirksam instrumentalisiert, um die Finanzmarktreform durchzusetzen, so Bloomberg News. Angesichts der jüngst von einem Unterausschuss freigegebenen, skandalösen E-Mails von Mitarbeitern dieser Firma, meint Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, dass das Finanzsystem dermaßen korrupt sei, dass die Gesetzesvorschläge in dieser Form nicht ausreichen würden, um es wieder Instand zu setzen. Tatsache sei, dass sich vieles im Finanzsektor zur „Abzocke“ entwickelt hätte – ein Spiel, in dem eine Handvoll von Leuten großzügig dafür bezahlt würden, Verbraucher und Investoren in die Irre zu führen, kommentierte Krugman bereits zuvor in der New York Times.

„Es mag noch kein Beweis präsentiert worden sein, der die konkrete Verfälschung von Fakten und Behauptungen dokumentiert, aber Vieles an der öffentlichen Diskussion scheint mir eher emotional bedingt, als durch eine sorgfältige Analyse geprüft“, lamentiert derweilen Fareed Zakaria in der Washington Post. Auch wenn einige Methoden der Wall Street fragwürdig oder unethisch seien, wären diese nicht illegal gewesen. Bethany McLean geht einen Schritt weiter und weist in der New York Times die Schuld an der Finanzkrise gerade den Gesetzgebern zu. Diese wären nicht früh genug gegen unlautere Kreditvergabe vorgegangen, hätten die Aufsicht über den Derivate-Markt vernachlässigt und die Verschmelzung von Investmentbanking und kommerziellem Geschäft erst (wieder) zugelassen.

Zwischenwahlen 2010

Auch wenn das Gesetz noch nicht beschlossen und damit nicht klar ist, was es wirklich am Ende beinhalten wird, so scheinen die Demokraten damit erfolgreich zu punkten. Sie sind dabei, ihre Kriegskassen so sehr wie möglich zu füllen, um die erwarteten (und traditionellen) Verluste in den Zwischenwahlen im November zu begrenzen. Dabei hat sich allerdings bereits gezeigt, dass die Spenden aus der Finanzbranche dieses Jahr zum ersten Mal seit 2004 mehrheitlich an die Republikaner gehen, so das Wall Street Journal.

Zusammengestellt von Roman Sehling und Tanja Linz

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