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Was der IWF in einer Finanzkrise tun kann – und was nicht

von Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Siebert

Necessary elements of a rule system to prevent financial instability

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den Elementen, die ein Regelwerk zur Verhütung der finanziellen Instabilität benötigt. Es besteht die Forderung, die Rolle des IWF bei der Regulierung der Finanzstabilität auszuweiten. In dem vorliegenden Beitrag wird der Standpunkt vertreten, der IWF könne zwar als Aufsicht, nicht aber als oberste Regulierungsbehörde der Welt fungieren. Als Lösung könnten die nationalen Regulierungsbehörden ähnlich wie die Wettbewerbsbehörden zusammenarbeiten, und zwar im Rahmen des Forums für Finanzstabilität.

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Eine Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden untereinander, zum Beispiel in Form von Regulatory Colleges, ist insbesondere für die internationalen Banken wichtig.

Es ist eine offene Frage, auf welche Grundelemente eines internationalen Regelwerks zur Verhütung finanzieller Instabilität sich die Länder der Welt, insbesondere die G8-Staaten sowie Brasilien, Indien, China und andere, bei den zukünftigen Finanzgipfeln werden einigen können. Die Rolle, die die Finanzbranche und finanzielle Innovationen in der Wirtschaftsstrategie spielen, unterscheidet sich von Land zu Land. Genauso weit unterschieden sich bislang die Ansätze der Länder bei der institutionellen Ordnung und Beaufsichtigung ihrer Finanzbranche. Zudem herrschen in den einzelnen Ländern jeweils andere Wirtschaftslagen und Strukturbedingungen. Ein großes Problem beim Entwurf eines Regelwerks für die Finanzbranche besteht natürlich darin, die einzelnen Staaten daran zu hindern, in den Protektionismus zurückzufallen und die Fehler der 1930er Jahre, als die Weltwirtschaft zusammenbrach, erneut zu begehen. Der Abschluss der Doha-Runde bietet hierzu eine viel versprechende Alternative.

Der Entwurf einer neuen Ordnung lässt sich anhand der Principal-Agent-Theorie erklären, wobei die Politik als Principal die Regeln festlegt und Anreize bietet, aber nicht in der Lage ist, das Verhalten der Agents, nämlich der Finanzinstitute, zu beobachten – einschließlich ihrer Anstrengungen und Möglichkeiten, die Vorschriften zu umgehen. Die Principal-Agent-Theorie lehrt uns, dass es eine komplizierte Aufgabe ist, Regeln abzufassen.

Es ist denkbar, dass die Erfahrungen der Finanzkrise von 2008 einen ausreichenden Impuls zur Einigung auf ein neues Regelwerk liefern könnten, das den Staaten allgemeine Grundsätze und fachliche Anforderungen an ihre Finanzsysteme bietet: Die Wahrhaftigkeit der Bilanzen muss unantastbar bleiben. Es darf den Finanzinstituten nicht gestattet werden, Risiken über durchlaufende Kredite aus der Bilanz zu entfernen. Die Anforderungen an eine ausreichende Kapitalausstattung, das heißt an das Verhältnis zwischen der aus Eigenkapital und einbehaltenen Gewinnen bestehenden Kapitaldeckung einer Bank und ihrer risikogewichteten Kreditaufnahme, müssen die Zukunftsfähigkeit eines Finanzinstituts berücksichtigen; ein Wert von 10% erscheint hier sachgemäß. Diese Anforderungen an die Kapitaldeckung müssen sich an widrige Umstände anpassen, die durch die Konjunktur und die Verstrickung von Risikopositionen in der Finanzbranche begründet sind. Für riskantere Transaktionen müssten strengere Anforderungen gelten. So verlangt zum Beispiel die Vergabe von Krediten an Hedgefonds wegen des höheren systemischen Risikos nach höheren Prozentzahlen. Das Verhältnis zwischen der Verschuldung und dem Eigenkapital muss begrenzt werden; es sollte nicht höher sein als 12:1, ein Grenzwert, der in den USA schon vor 2004 galt. Wenn man nur mit Gesamtverhältniszahlen rechnet, reicht das höchstwahrscheinlich nicht aus, um finanzielle Instabilitäten zu vermeiden. Nicht nur müssen diese Zahlen beobachtet und bei jeder Änderung des Umfelds neu interpretiert werden, die Aufsichtsbehörden müssen auch einschreiten, sobald sie feststellen, dass das Schulden- und Kreditvolumen im Übermaß steigt (Smith und Walter, 2008). Bei der Unterlegung von Verbindlichkeiten sollten etwa 10 oder 20% des ursprünglichen Risikos bei dem Kreditnehmer verbleiben. Es müsste offen gelegt werden, wer bei der Unterlegung von Verbindlichkeiten den ersten Verlust übernimmt, und zu welchem Grad (Issing-Komitee, 2008). Die Anreizsysteme für Bankmanager sollten sich an der Zukunftsfähigkeit eines Finanzinstituts orientieren, d.h. an seiner Solvenz. Die prudentielle Aufsicht muss wirksamer werden. Sie muss systemische Risiken verhindern können und über die zu deren Vorbeugung erforderlichen Mittel verfügen, wie zum Beispiel Stress-Tests. So muss eine solche Aufsicht u.a. verhindern, dass sich die Auslandsverschuldung eines Landes im Übermaß erhöht (wie in Island und Ungarn im Jahr 2008), oder dass sich durch die Vergabe von Krediten an andere Länder das Kreditrisiko der Finanzbranche in einem Land zu stark ausweitet.

Die Rating-Agenturen sollten ihre Ratings verbessern und das Beratergeschäft anderen überlassen. Der Interessenskonflikt der Rating-Agenturen, die von den Emittenten der von ihnen bewerteten Papiere bezahlt werden, muss beigelegt werden, ohne neue Interessenskonflikte heraufzubeschwören. Eine Möglichkeit wäre, dass sie von den Anlegern bezahlt werden. Die Finanzaufsicht sollte die Qualität der Ratings im Nachhinein überprüfen, indem sie z.B. die Anfangsratings mit den späteren Ausfällen statistisch vergleicht (Issing-Komitee, 2008). Ein Rating, das an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden ist, kann man nicht als eine Konstante verkaufen, die unter allen Umständen gleich bleibt. Deswegen muss die Rolle, die Ratings in rechtlichen Rahmenwerken wie Basel II spielen, revidiert werden. Auch die Aufsichtsbehörden sollten sich nicht automatisch auf Ratings verlassen. Finanzinstitute von systemischer Bedeutung sollten grundsätzlich der Aufsicht unterworfen werden. Das gilt auch für bankeneigene Investmentfonds, die Finanzressorts von Versicherungsfirmen und zum Teil auch für Hedgefonds, das heißt für Schattenbanken. Finanzinstitute sollten grundsätzlich ihr Risiko offen legen; dazu müssten die aufsichtführenden Stellen entsprechende Anforderungen formulieren. Das Risiko, das neue Finanzprodukte mit sich bringen, sollte deutlich dargelegt werden. Derivative müssen transparent werden. Ein Clearing-Verfahren für Derivative und Hedgefonds muss eingerichtet werden, möglicherweise über eine Branchenvereinbarung (Draghi, 2008). Offshore-Märkte, die nicht an die Regeln gebunden sind, sind risikoträchtiger. Weiterhin vorgeschlagen wurden ein Kreditregister, damit sich die Finanzbehörden über den Kreditumlauf informieren können, sowie eine Risikokarte der Welt, die leicht erkennbar zeigt, wo Risiken sich häufen (Issing-Komitee, 2008). Es wird noch darüber debattiert, welche neuen Finanzprodukte die Aufsichtsbehörden verbieten sollen, wie zum Beispiel Leerverkäufe in bestimmten Bereichen. Der Ansatz, neue Finanzprodukte zu zertifizieren, könnte sich als bürokratisch erweisen. Ganz allgemein jedoch sollte sich der Finanzsektor nicht zu weit von der realen Wirtschaft absetzen. Es ist noch offen, wie die Finanzbranche auf die neuen Regeln reagieren wird (Smith und Walter, 2008).

Jede institutionelle Ordnung sieht sich dem großen Problem gegenüber, für Kreditinstitute langfristig ein Insolvenzverfahren einführen zu müssen, in dessen Rahmen sich die Regierungen glaubwürdig dazu verpflichten, Banken nicht zu sanieren, wenn es zum Schlimmsten kommt. Ein wichtiges Element einer solchen Regelung besteht darin, dass beim Zusammenbruch einer Bank die Eigentümer ihr Kapital verlieren und die Manager durch die Aufsichtsbehörde abgelöst werden. Aufgrund der weitreichenden Auswirkungen einer Bankinsolvenz auf das Bankensystem und die Öffentlichkeit wird es äußerst schwierig werden, eine solche Regelung glaubwürdig zu gestalten. Außerdem weichen die Interessen der Regierungen voneinander ab. Ohne eine solche Regel gerät jedoch die aktuelle Finanzkrise bald in Vergessenheit, und der pathologische Lernzyklus beginnt von neuem. Jedenfalls sollten sich Zentralbanken und Regierungen der Tatsache bewusst sein, dass die Banken ohne ein solchen Sanierungsverbot die massiven Liquiditätsspritzen und die immensen finanziellen Hilfspakete der nationalen Regierungen als ein strategisches Spiel betrachten werden, bei dem sie selbst bestimmen können, wie sie am meisten aus der Krise herausschlagen können. Um ein solches Katz-und-Maus-Spiel zu verhindern, müssen die Regierungen einen Vertrag zwischen Principal und Agent abfassen, der Bestand haben kann.

Ein weiteres Problem eines solchen internationalen Regelwerks besteht darin, die Übernahme nationaler Regelwerke durch nationale politische Prozesse zu verhindern, d.h. den Einsatz des Finanzsystems für politische Zwecke. Last but not least sollte ein internationales Regelwerk für den Finanzsektor verhindern, dass sich Blasen bilden, weil die Vorschriften die künstliche Finanzierung von übermäßigen Staats-, Konsum- und Investitionsausgaben zulassen, und dass für diese Blasen keine reale Spargrundlage vorhanden ist (wie das auf dem amerikanischen Wohnungsmarkt der Fall ist – einer der Ursprünge der aktuellen Krise; Siebert, 2008b). Ein weiteres mögliches Beispiel wäre der amerikanische Kreditkartensektor.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Finanzregulierung ist, dass internationale Nebenwirkungen sowohl für die Finanzbranche als auch für Finanzkrisen typisch sind. Nur Zusammenarbeit kann verhindern, dass die Lösung eines Landes für ein anderes zum Problem gerät. Das gilt nicht nur für die Europäische Union, sondern auch international. Die nationalen Aufsichtsbehörden sollten genauso zusammenarbeiten wie die Wettbewerbsbehörden. Möglich wäre dies im Rahmen des Forums für Finanzstabilität, das im Übrigen die Mitgliedschaft auch Schwellenländern zugänglich machen sollte, damit es nicht als ein Klub der Reichen angesehen wird (Draghi, 2008). Insbesondere die internationalen Banken bedürfen der Zusammenarbeit unter den Regulierungsbehörden, zum Beispiel im Rahmen von Regulatory Colleges. Dabei könnte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die Rolle des Normsetzers übernehmen. Diese Normen müssten die Wirtschaftslage und die Struktur des Bankwesens berücksichtigen. Sie müssten nicht in allen Ländern vollständig gleichförmig sein.

Gleichzeitig besteht auch die Forderung nach einer Ausweitung der Rolle des IWF bei der Regelung der Finanzstabilität. Diese Bretton Woods-Institution ist in der Tat ein internationales Forum für Finanzminister und Notenbanker, die dort ihre Ansichten zum Krisenmanagement und anderen Themen austauschen. Es steht außer Frage, dass der IWF in der Lage ist, denjenigen Ländern zu helfen, die in Folge der Finanzkrise mit Zahlungsbilanz- oder Währungsproblemen zu kämpfen haben. So kann zum Beispiel betroffenen Schwellenländern mit Krediten geholfen werden. Außerdem kann der IWF die Stabilität und die allgemeine Lage des Finanzsektors überwachen, wozu er jedoch Daten von nationalen Aufsichtbehörden und dem Forum für Finanzstabilität benötigt. Das Financial Sector Assessment Program des IWF, das bis 2008 freiwillig war, sollte für die Mitglieder verpflichtend werden. Man könnte sich vorstellen, dass der IWF zusammen mit dem Forum für Finanzstabilität einen Bericht über die Lage der Finanzbranche erstellt und auf potenzielle Probleme hinweist (Draghi, 2008). Mit seinem internationalen Ausschuss für Geld und Finanzen verfügt der IWF über ein institutionelles Forum, das die Erfahrungen des Forums für Finanzstabilität umsetzen kann. Der IWF kann die Öffentlichkeit auf Probleme aufmerksam machen und hoffen, dass die nationalen Aufsichtsbehörden eingreifen.

Der IWF verfügt jedoch über keinerlei Sanktionen, mit deren Hilfe er ein nationales Bankensystem daran hindern kann, in Schwierigkeiten zu geraten. Dass im Bereich der prudenziellen Aufsicht jemals Hoheitsrechte einschließlich konkreter Sanktionen an ein internationales Gremium wie den IWF abgetreten werden, erscheint unwahrscheinlich. Dazu müsste ein Staat eines seiner entscheidenden politischen Instrumente aus der Hand geben. In Anbetracht seiner Vorgehensweise bei der Währungskrise in Asien sind die Regierungen nicht ohne weiteres dazu bereit, dem IWF Hoheitsrechte abzutreten. Außerdem hat der IWF nicht die Möglichkeit, so etwas wie das Verursacherprinzip im Bereich der Finanzstabilität anzuwenden, wenn sich in einem Land eine Finanzblase entwickelt, die zu künstlich überhöhten Konsumausgaben und Investitionen führt. In einem solchen Fall müsste der IWF über kräftige Sanktionen gegen den "Verursacher" verfügen. Es ist jedoch kein souveräner Staat dazu bereit, dem IWF derartige Sanktionen zu überlassen. Von entscheidender Bedeutung ist weiterhin, dass hinter einer jeden Sanierung Steuergelder stehen müssen; auch in diesem Bereich sind die Staaten nicht bereit, Hoheitsrechte abzutreten. Das gilt sogar für die Europäische Union. Dem französischen Vorschlag, den IWF mit zusätzlichen Befugnissen auszustatten und ihn zu einem wirtschaftlichen Polizeiapparat oder einer "Wirtschaftsregierung" umzubauen, wurde entgegengehalten, der IWF sei von Anfang an eine politische Institution gewesen, die in der Vergangenheit unter dem Einfluss der USA gestanden habe. Würde er von anderen Staaten politisch vereinnahmt, wäre dies keine institutionelle Verbesserung, obwohl die Franzosen sich gut mit politischen Arrangements auskennen und eine Vorliebe für derartige Vorgehensweisen haben. Die Einwände gegen eine "Wirtschaftsregierung" in der Eurozone gelten auch für den IWF. Also kann der IWF auch nicht die Rolle einer höchsten wirtschaftlichen Aufsichtsbehörde für die Welt übernehmen. Aus demselben Grund kann er nicht als Zentralbank der Welt fungieren: Die Staaten ziehen es vor, dem IWF keine geldpolitische Autorität zu übertragen. Jedoch kann der IWF als Aufsicht für die Welt tätig werden. Die Lösung muss in einer Zusammenarbeit unter den einzelnen nationalen Aufsichtsbehörden liegen.

Ein weiterer Gesichtspunkt: Angesichts der Goldgrube von politischen Rettungsplänen und der darauf folgenden Begeisterung für Anti-Rezessionsprogramme im Herbst 2008 müssen die Zentralbanken darauf achten, dass durch diese Aktivitäten nicht die Unabhängigkeit unterminiert wird, die sie der Politik in der Vergangenheit abgerungen haben. Es wäre in der Tat eine Ironie der Geschichte, wenn die Finanzkrise zu einer erneuten Politisierung der Geldmengensteuerung führen würde.

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