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Event Reports

On the road to Rio +20

by Lisa Schaberg, Amelie Stanzel

Komponenten einer nachhaltigen Welt

Am 16. und 17. April 2012 führte die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. mit Unterstützung der Tageszeitung „O Estado de S. Paulo“ ein Seminar unter dem Titel „On the road to Rio +20 – Komponenten einer nachhaltigen Welt“ durch. Ziel des Seminars war es, die verschiedenen Erwartun-gen an die im Juni anstehende Konferenz der Vereinten Nationen zur nachhaltigen Entwicklung zu formulieren und zu diskutieren. Hierzu waren brasilianische wie auch deutsche Experten eingeladen, um vor einem öffentlichen Publikum an verschiedenen Rundtischen zusammenzukommen und den Rio-Prozess zu kommentieren.

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Nachdem der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Thomas Knirsch, und Marcelo Beraba, Leiter der Redaktion der Estadão-Gruppe in Rio de Janeiro, einleitende Worte gesprochen und die anwesenden Gäste begrüßt hatten, hielt Marcos Castrioto de Azambuja, Botschafter a.D. und Mitglied des Organisationsteams des VN-Nachhaltigkeitsgipfels 1992 in Rio de Janeiro, die einleitende Rede.

Azambuja stellte in seiner Rede die Konferenz 1992 in Rio und den Prozess bis 2012 dar. Für ihn sei es heutzutage unmöglich, Umweltfragen getrennt von Entwicklung und Wachstum zu betrachten. Wachstum sei wichtig, aber nur im Einklang mit der Umwelt. In Brasilien habe sich das Bewusstsein für die Umwelt gewandelt. Bei der ersten Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung 1972 in Stockholm gab es noch eine wahre brasilianische Angst vor den alten Industrienationen, die Brasilien angeblich im Wachstum beschränken wollten. Diese Einstellung habe sich in den 1970er und 1980er Jahren verändert. Brasilien habe gemerkt, dass es sich selbst um seine Umwelt kümmern müsse und die Umweltprobleme nicht nur auf andere zurückzuführen seien. Ab der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio 1992 wurde dann Klimaschutz immer wichtiger. Auch NGOs und die Zivilgesellschaft engagierten sich schon damals in großem Maße bei kreativen Parallelveranstaltung.

Die demokratischen, multilateralen Verhandlungen und Entscheidungen bräuchten viel Zeit, fuhr Azambuja fort. Das Problem beim Klima sei jedoch, dass die Prognosen stets düsterer würden. Die Ergebnisse der internationalen Verhandlungen seien stets unterhalb des Erwartungshorizonts. Rio 92 habe zwar viele weise Entscheidungen gebracht, u.a. die Rahmenkonvention zum Klimawandel. Seitdem seien die Probleme jedoch akuter geworden. Der Faktor Zeit spiele eine wichtige Rolle, doch große Eile sei ein Problem, da so kaum Zeit zum nachdenken bleibe.

Immer wenn die Menschheit eine radikale Veränderung wolle, habe es Revolutionen gegeben. Multilaterale Verhandlungen hingegen sind kein Instrument, um radikal zu verändern. Eine der Grundproblematiken sei, dass mit Klimaprognosen etwas Instabiles vorhersehbar gemacht werden solle. Durch Beschleunigung des Verhandlungsprozess werde dies noch schwieriger. Klimafragen seien so komplex, weil es um eine ganzheitliche Betrachtung von fast allem gehe. Die Verantwortung sei so gewaltig, weil es jeden Einzelnen auf der Welt betreffe. Azambuja kritisierte zudem die schon fast religiösen Züge, welche die Verhandlungen teilweise annähmen. So komme es immer wieder zu emotionalen Konflikten zwischen „Gläubigen“ und skeptischen „Atheisten“.

Rio de Janeiro werde seiner Meinung nach in diesem Jahr eine gute Konferenz durchführen, in einer sauberen und weniger gewalttätigen Stadt als 1992. Allerdings gebe es im internationalen Umfeld zahlreiche Hindernisse, wie z.B. die Krise in Europa und die bevorstehenden Wahlen in den USA und Frankreich. Vor 20 Jahren habe es noch mehr Optimismus in der Welt gegeben, befand Azambuja. Für 2012 sei das Ziel, eine „Green Economy“ zu etablieren, mit einer nachhaltig agierenden, weisen Wirtschaft. Brasilien werde jedoch nicht mitmachen, wenn eine neue Klimakonvention nur den alten Industrienationen nütze. Brasilien sei ein riesiges Land mit vielfältigsten Möglichkeiten der Energieproduktion und lasse sich darin nicht beschränken. Dies sei ein legitimes Interesse Brasiliens. Die internationalen Ziele müssten mit den nationalen Zielen in Einklang gebracht werden. Die größte Sünde Brasiliens sei die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes, in anderen Umweltbereichen hingegen sei Brasilien sehr gut positioniert.

Es herrsche viel Skepsis und Enttäuschung in der Welt. Wichtig sei vor allem, mit China Verhandlungen zu führen. Brasilien solle enger mit China zusammenarbeiten. In Europa sei Deutschland ein wichtiger Gesprächspartner für Brasilien.

Insgesamt freue sich Brasilien darauf, „Rio +20“ durchzuführen. Es sei unter Anbetracht des vorher gesagten jedoch schwierig, eine Umweltkonvention ins Leben zu rufen, mit der alle Parteien einverstanden sein könnten. Die afrikanischen Länder würden sich ausgeschlossen fühlen, wenn die großen Industrienationen im Alleingang Dokumente anfertigten. Eine schwierige Herausforderung sei es zudem, an der Idee einer Umweltagentur zu arbeiten. Es sei wichtig, das Amazonas-Abkommen weiter zu fördern. Die Wissenschaft zeige eindeutig die anthropogene Erderwärmung auf, doch die Ernsthaftigkeit der Probleme werde auf der ganzen Welt unterschiedlich wahrgenommen. So glaube man beispielsweise in China noch daran, dass dies ein letzter Versuch sei, um China davon abzuhalten, endgültig eine Weltmacht zu werden.

Abschließend bemerkte Azambuja noch, dass Brasilien ein natürlicher Gastgeber sei, weil es arme wie reiche und Menschen der verschiedensten Herkünfte beherberge und daher ein geeigneter Ort sei, an dem die Welt zusammen kommen könne. Alle Brasilianer hätten mittlerweile verstanden, dass Umweltschutz wichtig sei. Hoffnung und Glück seien für eine gute Konferenz von Nöten, aber man dürfe nicht zu große Erwartungen haben. „Rio +20“ werde daher keine endgültige Lösung bringen, aber einen weiteren Schritt nach vorne bedeuten.

Erster Rundtisch: Klimawandel und Nachhaltigkeit

Christoph Trusen (Senior Consultant for Rural Development and Sustainable Natural Resource Management bei GITEC Consultants) begann mit den Ausführungen der Experten am ersten Rundtisch zum Thema Klimawandel. Schon 1972 habe der Club of Rome auf die Grenzen des Wachstums aufmerksam gemacht. Die Wirtschaftsentwicklung könne nicht mehr so weitergehen wie bisher, sondern müsse sich ändern, um unsere Erde zu schützen. Die Menschheit nutze zurzeit die Ressourcen von etwa anderthalb Erden. Es gebe ein Zeitfenster von ca. 10-15 Jahren, um Entwicklung und Wachstum nachhaltig zu gestalten. Wachstum und Verbrauch müssten miteinander vereinbart werden. Auch das Konsumverhalten müsse sich ändern. Der Glaube an eine rein technologische Lösung sei nicht ausreichend. Wir stünden vor immer mehr Problemen. Ein Lösungsvorschlag könne sein, Subventionen abzuschaffen, die Tätigkeiten zur Degradierung der Umwelt fördern. Bestimmte Energiequellen würden bezuschusst, obwohl sie verschmutzten und keine Zukunft hätten. Wenn man dieses Geld in erneuerbare Energien fließen lassen würde, würde sich das Potential von z.B. Solarenergie enorm verbessern, auch in Brasilien.

Außerdem müssten Indikatoren neu definiert werden, um nachhaltige Entwicklung und Wohlbefinden der Menschen zu messen, so Trusen weiter. Wie die Millennium-Development-Goals zur Armutsbekämpfung bräuchte es auch klare Ziele für eine umweltverträgliche Entwicklung und klare Richtlinien für alle Länder. Brasilien habe gute Voraussetzungen zu den Gewinnern einer „Green Economy“ zu gehören. Allerdings manifestiere sich der alte Gedanke, dass Umweltschutz die Entwicklung blockiert, noch zu häufig.

Abschließend befand Trusen, dass das effektivste und gleichzeitig günstigste Szenario die stärkere Einbindung der Verbraucher sei, um Veränderungen herbeizuführen. Es gebe noch zu wenige Informationen über die Umweltauswirkungen von Produkten und kaum Vergleichsmöglichkeiten, um bewusste Kaufentscheidung für mehr Umweltqualität zu treffen. Der Erfolg der Bio-Produkte in Europa zeige das Potential von Verhaltensänderungen von Verbrauchern.

André Lucena (Wirtschaftswissenschaftler und Doktorand an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro) war der zweite Redner des Rundtisches. Seiner Meinung nach werde eine „Green Economy“ den Klimawandel nicht ändern, könne aber als eine Grundlage dienen. Heute gehe es nicht mehr nur um das Problem der Erschöpfung der Naturressourcen, sondern darum, die Probleme zu besprechen, die vor der Erschöpfung eintreten werden. Der Klimawandel habe Auswirkung auf alles. Die Schwierigkeit bestehe darin, bei internationalen Verhandlungen einen Konsens zu finden – erst recht bei einem Phänomen, welches nicht richtig greifbar sei und über das unklare Vorstellungen über die Folgen herrschten.

Der Klimawandel habe über die Jahre bereits größte Bedeutung erreicht, wünschenswert wäre aber auch die Diskussion von anderen Umweltproblemen. Das beste Ergebnis von Rio +20 wäre, wenn das Engagement für den Klimawandel auch auf andere Umweltprobleme übertragen werden könnte. Richtige Verhaltensweisen hätten einen Nutzen für jeden einzelnen, so z.B. saubere Städte durch eine ordentliche Müllentsorgung oder sauberes Flusswasser. Man könne bessere Anreize für ein umweltbewusstes Verhalten schaffen, wenn man deutlicher aufzeigte, wie sich ein besserer Umgang mit der Natur positiv auf das eigene Leben eines jeden auswirken könne. Systemische Veränderungen seien allerdings nur langfristig möglich. Dennoch müsse aber genauso an Projekten mit kurzfristigen Erfolgen festgehalten werden.

Roberto Schaeffer (Professor an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro und Mitglied des UNIPCC) schloss die Runde des ersten Tisches ab. Er befand, dass der Klimawandel eines der ernsthaftesten Probleme der Welt sei und alle gleichermaßen betreffe. Den häufig erhobenen Vorwurf, die Wissenschaft sei sich uneins über den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel, wies er klar zurück. Es handele sich lediglich um Individuen, die der großen Mehrheit der Wissenschaftsgemeinde gegenüber ständen und nur auf Grund ihrer Gegenpositionen öffentliche Aufmerksamkeit erhielten – nicht, weil sie eine Mehrheitsmeinung verträten.

Das große Problem bei der Bekämpfung des Klimawandels sei, dass die Menschen die Gegenwart für wichtiger befänden als die Zukunft. Man wisse über den zukünftigen Schaden Bescheid, wenn man bspw. mit dem Flugzeug fliege, gewichte den gegenwärtigen Erfolg eines möglichst schnellen und bequemen Transports von A nach B jedoch stärker. Es sei ein romantischer Gedanke zu glauben, dass das Fehlverhalten der Konsumenten nur an fehlenden Informationen liege, kommentierte Schaeffer mit Verweis auf die Ausführungen Trusens. Vielmehr sei es ein Zynismus des Verbrauchers, die Schuld stets bei anderen zu suchen, sein eigenes Verhalten jedoch nicht anzupassen.

Früher habe man gedacht, dass Prävention ausreichend sei, so Schaeffer weiter. Aber heute wisse man, dass auch Adaptation nötig sei. Man müsse gleichzeitig den Treibhausgasausstoß mindern und für erwartbare Klimaveränderungen vorbeugen. Hinsichtlich einer „Green Economy“ sah Schaeffer keine Dichotomie zwischen Entwicklung und Umweltschutz. Die höchstentwickelten Länder gingen am besten mit der Umwelt um. Man könne Entwicklung auch mit einer „low carbon economy“ erzeugen. Aller Umweltschutz müsse sich mit der Wirtschaft arrangieren und umgekehrt.

Eine Lehre des Klimagipfels von Durban sei es, dass die Länder verstanden hätten, dass eine durchschnittliche Erwärmung des Erdklimas von 2 Grad Celsius sicher sei. Man brauche nun ein neues Klimaregime, wofür Rio +20 eine wichtige Rolle spiele, um Druck aufzubauen. Angesichts der Wirtschaftskrise hätten Umweltfragen allerdings für viele Regierungen an Bedeutung verloren.

Schaeffer fuhr mit dem Hinweis fort, dass die Regierungen auf Grund dessen entscheiden müssten, was die Wissenschaft heute bereits weiß und kein Risiko eingehen dürften. Es müssten strengere Ziele zur Emissionsreduzierung durchgesetzt werden. Technologische Fortentwicklungen seien dazu zwar wichtig, aber nicht ausreichend. Zusätzlich bräuchte es auch einer langfristigen Veränderung des Konsumentenverhaltens. Brasilien benötige einen „Schock der Modernität“. Das Land fühle sich in einer komfortablen Position, habe diese aber nicht selbst erreicht. Auch wenn Brasilien im Durchschnitt weniger Pro-Kopf-Emissionen habe als andere Schwellen- und Industrieländer, dürfe der negative Einfluss der Regenwald-Abholzung nicht vergessen werden. Zudem gebe es keinen „Durchschnittsbrasilianer“, da viele der reichen Brasilianer einen ebenso hohen Pro-Kopf-Ausstoß hätten wie reiche Europäer. Der arme Teil der Brasilianer ziehe den Durchschnitt nach unten. Nachhaltige, saubere Entwicklung sei daher der Schlüssel. Brasiliens Plan zum Klimawandel werde schlecht umgesetzt. Es gibt keine wirkliche Koordination und keine klare Zuständigkeit bei einem Ministerium. Die Reduktionsziele Brasiliens seien künstlich und hörten sich viel besser an, als sie tatsächlich seien, schloss Schaeffer. Bei der in Kopenhagen angekündigten Selbstverpflichtung Brasiliens, bis zu 39% der Emissionen gegenüber dem Business-as-usual-Ansatz handele es sich um eine Milchmädchenrechnung. Der Business-as-usual-Ansatz sei rein fiktiv und werde so hoch angesetzt, dass eine Reduktion um 39% nichts weiter bedeute, als den gegenwärtigen Kurs beizubehalten.

Zweiter Rundtisch: Gesellschaft und Nachhaltigkeit

Nelson Moreira Franco (Leiter der Abteilung Klimawandel und nachhaltige Entwicklung des Umweltamtes der Stadt Rio de Janeiro) eröffnete nach einer kurzen Pause als erster Redner des zweiten Rundtisches zur Rolle der Gesellschaft. Die Lösung der globalen Wirtschaftskrise sei abhängig vom Umgang mit dem Klimawandel, so Moreira. Die wirtschaftlichen Lösungen könnten nicht langfristig sein, wenn die Umweltkomponenten nicht auch Beachtung fänden. Brasilien könne den Übergang zu einer „Green Economy“ schaffen, allerdings spielten hier noch weitere Komponenten eine Rolle, wie soziale Inklusion, die Einkommensverteilung, Abschaffung der Armut und gute Arbeitsbedingungen. Für diese Ziele müssten Bevölkerung, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und die Regierung zusammenarbeiten.

Rio verfüge seit zwei Jahren über eine eigene Politik zum Klimawandel und sei nach Bogota die Stadt mit dem größten Netz an Fahrradwegen in Lateinamerika, bilanzierte Moreira. Auch die Wiederaufforstung habe in Rio sehr gut funktioniert. Besonders der Umgang mit Müll stelle in den großen Städten des Kontinents eine große Herausforderung dar. Dieser sollte nicht in Halden gelagert, sondern durch Verbrennung in modernen Anlagen zur Energiegewinnung genutzt werden.

Luciana Betiol (Koordinatorin des Programms für nachhaltigen Konsum der Fundação Getulio Vargas) setzte sich mit der Thematik der öffentlichen Investitionen und der Macht der Zivilgesellschaft auseinander. Öffentliche Investitionen sollten auf nachhaltige Weise erfolgen und so zum Umweltschutz beitragen. Die Unternehmen, so wie ihre Lieferanten, müssten sich auf diese neuen Bedarfe einstellen. Einfache Änderungen, wie beispielsweise die Umstellung von Motorradfahrern auf Fahrradfahrer im Kurierdienst (Bsp. São Paulo), können schon positive Auswirkungen haben. Insbesondere die sozialen Folgen spielten eine immense Rolle. Es sei viel politischer Wille gefragt, aber es seien auch große wirtschaftliche Investitionen von Nöten, die sich hinterher jedoch auszahlen würden.

Marcelo Cardoso (Geschäftsführer der NGO Vitae Civilis) fuhr anschließend fort. Die globale Erwärmung stelle eine große Herausforderung an die Weltbevölkerung dar. Sie könne aber auch als eine Chance zur sozialen Integration verstanden werden. Eine wichtige Herausforderung in diesem Zusammenhang sei vor allem auch die Bekämpfung der Armut.

Der Lebensraum Stadt müsse mit einem systemischen Blick betrachtet werden, da 2030 wahrscheinlich über 70% der Weltbevölkerung in Städten leben würden. Städte spielten bei Fragen der Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Städteplanung müsse eben genau in dieser Hinsicht sorgfältig und gewissenhaft vorgehen. Megastädte wie São Paulo und Rio de Janeiro müssten dabei ihre Rolle als Vorbilder wahrnehmen und dazu beitragen, dass in kleineren Städten, die sich im Wachstum befinden, nicht dieselben Fehler begangen würden, wie beim eigenen Wachstum. Es gelte das unkontrollierte Wachstum von Städten zu verhindern, Städte in kontrollierten Bahnen jedoch sehr wohl wachsen zu lassen.

Anschließend wies Cardoso auf die Rolle Brasiliens in Lateinamerika hin. Die brasilianische Entwicklungsbank tätige große Investitionen in anderen lateinamerikanischen Ländern. Der dadurch entstehende Einfluss müsse genutzt werden, um wichtige Fragen des Umweltschutzes aber auch soziale Fragen stärker zu gewichten.

Abschließend befand er, dass bei der Ausgestaltung einer „Green Economy“ nicht vergessen werden dürfte, die Bürgerrechte zu gewährleisten, wie das Recht auf Nahrung und auf Gesundheit. Brasilien verfüge über gute Gesetze, jedoch nur über einer sehr mangelhafte Durchsetzung dieser. Er erinnerte daran, dass jeder einzelne Bürger Verantwortung trage und seinen Teil zum Klima-und Umweltschutz beitragen müsse.

Björn Pieprzyk (Vertreter des Bundesverbandes Erneuerbare Energie) nahm die Energiewende in Deutschland als gelungenes Beispiel eines machbaren Wandels innerhalb einer Gesellschaft. Der Umstieg auf erneuerbare Energien sei in Deutschland bereits weit fortgeschritten, dadurch sei die Beschaffung dieser Energien heute bereits wesentlich billiger als zu Beginn und entspreche mittlerweile dem Preisniveau der herkömmlichen Energieversorgung. Die bessere Klimabilanz der erneuerbaren Energien sei jedoch nicht der einzige positive Faktor, so Pieprzyk weiter. So seien in diesem Sektor viele neue Arbeitsplätze geschaffen worden und die Machtverteilung auf dem Strommarkt habe sich verbessert, da nun sehr viele Privathaushalte und landwirtschaftliche Betriebe in die Stromerzeugung eingebunden seien. Gerade die Liberalisierung des Strommarktes habe so die Bedingungen für die angestrebte Dezentralisierung und den Ausbau der erneuerbaren Energien geschaffen.

Man stoße aber gerade in diesem Bereich auch immer wieder an Grenzen, die nach neuen Lösungen verlangten. So z.B. bei der Dezentralisierung des Leitungsnetzes und beim Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Ladestationen für Elektroautos. Der ständige Diskurs mit den Bürgern sei dabei sehr wichtig.

Abschließend bermerkte Pieprzyk noch, dass man sich nicht nur auf die CO2 Emissionen konzentrieren dürfe, sondern auch andere Ressourcen, wie Wasser, mit Sorgfalt behandeln solle und insbesondere bei knappen Ressourcen, wie Erdöl und Erdgas, nach Alternativen suchen müsse. Der Verbraucherwille und die Privatinitiative sei bei alledem ein wichtiger Baustein, nur müsse für einen Wandel auch stets ein entsprechender Rechtsrahmen geschaffen werden.

Dritter Rundtisch: Bioinfrastruktur und Nachhaltigkeit

Caetano Scannavino Filho (Geschäftsführer der NGO Saúde e Alegria) leitete den ersten Rundtisch des zweiten Veranstaltungstages ein. Das Amazonasgebiet müsse auf nachhaltige Weise gemanagt werden. Die illegale Abholzung sei bereits teilweise eingedämmt worden, trotzdem verliere man jährlich noch immer zu viele Primärwaldflächen. Dabei würden Lebenskreisläufe zerstört, die der Mensch noch gar nicht kenne. Nur etwa 13% der Artenvielfalt des Amazonasgebiets seien heute bekannt. 1,6 Milliarden Menschen auf der Welt seien direkt abhängig von Wäldern. Der Regenwald als „Umweltdienstleister“ habe jedoch Auswirkungen auf die gesamte Weltbevölkerung.

Scannavino empfand es als Ungerechtigkeit, dass während die Vorteile der Erhaltung des Regenwaldes auf der ganzen Welt zu spüren seien, die Kosten nur vor Ort getragen werden müssten. Es müsse ein angemessener Preis für diese Dienstleistungen festgelegt werden, um den Bestand der Regenwälder finanzieren zu können.

Neben dem Umweltschutz dürften zudem die sozialen Aspekte nicht außer Acht gelassen werden, so Scannavino weiter. In Amazonien sei der Human Development Index extrem niedrig. Das Bildungs- und Gesundheitswesen sei dort sehr mangelhaft. Zudem würden die großen Staudämme zur Energieerzeugung die Bevölkerung der Amazonasgebiete vor große Probleme, wie z.B. Umsiedlungen, stellen. Hinzu komme, dass diejenigen, die direkt neben einem Wasserkraftwerk leben würden, erst mit jahrelanger Verzögerung einen Anschluss ans Stromnetz erhielten und so zunächst noch nicht einmal von dem gewaltigen Eingriff in ihre Umwelt profitieren würden. Der Erlass neuer Gesetze sei den Betroffenen dabei nicht hilfreich, solange für die Durchsetzung der Gesetze nichts getan werde.

Jörg Henninger (Senior Consultant für ländliche Entwicklung bei GOPA Consultants) eröffnete seinen Beitrag mit der Feststellung, dass es seit der Rio-Konferenz 1992 durch die große Zahl von Folgeveranstaltungen zu einer Ermüdung gekommen sei. Zwar sei, gerade bei der Bewusstseinsbildung der Menschen, viel erreicht worden, doch habe dies noch viel zu geringe Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaftsentwicklung gezeigt. Die Wissenschaft habe die Menschheit oft mit Horrorszenarien konfrontiert, die so noch nicht eingetreten seien, da es zu viele unberechenbare Einflussfaktoren gebe.

Der Ruf nach einer „Green Economy“ sei nicht weitreichend genug, da er sich nur auf die Wirtschaft beschränke. Vielmehr müsse an einer grünen Lebensweise gearbeitet werden, von der die „economy“ nur ein Teil sei. In jedem Fall dürfe bei einer „Green Economy“ aber nicht von einem ewigen Wirtschaftswachstum ausgegangen werden, wie bei bisherigen Wirtschaftssystemen. Die Grenzen des Wachstums seien bald erreicht und würden ab einem gewissen Punkt auch nicht mehr mit viel Kreativität erweitert werden können.

Bezüglich des brasilianischen Amazonasgebiets merkte Henninger an, dass es sich dabei unumstritten um brasilianisches Hoheitsgebiet handele. Allerdings sei der Amazonas-Regenwald auch Weltnaturerbe und trage einen wichtigen Teil zur Lebensfähigkeit aller Menschen auf dem Planeten bei. Die Abholzungsrate Brasiliens sei die vierthöchste der Welt, was massive Einschnitte in dieses Weltnaturerbe bedeute. Wirtschaftliche Maßnahmen, wie Ausgleichzahlungen, seien dabei zumeist nicht ausreichend, da sie oft nicht an der eigentlich notwendigen Stelle ankämen. Die von der Umweltverschmutzung oder –vernichtung direkt betroffene Bevölkerung habe nichts von Ausgleichsmaßnahmen am anderen Ende der Welt.

Henninger schloss mit der Bemerkung, dass es gar nicht darum gehe, den Planeten zu erhalten. Dieser hätte sich im Laufe seiner Geschichte noch immer an neue Bedingungen anpassen können und werde dies auch in Zukunft tun. Es gehe aber darum, den Planeten so zu erhalten, dass er dem Menschen noch einen Lebensraum bieten könne, denn das sei nicht selbstverständlich.

Vierter Rundtisch: Politik und Diplomatie

Wilfried Grolig (Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Brasilien) eröffnete als erster Redner des letzten Rundtisches. Seit Rio 1992 habe sich viel geändert in der Welt und der Wissensstand sei seither stets gewachsen. Bei der ersten Welt-Nachhaltigkeits-Konferenz in Stockholm 1972 sei das Dokument des Club of Rome noch Zukunftsmusik gewesen, heute sei die Entwicklung genau dort angekommen. Es gebe mehr Menschen auf der Welt, aber auch weniger absolute Armut. Die Überwindung der Armut sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein nachhaltiges Zusammenleben. Es gebe bessere Technologien, das Internet, bessere Methoden zur Vorhersage der Klimaentwicklung, zur Überwachung der Amazonasabholzung usw. Auch sei die Energieeffizienz besser geworden und es habe sich ein allgemeines Bewusstsein für die Relevanz des Klimas gebildet. In Deutschland sei die wichtige Entscheidung getroffen worden, den Anteil der erneuerbaren Energien massiv zu steigern und die Atomkraft in den kommenden Jahren abzuschaffen. Anders als vor 20 Jahren bestehe ein Umweltbewusstsein in der Welt.

Die EU werde mit einer Stimme an der Konferenz Rio +20 teilnehmen. Die Erwartungen seien hoch. Unilateralismus funktioniere nicht mehr, man brauche die in der Klimafrage die Mitarbeit der gesamten Staatengemeinschaft. Für einen Erfolg bei der anstehenden Konferenz müssten alle Parteien am Ende als Gewinner dastehen können, sonst würden alle verlieren. Im 21. Jahrhundert werde das Win-Win-Paradigma wichtig für die internationale Architektur sein, Rio+20 sei hierfür ein Testfall.

Die EU erwarte konkrete Ergebnisse. Substanzlose Worthüllen würden nicht ausreichen. Die Konferenz solle auch zeigen, dass die Regierungen es schaffen können, glaubhafte Schritte in die Zukunft zu tun. Es reiche nicht nur zu sagen, dass nachhaltige Entwicklung wichtig sei, sondern es müsse aktiv etwas dafür getan werden. „Green Economy“ und „Green Growth“ seien wichtige Komponenten. In Deutschland habe die Wirtschaft erkannt, dass nachhaltiges Wirtschaften mehr Erfolg habe. Die deutsche Erfahrung zeige, dass es ein ureigenes Interesse sei, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, Energie einzusparen und erneuerbare Energien auszubauen. Je schneller ein Land dies tue, umso besser würde seine Positionierung in der Zukunft und im internationalen Wettbewerb sein. Die Frage sei jetzt die, wer am schnellsten in der Lage ist neue Dinge umzusetzen?

Die internationale Struktur für Klima- und Umweltfragen müsse noch weiter verbessert und ausgebaut werden. Das Umweltprogramm UNEP müsse besser und effizienter werden. Die Sustainable Development Goals könnten ein wichtiges Element sein, um bei Rio+20 vorwärts zu kommen. Ab 2015 könnten sie an die Millennium-Development-Goals anschließen. Rio +20 müsse hierzu ein deutliches Signal geben, sonst müsse die Konferenz aus Sicht der EU als erfolglos gelten.

Luiz Augusto Castro Neves (Botschafter a.D, Vorsitzender des Brasilianischen Zentrums für Internationale Beziehungen CEBRI) war der zweite Redner des Rundtisches zu Fragen der Diplomatie und der internationalen Architektur. Bei Rio +20 herrsche auf Grund der vielen Veränderungen in der Welt und die Globalisierung eine neue Situation als noch 1992, jedoch können Rio +20 kaum eine größere Bedeutung erreichen als die Rio-Konferenz 92. Vielmehr handele es sich um eine Neubewertung des Rio-Prozesses von 1992.

Grundthema für Rio +20 sei die nachhaltige Entwicklung in den drei Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Umwelt stelle dabei die wichtigste Säule dar. Die Umwelt sei es letztlich, die es den Menschen überhaupt ermögliche, zu wirtschaften und sozialverträglich zu leben. Die Synthese der drei Säulen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt sei daher Voraussetzung für eine erfolgreiche Konferenz Rio +20. Das Ziel sei eine Wirtschaft mit geringerem CO2-Ausstoß.

Allerdings stehe Rio +20 in einem ungünstigen internationalen Kontext. Die Krise in Europa überlagere viele der Themen, die für ein Gelingen von Rio +20 wichtig wären. Die Zusammenarbeit zwischen Brasilien und EU sei derzeit nicht einfach, da sich die EU in vielem nach wie vor protektionistisch verhalte und angesichts der Krise zurzeit andere Prioritäten setze, als für gewöhnlich. Außerdem stünden 2012 Präsidentschaftswahlen in den USA und Frankreich an und keiner der Kandidaten wolle sich vor den Wahlen zu verbindlichen Reduktionszielen verpflichten. All dies trübe seine Erwartungen an den Ausgang der Konferenz, so Neves. So würde Rio +20 keinen großen Fortschritt hin zu einer nachhaltigeren Entwicklung bringen können, auch weil es keine Instrumente zur Durchsetzung von Entscheidungen gebe. Daher werde eine internationale Umweltagentur benötigt. Allerdings sei die Schaffung einer solchen Umweltagentur nicht die Priorität von Rio +20.

Auf eine kritische Nachfrage aus dem Publikum über die historische Verantwortung der alten Industrienationen für den Klimawandel antworteten Grolig wie auch Neves, dass diese nicht von der Hand zu weisen sei, dass es für die Schwellen- und Entwicklungsländer jedoch gefährlich sei, sich auf diesem Argument auszuruhen, da sie beim Bestehen auf ineffiziente, konventionelle Technologien letztlich wieder einem Technologievorsprung der Industrienationen hinterher hinken würden.

João Ricardo Viegas (Umweltstaatsanwaltschaft von Rio de Janeiro) schloss als letzter Redner ab. Die Neustrukturierung der Global Governance sei von großer Relevanz für die Klimafrage. Hierbei sei eine genaue Begriffsdefinierung und ein internationaler Ansatz von Governance wichtig. Es gebe zahlreiche Möglichkeiten durch das Internet und soziale Netzwerke, Governance neu zu gestalten, von unten nach oben zu strukturieren und lokale Lösungen zu finden, die global wirken können.

UNEP sei ursprünglich als flexible Ankerinstitution gedacht worden, um Umweltbewusstsein zu schaffen. Heute brauche man allerdings eine fester strukturierte internationale Umweltorganisation. UNEP solle bei der Neustrukturierung jedoch eine leitende Position einnehmen.

Auch auf die Rolle der Städte ging Viegas noch einmal ein. Die 40 größten Megacities der Welt seien für 70 % der Emissionen verantwortlich. Eine Stadt wie São Paulo habe eine größere Auswirkung auf das Klima als ein kleines Land. Die neuen Akteure auf dem internationalen Parkett, wie NGOs, Unternehmen, Vereine und auch Individuen seien heute viel mehr gefordert. Es gebe interessante und unbürokratische Modelle zur integrierten Zusammenarbeit auf nicht-staatlicher Ebene.

Fazit

Deutlich wurde bei dem Seminar, wie unterschiedlich die Hoffnungen und Erwartungen an Rio +20 formuliert wurden und wie weit die Meinungen teilweise auseinandergingen, obwohl sich die Teilnehmer in der Sache einig waren, dass der vom Menschen erzeugte Klimawandel so weit wie möglich einzudämmen sei und sich auf die Auswirkungen des Klimawandels eingestellt werden müsse. Genau dies kann letztlich auch bei der Konferenz der Vereinten Nationen eintreten und einem wirklichen Fortschritt im Wege stehen. Auch herrschte Uneinigkeit über die Gewichtung der drei Hauptkomponenten Ökologie, Ökonomie und Soziales. An der Austarierung dieser drei Säulen dürfte sich auch die Hauptkonfliktlinie bei den Verhandlungen der Staatsvertreter in Rio de Janeiro im Juni 2012 abzeichnen. Konkrete Ergebnisse und Verpflichtungen sind für den Erfolg von Rio +20 ebenso wichtig wie schwer zu erreichen

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