Am 1. Juli hat Dänemark turnusgemäß den Ratsvorsitz von Polen übernommen. Inmitten einer volatilen geopolitischen Lage, Verhandlungen zum neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) und angespannter transatlantischer Beziehungen hat das Land die wichtige Aufgabe, die Agenda des Rates der EU zu prägen und Kompromisse zwischen den Mitgliedstaaten zu erzielen. Anfang 2026 übernimmt Zypern den Vorsitz. In diesem rotierenden System arbeiten die Mitgliedstaaten, die den Vorsitz innehaben, in sogenannten „Trios" zusammen, um sich auf eine gemeinsame Agenda zu einigen, die die Arbeit des Rates für die folgenden 18 Monate prägt. [1]
Von der dänischen Präsidentschaft wird erwartet, alle Weichen auf Wettbewerbsfähigkeit zu stellen. Gleichzeitig steht die Stärkung der Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit angesichts zunehmender hybrider Bedrohungen aus Russland ganz oben auf der Agenda. Schließlich hat Dänemark die Aufgabe, eine Einigung bezüglich der EU-Klimaziele herbeizuführen.
Prioritäten der dänischen EU-Ratspräsidentschaft[2]
Unter dem Motto „Ein starkes Europa in einer Welt im Wandel" setzt sich die dänische Ratspräsidentschaft in erster Linie dafür ein, Europas Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit zu stärken, um besser auf globale Krisen reagieren zu können.
Eines der Kernvorhaben der dänischen Präsidentschaft ist es, die Verteidigungsfähigkeit der EU bis 2030 signifikant zu stärken. Sicherheit wird dabei ganzheitlich gedacht: Schwerpunkte sind die Stärkung der Resilienz gegen hybride Bedrohungen, die Sicherung der Außengrenzen sowie die Eindämmung irregulärer Migration. Ebenfalls im Fokus ist die Stärkung der Verteidigungsindustrie und der wirtschaftlichen Resilienz der Union.
Ein zentrales Anliegen der dänischen Präsidentschaft besteht darin, die Ukraine weiterhin umfassend zu unterstützen. Im Zuge dessen plädiert Dänemark für die Integration der ukrainischen Verteidigungsindustrie in die europäische und die Fortsetzung des strengen Sanktionskurses gegenüber Russland.
Die Präsidentschaft setzt sich zudem für Fortschritte bei der EU-Erweiterung ein, insbesondere in Bezug auf die Ukraine, aber auch auf Moldau und den Westbalkan.
Kopenhagen versteht die nachhaltige Transformation als wirtschaftliche Chance und will klimapolitische Ambitionen mit der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit verbinden. Vorrangiges Ziel ist eine politische Verständigung über das EU-Klimaziel für 2040, um dieses für die internationalen Zusicherung der Union (Nationally Determined Contribution) vor der UN-Klimakonferenz COP30 im November zu nutzen.
Dänemark arbeitet im Zuge der Ratspräsidentschaft auf eine Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) nach 2027 hin, die Klimaziele, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation in Einklang bringt.
Zudem setzt die Präsidentschaft auf eine solide Haushaltsführung der EU, Strukturreformen in den Mitgliedstaaten und die Vollendung des Binnenmarkts. Auch die Stärkung der Spar- und Investitionsunion, der Kapitalmarktunion und wirtschaftlicher Resilienz zählen zu den Prioritäten der dänischen Agenda. Darüber hinaus plädiert Dänemark für den Ausbau der EU-Handelsabkommen und strebt die Ratifizierung der Abkommen mit dem Mercosur und Mexiko an.
In Hinblick auf Migration priorisiert die Präsidentschaft die Umsetzung des Pakts zu Migration und Asyl. Ebenfalls bemüht sich Dänemark um eine Verständigung über sichere Drittstaaten und die Überarbeitung der Rückführungsrichtlinie und setzt auf die Bekämpfung von Menschenschmuggel.
Besonderes Augenmerk legt Dänemark in der Digitalpolitik auf die Stärkung der digitalen Wettbewerbsfähigkeit und technologischen Souveränität der EU sowie den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet.
In der Forschungs- und Gesundheitspolitik betont Dänemark die Notwendigkeit, die Versorgungssicherheit und Innovationskraft zu stärken, um besser auf Krisen reagieren zu können.
Im Bildungsbereich plant Kopenhagen eine neue Erklärung zur europäischen Zusammenarbeit in der beruflichen Aus- und Weiterbildung.
Halbzeitbilanz der dänischen Präsidentschaft
Zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft wirbt Dänemark um verbindliche Zusagen der Mitgliedstaaten für eine europäische Verteidigungs-Roadmap bis 2030, die beim regulären EU-Ratsgipfel am 23./24. Oktober beschlossen werden soll. Konkret regt die dänische Ratspräsidentschaft an, dass sich die Mitgliedstaaten im Rahmen von sogenannten „Collective Capability Coalitions" zur Entwicklung spezifischer Verteidigungsfähigkeiten verpflichten.[3] Darüber hinaus befürwortet Kopenhagen die Initiative der Kommission eines gemeinsamen Drohnen-Abwehrsystems, die bisher keine breite Zustimmung fand.[4] Zur Finanzierung neuer Verteidigungsprojekte spricht sich die dänische Präsidentschaft für die Umsetzung des SAFE-Fonds anstelle neuer gemeinsamer Schulden aus.
In Hinblick auf die Ukraine steht Dänemark hinter der Initiative der Kommission, eingefrorene russische Staatsbankgelder für ein Reparationsdarlehen zu nutzen. Außerdem bemüht sich die Präsidentschaft im Rat um Unterstützung des 19. EU-Sanktionspaketes gegen Russland.
Es ist ein zentrales Anliegen der Dänen, die Ukraine im Erweiterungsprozess dabei zu unterstützen, die erforderlichen Reformen umzusetzen, um trotz ungarischem Veto voranzukommen.[5] Unter dänischem Vorsitz wurden zudem weitere Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien eröffnet[6] sowie der Beitritt Bulgariens zur Eurozone abgeschlossen.[7]
Die Bemühungen der dänischen Präsidentschaft um einen politischen Konsens über die EU-Klimaziele für 2035 und 2040 gestalten sich bislang schwierig. Aufgrund von Unstimmigkeiten unter den Mitgliedern legte die EU vor der UN-Generalversammlung im September nur eine Absichtserklärung mit einem vorläufigen Ziel für 2035 vor.[8] Dies gilt als Rückschlag für das dänische Engagement für eine ambitioniertere Klimapolitik. Dänemark arbeitet nun bei einem außerordentlichen Ministertreffen vor der COP30 im November auf eine Einigung über das finale EU-Reduktionsziel hin. Die Diskussionen über das ehrgeizige Klimaziel der Kommission für 2040 wurden auf den nächsten Ratsgipfel verschoben.
Im Energiebereich wird unter dänischem Vorsitz der Ausstieg aus russischen Öl- und Gasimporten sowie der Ausbau einer europäischen, sauberen Energieversorgung vorangetrieben. Konkret unterstützt die Präsidentschaft die Kommission dabei, nach dänischem Vorbild Industrie und öffentlichen Sektor zu Beratungen zusammenzubringen.[9]
In der Agrarpolitik leitete die Präsidentschaft die Verhandlungen über zwei zentrale Vorhaben: eine neue Saatgut-Verordnung und künftige Regeln zu neuer Gentechnik, wobei letztere weiterhin umstritten bleiben. Unter dänischer Ägide begann auch die Debatte über die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2027.[10]
Dänemark begleitet die Verhandlungen zum Jahreshaushalt 2026 federführend und moderiert erste Gespräche zum nächsten MFR.[11] Eine Einigung über neue EU-Eigenmittel wird allerdings noch nicht erwartet. Inhaltlich markiert die Präsidentschaft einen Kurswechsel Dänemarks von der traditionell frugalen Linie hin zu größerer Offenheit für einen handlungsfähigen EU-Haushalt, der den neuen Prioritäten der EU dient.[12] Diese Umkehr ist vor allem der Bedrohung durch Russland geschuldet. So konnte im Rat unter dänischen Vorsitz im September eine Einigung erzielt werden, die Kohäsionsmittel ab 2026 flexibler (u. a. für Sicherheit, Verteidigung, Klima) einzusetzen. [13]
In Hinblick auf das Kernthema der Wettbewerbsfähigkeit setzt Dänemark ebenfalls Akzente: beim informellen ECOFIN Treffen der Finanzminister Ende September wurde die Vereinfachung von Regulierung zur Entlastung von Unternehmen sowie nationale Strukturreformen erörtert. Die dänische Präsidentschaft hat zudem die Aufgabe, bis Jahresende im Trilog eine Einigung zum ersten Omnibus zur Nachhaltigkeitsberichterstattung herbeizuführen.[14]
Zur Migration wurde unter dänischer Vermittlung ein Kompromiss zur neuen Rückführungsrichtlinie erzielt, der gemeinsame Mindeststandards vorsieht, den Mitgliedstaaten jedoch nationale Spielräume belässt.[15]
In der Digitalpolitik moderiert Dänemark die Umsetzung des AI-Act, vor allem in Bezug auf Vereinfachungen der Vorgaben zur Entlastung kleiner und mittlerer Unternehmen. Zudem versucht die Präsidentschaft, eine Einigung zu der umstrittenen verpflichtenden Chatkontrolle zum Schutz von Minderjährigen voranzubringen.[16]
Um Europa als Forschungsstandort zu stärken, wird die Diskussion über die Förderung kritischer Zukunftstechnologien und die künftige Ausrichtung des Horizon Europe-Nachfolgeprogramms vorangetrieben.[17]
Im Bildungssektor konnte unter dänischer Vermittlung die Herning-Erklärung zur Stärkung der Attraktivität und Qualität der beruflichen Bildung verabschiedet werden[18].
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die EU-Ratspräsidentschaften seit Beginn des russischen Angriffskrieges besonderen Herausforderungen ausgesetzt sind. Erschwerend kommt für die dänische Präsidentschaft die Häufung besorgniserregender Drohnensichtungen und Cyberangriffen in Europa hinzu, welche die Dringlichkeit unterstreicht, in Europas Verteidigungsfähigkeit im ganzheitlichen Sinne zu investieren. Darüber hinaus nutzt Dänemark im Rahmen der Präsidentschaft seine Möglichkeit des Agenda-Settings, um die Themen wirtschaftliche Resilienz, Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit nicht zu vernachlässigen. Dabei wird die enge Interdependenz dieser Bereiche deutlich. Über allem steht die Notwendigkeit, die demokratische Resilienz der EU zu verteidigen. In den verbleibenden drei Monaten der dänischen Präsidentschaft stehen noch zwei Ratsgipfel an, wobei der Gipfel vom 23./24. Oktober von Ratspräsident Antonio Costa als „Tag der Entscheidungen“ bezeichnet wurde. Daher liegt nahe, dass die dänische Ratspräsidentschaft vor allem daran gemessen wird, ob dort konkrete Beschlüsse gefasst werden können.
[1] The presidency of the Council of the EU - Consilium
[2] EPRS: Priority dossiers under the Danish EU Council Presidency, Programme of the Danish EU Presidency
[3] Table.Media: Informal summit: What to expect in Copenhagen
[4] DW: Europe pushes for effective response to drone incursions
[5] Kristeligt Dagblad: Danmark arbejder på at gøre Ukraine EU-klar til 2030
[6]Rat der Europäischen Union: EU eröffnet Beitrittsverhandlungen mit Albanien über Politik für grüne und nachhaltige Konnektivität
[7] Council of the EU: Bulgaria ready to use the euro from 1 January 2026
[8] Berlingske: EU countries agree on letter of intent on climate goals to the UN
[9] European Commission: Commissioner Jørgensen announces first 2 sectorial tripartite contracts
[10] Agriculture and Fisheries Council, 22-23 September 2025
[11] Council of the EU: EU annual budget: Council agrees its position on the 2026 draft budget
[12] Politico: Denmark to drop ‘frugal’ stance on EU budget to counter threat from Russia
[13] Cohesion policy mid-term review: Council adopts new laws to better address current and emerging challenges
[14] Table.Briefings: Einigung beim Omnibus
[15] Euractiv: EU countries push back against von der Leyen’s ambitious returns proposal
[16] Tagesschau: Debatte über „Chatkontrolle“ – was plant die EU?
[17] ERA Portal Austria: European Ministers discuss critical technologies and the future R&I Framework Programme in Copenhagen
[18] Danish Presidency: New declaration to strengthen European cooperation on vocational education and training