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Nothilfe - und was dann?

by Martin Schebesta

Ansätze für eine dauerhafte Wirtschaftsstrategie

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Das Virus SARS-CoV-2 hat die Wirtschaft in einen Schockzustand versetzt und den Staat zu beispiellosen wirtschaftspolitischen Unterstützungsmaßnahmen veranlasst: „Lockdowns“ beeinträchtigen ganze Branchen und haben zur schwersten Rezession der Nachkriegszeit geführt.1 Um die wirtschaftlichen Folgen abzufedern, hat der Staat umfassende fiskalpolitische Maßnahmen ergriffen und 2020 zwei Nachtragshaushalte mit einem Ausgabenvolumen von 122,5 und 103 Milliarden Euro verabschiedet.

Obwohl inzwischen geimpft wird, ist auch im Frühjahr 2021 ein Ende der Pandemie noch nicht in greifbare Nähe gerückt. Genauso wenig sind die wirtschaftlichen Langzeitfolgen absehbar. Rufe nach einer Strategie für die Wirtschaft werden lauter. Soll der Staat als ständiger Nothelfer agieren? Wie gestaltet sich seine Rolle nach der Krise? Wie sehen auf kurze und lange Sicht die wirtschaftspolitischen Ziele aus? Und wie lassen sie sich erreichen?

Die Wirtschaftspolitik in Deutschland gründet auf der Sozialen Marktwirtschaft. Im Mittelpunkt stehen der Mensch, seine Freiheit und seine Eigenverantwortung. Der Staat gibt den Rahmen vor, er ist der Schiedsrichter. Er schützt den Wettbewerb und adressiert Marktversagen. Wettbewerb sichert Qualität zu vernünftigen Preisen, schafft steigenden Wohlstand für alle und sorgt für Innovation, Qualitätsverbesserungen und sinkende Preise. Dafür sind Regeln notwendig, die ein starker Staat setzt und deren Einhaltung er überwacht und durchsetzt. Anstatt das Wirtschaftsgeschehen direkt zu steuern, setzt der Staat den Ordnungsrahmen, in dem sich die Marktteilnehmer frei bewegen können.

 

Balance von Markt und Staat

 

Entgegen der Auffassung ihrer Kritiker ist die Soziale Marktwirtschaft in der Lage, aktuelle Herausforderungen wie den Klimawandel, die Ressourcensicherung, die Digitalisierung und die Corona-Pandemie zu bewältigen.2 In den vergangenen zwölf Monaten hat sie unter Beweis gestellt, dass sie auch unter den Bedingungen einer Pandemie über die notwendige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit verfügt, um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Krise zu verkraften. Temporäre, verhältnismäßige Einschränkungen sind gerechtfertigt, wenngleich nicht jedes Wirtschaftsgeschehen zur Ausbreitung der Infektion beiträgt. Der Staat reagiert mit einem zeitweiligen Abschied von der „schwarzen Null“ und mit einer höheren Neuverschuldung, verfügt er doch über den notwendigen finanziellen Spielraum aus der Haushaltspolitik der Vorjahre, um wirtschaftliche Schäden zu verhindern sowie wirtschaftliche Existenzen und die Grundversorgung der Bevölkerung zu sichern.

Die Krise zeigt auch, dass der Markt funktioniert und dass die Unternehmen flexibel genug sind, um – nach einer Anpassungsphase – auf die erhöhte Nachfrage, etwa nach Schutzmasken und Desinfektionsmitteln, zu reagieren. Auch die schnelle Entwicklung wirksamer Impfstoffe zeugt von der Leistungsfähigkeit des Marktes. Dennoch gibt es Wirtschaftsbereiche, in denen der Staat als Nothelfer gefordert ist. Hier kommt kurzfristig eine zeitweilige Verschiebung der Balance von Markt und Staat zum Tragen. Auf mittlere und lange Sicht muss der Staat jedoch Hilfs- und konjunkturpolitische Maßnahmen zurückfahren und wieder zu den Grundlinien der Sozialen Marktwirtschaft in normalen Zeiten zurückkehren. Langfristiger Auftrag des Staates ist es, die Weichen für die Stärkung der Resilienz, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft zu stellen. Die nachfolgenden Punkte sind Vorschläge für eine Wirtschaftsstrategie während und nach der Krise.

Prüfung und Anpassung der Maßnahmen auf Durchsetzung, Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit. Die durch die Infektionsschutzmaßnahmen verursachten Einschränkungen der Wirtschaft sollten fortlaufend auf ihre Durchsetzung und Wirksamkeit geprüft, bewertet und angepasst werden. Sie sollten möglichst kurz und zielgenau sein, um das Infektionsgeschehen konsequent einzudämmen – und so die Freiheit zurückzugewinnen, um die Wirtschaft schnellstmöglich wieder hochfahren zu können. Zudem empfiehlt es sich, erfolgreiche Strategien anderer demokratischer Länder zu beobachten und gegebenenfalls anzuwenden.

Schaffung von Verlässlichkeit und Perspektiven für die Wirtschaft. Eine gewisse Konstanz in der Wirtschaftspolitik ist auch in Krisenzeiten notwendig. Sie muss tragfähige Perspektiven aufzeigen und Investitionen sowie Wachstum ermöglichen. Obwohl die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens eine temporäre Abweichung vom wirtschaftspolitischen Kurs erfordern, ist es richtig, an einer konstanten, verbindlichen und nachvollziehbaren Wirtschaftspolitik festzuhalten. Konkret bedeutet das, im Falle von Einschränkungen und Schließungen von Wirtschaftsbranchen auf wissenschaftlicher, empirischer Grundlage eine Exit-Strategie zu entwickeln, zu kommunizieren und nach Möglichkeit einzuhalten.

Schnelle und bedarfsgerechte Unterstützung für Betroffene. Unternehmen und Selbstständige, die ausschließlich beziehungsweise hauptsächlich durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens in existenzbedrohende Lagen geraten sind, sollten nach Möglichkeit aufgefangen werden. Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfen und weitere Hilfsprogramme sind ein vertretbarer Ansatz. Allerdings gilt es, Missbrauch dieser Hilfsprogramme zu unterbinden und die Bedürftigkeit sowie Ausgangslage von Betroffenen in den Blick zu nehmen – denn der Staat wird kaum alle Betroffenen retten und alle Verluste ausgleichen können. Gleichwohl dürfen bürokratische Schwachstellen nicht dazu führen, dass es zu unverhältnismäßigen Verzögerungen bei den Auszahlungen kommt.

Wahrung des sozialen Ausgleichs ohne langfristigen Ausbau des Sozialstaates. Von den pandemiebedingten wirtschaftlichen Auswirkungen und Einkommensverlusten sind neben Selbstständigen vor allem Geringverdiener betroffen.3 Es weist einiges darauf hin, dass die vorhandenen Stabilisatoren des Sozialstaates und Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld die Verteilungswirkungen auf die verfügbaren Einkommen abfedern und dadurch soziale Verwerfungen verhindern. Obwohl sich die langfristigen Effekte auf die Einkommensverteilung und Vermögensungleichheit nur erahnen lassen, besteht zum jetzigen Zeitpunkt kein Bedarf an einem langfristigen Ausbau des Sozialstaates oder einem Lastenausgleich.4

Erhalt des ordnungspolitischen Kompasses und bewährter Instrumente. Temporäre Unterstützungsmaßnahmen dürfen nicht zum Dauerzustand werden und zu neuen Abhängigkeiten führen. Die derzeitige Neuausrichtung des Verhältnisses von Markt und Staat ist sinnvoll und richtig – sie sollte jedoch nicht zu einer dauerhaften Verschiebung in Richtung „Staatswirtschaft“ führen. Vielmehr gilt es, das Verhältnis von Markt und Staat nach der Krise wieder auszubalancieren. Das Gleiche gilt für das vorübergehende Aussetzen bewährter Leitlinien und Instrumente wie der „schwarzen Null“ und der Schuldenbremse: Unter Krisenbedingungen sind temporäre Ausnahmen möglich und mitunter sinnvoll. Es muss aber auch in Erinnerung gerufen werden, dass erst mit der Schuldenbremse fiskalpolitische Spielräume erwirtschaftet wurden, die die Bundesregierung nun für Instrumente der Pandemiebekämpfung nutzen kann. Angesichts der hohen Neuverschuldung Deutschlands, aber auch um prozyklische Effekte zu vermeiden, muss die Schuldenbremse mit einer tragfähigen wirtschaftlichen Erholung auch wieder aktiviert werden. Eine kluge Haushaltspolitik wird nach der Pandemie Schwerpunkte auf notwendige öffentliche Investitionen für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit legen.

Ausbau der Resilienz und Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft. Mittel- und langfristig müssen die Resilienz der Wirtschaft und ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit gestärkt werden. Der wirtschaftliche Aufschwung nach der Krise sollte dafür genutzt werden, die Herausforderungen der Digitalisierung, des Klimawandels und der Ressourcensicherung anzugehen. Die Pandemie hat bereits jetzt dazu beigetragen, dass sich die Digitalisierung beschleunigt: Es gilt, das Momentum zu nutzen – vor allem auch in der öffentlichen Verwaltung. Im Rahmen des Krisenmanagements dürfen die großen, langfristigen Herausforderungen nicht aus dem Blick geraten. Sie müssen – wo immer möglich – gemeinsam gedacht und ganzheitlich angegangen werden.

Nachhaltige Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft. Um die Herausforderungen des Klimawandels und der Ressourcensicherung zu bewältigen, bedarf es einer nachhaltigen Ausgestaltung der Sozialen Marktwirtschaft. Ökonomische, soziale und ökologische Dimensionen müssen gleichzeitig und gleichberechtigt berücksichtigt werden. Dafür sind marktwirtschaftliche Instrumente wie etwa die Bepreisung von CO2-Emissionen notwendig. Damit der CO2-Preis sinnvolle Anreize zur Vermeidung von Treibhausgasen setzt, müssen nationale Initiativen mit dem Steuer- und Abgabensystem verknüpft und in den Europäischen Emissionshandel integriert werden: Nationale und europäische CO2-Bepreisungsmaßnahmen müssen kompatibel sein, Subventionen, Steuern und Abgaben gegebenenfalls angepasst werden. Nur so wird die CO2-Bepreisung sozialverträglich und setzt die richtigen Anreize. Zudem gilt es, die Chancen der Kreislaufwirtschaft zu nutzen und ihren Ausbau anzustreben.

Rahmenbedingungen für Innovationen verbessern. Die Digitalisierung, die Bewältigung des Klimawandels, die Ressourcensicherung und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erfordern Innovationen. Hier gilt es, unnötige Bürokratie abzubauen, steuerliche Rahmenbedingungen für Innovationen zu verbessern und Innovationsanreize zu schaffen. Die steuerliche Forschungsförderung und die Forschungszulagen sind richtige Schritte.5 Noch fehlt es an genügend privatem Wagniskapital für innovative Start-ups, insbesondere in der Wachstums- und Spätphase. Neben steuerlichen Anreizen sind Initiativen nötig, mit denen Mittelstand und Start-ups zusammengebracht werden können. Der Staat hat hier eher die Rolle des Rahmengebers als die des Investors oder Bestimmers über die Gewinner von Innovationswettbewerben. In dieser Rolle sollte sich der Staat für einen tatsächlichen, vollständigen Europäischen Binnenmarkt und Europäischen Finanzbinnenmarkt einsetzen. Der Binnenmarkt der Europäischen Union für Kapital und Güter sorgt für ausreichenden Kapitalzugang und die nötige Marktgröße, um die Skalierbarkeit und den Absatz innovativer Geschäftsmodelle beziehungsweise Produkte zu gewährleisten.

Offene Märkte und regelbasierten Handel erhalten und ausbauen. In und nach der Krise ist es entscheidend, sich der Vorteile der Globalisierung zu vergewissern. Die Globalisierung hat uns in der Krise geholfen: Knappe Güter wie Masken konnten anfänglich schnell aus dem Ausland bezogen werden. Und ohne Exporte wäre die Wirtschaft noch stärker eingebrochen. Zugleich treten während der Coronakrise einseitige Abhängigkeiten zutage, die eine Diversifizierung von Lieferketten erfordern – jedoch keine Renationalisierung. Die Entscheidung, wie diversifiziert wird und ob weiterhin Just-in-time produziert wird oder Lagerbestände aufgebaut werden, trifft weiterhin die Wirtschaft, nicht der Staat. Jedoch kann der Staat durch die Stärkung des Europäischen Binnenmarktes bei gleichzeitiger breiter Vernetzung die Resilienz erhöhen. Daher sind Bundesregierung und die Europäische Union gefordert, sich für die Stärkung des liberalen Multilateralismus und einer regelbasierten Handelspolitik einzusetzen und protektionistischen Tendenzen entgegenzutreten. Nordamerika ist hier ein wichtiger Partner – die Zeichen für die Wiederbelebung dieser Partnerschaft stehen unter der neuen amerikanischen Administration gut.

 

Martin Schebesta, geboren 1993 in Aachen, Referent Soziale Marktwirtschaft, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

1 Die Wirtschaftsleistung ist, gemessen am realen Bruttoinlandsprodukt (BIP), um knapp fünf Prozent gesunken – ohne die kräftige Erholung im Sommer 2020 wäre das reale BIP noch stärker gesunken. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: „Corona-Krise gemeinsam bewältigen, Resilienz und Wachstum stärken“, Jahresgutachten 2020/21, abgeschlossen am 01.11.2020, www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/ dateiablage/gutachten/jg202021/JG202021_Gesamtausgabe.pdf [letzter Zugriff: 08.02.2021];  vgl. Jörg Hinze: „Coronavirus beherrscht die deutsche Wirtschaft“, in: ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (Hrsg.): Wirtschaftsdienst 2020, 100. Jg., Nr. 12/2020, S. 979–980.

2 Für eine ausführliche Erklärung siehe Martin Schebesta: „Lastenausgleich in der Coronakrise – ist jetzt die Zeit für eine Vermögensabgabe?“, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Analysen & Argumente, Nr. 392, Juni 2020, www.kas.de/de/analysen-und-argumente/detail/-/content/ lastenausgleich-in-der-corona-krise [letzter Zugriff: 08.02.2021].

3 Vgl. Martin Breznoska / Judith Niehues / Maximilian Stockhausen: „Stabil durch die Krise? Verteilungsfolgen der Corona-Pandemie – eine Mikrosimulationsanalyse“, in: IW-Report, Nr. 65/2020, 10.12.2020, www.iwkoeln.de/studien/iw-reports/beitrag/martin-beznoskajudith-niehues-maximilian-stockhausen-verteilungsfolgen-der-corona-pandemie-einemikrosimulationsanalyse.html [letzter Zugriff: 08.02.2021].

4 Für eine tiefere Analyse vgl. Martin Schebesta: „Lastenausgleich in der Coronakrise – ist jetzt die Zeit für eine Vermögensabgabe?“, in: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Analysen & Argumente, Nr. 392, Juni 2020, www.kas.de/de/analysen-und-argumente/detail/-/content/ lastenausgleich-in-der-corona-krise [letzter Zugriff: 08.02.2021].

5 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Neue Forschungszulage in Deutschland, 22.01.2020, www.bmwi.de/Redaktion/DE/Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik/2020/02/kapitel1-10-neue-forschungszulage-in-deutschland.html [letzter Zugriff: 08.02.2021].

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