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Birgit Breuel, Plakat zur Landtagswahl in Niedersachsen 1982 Birgit Breuel, Plakat zur Landtagswahl in Niedersachsen 1982

Birgit Breuel

Einzelhandelskauffrau, Senatorin in Hamburg, Ministerin in Niedersachsen, Präsidentin der Treuhandanstalt, Geschäftsführerin der Expo 2000 September 7, 1937 in Hamburg
by Dorothea Oelze
Eine Frau für schwierige Fälle - Quotenfrau? Vielleicht am Anfang... Geschlechter-Trumpf? Hat sie nicht nötig... Frauenfragen? Interessieren sie nur am Rande... Als Wirtschaftsexpertin erarbeitet sich Birgit Breuel binnen kürzester Zeit den Ruf, der „beste Mann im Kabinett von Ernst Albrecht“ zu sein.

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Tochter aus gutem Hause

Die Affinität zur Wirtschafts- und Finanzwelt ist Breuel geradezu in die Wiege gelegt. Sie kommt am 7. September 1937 als zweites der fünf Kinder des Hamburger Privatbankiers und späteren Präsidenten der Deutschen Industrie- und Handelskammer Alwin Münchmeyer und seiner Frau Gertrud auf die Welt. Obwohl die Tochter aus der hanseatischen Bankiersfamilie eine hervorragende Ausbildung im Internat genießt, weist zunächst nichts auf ihre spätere Karriere als Wirtschaftsexpertin hin. Das klassische Rollenverständnis von Mann und Frau, mit dem der Patriarch Münchmeyer seine Familie führt, schließt die Mitarbeit der Tochter im Handels- und Bankhaus Münchmeyer und Co. aus. Entgegen dem Wunsch des Vaters möchte Breuel dennoch berufstätig werden und entscheidet sich 1956 nach dem Abitur für das eher unorthodoxe Studienfach Politikwissenschaft. Als sie drei Jahre später den Hamburger Verlagskaufmann Ernst-Jürgen Breuel heiratet, bricht sie das Studium, dem sie in Hamburg, Oxford und Genf nachging, allerdings ab und bringt in den folgenden Jahren drei Söhne zur Welt. Dessen ungeachtet wird sie beruflich aktiv und arbeitet zunächst als Direktionsassistentin im Hamburger Weltwirtschaftsarchiv, dann von 1961 bis 1962 bei der Finanzzeitschrift International Report in New York. 1965 schließt sie die Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau ab.

 

Resignation? Nein, Aktion!

Obwohl im Hause Münchmeyer immer viel diskutiert wird, ist Birgit Breuel zunächst kein ausgesprochen politischer Mensch. Als sie aber im Elternbeirat mit der sozialdemokratischen Schulpolitik in Hamburg konfrontiert wird, steht sie vor der Entscheidung: Resignation oder Aktion? Breuel entscheidet sich für die Tat und tritt 1966 der CDU bei. Bereits vier Jahre später wird sie in die Hamburger Bürgerschaft gewählt. In der CDU-Bürgerschaftsfraktion schafft sie bald den Wechsel von der Schul- zur Wirtschaftspolitik. Breuel weiß: Es gibt „kein Butterbrot umsonst“. Mit Disziplin und unermüdlicher (auch publizistischer) Arbeit schafft sie sich einen Namen als Wirtschaftsexpertin. War sie 1970 noch als Vorletzte der Landesliste in die Bürgerschaft eingezogen, gehört sie 1974 zur Spitzenmannschaft der CDU, ist Mitglied im Fraktionsvorstand und Geschäftsführenden Landesvorstand der Hamburger Christdemokraten. Ab 1974 fungiert sie als wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Ihre Arbeit macht sie so erfolgreich, dass sie 1978 im Schattenkabinett von Erik Blumenfeld als zukünftige Wirtschaftssenatorin gehandelt wird. Den Sprung in den Deutschen Bundestag schafft Breuel allerdings nicht. Bei der Bundestagswahl 1976 unterliegt sie ihrem Gegenkandidaten von der SPD.

 

Von der Elbe an die Leine

Obwohl Blumenfelds Kandidatur zum Bürgermeister von Hamburg scheitert, schlägt 1978 Breuels große Stunde. Als die FDP aus der niedersächsischen Landesregierung ausscheidet, holt Ministerpräsident Ernst Albrecht die Hamburgerin mit dem kühlen Humor als Minister für Wirtschaft und Verkehr an die Leine. Ihre Sachkenntnis hat er zuvor im CDU-Bundesfachausschuss für Wirtschaftspolitik kennen und schätzen gelernt. Breuel ist damit die erste Frau seit Maria Meyer-Sevenich, die ein niedersächsisches Ministerium leiten darf, und die erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, die kein soziales oder kulturelles Ressort besetzt. Unprätentiös wie sie ist, besteht sie nicht auf den Titel „Ministerin“, so dass in Zukunft von dem Minister für Wirtschaft Frau Breuel die Rede ist. Breuel selbst schließt anfangs nicht aus, dass Albrecht sie als Quotenfrau ins Amt berufen hat, ruht sich allerdings nie auf Proporzfragen aus. Sie beißt sich gegen alle Vorbehalte gegenüber einem weiblichen Wirtschaftsminister und ihrem familiären Hintergrund durch: „Ich wurde Ministerin, weil ich eine Frau bin, und bin Ministerin geblieben, obwohl ich eine Frau bin.“ Gleichwohl macht die Politikerin nie einen Hehl aus ihrer Wertschätzung für ihre Rollen als Mutter, Ehe- und Hausfrau.

 

Wirtschaftsliberalismus gegen Subventionitis

Den Wechsel vom mondänen Hamburg ins provinziellere Hannover tritt Breuel gerne an, weil sie nun Gelegenheit hat, marktwirtschaftliche Prinzipien in der Praxis zu erproben. Die Wirtschaftsliberale, die der Lehre von Milton Friedman anhängt, nimmt sofort den Kampf gegen Staatsbeteiligung und Subventionen auf. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen richtet sie im Ministerium ein Privatisierungsreferat ein, das den Rückzug der öffentlichen Hand aus der Wirtschaft begleiten und vorantreiben soll. Ihre bevorzugten Projekte sind dabei die Privatisierung der Post und Elektrizitätswirtschaft, ferner der Rückzug des Landes Niedersachsen aus dem VW-Konzern und der Norddeutschen Landesbank. Auch staatliche Bürgschaften an die Privatwirtschaft lehnt die Wirtschaftsministerin als „Sterbehilfe“ ab. Mit ihrem radikalen Kurs macht sich Breuel zahlreiche Feinde in den Reihen der Gewerkschaften, der Wirtschaft, aber auch der eigenen Partei. So gerät sie unter anderem mit ihrem Kabinettskollegen Walter Remmers aneinander, der über sie schimpft: „Sie reitet auf ihrem Privatisierungspferd und merkt gar nicht, daß sie auf einem Esel sitzt.“ Grundsätzlich aber findet sie Zustimmung in der CDU. So wird sie in den CDU-Enquête-Ausschuss für Entbürokratisierung berufen, und ist seit 1983 Vorsitzende der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der CDU in Niedersachsen (MIT) sowie auf Anregung des Landesvorsitzenden Wilfried Hasselmann Mitglied des CDU-Bundesvorstands. Der Einzug ins Bonner Kabinett, den Hasselmann ebenfalls 1983 fordert, erfolgt dagegen nicht.

Nicht nur von der Wirtschaft verlangt Breuel mehr Eigenverantwortung, sondern auch vom Bürger. In diesem Sinne initiiert sie 1984 zusammen mit der CDU in Niedersachsen die Aktion „Helfen kann jeder“, die die Bürger dazu aufruft, soziale Leistungen in Eigeninitiative zu übernehmen, um so die staatlichen Sozialausgaben zu reduzieren.

Diesen Privatisierungs- und Entbürokratisierungskurs setzt Breuel im Finanzministerium fort, das sie 1986 übernimmt, als das Wirtschafts- und Verkehrsministerium wieder der FDP zufällt. Als Finanzministerin macht Breuel zahlreiche Vorschläge zu grundlegenden Steuerreformen und -vereinfachungen. Unter anderem plädiert sie für die Abschaffung der Gewerbesteuer sowie für den Ausbau der Steuerreformpläne von Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg. Nun meldet sich Breuel zunehmend auch zu frauenfördernden Maßnahmen zu Wort. So schlägt sie eine drastische Erhöhung des Kindergeldes und eine neue Bandbreite flexibler Arbeitszeitmodelle vor.

Birgit Breuel kann sich insbesondere mit ihren radikal wirtschaftsliberalen Ansätzen nicht immer durchsetzen. Aus politischen Gründen muss sie letztlich von dem Rückzug des Landes aus dem VW-Konzern und der Norddeutscher Landesbank ablassen und aus sozialen Gründen in die Krise geratene Privatunternehmen wie Unilever und Mobil Oil unterstützen. Gleichwohl erreicht Niedersachsen während ihrer Amtszeit im bundesweiten Vergleich die Spitzenstellung in Sachen Privatisierung.

 

Einer der schwersten Jobs in der Bundesrepublik Deutschland

Mit dem Regierungswechsel in Hannover muss Birgit Breuel 1990 die Leitung des Finanzministeriums abgeben. Dazu treffen sie mit dem Tod des Vaters und ihres jüngsten Sohnes zwei herbe Schicksalsschläge. Breuel resigniert aber nicht. Bereits im Herbst des gleichen Jahres wird die Privatisierungsspezialistin in den Vorstand der im März gegründeten Treuhandanstalt (THA) berufen. Deren Aufgabe ist es, die frühere DDR-Staatswirtschaft konkurrenzfähig und profitabel zu machen. Zunächst übernimmt Breuel, wieder einmal allein unter Männern, die Verantwortung über die 15 Niederlassungen der THA, deren noch von Hans Modrow eingesetzte linientreue Leiter sie sogleich ersetzt. Das Angebot von Kurt Biedenkopf, in die Landesregierung Sachsens zu wechseln, lehnt sie zu Gunsten der Privatisierungsmöglichkeiten in der THA ab. Nach dem tödlichen Attentat auf den Präsidenten der THA, Detlev Karsten Rohwedder, wählt der Verwaltungsrat die Privatisierungsspezialistin am 13. April 1991 einstimmig zur neuen Präsidentin. Die Behörde erlebt unter Breuels Leitung einen Kurswechsel hin zu mehr Privatisierung und weniger staatlich geförderter Sanierung der ostdeutschen Wirtschaft. Als Breuel ihr Amt mit der Auflösung der THA am 31. Dezember 1994 niederlegt, ist es ihr, trotz des Schuldenbergs, den die Treuhand hinterlässt, und Betrugsfällen, die das Ansehen der THA in den Augen der Öffentlichkeit beschädigen, gelungen, die ostdeutsche Wirtschaft in nur wenigen Jahren zu transformieren. Von den insgesamt rund 13.000 Betrieben der DDR-Staatswirtschaft sind ca. 3.000 als nichtsanierungsfähig liquidiert worden, der Rest ist in private Hände übergegangen. Eine langfristige Belastung des Staatshaushaltes durch die Subventionierung maroder Staatsbetriebe ist damit abgewandt. Für ihr couragiertes Vorgehen wird ihr 1991 der Hermann-Ehlers-Preis und 1992 der Manager-Preis verliehen. Obwohl Wirtschaftsexperten Breuels Kurs verteidigen, wird dennoch scharfe Kritik an ihr geübt. 1995 fällt ihre Mutter sogar einer Messerattacke zum Opfer, bei der die Täter ein „T“ in den Arm des Opfers ritzen. Offensichtlich verwechseln sie Mutter und Tochter.

 

Mammutprojekt EXPO 2000

Als sich das Auslaufen der Treuhand abzeichnet, ist klar, dass Breuel in der Organisation der Weltausstellung in Hannover, die im Jahr 2000 stattfinden soll, eine neue Aufgabe finden wird. Schon als niedersächsische Finanzministerin hat sie mit daran gearbeitet, das Projekt 1988 in die Wege zu leiten und bis zur Entscheidung 1990 „wie eine Löwin“ darum gekämpft, so die Osnabrücker Zeitung (15.06.1990). Im April 1995 übernimmt sie die Generalkommission der EXPO und ist zugleich Sonderbeauftragte der Bundesregierung. Als die Organisation der Großveranstaltung ins Stocken gerät, beschränkt sich Breuel nicht mehr auf die Erarbeitung inhaltlicher Konzepte, sondern tritt 1997 die Geschäftsführung des Riesenprojektes an. Breuels Ziele sind ehrgeizig. Obwohl Ähnliches seit 1851 noch keiner Weltausstellung gelungen ist, will sie die EXPO mit einer „schwarzen Null“ abschließen. Wie immer geht sie die zahlreichen Herausforderungen nüchtern und energisch an. Interessen wollen ausgeglichen, Infrastrukturmaßnahmen in die Wege geleitet und Sponsorengelder akquiriert werden. Bei der Eröffnung der EXPO am 1. Juni 2000 sind die Bebauung des 16 Hektar großen Geländes und alle laufenden Projekte abgeschlossen. Obwohl die EXPO grundsätzlich großen Anklang findet und sich noch nie so viele Länder an einer Weltausstellung beteiligt haben, zerschlagen sich Breuels Hoffnungen auf eine ausgeglichene Bilanz. Statt der erwarteten 40 Millionen Besucher erscheinen nur 18 Millionen. In den Verlust von 1,1 Milliarden Euro sind Leistungen des Landes Niedersachsen und des Bundes nicht eingerechnet. Auch wenn nun wieder Kritik an Breuel laut wird, ist offensichtlich, dass die EXPO durch ihre firme Führung gewonnen hat. Selbst die TAZ resümiert bewundernd, in der CDU habe es „noch keine Frau ihrer Generation so weit gebracht, die nicht auf die Frauen-Union, sondern auf ihre eigenen Fähigkeiten gesetzt hat“. (30.10.2000)

Nach dem Ende der Weltausstellung 2000 zieht Breuel sich ins Privatleben zurück. Neben dem Engagement für ihre Familie gilt ihr Einsatz ihrer Stiftung, die Kindern aus sozial schwachen Familien ermöglicht, künstlerisch zu arbeiten.

Curriculum vitae

  • 07.09.1937 In Hamburg als Birgit Münchmeyer geboren
  • 1958 Studium der Politikwissenschaft
  • 1959 Heirat mit dem Hamburger Kaufmann Ernst Jürgen Breuel
  • 1966 Eintritt in die CDU
  • 1970-1978 Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft
  • 1978-1986 Niedersächsische Ministerin für Wirtschaft und Verkehr
  • 1986-1990 Niedersächsische Finanzministerin
  • 1990 Wahl zur Geschäftsleitung der Treuhandanstalt
  • 1990 Gründung der Philip-Breuel-Stiftung, im Namen ihres verstorbenen Sohnes
  • 1991 Nachfolgerin Detlev Rohwedders als Präsidentin der Treuhandanstalt
  • 1992 Hanns-Martin-Schleyer-Preis für „Verdienste um die Festigung und Förderung der Grundlagen eines freiheitlichen Gemeinwesens“
  • 1994 Bernhard-Harms-Medaille des Instituts für Weltwirtschaft Kiel
  • 1995-2000 Generalkommissarin der Weltaustellung Expo 2000 in Hannover
  • Seit 2000 Rückzug ins Privatleben, aber weiterhin Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und Arbeit für die Philip-Breuel-Stiftung

 

Veröffentlichungen

  • Es gibt kein Butterbrot umsonst. Gedanken zur Krise, den Problemen und Chancen unsere Wirtschaft, München 1976.
  • Den Amtsschimmel absatteln. Weniger Bürokratie – mehr Bürgernähe, Düsseldorf 1979.
  • Fragen von heute, Antworten für morgen? Eine Initiative zu Aufgaben unserer Zeit, Hannover 1983.
  • Der Mensch lebt nicht von Umsatzzahlen. Wie ich Politik verstehe, Herford 1987.
  • Der Winter kommt, auch für die Treuhandanstalt. Eine Bilanz aus erster Hand, in: Die Treuhand und die zweite Enteignung der Ostdeutschen, München 1993, S. 85-91.
  • Das Konzept der Treuhandanstalt: Auftrag - Arbeit - Ergebnis, in: Der Gesellschaft verpflichtet. Kirche und Wirtschaft im Dialog, Köln 1994, S. 37-46.
  • Deutschland – Standort mit Zukunft, Sankt Augustin 1994.
  • Perspektiven des Aufbruchs. Aus Fehlern lernen, Düsseldorf 1983.
  • Der 3. Oktober markiert noch nicht das Ankommen in der neuen gemeinsamen Bundesrepublik, in: Erlebte Einheit. Ein deutsches Lesebuch, Berlin 1995, S. 76-82.
  • Umwandlung einer Plan- in eine Marktwirtschaft – Marktwirtschaftliche Theorie im Licht aktueller Erfahrungen, in: Soziale Marktwirtschaft als historische Weichenstellung. Ludwig Erhard 1897-1997. Bewertungen und Ausblicke. Eine Festschrift zum 100. Geburtstag von Ludwig Erhard, Düsseldorf 1997, S. 333-352.
  • Jahrhundertchance zur Jahrtausendwende. Die Weltausstellung wird das deutsche Image prägen, in: Zeitschrift zur Politischen Bildung 35/1998 H. 2, S. 64-68.
  • Mit Michael Burda: Ohne historisches Vorbild. Die Treuhandanstalt 1990 bis 1994. Eine kritische Würdigung, Berlin 2005.

 

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