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Wilhelm Röpke - Ökonom und liberaler Vordenker im Kalten Krieg

Nationalökonom, Publizist, *10. Oktober 1899, Schwarmstedt, 12. Februar 1966, Genf

Wilhelm Röpke

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von Wolfgang Tischner

 

Der 1966 verstorbene Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Röpke entwickelte sich im Schweizer Exil während der NS-Zeit zu einem der wichtigsten Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft. 1945 sah er die kommende bipolare Weltordnung voraus und propagierte die Westbindung eines zukünftigen westdeutschen Teilstaates zur Sicherung der Freiheit gegen die totalitäre Bedrohung durch den Kommunismus.

Wilhelm Röpke SZ-Photo
Wilhelm Röpke

Jugend und akademischer Werdegang

Wilhelm Röpke wurde am 10. Oktober 1899 im hannoverschen Schwarmstedt als Sohn eines Landarztes geboren. Die Verbindung zu seinem ländlichen Heimatort blieb zeitlebens bestehen. Nach dem Abitur studierte Röpke zuerst Rechts- und Staatswissenschaften in Göttingen und wechselte dann zur jungen Nationalökonomie an die Universitäten Tübingen und Marburg. Unterbrochen wurde das Studium durch einen kurzen Wehrdienst an der Westfront in der letzten deutschen Offensive 1918. Diese Erfahrung hinterließ bei Röpke zeitlebens einen Widerwillen gegen Militarismus und Krieg. In Marburg promovierte er 1921 mit Auszeichnung bei Walter Troeltsch. Heute kaum mehr vorstellbar, erfolgte schon ein Jahr später die Habilitation über die damals zentrale Frage der wirtschaftlichen Konjunkturschwankungen. Damit erwarb er die Berechtigung zu selbständiger wissenschaftlicher Lehre als Privatdozent. Nach diesem rasanten Erwerb der akademischen Qualifikation galt Röpke als einer der kommenden Leistungsträger der Wirtschaftswissenschaften und erhielt folgerichtig 1924 als jüngster Extraordinarius den Ruf an die Universität Jena, wobei er seinen Mitbewerber Walter Eucken ausstach.

In Marburg lernte Röpke über seinen Freund, den evangelischen Theologen und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann, seine Frau Eva, geb. Fincke, kennen.

 

In der Weimarer Republik

Der cursus honorum an den deutschsprachigen Universitäten verlief für Röpke in den nächsten Jahren wie geplant. Neben einem von der Rockefeller-Stiftung finanzierten USA-Aufenthalt – damals noch sehr ungewöhnlich – folgte 1928 der Ruf an die Universität Graz und 1929 dann der von ihm angestrebte Wechsel zurück an die Heimatuniversität Marburg auf ein Ordinariat für politische Ökonomie.

Röpke engagierte sich wissenschaftlich im Kreis der „Ricardianer“, zu deren Umfeld auch Eucken und der Soziologe Alexander Rüstow gehörten. Die „Ricardianer“ setzten sich theorieorientiert von der historischen Schule der Nationalökonomie ab. Röpkes Interesse galt u.a. der Untersuchung der Preisbildung in einem freien Markt und der Bekämpfung der in Weimar von der Politik sogar teilweise geförderten Kartelle der Großindustrie. Von Anfang an verstand sich Röpke allerdings auch als politischer Publizist und bezog öffentlich Stellung, etwa unter dem Pseudonym „Ulrich Unfried“ gegen den konservativen Tat-Kreis. Da er selbst aus einer ländlichen, evangelischen Akademikerfamilie stammte, setzte er sich insbesondere mit dem gerade dort Fuß fassenden Nationalsozialismus auseinander und warnte vor Hitler. Bei den Reichstagswahlen 1930 wandte er sich in einem Flugblatt an die niedersächsische Bauernschaft gegen die NSDAP.

Im Exil

Nach der „Machtergreifung“ stand die „Säuberung“ der deutschen Universitäten von Vertretern der so verunglimpften Weimarer „Systemzeit“ weit oben auf der Prioritätenliste der Nationalsozialisten. Wichtigstes Instrument zur Disziplinierung und „Gleichschaltung“ der Professorenschaft wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Das Gesetz erlaubte die Zwangsbeurlaubung, -pensionierung oder sofortige Entlassung missliebiger NS-Gegner (und damit auch Universitätslehrer) aus dem eigentlich sakrosankten Beamtenstatus.

Röpke hatte sich politisch so weit exponiert, dass er wohl in keinem Falle zu halten gewesen wäre. Er nahm allerdings auch weiterhin kein Blatt vor den Mund bei der Auseinandersetzung mit der sich etablierenden NS-Diktatur, so bei der Begräbnisrede für seinen am 23. Februar 1933 verstorbenen akademischen Lehrer Troeltsch, die zu einem Aufschrei in der NS-Presse führte. Nur dem geschickten Eintreten wohlmeinender Marburger Kollegen sowie der in der Anfangsphase der NS-Diktatur partiell noch rechtsförmigen Verwaltungspraxis hatte es Röpke zu verdanken, dass er formal nicht entlassen, sondern im April 1933 nur beurlaubt wurde. Dies führte dazu, dass er in der Exilzeit, obwohl offener NS-Gegner, die Ausbürgerung vermeiden konnte. Röpke verließ in klarer Einschätzung der kommenden Entwicklung noch 1933 Deutschland und nahm einen Ruf an die Universität Istanbul an. Die Modernisierungsdiktatur Kemal Atatürks nutzte die Vertreibung deutscher Universitätslehrer zum Ausbau des eigenen Universitätspersonals; am Bosporus fanden viele exilierte deutsche Professoren und Verwaltungsfachleute eine neue Heimat, u.a. der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, oder der mit Röpke befreundete Alexander Rüstow.

Wilhelm Röpke an seinem Schreibtisch ullstein bild
Wilhelm Röpke an seinem Schreibtisch

Publizist in der Schweiz

Röpke veröffentlichte 1937 als Ergebnis der Zeit in der Türkei die Schrift „Die Lehre von der Wirtschaft“, ihm fehlte aber trotz der anregenden Kontakte unter den deutschen Expatriates erkennbar das publizistische Echo. Auch deshalb wechselte er 1937 an das „Institut des Hautes Etudes Internationales“ in Genf. Röpke fand bald, seinem Naturell entsprechend, den Kontakt zur deutschschweizerischen Presse. In den Jahren des Nationalsozialismus war die Bedeutung der schweizerischen Publizistik als dem spätestens seit Kriegsausbruch letzten freien Diskussionsforum in deutscher Sprache so groß wie nie davor oder danach. In kurzen Abständen nutzte Röpke die Schweizer Monatshefte für größere Ausfertigungen, während er in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) als der letzten international rezipierten, freien deutschsprachigen Tageszeitung unter dem ihm verbundenen Chefredakteur Willy Bretscher tatsächlich weltweit meinungsbeeinflussend agieren konnte.

Die NZZ war auch entscheidend für die Verbreitung von Röpkes nun in großer Zahl folgenden Buchveröffentlichungen, da hier immer geneigte Besprechungen und Reaktionen veröffentlicht wurden (u.a. zu „Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart“ 1942, „Civitas Humana“ 1944, „Internationale Ordnung“ 1945). Seine Produktivität war erstaunlich; im Laufe seines Lebens veröffentlichte er zwanzig Bücher und etwa 800 Aufsätze und Rezensionen. Wesentlich wurde die noch vor der deutschen Kapitulation im Frühjahr 1945 erschienene Studie „Die deutsche Frage“, die erstaunlich präzise die kommende Konfrontation zwischen den westlichen Siegermächten und der UdSSR prognostizierte, vor den Gefahren einer Unterschätzung der Bedrohung durch den totalitären Marxismus warnte und die Westbindung eines zukünftig erschaffenen westdeutschen Teilstaates auch auf Kosten der deutschen Einheit forderte, um die Freiheit zu sichern – quasi die Blaupause für Konrad Adenauers künftige Deutschland- und Außenpolitik. „Kein Publizist kann mit größerem Recht die Vaterschaft der Bundesrepublik in Anspruch nehmen“, urteilte deshalb der Adenauer-Biograph Hans-Peter Schwarz.

Röpke wurde, auch da er in der Schweiz weder durch Zensur noch durch Pressionen durch die Alliierten zu beeinflussen war, zum wohl angesehensten deutschen Publizisten der ersten Nachkriegsjahre. Mit Adenauer ergab sich genau wie mit Ludwig Erhard ein reger Meinungsaustausch, mit Erhard sogar eine persönliche Freundschaft. Zentral dafür war sicherlich Röpkes klar artikulierter Antikommunismus, der in seiner Analyse des sozialistischen „Kollektivismus“ fußte. Für Röpke, der in den 1950er Jahren in seinen Werken (v.a. „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ 1959) immer stärker kulturkritische Positionen bezog, waren ein kartellbestimmter Großkapitalismus genau wie eine sozialistische Wirtschaftsordnung eine gleichermaßen marktfeindliche Kommandowirtschaft, die sich im Wesentlichen nur durch die Zerstörung der „Demokratie des Konsumenten“ durchsetzen lies. Röpke sah den direkten Zusammenhang zwischen der freien Entscheidung des autonomen Wirtschaftssubjektes, die in einer Kollektivwirtschaft aufgehoben war, und der demokratischen Ausrichtung einer Gesellschaft. Diesen Zusammenhang zwischen politischer Freiheit und wirtschaftlicher Grundordnung deutlich herausgearbeitet zu haben, ist vielleicht sein wichtigster Verdienst. Dabei sah er den Großkapitalismus mit der Zusammenballung nicht mehr kontrollierbarer Großvermögen genauso kritisch wie den Sozialismus, da beide gleichermaßen die Freiheit des einzelnen einschränken. Die von ihm vorgeschlagenen Lösungsansätze, die u.a. von einer zentralen Stellung der Familie und kleinbäuerlichen Nebenerwerbslandwirtschaften ausgingen, zeigen eine sozialromantische Seite und waren deshalb zum Teil nicht praktikabel.

1947 gehörte Röpke zu den Gründungsmitgliedern der "Mont Pelerin Society" und war später zeitweise ihr Präsident, trat dann allerdings nach einem Streit mit Friedrich August von Hayek aus. Ziel des von Friedrich von Hayek gegründetem Zusammenschlusses von Akademikern, Geschäftsleuten und Journalisten war es, zukünftige Generationen vom Wirtschaftsliberalismus zu überzeugen.

 

Die späteren Jahre

So klar sich Röpke in der Anfangsphase der Sozialen Marktwirtschaft im Gleichklang mit Konrad Adenauers und Ludwig Erhards Politik befunden hatte, so deutlich wurden ab Mitte der 1950er Jahre auch die Unterschiede. Aufgrund seiner Ablehnung der „Vermassung“ und der unkritischen Konsumfixierung warnte Röpke vor den Folgen etwa der auch von Erhard befürworteten Massenmotorisierung. Wichtiger noch waren die Unterschied zu Adenauer, was etwa die Umstellung der Renten auf das reine Umlagesystem 1957 betraf, die auch Erhard aufgrund der (heute deutlich fühlbaren) demographischen Risiken zuerst ablehnte. 1959, auf dem Höhepunkt der durch Adenauers Liebäugeln mit dem Amt des Bundespräsidenten hervorgerufenen Krise, sah er sich deshalb veranlasst, Adenauer brieflich seiner Unterstützung insbesondere für seinen außenpolitischen Kurs zu versichern, weil er öffentlich mittlerweile zu den Gegnern des Kanzlers gezählt wurde. Am klarsten allerdings wurden die Unterschiede bei der Europapolitik. Röpke war keineswegs ein Gegner der europäischen Einigung, sah allerdings je länger je klarer große Probleme bei der von Adenauer Frankreich zuliebe betriebenen europäischen Wirtschaftspolitik. Insbesondere die Organisation der EWG mit der sich etablierenden Brüsseler Bürokratie und dem Zentralismus der EWG-Kommission kommentierte Röpke kritisch („ein riesiger Balkan“), genau wie die in seinen Augen immer unsolidere bundesdeutsche Finanzpolitik. Politisch weitgehend einflusslos, aber hochgeehrt, verstarb Wilhelm Röpke am 12. März 1966 an den Folgen eines Herzinfarktes. Die akademische Trauerrede für seinen Freund hielt ein Jahr später der mittlerweile als Kanzler zurückgetretene Ludwig Erhard.

Röpke als intellektueller Vordenker im Kalten Krieg

Wilhelm Röpke gehört wie Raymond Aron, Walter Lippmann, Salvador de Madariaga oder Arthur Koestler zu den Theoretikern und Intellektuellen, die als Vordenker des Westens im Kalten Krieg gelten können. Mit seinem ökonomischen und kultursoziologischen Werk, mit seiner weitgespannten, auf politische Entscheidungssituationen ausgerichteten Publizistik und seinem internationalen Netzwerk war er nicht nur im deutschen Sprachraum, sondern weit darüber hinaus eine repräsentative Stimme für die Revitalisierung liberalen Denkens.

Angelegt war diese Rolle schon in seinen frühen Positionierungen in den 1920er und 1930er Jahren. Er sah seinerzeit durchaus die nationalen Eigenheiten und die ideologischen Besonderheiten von Massenbewegungen wie Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Er erkannte aber wie José Ortega y Gasset auch früh die Ähnlichkeiten in deren Gesinnungen – den ästhetischen Hang zum Kolossalen in der Architektur, zur Monotonie und zur Uniformität, die ständige Mobilisierung der Massen durch eine Monopolpartei, den „vertikalen Imperialismus“, der auf eine immer tiefere Durchdringung und Unterwerfung gesellschaftlicher Ordnung unter den Primat der Politik drang – und nicht zuletzt die aus dem umfassenden Steuerungsanspruch abgeleitete Hinwendung zur Planwirtschaft, bei der nicht mehr wie in der Marktwirtschaft der „Gerichtsvollzieher“, sondern der „Scharfrichter“ zur letzten Instanz wurde. Mitte der 1930er Jahre war bei Röpke in diesem Sinne ein Totalitarismus-Begriff etabliert, der sich dadurch von gängigeren politikwissenschaftlichen Ansätzen wie bei Hannah Arendt oder Carl Joachim Friedrich unterschied, dass er den integralen Zusammenhang von politischer und wirtschaftlicher Freiheit betonte. Wo die ökonomische Ordnung politisch durchdrungen wird, ist für Röpke politische Freiheit unmöglich und der Weg in eine totalitäre Ordnung vorgezeichnet – gleichviel, welchen Inhalts die Ideologie ist, in deren Namen die maßlose Macht ausgeübt wird. Von dieser Warte aus sah Röpke die auf Abschreckung beruhende Blockbildung nach 1945 treffend voraus – die deutsche Teilung als unvermeidbares Nebenprodukt eingeschlossen.

Das Hauptmotiv seines politischen Denkens lag darin, westliche Gesellschaften gegen die Verlockungen totalitärer Experimente zu immunisieren. Die Stärkung dezentraler Einheiten, in denen Selbstwirksamkeit erfahren werden kann, das Vertrauen auf marktwirtschaftliche Ordnungsstrukturen, die Erziehung zur Freiheit, die Begrenzung von Staatstätigkeit, die Gewährleistung von Währungsstabilität, die weltwirtschaftliche Integration durch Freihandel und anderes mehr sind für ihn Grundbedingungen einer freien Gesellschaft, die mehr als Wohlstand bietet. Die frühe Bundesrepublik erschien ihm insofern als bemerkenswerte Erfolgsstory für die Rückbesinnung auf eine Werteordnung und eine wirtschaftliche Ordnung, die dem Totalitarismus etwas entgegenzusetzen hatte. Röpke folgte konservativen Denkvorstellungen, wenn er für ein Kulturideal und eine Gesellschaftsordnung plädierte, die aus natürlichen Bindungen hervorgeht und die nicht zweckgerichtet nach Maßstäben einer ausformulierten Ideologie konstruiert werden muss. Ein ideologisch aufgeladener Gegen-Totalitarismus, wie ihn geläuterte Ex-Kommunisten wie Arthur Koestler vertraten, erschien ihm untauglich und gefährlich. Er plädierte für eine „natürliche Ordnung“: „eine ruhige, gelassene Besinnung auf Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde, Ehrfurcht vor dem Leben und den letzten Dingen, pflegliche Bewahrung und Befestigung der geistig-religiösen Grundlagen“. Röpke unterschied den Liberalismus als unvergängliche, aus antiken und christlichen Vorstellungen gespeiste Idee ausdrücklich von konkreten sozialen Bewegungen.

 

Marktwirtschaft ist nicht genug

Als wesentliche Merkmale der liberalen Idee, für die er sich auf Autoren wie Montaigne, Montesquieu oder Tocqueville bezog, führte er Humanismus, Personalismus und Universalismus an. Der Liberalismus zeichnete sich für ihn durch eine Vernunftorientierung aus, die aber nicht in die Hybris einen konstruktivistischen Rationalismus umschlug. Er pflegte eine Haltung des Realismus und der Skepsis, rechnete also mit dem Menschen in all seiner Durchschnittlichkeit und Fehleranfälligkeit und setzte deshalb auf Institutionen wie Eigentum, Konkurrenz und Selbstverantwortung, um das Streben nach Eigennutz mit dem Gesamtinteresse in einer offenen Gesellschaft zu verbinden. Pendant einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die auf eine wirtschaftliche Dekonzentration hinwirkte, war eine politische Ordnung, die auf Gewaltenteilung, Föderalismus, Gemeindefreiheit und Subsidiarität aufbaute. Der von Röpke geprägte Slogan „Marktwirtschaft ist nicht genug“ umfasste dabei eine doppelte Botschaft. Einerseits ging es ihm darum, das marktwirtschaftliche Prinzip nicht durch planwirtschaftliche und interventionistische Alternativen in Frage stellen zu lassen. Andererseits ging es ihm darum, dass für eine Ordnung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, materieller Wohlstand nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung ist. 

Der Kampf gegen zentralistische, planwirtschaftliche, protektionistische und wohlfahrtsstaatliche Tendenzen gehörte zu dieser Positionierung dazu. Überdehnte Steuerungsansprüche, die Abschottung von der Weltwirtschaft oder die Expansion der Staatsausgaben durch eine „Finanzpolitik der großen Kelle“ führten nach seiner Wahrnehmung nicht nur zur ökonomischen Schwächung westlicher Gesellschaften, sondern untergruben auch die Bereitschaft der Menschen, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung wahrzunehmen, und machten sie für totalitäre Ordnungsvorstellungen anfällig. Selbstbesinnung der westlichen Gesellschaften im Sinne einer Vergewisserung über die eigenen kulturellen Voraussetzungen und daraus abgleitet ein sorgsamer, maßvoller Umgang mit politischen und wirtschaftlichen Institutionen waren für Röpke die Voraussetzung dafür, dem Kommunismus mit innerer Widerstandskraft entgegenzutreten.

Entsprechend harsch fiel auch seine Kritik an intellektuellen Tendenzen der 1950er und 1960er Jahre aus, die die westlichen Gesellschaften aus linksideologischen Motiven mit Selbstkritik überzogen, Sympathie für kommunistische Ordnungsvorstellungen hegten oder zumindest auf sträfliche Weise die Bedrohung durch den Kommunismus unterschätzten und in eine schwächliche Appeasement-Haltung gerieten. Sehr früh und klar plädierte Röpke daher für eine militärische Sicherheitsallianz des Westens, die eine glaubhafte Abschreckungsdoktrin vertrat. In den Debatten um die Wiederbewaffnung und militärische Westintegration übte Röpke scharfe Kritik am einseitigen, nach seiner Einschätzung naiven und gefährlichen Pazifismus und Neutralismus, wie ihn neben anderen sein Studienfreund Gustav Heinemann vertrat. Als leichtfertig und demoralisierend erschienen ihm auch ökonomisch motivierte Bestrebungen von Unternehmen, mit der Sowjetunion einen Ost-West-Handel auf Augenhöhe zu etablieren.

 

Außenpolitische Einsprüche

Zum Menetekel geriet ihm das Doppelkrisenjahr 1956: Röpke zweifelte und verzweifelte an der Führungsrolle der USA, als diese in der Suezkrise Frankreich und Großbritannien nicht beistanden und im Einvernehmen mit der Sowjetunion die Verstaatlichung des Suez-Kanals durch Ägypten hinnahmen. Dass der Westen auch tatenlos zusah, als der ungarische Freiheitskampf durch die Sowjetunion niedergeschossen wurde, deutete er sorgenvoll als Renaissance der Appeasement-Haltung der 1930er Jahre. Aus seiner Sicht war der kommunistische Totalitarismus noch bedrohlicher als der nationalsozialistische Totalitarismus, weil die ökonomisch hergeleitete Ideologie des Kommunismus viel leichter in andere Länder zu übertragen war als die rassistisch begründete Ideologie der Nationalsozialisten.   

Anders als viele andere Ökonomen war sich Röpke also auch der sicherheitspolitischen Dimension des Kalten Kriegs bewusst. Da er allerdings den amerikanischen Präsidenten Kennedy und Johnson in dieser Hinsicht nicht traute und ohnehin mit der politischen Kultur der USA fremdelte, entwickelte sich der Adenauer-Fan Röpke in seinen letzten Jahren zu einem temperamentvollen Gaullisten, der die Fähigkeit Frankreichs überschätzte, als militärische Führungsmacht Europas an die Stelle der USA zu treten.

Dass der Kalte Krieg sich nicht nur an der Demarkationslinie zwischen Ost und West mitten in Europa abspielte, sondern weltweit ausgetragen wurde, registrierte Röpke sehr genau. Nachdem im Zuge der Dekolonisierung eine Reihe von neuen Staaten vor allem in Afrika und Asien ihre Unabhängigkeit errungen hatte, wandte sich Röpke wiederholt gegen eine in doppelter Weise naive Entwicklungshilfepolitik. Zum einen kritisierte er, dass dank der materiellen Unterstützung des Westens viele Regime stabilisiert wurden, die ideologisch mit dem Kommunismus sympathisierten. Zum anderen erachtete er eine Entwicklungshilfepolitik als verfehlt, die, auf marxistischen oder keynesianischen Prämissen beruhend, auf Verstaatlichungen, Dirigismus und Planwirtschaft abzielte und damit eine echte Integration der jungen Staaten in die Weltwirtschaft erschwerte. Hier gab der Westen nach Röpkes Auffassung ohne Not viel geistiges Terrain preis. So berechtigt Röpkes Kritik an diesen Ansätzen der Entwicklungspolitik an den vielfach sozialistisch inspirierten Befreiungsbewegungen war, schoss er – ähnlich wie bei seinen Hoffnungen auf de Gaulle – bisweilen übers Ziel hinaus – so etwa, indem er einige Ausprägungen des südafrikanischen Apartheidsregimes gegen internationale Kritik von links verteidigte.  

 

Röpkes aktuelle Relevanz

Fünfzig Jahre nach seinem Tod wird Röpke nur noch selten in ökonomischen Fachdebatten rezipiert. Präsenter blieb er in seiner historischen Rolle als Kultursoziologe und Publizist. Diese schien allerdings nach dem Epochenjahr 1989 lange Zeit überholt. Entgegen Francis Fukuyamas irriger These vom „Ende der Geschichte“ waren in den letzten Jahren aber Entwicklungen zu registrieren, die wieder Erinnerungen an die Zwischenkriegszeit – mit der großen Instabilität der Demokratien, mit der weltwirtschaftliche Ordnungskrise und nicht zuletzt mit dem Auftreten totalitärer Bedrohungen, wach werden ließen. So gewann Röpkes ökonomisches Denken wieder an Gegenwärtigkeit, als nach 2008 darum gerungen wurde, ob die Antwort auf die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise in antikapitalistischen und globalisierungskritischen Reflexen oder in einer Rückbesinnung auf ordnungspolitische Regeln zu suchen sei. Neue Lesbarkeit gewann Röpkes Werk auch durch die wachsenden Probleme, in die viele westliche Wohlfahrtsstaaten seither durch übermäßige Verschuldung, mangelnde Tragfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme und nachlassende Wettbewerbsfähigkeit hineingerutscht sind. Spätestens seit 2014, als Russland die Krim annektierte, sind in Europa auch wieder sicherheitspolitische Bedrohungen greifbar, die mit der Konstellation im Kalten Krieg vergleichbar sind. Und wie in den 1930er Jahren stellt sich die Frage, ob die westliche Welt eine gemeinsame Ordnungsvorstellung hat und diese in eine kohärente sicherheitspolitische Strategie übersetzen kann oder ob sie durch geistige Orientierungslosigkeit in eine Appeasement-Politik verfällt. Trotz aller Rede von der „Zeitenwende“ hat selbst der Ausbruch des Ukraine-Kriegs 2022 hierauf noch keine klare Antwort gegeben. Vor diesem Hintergrund ist Röpkes heutzutage vor allem aus vier Perspektiven noch oder wieder relevant:          

Zum einen gibt sein Werk nach wie vor Orientierung, um den Allerweltsbegriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ ordnungspolitisch zu klären und konsistent zu machen. Röpke betonte stets die kulturellen Voraussetzungen und Bindungen der wirtschaftlichen Ordnung und begründete damit die Notwendigkeit, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Ordnung kohärent zusammenzudenken. Insbesondere die beliebige Addition von marktwirtschaftlichen und sozialistischen Ordnungsmerkmalen war aus seiner Sicht unverträglich. Auch indem er die grundlegende Bedeutung von Währungsstabilität und Haushaltsdisziplin betonte, berührte er Herausforderungen, die derzeit viele westliche Länder, namentlich die Eurozone, umtreiben. Ebenso gibt Röpkes Werk heute noch und wieder Orientierung in den Debatten zur Sozialpolitik. Die Fehlentwicklungen, unter denen derzeit viele Länder leiden, sah Röpke bereits voraus. So ist seine Vorstellung einer ordnungspolitisch reflektierten, marktkonformen Sozialpolitik, die Abhängigkeiten vom Staat reduziert und selbstbestimmtes Leben durch Eigenverantwortung, Vorsorge und Vermögensbildung ermöglicht, wieder relevant. Auch der Verlust an Regeldenken in der Wirtschaftspolitik war ein Leitmotiv in Röpkes Denken: Politische Eingriffe in Marktpreise, Innovationslenkung, rückwärtsgewandte Beschäftigungspolitik, branchenspezifische Subventionierungen und anderes mehr, was derzeit beispielsweise die Energie-, Wohnungsbau- oder Industriepolitik prägt, hat Röpke bereits in der Weimarer Republik kritisiert und dagegen ein ordnungspolitisch fundiertes Reformprogramm gesetzt.

Zweitens bietet Röpkes Werk auch Orientierung in den Debatten um Globalisierung und Freihandel. Seit der Finanzmarktkrise 2008 sind globalisierungskritische, protektionistische und sogar autarkistische Stimmungen wieder auf dem Vormarsch. Erst seitdem Donald Trump in den USA am Ruder ist und die Welt mit einer hektischen und erratischen Schutzzollpolitik in Atem hält, wächst in Europa wieder die Einsicht dafür, dass Freihandel erstrebenswert ist, weil er ökonomischen Wohlstand schafft und zur Zivilisierung und Reduzierung von Interessenkonflikten beitragen kann. Mit Röpke lässt sich verstehen, dass eine außenwirtschaftliche Integration von Gleichgesinnten höchst erstrebenswert ist, auch und gerade, weil damit im Inneren auf die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Wirtschaft geachtet werden muss.   

Besondere Aktualität haben in den letzten Jahren drittens seine Warnungen vor Fehlentwicklungen der europäischen Integration gewonnen. Röpke warb stets für eine marktwirtschaftlich und freihändlerisch ausgerichtete Integration. Die Notwendigkeit einer europäischen Währungsunion hätte er nicht eingesehen. Erst recht hätte er sich gegen die Vergemeinschaftung von Schulden positioniert. Sektorale Planwirtschaften, wie sie von Beginn an im Kohle- und Agrarsektor angelegt waren, lehnte er dezidiert ab. Entsprechend kritisch würde er heutige Tendenzen kommentieren, die unter dem Begriff der „strategischen Autarkie“ auf die industrie- und innovationspolitische Lenkung ganzer Branchen zielen. Überhaupt lässt sich mit Röpke auch besser verstehen, warum die Europäische Union derzeit mit ihrem überbordenden Dirigismus an Akzeptanz und an Funktionalität verliert. Mit Röpke lässt sich argumentieren, warum die Europäische Union gut beraten wäre, aus der Sackgasse kleinteiliger, hektischer und widersprüchlicher Regulatorik wieder herauszukommen und stattdessen einer Philosophie der berechenbaren und konsistenten Regelsetzung zu folgen und dem Grundprinzip der Subsidiarität wieder mehr Geltung zu verschaffen.    

Mit Röpkes Kritik am Ost-West-Handel der 1950er Jahre im Hinterkopf erkennt man zu guter Letzt auch klarer, wie naiv und fahrlässig die Vorstellung war, man können Putins Russland besänftigen und zivilisieren, indem man sich in die energiepolitische Abhängigkeit begab. Röpke hat früh davor gewarnt, dass eine solche ostpolitische Arglosigkeit sich nicht auszahlt und dass die westliche Welt gut beraten ist, ihre Interessen klar zu definieren und daraus auch die notwendigen sicherheitspolitischen Konsequenzen zu ziehen. Man muss nicht von einer Renaissance des Kalten Krieges sprechen, aber es ist wieder eine Situation eingetreten, in der sich die westliche Welt darauf besinnen muss, welche Werte sie ausmachen, und wie sie ihre politische Ordnung nach innen und außen verteidigen muss. Manche Antworten werden dazu selbstredend anders ausfallen müssen, als Röpke sie während des Kalten Krieges gegeben hat, aber die intellektuelle Haltung von Realismus und Unerschrockenheit, mit der er zu seiner Zeit auf solche existentiellen Herausforderungen reagierte, ist auch heute wieder gefragt. 

 

Bibliografie:

  • Hans Jörg Hennecke: Wilhelm Röpke. Ein Leben in der Brandung. Zürich 2005.
  • Wilhelm Röpke: Die deutsche Frage. Erlenbach-Zürich 1945.
  • Ders.: Maß und Mitte. Erlenbach-Zürich 1950.
  • Ders.: Jenseits von Angebot und Nachfrage. Erlenbach-Zürich/Stuttgart 1958.
  • Ders.: Gegen die Brandung. Zeugnisse eines Gelehrtenlebens. Erlenbach-Zürich/Stuttgart 1958.
  • Ders.: Wort und Wirkung. Ludwigsburg 1964.
  • Marktwirtschaft ist nicht genug. Gesammelte Aufsätze. Hg. von Hans Jörg Hennecke. Waltrop/Leipzig 2009.

 

 

 

Dieses Essay ist zuerst auf dem Public History Portal Geschichtsbewusst erschienen.

 

 

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