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Raisina Paper 2023: „The war which we are trying to stop“

von Tobias Lücke

Tobias Lücke ist Vorsitzender des Arbeitskreises „Junge Sicherheitspolitiker“ der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin. Der Politikwissenschaftler ist zudem Mitglied im Landesfachausschuss Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik der CDU Hamburg. Tobias Lücke nahm am Raisina Dialog 2023 in Neu-Delhi teil und gibt in diesem Beitrag seine persönliche Meinung wieder.

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Der Raisina Dialogue in Neu-Delhi gehört neben Formaten wie der Münchner Sicherheitskonferenz, Davos oder Shangri-La zu den festen Größen im internationalen Konferenzkalender. Das Alleinstellungsmerkmal dieser Veranstaltung war in diesem Jahr, dass sie die letzte nennenswerte internationale Plattform ist, auf der der Russischen Föderation noch eine Bühne gegeben wird. Am 3. März trat der russische Außenminister Lawrow beim diesjährigen Raisina Dialogue in Delhi auf. Gemeinsam mit dem Präsidenten der Observer Research Foundation (ORF) Sunjoy Joshi, einem der bekanntesten Thinktanker Indiens, nahm er auf der Bühne Platz. In dem bis auf den letzten Platz gefüllten Auditorium saßen Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, Militär, Thinktanks und Medien aus allen Teilen der Welt. Das Publikum verband spürbar eine Mischung aus Neugierde und Hoffnung auf Zeichen, die für den Krieg in der Ukraine auf mehr Raum für Diplomatie und weniger für Zerstörung und Leid hoffen ließen.

Um das Fazit vorwegzunehmen, wer auf Zeichen der Konfliktentspannung oder dergleichen Konstruktives gehofft hatte, wurde herbe enttäuscht. Der Moderator, in seiner Funktion als Präsident der ORF auch Konferenzgastgeber, gab sich sichtlich Mühe mit teils kritischen, teils moderierenden Fragen einen sachlichen Dialog auf Augenhöhe auf der Bühne zu führen. Im Mittelpunkt seiner Fragen stand dabei der Krieg in der Ukraine. Er traf damit aber auf einen launigen russischen Außenminister, der die gebotene Bühne vor einem globalen Publikum nutzte, Russland als Opfer einer westlichen Dominanzkampagne darzustellen. An einem Dialog zeigte er wenig Interesse. Vielmehr versuchte er sich fortlaufend auf Kosten des Moderators beim Publikum zu profilieren. Mit diplomatischer Höflichkeit hatte es nichts zu tun, als er dem Moderator empfahl, er hätte besser seine Hausaufgaben machen sollen oder ihm das vergiftete Lob aussprach, er wäre ein guter Propagandist in der Sowjetunion gewesen. Lawrow reagierte auf relativ wertneutrale Fragen aggressiv und wirkte insgesamt müde und unkonzentriert. Immer wieder hatte er Wortfindungsschwierigkeiten oder baute kryptische Satzgebilde, wie man sie in der Vergangenheit nicht von ihm gewohnt war.

Mit Äußerungen, die keinem Faktencheck standhalten würden, zeichnete er Russland als das Opfer in dieser Krise. So sei der Westen schuld an dem seit über einem Jahr andauernden russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Russland verteidige sich in der Ukraine hingegen nur selbst gegen den „globalen Dominanzanspruch des Westens“ so Lawrow weiter. Dazu passte auch die Äußerung, dass die Region um die Ukraine herum nicht unter den Folgen des Krieges leiden würde, sondern unter dem Verhalten des Westens darauf. Die Argumentation hatte letztlich keinen erkennbaren roten Faden, sondern war eine Aneinanderreihung von klassischen Propagandaelementen des russischen Regimes, die von einem Genozid an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine bis zu plumpen 'Whataboutism' reichten.

Unbeeindruckt zeigte sich Lawrow von der Tatsache, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) erneut mit 141 Stimmen den Überfall Russlands auf die Ukraine verurteilt hatte und neben 32 Enthaltungen nur sechs Staaten mit Russland dagegen gestimmt haben. Nach seiner Auffassung sind Erpressungen und Drohungen durch die USA und dessen Verbündete die Ursache für diese überwältigende Mehrheit innerhalb der Staatengemeinschaft der Vereinten Nationen. Doch ließen weitere Äußerungen erkennen, dass Russland das
Abstimmungsverhalten geopolitisch ernster nimmt, als solche Äußerungen zunächst vermuten lassen. So betonte Lawrow die herausragenden Beziehungen zu den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, Indien und China, und die wichtige vermittelnde Rolle, die Russland in den bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern einnimmt. Ergänzend hob er die Bedeutung der Kooperation im BRICS Format hervor – abgesehen von Brasilien, die der VN-Resolution zugestimmt haben – Länder die sich bei der Abstimmung enthalten haben. Damit zeigte Lawrow, dass Russland, durch das Herausstellen dieser Beziehungen und der angeblichen Opferrolle im Widerstand gegen den „Dominanzanspruch des Westens“ versucht die internationale Isolation zu verhindern. Indien und China sind hierbei für Russland von besonderer symbolischer Bedeutung. Nach russischer Lesart ist eine Enthaltung dieser beiden Staaten bei der besagten Abstimmung der Generalversammlung der VN daher wie ein Nein zu verstehen.

Im Publikum gab es durchaus auch Sympathien für Lawrow. Den Szenenapplaus erhielt er an jenen Stellen, an denen er einen klassischen Anti-Amerikanismus prorogierte, den er mit der NATO und dem Westen insgesamt vermengte. Auch nicht weiter ausgeführte Verweise auf Jugoslawien, den Irak oder Afghanistan verfingen offensichtlich bei Teilen des Publikums. Auch mit der russischen Interpretation der europäischen Geschichte nach dem Zerfall der Sowjetunion konnte Lawrow bei Teilen des Publikums punkten. Der in Teilen des sogenannten globalen Südens tief verwurzelte Anti-Amerikanismus, die Unwissenheit über die jüngere europäische Geschichte und die russische Softpower in den Medienlandschaften vieler Länder bilden die Grundlage dafür, dass diese Narrative Anklang finden. Trotz des insgesamt bizarren Auftritts von Lawrow sollte man nicht annehmen, dass die westliche Lesart beispielsweise in Indien eine Mehrheitsmeinung ist.

Um abschließend auf das eingangs bereits gezogene Fazit zurückzukommen, ließen die Ausführungen Lawrows nicht den kleinsten Raum für eine Dialogbereitschaft zur Beendigung des Krieges in der Ukraine und zur Entspannung auf geopolitischer Ebene erkennen. Dafür standen seine Argumente für die Position Russland in einem so fundamentalen Gegensatz zur Position der Mehrheit der Staatengemeinschaft innerhalb der VN. Die Isolation Russlands scheint daher fortgeschrittener als Russland selbst wahrhaben will. Sinnbildlich dafür stand die Äußerung Lawrows „The war which we are trying to stop […]“ am Ende des Gespräches und die Reaktion des Publikums darauf: lautes Gelächter. Lawrow ignorierte die Reaktion des Publikums. Dass er auf großer Bühne von einem „war“ sprach, was nach russischem Gesetz untersagt ist, ging in der medialen Nachlese ebenso unter, wie der Umstand, dass er mit diesem Ausspruch lediglich auf die Frage nach der russischen Energiepolitik in den kommenden Jahren antworten wollte. Insgesamt hat Lawrow die Plattform, die ihm geboten wurde, nicht in seinem Sinne nutzen können.

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