Asset Publisher

Single title

Israels Syrien-Dilemma

Die Debatte über die Entwicklungen in Syrien in israelischen Medien

Welche Folgen könnte der Bürgerkrieg in Syrien für Israel haben und wie sollte Israel auf die dortigen Geschehnisse reagieren? Diese Frage ist momentan eines der Hauptthemen in der israelischen Berichterstattung.

Asset Publisher

Neben den innenpolitischen Veränderungen nach dem Ausstieg der Kadima aus der „Regierung der nationalen Einheit“, dem jüngsten Terroranschlag auf israelische Touristen in Bulgarien und der anhaltenden Debatte über die Beziehungen zum Iran bestimmt vor allem ein Thema die öffentliche Diskussion. Die Entwicklungen in Syrien geben Anlass zur Sorge und füllen die Schlagzeilen. Wie Yoaf Limor schreibt, steht Israel vor einem Dilemma: Alle in Frage kommenden Strategien bergen große Risiken und Unsicherheiten.

Obwohl sich die Unruhen in Syrien seit März 2011 hinziehen, waren die Auswirkungen auf Israel noch nie so spürbar wie momentan. Mit der zunehmenden Eskalation des Konflikts treten zwei Szenarien immer deutlicher in den Vordergrund. Zum einen wird befürchtet, dass Präsident Assad die chemischen und biologischen Waffen, die sich im Besitz des Regimes befinden, gegen andere Länder einsetzen könnte. Diese Möglichkeit gilt unter israelischen Offiziellen jedoch als eher unwahrscheinlich. Stattdessen herrscht die Einschätzung vor, dass der syrische Machthaber mit Blick auf sein chemisches Waffenarsenal „verantwortlich handelt“.

Ein zweites und in den israelischen Medien häufiger diskutiertes Szenario erörtert die Wahrscheinlichkeit, dass syrische Waffen bereits jetzt oder nach einem Sturz Assads in die Hände der schiitischen Hisbollah oder anderer Gruppierungen gelangen könnten. Wie Außenminister Avigdor Liberman mitteilte, „würde der Transfer von syrischen chemischen oder biologischen Waffen an die Hisbollah eine rote Linie darstellen“. In einem solchen Falle werde Israel entschieden und ohne Zögern handeln.

Analysten befassen sich vor allem mit zwei Optionen, wie Israel auf die Vorgänge im Nachbarland reagieren könnte. Zum einen wird ein ausgedehnter Angriff auf Waffenlager in Syrien diskutiert, bevor versucht werde, Waffen zu bewegen. Zum anderen könnte Israel zielgerichtete Angriffe auf Waffenkonvois ausüben, sobald eine Übergabe an die Hisbollah beobachtet werde. Wie Gili Cohen in der Haaretz schreibt, sei diese Variante zu bevorzugen. Während ein ausgedehnter Angriff zahlreiche Nachteile hätte, könnte eine gezielte Operation Syrien und die Hisbollah zur Zurückhaltung zwingen, ohne einen Gegenangriff zu provozieren. Dabei bezieht sich Cohen auf die Einschätzung des Generalstabchefs der israelischen Streitkräfte, Benny Gantz. Dieser warnt davor, dass Israel nach einer militärischen Intervention in einen weitläufigen Regionalkrieg hineingezogen werden könnte.

Die Frage, ob Israel angesichts der nicht klar absehbaren Folgen intervenieren sollte, wird kontrovers diskutiert. Mitch Ginsburg weist in der Times of Israel darauf hin, dass ein Waffentransfer an die Hisbollah ein Eingreifen Israels verlangen würde. Statt in der bisherigen Rolle als stiller Beobachter zu verharren, müsse das Land sich der Gefahr stellen, dass sich die Hisbollah oder andere Gruppen mit syrischen Waffen in den Golan-Höhen einrichten könnten. Dabei ist zu bedenken, dass die Hisbollah-Miliz im Südlibanon bereits über ein Kontingent von schätzungsweise 60.000 Raketen verfügt.

Für eine israelische Initiative spricht sich auch Ariela Ringel-Hoffman in einem Kommentar bei ynetnews aus. Zwar wäre die Initiierung von Kampfhandlungen nicht angenehm, doch wäre es weitaus „schlimmer für Israel, aber auch viel schlimmer für seine Feinde“, sollte Israel geeignete Maßnahmen erst ergreifen, nachdem man selbst mit unkonventionellen Waffen angegriffen wurde.

Hingegen warnt Merav Betito davor, dass schon eine von Israel abgefeuerte Kugel einen Krieg in der ganzen Region unter Beteiligung Irans und Ägyptens entfachen könne. Tausende Israelis würden dadurch ihr Leben lassen und die Existenz des Staates wäre mehr denn je bedroht.

In einer Analyse für Israel Hayom diskutiert Yoaf Limor die beiden Strategien, die Israel momentan zur Wahl stehen. Seiner Meinung nach „hat Israel kein Interesse daran, einen Krieg gegen Syrien zu beginnen – besonders einen Krieg der Assad stärken und seine Tage an der Macht verlängern könnte“. Er schätzt, dass ein präziser Schlag sowohl von Syrien als auch von der Hisbollah noch akzeptiert werden könnte und sie nicht direkt zum Handeln gezwungen wären. Gleichzeitig reiche ein solcher Schlag aus, um zu demonstrieren, dass Israel seine „rote Linie“ ernst nehme, jedoch nicht an einem Krieg interessiert sei.

Doch wie wahrscheinlich ist ein Eingreifen – in welcher Form auch immer – von Seiten Israels? Solange Regierung und Armee bei ihrer Einschätzung bleiben, dass die Waffen beim syrischen Regime in Sicherheit sind, sind alle Szenarien nicht mehr als Gedankenspiele.

Beim Blick auf die öffentliche Meinung zu diesem Thema, zeigt sich in einer gemeinsamen israelisch-palästinensischen Umfrage, die mit der Unterstützung der KAS durchgeführt wurde, dass die befragten Israelis einer Intervention negativ gegenüberstehen. Eine deutliche Mehrheit von 73 Prozent lehnt eine Intervention ab, knapp ein Fünftel unterstützt humanitäre Hilfe und die Gewährung politischen Asyls an Rebellen. Lediglich 2 Prozent befürworten die Bereitstellung von Waffen und Munition an die Rebellen und 4 Prozent der Befragten sprechen sich für eine aktive Intervention durch die israelische Armee aus. Wie groß die Besorgnis der Bevölkerung mittlerweile ist, zeigt sich in Medienberichten über die gestiegene Nachfrage für Gasmasken. Damit reagiere die Öffentlichkeit auf die Möglichkeit, chemische und biologische Waffen könnten in die Hände der Hisbollah oder anderer terroristischer Gruppierungen gelangen und Israel angegriffen werden.

Ein weiterer signifikanter Faktor in der Abwägung, ob Israel aktiv werden sollte oder nicht, ist die Haltung der USA. Wie die New York Times berichtet, beraten Washington und Jerusalem über mögliche Maßnahmen. Dabei verweist die Times unter Hinweis auf amerikanische Regierungskreise auf die „Differenzen, die beide Regierungen in Bezug auf Syrien“ hätten. Die USA seien besorgt über das Risiko, dass sich Assad bei einem möglichen Militärschlag Israels Unterstützung holen könnte. Dabei sei die größte Sorge der US-Regierung, dass der syrische Präsident einen Angriff für seine eigenen Interessen nutzen könnte. Inwieweit Israel auch ohne amerikanische Unterstützung handeln würde, ist fraglich.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bedrohung, mit der sich Israel auseinandersetzen muss, sehr real ist. In den letzten Jahrzehnten kam es wiederholt zu militärischen Konfrontationen zwischen den beiden Ländern, beispielsweise im Sechs-Tage- oder im Jom-Kippur-Krieg 1967 bzw. 1973. Auch in der jüngeren Vergangenheit blieben Konflikte nicht aus. Besonders seit dem Gazakrieg 2008/2009 sind die israelisch-syrischen Beziehungen fühlbar angespannter. Bis heute existiert kein Friedensvertrag, sondern nur der 1949 vereinbarte Waffenstillstand. Streitpunkt zwischen Damaskus und Jerusalem sind in erster Linie die von Israel annektierten Golan-Höhen. Der Bürgerkrieg in Syrien und der ungewisse Ausgang verstärkt das bereits bestehende frostige politische Klima. Der mögliche Niedergang des syrischen Diktators verspricht nicht notwendigerweise Entspannung. Die Aufständischen formieren keine homogene Gruppe. Welche Kräfte die Macht in Syrien übernehmen könnten, zeichnet sich bislang nicht ab. Allerdings gilt es als unwahrscheinlich, dass Israel-freundliche Stimmen tonangebend sein werden. Die Abwägung der möglichen Risiken wird wohl bis auf weiteres die israelischen Debatten beschäftigen.

Leonie Grünhage

Asset Publisher

comment-portlet

Asset Publisher