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Präsident Obamas Appell an Israelis und Palästinenser

by Michael Mertes

Domradio-Interview von Monika Weiß mit Michael Mertes

Der weltweit mit großer Aufmerksamkeit verfolgte Besuch von Barack Obama in Israel und den Palästinensischen Gebieten dokumentierte die Entschlossenheit des US-Präsidenten, beide Seiten des Konflikts für eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche in die Pflicht zu nehmen. In Israel betonte er unter anderem, nur die Zwei-Staaten-Lösung sichere Israels Zukunft als jüdischer und zugleich demokratischer Staat. Zu diesen Themen befragte das Domradio Köln am 22. März 2013 Michael Mertes, den Leiter der KAS Israel.

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Quelle: domradio

domradio: Am letzten Tag seiner Israel-Reise besucht Präsident Obama die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Davor begeisterte er mit seiner Rede im Kongresszentrum von Jerusalem die Studenten. „Nur Ihr könnt entscheiden“, rief er den jungen Menschen zu. Sie seien verantwortlich für ihr Land und das Verhältnis zu den Palästinensern – und er scheute nicht davor zurück, ihnen auch zu sagen: „Die Palästinenser verdienen einen eigenen Staat.“ – Michael Mertes ist der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel. Schönen guten Tag, Herr Mertes.

Mertes: Guten Tag.

domradio: Es heißt, das war ein große Rede, die US-Präsident Obama da vor israelischen Studenten gehalten hat. Er habe deutliche Worte gefunden. Womit hat er die jungen Menschen angesprochen?

Mertes: Zunächst sollte man wissen, dass die jungen Menschen, zu denen er gesprochen hat, ein handverlesenes Publikum darstellten. Es hat im Vorfeld kritische Diskussionen gegeben, weil die amerikanische Botschaft sich geweigert hatte, auch Studenten der Ariel-Universität einzuladen. Die Ariel-Universität liegt in den besetzten Gebieten. Das heißt, schon im Vorfeld hatte es ein sehr deutliches politisches Signal von amerikanischer Seite gegeben. Die Gruppe, vor der Präsident Obama gestern gesprochen hat, ist eine Gruppe gewesen, die von vornherein seiner Politik durchaus gewogen gegenübergestanden hat, so dass man ein bisschen vorsichtig sein sollte bei der Frage, ob das denn nun wirklich eine repräsentative Versammlung gewesen sei.

Jetzt zu der Frage, weshalb er bei diesen jungen Menschen so gut ankam. Ich glaube, er hat sehr geschickt etwas aufgegriffen, das zurzeit das Land prägt, nämlich die Stimmung vor Pessach, vor dem jüdischen Osterfest. Da geht es ja um den Exodus, die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei, an die jedes Jahr erinnert wird, und er hat sehr schön gesagt: Diese Botschaft des Pessach-Festes von der Befreiung ist eine universelle Botschaft – sie gilt nicht nur für das jüdische Volk, sondern jedes Volk hat das Recht „in Freiheit in seinem eigenen Land zu leben“ („to be free in a land of their own“), und er hat das natürlich dann auch auf die Palästinenser bezogen. Also, er hat eine Stimmung aufgegriffen, die hier herrscht, und ich glaube, er hat das in einer sehr klugen, sehr geschickten Weise gemacht.

domradio: Obama hat Israel und die Palästinenser zu direkten Verhandlungen ja auch aufgerufen und den Siedlungsbau kritisiert: Demokratie gehe nur mit einem unabhängigen und lebensfähigen Palästina, sagte er. Was sagen die Menschen in Israel dazu?

Mertes: Ich glaube, dass die Mehrheit der Israelis sich sehr wohl darüber im Klaren ist, dass Israel auf Dauer nur dann als jüdischer und demokratischer Staat überleben kann, wenn es eine Zwei-Staaten-Lösung gibt – das ist im Übrigen auch die Auffassung der Bundesregierung. Warum? Es ist so – darauf hat Obama sehr deutlich hingewiesen –, dass aufgrund der demographischen Entwicklung in nicht allzu ferner Zukunft Israel herrschen wird über einen Raum, in dem die Mehrheit palästinensisch ist. („Given the demographics west of the Jordan River, the only way for Israel to endure and thrive as a Jewish and democratic state is through the realization of an independent and viable Palestine.“) Eine solche Mehrheit bedeutet, dass es eben keine jüdische Mehrheit mehr gibt und der Staat seinen jüdischen Charakter verliert. Wenn allerdings dieser palästinensischen Mehrheit ihr grundlegendes Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird, dann stellt sich für Israel die Frage, ob es überhaupt noch lebensfähig ist als demokratischer Staat. Das heißt, Israel steht am Scheideweg („today, Israel is at a crossroads“) – und das ist eine Aussage, die Obama in einer sehr großen, bemerkenswerten Deutlichkeit gemacht hat.

Domradio: Obama nannte ja bei seinem Besuch die Hisbollah eine „Terrororganisation“, hat Syriens Diktator Assad zum Rücktritt aufgefordert und Iran zum Einlenken im Atomstreit. Hat Obama denn etwas dazu gesagt, welche nächsten Schritte es gibt, um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen?

Mertes: Das hat er nicht getan, er hat allerdings keinen Zweifel daran gelassen bei seinem Besuch in Ramallah, dass er nichts davon hält, die Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zu knüpfen an irgendwelche Vorbedingungen. Er hat den Palästinensern sehr deutlich gesagt: „Fangt an zu verhandeln, stellt nicht die Vorbedingung, dass erst einmal ein Siedlungsstopp kommt.“ Und auf der israelischen Seite hat er – was von der Rechten sehr kritisch vermerkt wurde – auch sehr deutlich gemacht, dass er die Siedlungspolitik für absolut kontraproduktiv hält („continued settlement activity is counterproductive to the cause of peace“).

domradio: Glauben Sie denn, dass die Rede und auch der Besuch von US-Präsudent Obama irgendetwas jetzt ändert im Land?

Mertes: Ich glaube nicht, dass die Auswirkungen unmittelbar messbar sein werden, aber was man schon sagen kann, ist, dass Obama sehr deutlich gemacht hat seine Entschlossenheit, in dieser Frage nun weiter Druck auszuüben auf beide Seiten – das möchte ich betonen –, nicht nur auf die israelische Seite. Das ist zwar jetzt noch nichts Konkretes, aber es ist ein sehr deutlicher politischer Wille dokumentiert worden, der von allen Seiten auch ernst genommen werden muss. Das gilt nicht zuletzt angesichts einer israelischen Regierung, die wohl die siedlerfreundlichste Regierung ist, die es hier jemals gegeben hat.

Entsprechend negativ waren übrigens auch die Reaktionen gerade aus diesen Kreisen. Der Vorsitzende der nationalreligiösen Siedlerpartei „Das jüdische Zuhause“, Naftali Bennett, hat in einer Reaktion sinngemäß gesagt: „Die israelische Armee kann keine Besatzungsarmee sein, sie steht doch im eigenen Land.“ Also, da sieht man, was für gewaltige Auffassungsunterschiede zwischen Obama auf der einen Seite und einem Teil der Koalitionspartner von Netanjahu auf der anderen Seite existieren.

domrdio: Heute will der US-Präsident unter anderem die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und auch Bethlehem besuchen, bevor die Reise dann weitergeht nach Jordanien. Was bleibt von diesem Besuch?

Mertes: Von diesem Besuch bleibt die klare Botschaft, die sich hoffentlich dann auch in politische Aktionen umsetzen wird, dass die Vereinigten Staaten trotz aller Skepsis, die es sowohl bei Israelis als auch bei Palästinensern gibt, fest zur Idee der Zwei-Staaten-Lösung stehen, wie sie vor bald 20 Jahren in Oslo vereinbart worden ist. Es wird auch davon bleiben, dass Präsident Obama auf der einen Seite Israel bekundet hat die unverbrüchliche Treue seines Landes, dass er Israel auf der anderen Seite aber auch ganz eindeutig in die Pflicht genommen hat, im Friedensprozess weiterzumachen und dabei eben auch bereit zu sein, Opfer einzugehen.

domradio: US-Präsident Obama hat Israel und die Palästinenser zu direkten Verhandlungen aufgerufen, um den Nahostkonflikt zu lösen. Bei seiner Rede im Kongresszentrum hat er vor allem auch junge Menschen erreicht. Darüber gesprochen habe ich mit Michael Mertes von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Herr Mertes, ich danke Ihnen.

Wichtige Zitate aus Obamas Rede

  • Das Recht jedes Volkes, frei in einem Land zu leben, das ihm gehört:

Die Geschichte vom Exodus der Israeliten aus Ägypten ist „a story of centuries of slavery and years of wandering in the desert; a story of perseverance amidst persecution and faith in God and the Torah. It’s a story about finding freedom in your own land. … And that’s why I believe that Israel is rooted not just in history and tradition but also in a simple and profound idea: the – the idea that people deserve to be free in a land of their own.“ (Cheers, applause.)

  • Weshalb die Besetzung der Palästinensergebiete keine Dauerlösung sein kann:

„But the Palestinian people’s right to self-determination, their right to justice must also be recognized.“ (Cheers, applause.) „And put yourself in their shoes. Look at the world through their eyes. It is not fair that a Palestinian child cannot grow up in a state of their own,“ (cheers, applause) „living their entire lives with the presence of a foreign army that controls the movements, not just of those young people but their parents, their grandparents, every single day. It’s not just when settler violence against Palestinians goes unpunished.“ (Applause.) „It’s not right to prevent Palestinians from farming their lands or restricting a student’s ability to move around the West Bank“ (applause) „or displace Palestinian families from their homes. Neither occupation nor expulsion is the answer.“ (Cheers, applause.) „Just as Israelis built a state in their homeland, Palestinians have a right to be a free people in their own land.“ (Applause.)

  • Die Zwei-Staaten-Lösung garantiert Israels Zukunft als jüdischer und demokratischer Staat:

„Given the demographics west of the Jordan River, the only way for Israel to endure and thrive as a Jewish and democratic state is through the realization of an independent and viable Palestine.“ (Cheers, applause.) „That is true.“ (Sustained cheers, applause.)

„Now, only you can determine what kind of democracy you will have. But remember that as you make these decisions, you will define not simply the future of your relationship with the Palestinians; you will – you will define the future of Israel as well.“ (Applause.) „As Ariel Sharon said – I’m quoting him – ‚It is impossible to have a Jewish, democratic state at the same time to control all of Eretz Israel. If we insist on fulfilling the dream in its entirety, we are liable to lose it all.’“ (Applause.)

  • Palästinenser und Israelis müssen die staatliche Existenzberechtigung der jeweiligen Gegenseite anerkennen:

„Palestinians must recognize that Israel will be a Jewish state and that Israelis have the right to insist upon their security.“ (Applause.) „Israelis must recognize that continued settlement activity is counterproductive to the cause of peace and that an independent Palestine must be viable, with real borders that have to be drawn.“

  • Zur Notwendigkeit öffentlichen Drucks auf die handelnden Politiker:

„Political leaders will never take risks if the people do not push them to take some risks.“ (Cheers, applause.) „You must create the change that you want to see. Ordinary people can accomplish extraordinary things.“ (Sustained cheers and applause.)

Den vollständigen Text der Rede (Mitschrift des gesprochenen Wortes) finden Sie hier.

Israelisches Medienecho (Auswahl)

Sonntag, 24. März

Auf ihrer Kommentarseite 5 widmet sich die Tageszeitung Haaretz mehreren Aspekten des Obama-Besuchs. Dazu gehört ein Hinweis darauf, dass Netanjahus überraschende telefonische Entschuldigung beim türkischen Ministerpäsidenten Erdogan wegen der Tötung von neu türkischen Aktivisten der „Mavi Marmara“ Ende Mai 2010 auch der Ermutigung durch Obama zu verdanken sei. Gideon Levy klagt: „Obama hatte kaum seine Rede beendet, da wurde sie schon von Wellen mürrischer, skeptischer, voreingenommener Ablehnung unserer Studio-Analysten überflutet. Wenn irgendjemand versucht, über Hoffnung, Frieden und Gerechtigkeit zu sprechen, dann werden sie Ihnen erklären, wie ‚naiv’ und ‚kindisch’ das ist.“ Amir Oren macht sich Gedanken darüber, wie Obama die scheinbar eindeutige Aussage „You’re not alone“ – er sagte auf Hebräisch: „Atem lo levad“ – gemeint haben könnte. Oren meint, der Subtext sei eine Warnung an Israel, gegen den Iran im Alleingang vorzugehen.

Montag, 25. März

In einer ausführlichen Nachbetrachtung unter der Überschrift „Obama’s visit to Israel: A turning point?“ in der Jerusalem Post vom 25. März (S. 13) zieht Isi Leibler eine insgesamt positive Bilanz. Einerseits habe Obama die Einladung zu einer Ansprache vor der Knesset nicht angenommen, die in Ost-Jerusalem gelegene Klagemauer nicht besucht und die Studenten der Ariel-Universität nicht im Publikum seiner Jerusalemer Grundsatzrede haben wollen. Andererseits habe sich niemals ein amerikanischer Präsident „mit solchem Engagement und solcher Leidenschaft über Israel geäußert und sich nachdrücklich mit der zionistischen Vision identifiziert“.

Freitag, 29. März

Die Wochenendausgabe der Jerusalem Post macht auf mit der Schlagzeile, dass unter Israelis die Auffassung, Obama sei eher pro-palätinensisch als pro-israelisch, um 20 Prozentpunkte gesunken sei. Das Meinungsforschungsinstitut Smith Research untersucht seit vier Jahren im Auftrag der Jerusalem Post regelmäßig die Frage, wie Israelis die Sympathien der Obama-Administration für die eine oder andere Seite des Konflikts einschätzen (pro-israelisch? pro-palästinensisch? neutral?). Während vor dem Besuch des US-Präsidenten 36% der Befragten die Obama-Administration für eher pro-palästinensisch hielten, sehen nach dem Besuch nur noch 16% das so. Allerdings gibt es trotz der „Charmeoffensive“ des US-Präsidenten nur einen Prozentpunkt Zuwachs (bei einer Fehlertoleranz von vier Prozentpunkten) unter jenen Israelis, die Obama inzwischen für eher pro-israelisch halten (gegenwärtig 27%). (Siehe Gil Hoffman: „Poll finds huge drop in Israelis who see Obama as hostile“, Jerusalem Post vom 29. März 2013, S. 1 und 10.)

Im Kommentarteil derselben Ausgabe (dort S. 13 und 15) durchkämmt Herb Kernon auf der Suche nach einer „Obama Mideast doctrine“ die vom US-Präsidenten gehaltenen Reden „Searching the speaches for an Obama Mideast doctrine“. Kernon arbeitet unter anderem heraus, dass Obama für einen Neuanfang bei den Friedensgesprächen nicht allein israelisches, sondern ebenso palästinensisches Entgegenkommen für notwendig hält. Auch habe er Sympathien für Zwischenlösungen (interim arrangements) erkennen lassen.

Samstag, 30. März

Auch während der Pessach- und Osterpause wird eifrig weiter kommentiert. In ynetnews.com meint die Anwältin und Bloggerin Shoula Romano Horing, man könne Obama nicht trauen („Obama still can’t be trusted“, ynetnews.com vom 30. März 2013): Er versuche immer noch, die Israelis davon zu überzeugen, dass sie ein selbstmörderisches Risiko eingehen, indem sie der Gründung eines Palästinenserstaates in den bis 1967 bestehenden Grenzen – einschließlich der Teilung Jerusalems – zustimmen. Ebenfalls in ynetnews.com hatte der Kommentator Ziv Lenchner kurz zuvor das genaue Gegenteil vertreten: Obama habe den Israelis einen Freibrief ausgestellt, nichts zu tun („Freedom to do nothing“, ynetnews.com vom 28. März 2013): Der an die israelische Öffentlichkeit („people“) gerichtete Appell, die Politik unter Druck zu setzen, übersehe, dass die meisten Israelis gar nicht rebellisch gestimmt seien: „We, as opposed to the distinguished guest, know our people – ourselves – very well. And the bitter truth is that for years – perhaps since the days of the protest against the first Lebanon War – we have neither been leading political moves nor forcing our leaders to carry them out. Even the single move which was sort of led by the ‚people’ – the social protest – was dropped and abandoned at the moment of truth, in the elections.“

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President Barack Obama waves to the audience after delivering remarks at the Jerusalem Convention Center in Jerusalem, March 21, 2013. (Official White House Photo by Pete Souza) Public Domain (http://www.whitehouse.gov/copyright/)

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