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Im Anschluss wurde die Podiumsdiskussion unter der Moderation von Dr. Michael Borchard eröffnet. Den Anfang machte „Mr. Milky“, der junge Israeli Naor Narkis, der nach Berlin emigriert war und im vergangenen Sommer eine Protestwelle in Israel ausgelöst hatte, als er das Bild eines deutschen Kassenzettels auf Facebook veröffentlichte und damit junge Israelis zur Ausreise nach Berlin aufrief. Er verband dies mit dem Hinweis, dass die Waren auf diesem Kassenzettel in Berlin ungleich günstiger sind als in Israel und bezog sich dabei insbesondere auf den in Israel heißgeliebten Schokopudding mit der liebevollen Bezeichnung „Milky“. Innerhalb weniger Tage entzündete sich in ganz Israel eine intensive Diskussion über soziale Ungerechtigkeiten und die für viele Israelis immer schwieriger zu tragenden Lebenshaltungskosten. Aus dem kleinen „Schneeball“ entwickelte sich binnen Stunden eine gewaltige mediale Lawine, die sowohl virtuell als auch in den traditionellen Medien für großes Aufsehen gesorgt hat.
Die Gegenposition zu Narkis, der mittlerweile wieder in Tel Aviv lebt und von dort aus seine Landsleute bei ihren Auswanderungsvorhaben nach Deutschland und Frankreich unterstützt, nahm die Knesset-Abgeordnete MK Dr. Aliza Lavie ein, deren Partei Yesh Atid vor einigen Jahren selbst aus einer ähnlichen Protestbewegung entstanden war. Sie argumentierte, dass eine Abwanderung die Probleme in Israel nicht löse. Man müsse im Land alle politischen Möglichkeiten nutzen, um Lösungen zu finden und nicht einfach das Land verlassen.
Ihre Position wurde von Prof. Oz Almog, einem israelischen Soziologen und Historiker, weitestgehend unterstützt. Er bezeichnete die junge Generation von Emigranten als selbstsüchtig und warf ihnen vor, Teil des Problems und nicht Teil der Lösung zu sein. Außerdem verwies er auf die Notwenigkeit, den Staat Israel zu erhalten und zu unterstützen. Der israelische Journalist Matan Hodorov, der erst vor kurzem eine Dokumentation zum Thema in Berlin gedreht hatte, brachte eine neue Perspektive in die Diskussionsrunde mit ein: Er kritisierte fehlendes Verantwortungsgefühl für die eigene Nation – sowohl von Seiten der jungen Generation, als auch von Seiten der israelischen Politik. So berechtigt die Kritik am Urheber des Protestes sei, so sehr habe die Politik die Debatte über soziale Ungerechtigkeit vom Tisch gewischt. Man habe diese notwendige Diskussion einfach in einen Diskurs über Nationalismus und Zugehörigkeit zum jüdischen Staat umgewandelt, um letztlich von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken. Die leidenschaftliche Diskussion wurde durch den Beitrag der deutschen Journalistin und Leiterin des Politikressorts des Berliner Tagesspiegels, Juliane Schäuble, ergänzt. Sie betonte, für Berlin sei die Zuwanderung junger Israelis ein großer Gewinn.
Im Laufe des Abends wurde nicht nur ein breites Spektrum von Positionen gegenüber dem sogenannten „Milky“-Protest erkennbar, sondern auch ein hohes Maß an Emotionen, die das Thema vor allem bei der israelischen Öffentlichkeit hervorruft. Sowohl die Diskutanten als auch die Zuschauer beteiligten sich rege an der Debatte, die eine muntere Mischung von Vorwürfen, Rechtfertigungen und Fakten auf den Tisch legte. Das Gespräch kam auch nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung beim anschließendem Empfang, bei dem man den Stein des Anstoßes, einige „Milky“-Puddings verzehren konnte, nicht zum Erliegen. Der Idee der Reihe, nämlich tiefer zu schauen, als nur auf die Oberfläche des festlichen Jubiläums, entsprach die Lebendigkeit der Diskussion jedenfalls.
Fotos zur Konferenz bei Flickr: https://www.flickr.com/photos/132093169@N04/sets/72157652149611859