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Erste Anstöße
Als am 29. Oktober 2003 Bundespräsident Johannes Rau und Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski in einer gemeinsamen Erklärung in Danzig für eine europäische Initiative zur Aufarbeitung „aller Fälle von Umsiedlung, Flucht und Vertreibung“ im 20. Jahrhundert in Europa warben, ahnte niemand, wie viel Zeit die Realisierung dieser Idee in Anspruch nehmen sollte. In ihrer Erklärung riefen die beiden Präsidenten „hoch angesehene Persönlichkeiten, Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft“ dazu auf, sich nationenübergreifend mit diesem Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu befassen. Damit „Erinnerung und Trauer nicht missbraucht werden, um Europa erneut zu spalten“, traten sie dafür ein, diese Vorgänge „gemeinsam neu (zu) bewerten und (zu) dokumentieren, um ihre Ursachen, ihre historischen Hintergründe und ihre vielfältigen Konsequenzen für die Öffentlichkeit verständlich zu machen.“ Jede Nation, heißt es in der Erklärung, habe das Recht, der Opfer von Flucht und Vertreibung zu gedenken. Dabei dürfe es heute aber „keinen Raum mehr geben für Entschädigungsansprüche, für gegenseitige Schuldzuweisungen und für das Aufrechnen der Verbrechen und Verluste.“
Die „Danziger Erklärung“ der beiden Präsidenten war eine Folge der erneuten Debatte über Vertreibungen, die seit 1999 durch das maßgeblich von der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) Erika Steinbach und dem früheren SPD Generalsekretär Peter Glotz beförderte „Zentrum gegen Vertreibungen“ entfacht worden war. Der Plan, ein solches Zentrum in Berlin zu errichten, sei „orkanartig durch die deutsch-polnischen Landschaft gefegt“, hieß es später in der Süddeutschen Zeitung. Die Erklärung der Staatspräsidenten habe in dieser Situation einen „Windfang gegen weitere Verheerungen“ bilden sollen. Neben der strikten Ablehnung des Zentrumsprojektes durch Politiker und Publizisten in Polen hatte sich damals auch die Führung der rot-grünen Regierung in Gestalt von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer vehement gegen das Zentrums-Vorhaben gestellt und damit zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. FDP-Chef Guido Westerwelle hatte daraufhin damals öffentlich moniert: „Der Außenminister und der Bundeskanzler sollten bei unseren Nachbarn für Verständnis werben. Ich verstehe nicht, warum der Bundeskanzler und der Außenminister den Sorgen der Nachbarn nicht entgegentreten, sondern die Debatte noch unverantwortlich anheizen. Das Engagement für das Zentrum ist selbstverständlich alles andere als erzkonservativ und revanchistisch.“
Noch vor der Danziger Erklärung hat jedoch der Historiker Friedhelm Boll von der Friedrich-Ebert-Stiftung, wie er selbst darlegte, bereits Anfang August 2003 vor dem Hintergrund des heftigen Streits um das Vertreibungsgedenken mit dem Breslauer Historiker Krzysztof Ruchniewicz über die Gründung eines grenzüberschreitendes Netzwerkes zur Aufarbeitung der Geschehnisse gesprochen. In bewusster Anknüpfung an die Danziger Erklärung lud die Ebert-Stiftung daraufhin im März 2004 Historiker zu einer Tagung nach Bonn ein, die dort ein „Netzwerk: Zwangsmigration und Vertreibungen im 20. Jahrhundert“ gründeten. Dieses sollte das Thema als eine europäische Aufgabe bearbeiten, die nationalen Geschichtsbilder füreinander öffnen und aufkeimende Ansätze eines europäischen Geschichtsbewusstseins in seiner ganzen Vielfalt befördern, hieß es in der Begründung. Die Netzwerk-Initiative sollte dabei als eine Art Gegenentwurf zur Zentrumsidee in Berlin dienen. „Wir brauchen kein Zentrum gegen Vertreibungen nach dem gusto von Frau Steinbach. Wohl aber brauchen wir eine stärkere Kooperation derjenigen, die sich … mit diesem Thema befassen“, stellte Friedhelm Boll 2006 in aller Deutlichkeit fest.
Dahinter stand die Befürchtung, dass das Zentrumsprojekt zu einer nachhaltigen Beschädigung der deutsch-polnischen Beziehungen führen könnte. Aus diesem Grund hatte die von der Robert-Bosch-Stiftung geförderte Kopernikus-Gruppe deutscher und polnischer Experten im Dezember 2003 ebenfalls für ein „Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen“ möglicherweise an der Grenze in Görlitz oder Zgorzelec plädiert, das „auch als Netz verschiedener miteinander verbundener Standorte“ fungieren könne.
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