Országbeszámolók
Die internationale Pressekonferenz von Angela Merkel und Viktor Orbán fand medial die meiste Beachtung. Das Thema Ukraine dominierte, es wurden aber auch bilaterale Fragestellungen und innenpolitische Themen angesprochen. Der ungarische Ministerpräsident eröffnete seinen Beitrag der Pressekonferenz mit der Bemerkung, dass das „ungarische Volk die Deutschen nicht nur respektiert, sondern auch mag, wobei den in Ungarn lebenden Deutschen eine große Rolle zufällt“. Er schätze die Arbeit der Kanzlerin für die Einheit Europas sehr hoch ein. Ferner erinnerte er an die wirtschaftlichen Erfolge seines Landes, sprach dabei die 300.000 von deutschen Firmen geschaffenen Arbeitsplätze an und schloss sein Eingangsbemerkung mit: „Danke, Deutschland“. Die Kanzlerin bedankte sich zunächst bei den Ungarn für ihren Beitrag zur Freiheit in Europa und zur deutschen Wiedervereinigung und gab ihrer Freude Ausdruck über die wirtschaftliche Entwicklung Ungarns. Sie betonte jedoch, dass ein berechenbares wirtschaftspolitisches Umfeld für deutsche Unternehmen unerlässlich sei. Hinsichtlich der Ukraine waren sich beide Seiten einig, auf eine friedliche Lösung des Konflikts hinzuarbeiten und keine Waffen zu liefern. Auf einen möglichen eurasischen Wirtschaftsraum angesprochen, erklärte die Bundeskanzlerin, dass dieser eine Zielsetzung für die Zukunft sei. Die Frage des FAZ-Korrespondenten nach einer Bewertung des von Viktor Orbán im letzten Sommer geprägten Begriffs der „illiberalen Demokratie“ wurde von beiden Politikern sehr unterschiedlich beantwortet. Die Kanzlerin erklärte, dass sie mit dem Begriff illiberal im Kontext mit Demokratie nichts anfangen könne. Die CDU habe konservative, christlich-soziale und auch liberale Wurzeln. Der ungarische Ministerpräsident argumentierte, dass nicht jede Demokratie notwendiger-weise liberal sein müsse und der Begriff Demokratie nicht von einer Ideologie besetzt werden dürfe. Die Kanzlerin ging in ihrer Stellungnahme auch auf die Machtverhältnisse in Ungarn ein und forderte die Wertschätzung für die wichtige Rolle von Opposition, Medien und Zivilgesellschaft für die Demokratie ein.
Die aktuelle Lage in der Ukraine stand im Mittelpunkt der Rede der deutschen Regierungschefin an der deutschsprachigen Andrássy Universität Budapest (AUB), die auch von den Medien übertragen wurde. Frau Merkel wurde zunächst im Beisein des Senats der Universität Szeged sowie von Studierenden der dortigen Universität, der Andrássy Universität, der Central European University, der Semmelweis Universität, der Budapester Corvinus Universität und der Eötvös Loránd Universität die Ehrendoktorwürde der Universität Szeged verliehen. Nach einigen lobenden Worten über berühmte Absolventen von Szeged spannte sie einen Bogen von den ungarischen Freiheitskämpfen 1848 und 1956 zu den Entwicklungen im Wendejahr 1989 und sprach den Ungarn für die Aufnahme der DDR-Flüchtlingen und die anschließende Grenzöffnung ihren Dank aus. Anschließend ging sie ein auf die transatlantische Wertegemeinschaft, die europäische Vielfalt, Pluralität und Weltoffenheit. Daran anknüpfend stellte Frau Merkel mit Blick auf den Ukrainekonflikt fest, dass Frieden und Freiheit nicht selbstverständlich seien und Russland klar gegen die europäische Werteordnung verstoße. Sie forderte die territoriale Integrität der Ukraine und gab zu verstehen, dass gute Beziehungen der Ukraine zur Europäischen Union und gute Beziehungen zu Russland sich nicht ausschlössen. „Sicherheit ist nur gemeinsam mit Russland, nicht gegen Russland möglich“, so Angela Merkel. Vor diesem Hintergrund kam die Kanzlerin auf europäische Werte wie Rechtssicherheit, Demokratie, Vielfalt, Weltoffenheit, Toleranz, Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft und Medienvielfalt zu sprechen. Von einem Studierenden auf die Zusammenarbeit mit Viktor Orbán angesprochen, antwortete Angela Merkel, dass sie ihn für einen kompromissfähigen Politiker halte, sie hätten jedoch zu einigen Punkten unterschiedliche Auffassungen und sie wiederholte ihre Kritik des Begriffs der „illiberalen Demokratie“.
Berichterstattung in den Medien
Das Ergebnis des Kanzlerbesuchs bewerteten die ungarischen Medien unterschiedlich. Die größte Tageszeitung, die oppositionelle Népszabadság (Auflage: 43.000), hob besonders die kritischen Punkte hervor, in denen die Auffassungen von Merkel und Orbán abweichen, insbesondere die Frage der „illiberalen Demokratie“ sowie auch die unterschwelligen Signale, die Frau Merkel mit der Akzentuierung der Rolle von Opposition, Zivilgesellschaft und Medien setzte. Interessanterweise enthielt sich Népszabadság eines Leitartikels oder Kommentars.
Die regierungsnahe Magyar Nemzet (Auflage: 36.000) erinnerte an die unterschiedlichen Erwartungen von Regierung und Opposition im Vorfeld des Besuchs. Während im Regierungslager eine Bestätigung des eigenen Kurses erhofft wurde, appellierte die Opposition an die Bundeskanzlerin, dem ungarischen Ministerpräsidenten die „Leviten zu lesen“. Der Kommentator stellt fest: „Angela Merkel ließ sich nicht in den Dreck der ungarischen Innenpolitik ziehen. Sie hat ihre Ehrenrunden gedreht und in ihren ahnungsvollen Sätzen konnte ein jeder den für ihn rettenden Strohhalm finden.“ Es wurde daran erinnert, dass in allen wichtigen Fragen Einigkeit bestehe, auch wenn natürlich Nuancenverschiebungen zwischen den beiden Politikern zu erkennen seien.
Mit der Schlagzeile „Orbán hat eine Lektion in Fragen Demokratie bekommen“ wartete die regierungskritische Népszava (Auflage: 14.000) auf. Hervorgehoben wurde in der Berichterstattung der Satz Angela Merkels, nachdem in einer Demokratie die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft und der Medien auch dann wichtig sei, wenn man mit einer großen parlamentarischen Mehrheit regiere. Der Kommentator moniert Äußerlichkeiten; der Handkuss Orbáns sei protokollarisch ein Fehltritt. Zudem wird von einer eisigen Verhandlungsatmosphäre zwischen Merkel und Orbán berichtet. Betont wird, dass Merkel sich in der ungarischen Politik sehr wohl auskenne und die regierungskritische Seite mehr Ermutigung von Merkel, der „Idealistin“, bekommen hätte als sie hoffen konnte. Abschließend wird auf den Kontrast hingewiesen, der dann zwei Wochen später beim Putin-Besuch beobachtet werden könne.
Die konservative Magyar Hírlap (Auflage: nach Schätzungen 6.000-8.000) hob in ihrem Kommentar mit dem Titel „Sehr gut“ hervor, dass die ungarische Opposition vom Besuch enttäuscht sein müsse, denn die Kanzlerin habe sie nicht getroffen und ihnen damit kein Geschenk machen wollen. Hervorgehoben wurde auch, dass Merkel sich nicht hat vor den Karren spannen lassen, einem Regierungssturz das Wort zu reden. Im Anschluss ging der Kommentator auf die hervorragenden deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen ein.
Das Nachrichtenportal hvg.hu berichtete von der angespannten Stimmung während der Merkel-Orbán-Unterredung und hob die kritischen Themen wie die Freiheit der Zivilgesellschaft, die Stärke von Jobbik, die Sondersteuern und der anstehende Putin-Besuch in zwei Wochen hervor. Die Rede von Angela Merkel an der Andrássy Universität wurde als Gegenentwurf zur Tusványos-Rede („Illiberal-Rede“) von Viktor Orbán aus dem Sommer 2014 bewertet.
Das größte Nachrichtenportal origo.hu betonte, dass Merkel in ihrer AUB-Rede ungarische Nationalhelden wie Sándor Petőfi zitiert, aber auch den oppositionellen Schriftsteller György Konrád und offen über ihre Meinungsverschiedenheit mit Viktor Orbán gesprochen habe. Zusammengefasst wurden auch deutsche Pressereaktionen, insbesondere „die versteinerte Miene von Viktor Orbán“, als Merkel ihre Kritik an der „illiberalen Demokratie“ aussprach.
Das führende Nachrichtenportal index.hu betonte ebenso, dass Merkel sichtlich überrascht war, als Orbán erneut seine Thesen von der „illiberalen Demokratie“ rechtfertigte. Die Schlagzeile „Merkel nimmt den Konflikt mit Orbán in Kauf“ spitzt die Gespräche allerdings sehr stark auf die einzig offen ausgetragene Auseinandersetzung zu.