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Judul tunggal

Globalisierung und soziale Gerechtigkeit

dari Njongonkulu Ndungane

Probleme und Erfahrungen aus der Sicht Südafrikas

Rede vom Dezember 2002 in Rahmen der Veranstaltungsreihe "Jahr der Bibel".Der Vortrag befasst sich mit Problemen und Erfahrungen in Afrika vor dem Hintergrund der Globalisierung und der sozialen Gerechtigkeit.

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Berbagi

Verschiedene Erscheinungsformen der Globalisierung

Denke ich an Globalisierung, so kommen mir sofort einige Vergleiche in den Sinn: Etwa eine sehr starke Strömung, die alles mit sich reißt. Oder ein aggressiver Staubsauger, der lautstark alles verschluckt, was ihm im Weg liegt, bis schließlich nur noch eine leere Fläche zurückbleibt. Die Dynamik der Globalisierung, auf die diese Metaphern anspielen, zeitigt sowohl positive als auch negative Resultate: Für diejenigen, die auf ihrer Welle ganz oben schwimmen, ist sie sicher sehr vorteilhaft; denen aber, die in den Strudel hineingezogen werden, bringt sie nur Nachteile.

Ich möchte hier vor allem von einem wesentlichen Aspekt der Globalisierung und seiner Auswirkung sprechen: nämlich von der Verbindung ihrer Dynamik mit der Entwicklung des Marktes und der technologischen Innovation. Von wesentlicher Bedeutung in diesem Bereich sind einmal Kreativität, Erfindungsgeist und unternehmerische Risikobereitschaft, eigentlich alles recht positive Eigenschaften, zum anderen aber auch die Bereitschaft, mit altehrwürdigen Traditionen zu brechen, wenn sie hinderlich werden.

Der Begriff der Globalisierung schließt mindestens fünf verschiedene Prozesse ein, die alle in Relation zueinander stehen. Im Lauf der letzten zehn Jahre hat sich Folgendes ereignet:

  • eine Revolution in der Informations- und Kommunikationstechnik;
  • eine massive Liberalisierung der Kapitalströme auf der ganzen Welt;
  • eine wachsende Interdependenz und Integration bei der Verteilung von Gütern weltweit;
  • ein Aufblühen des Handels; und schließlich
  • eine weitere Ausdehnung des Einflusses der großen multinationalen Konzerne.
Zwar spiegeln diese Prozesse den Fortschritt wider und sie sind unumkehrbar, aber in dreierlei Hinsicht geben sie Anlass zu besonderer Sorge:

  1. Charakter, Prioritäten und Werte der neuen Weltordnung werden von den Reichen und Mächtigen bestimmt. Das freie Marktsystem der Weltwirtschaft mit seinem Verdrängungswettbewerb und seinem alleinigen Streben nach Effizienz und Produktivität geht nur allzu oft auf Kosten eines bestimmten Sektors, der dann immer mehr benachteiligt wird. Daraus wiederum entstehen Probleme, die für die Ordnung und die Weltwirtschaft langfristig eine Bedrohung darstellen.

  2. Im Laufe dieses Prozesses nimmt ein einheitlicher lukrativer Markt Gestalt an, der immer heißer umkämpft wird. Oder anders ausgedrückt: Der Globalisierungsprozess erweitert und vertieft den Einfluss der politischen Ökonomie auf internationaler Ebene auf dramatische Weise. Dabei werden zwar viele der ärmeren Länder immer weiter in das Weltwirtschaftssystem hineingezogen, aber die Bedingungen für ihre Beteiligung werden von den Reichen diktiert, und zwar zu deren Gunsten. Den anderen droht der völlige Ausschluss von jeglicher wirtschaftlicher Aktivität.

  3. Größenbedingte Einsparungen und kollektive Kapazitäten werden auf den internationalen Märkten immer wichtiger. Nur Firmen mit maximaler Kapazität, d.h. Firmen, die in der Lage sind, gleichsam ohne Vorwarnung riesige Ressourcen zu mobilisieren und ihre wirtschaftlichen Strategien in verschiedenen Bereichen zu koordinieren, werden sich in Zukunft noch dem Konkurrenzkampf stellen können. Deshalb streben die Regionen, in denen wirtschaftlicher Wohlstand herrscht, nach einer weiteren Ausdehnung der politischen und wirtschaftlichen Integration und Vernetzung, während die armen Regionen immer mehr ins Hintertreffen geraten.
Zusammen führen diese drei Aspekte dazu, dass die armen Länder zwar in die internationale politische Ökonomie integriert werden, sich ihr aber auch unterordnen müssen. Während ein neues Zeitalter heraufdämmert, stellt sich die schwerwiegende Frage, ob die Entwicklungsländer wohl in der Lage sein werden, die in Gang gesetzten Prozesse zu überleben. Die armen Länder und Regionen der Welt sehen sich mit der ernsten Gefahr konfrontiert, auf Dauer an den Rand gedrängt zu werden. Wirtschaftlich gesehen fallen sie auf den internationalen Märkten ständig dem Verdrängungswettbewerb der Reichen und Mächtigen zum Opfer.

Die weltweite Rezession und die allgemeine Flaute auf den internationalen Rohstoffmärkten machen die exportorientierten Entwicklungspläne der meisten Entwicklungsländer auch weiterhin zunichte. Sie sind gezwungen, immer schlechtere Bedingungen für ihren Exporthandel zu akzeptieren, weil sie andernfalls befürchten müssten, von jeder wirtschaftlichen Tätigkeit auf internationaler Ebene völlig ausgeschlossen zu werden. Für die Reichen wiederum bleibt ein Kontinent wie Afrika eine Quelle für Öl und knappe, nicht erneuerbare Ressourcen.

Einfach ausgedrückt: In unserem neuen Zeitalter besteht für die Armen die Gefahr, auf immer der Bedeutungslosigkeit anheim zu fallen.

Die meisten Entwicklungsländer sitzen so zwischen Skylla und Charybdis fest und haben keine andere Wahl, als sich ständig mit einem dieser beiden Ungeheuer auseinander zu setzen. Auf der einen Seite sehen sie sich internen Problemen gegenüber, die es zu lösen gilt, was aber auf der anderen Seite durch den unaufhaltbaren Prozess der Globalisierung noch erschwert wird. Kurz gesagt müssen sich diese Länder in ihrer wirtschaftlichen Not mit feindlichen Kräften auseinander setzen, die sowohl von außen als auch von innen auf sie einwirken. Ich möchte mich nun den internen Problemen Afrikas zuwenden.

Probleme in Afrika

Am schwersten wiegt sicherlich die Armut: Während die Mächtigen ständig neue Pläne schmieden, um immer noch mächtiger zu werden, werden die armen Länder effektiv immer ärmer. Im Moment leiden tagtäglich 800 Millionen Menschen Hunger und noch viel mehr sind unterernährt. Man rechnet damit, dass die Zahl der untergewichtigen Kinder unter fünf Jahren weltweit innerhalb von zwei Jahrzehnten von 193 Millionen auf 200 Millionen ansteigen wird, und zwar hauptsächlich in Afrika.

Wir leben heute alle in demselben "Global Village". Wir müssen uns dem Leid dieser Kinder stellen und die Verantwortung für das übernehmen, was mit ihnen geschieht. Wenn der Trend nicht aufgehalten und nicht umgekehrt wird, werden wir uns der tödlichen Anklage des Propheten Amos nicht entziehen zu können, der Anklage, dass wir "die Armen um ein Paar Schuhe verkaufen (und) ihren Kopf in den Kot treten und den Weg der Elenden hindern" (Amos 2, 6-7).

Sicherlich, wir tun bisweilen, was wir können, um unser Gewissen zu beruhigen, und dennoch: diese unsere oberflächlichen Anstrengungen reichen nie auch nur annähernd aus, die Not der Unglücklichen zu lindern. Wir müssen uns die Misere anderer zu eigen machen, und wir dürfen nicht länger "das Unglück (meines) Volkes gering achten" (Jeremia 6, 14).

Dieser mein Vortrag ist ein leidenschaftlicher Appell an die moralischen Grundsätze derer, die im Westen leben. Sie sollten bedenken, dass sie großenteils nur deswegen dort stehen, wo sie heute stehen, weil Ihnen die Rohstoffvorräte der unterentwickelten Länder über Jahrhunderte hinweg zu Gebote standen. Man kann durchaus sagen, dass "Ungerechtigkeit sich in den meisten Fällen auf Kosten der Schwächeren zugunsten der Stärkeren auswirkt".

Wir haben dringend dazu aufgerufen, alle Schulden zu annullieren, die die armen Länder nicht abzahlen können, ohne dabei auszubluten. Außer auf die Tatsache, dass in vielen Fällen bereits ein Mehrfaches des ursprünglichen Darlehens zurückerstattet wurde und die Schuldner nur noch in der Zinsfalle gefangen sind, stützt sich dieser Appell auf den Grundsatz, dass "kein Volk zur Rückerstattung von Krediten verpflichtet werden darf, die ohne seine Zustimmung und gegen seine Interessen aufgenommen wurden". In Südafrika wurden solche Schulden aufgenommen, um das Unrechtsregime der Apartheid zu stützen. In letzter Zeit hört man sehr viel über eine "Doktrin der moralischen Verwerflichkeit" solcher Schulden ...

Ich will hier nicht auf die juristischen Feinheiten dieser Debatte eingehen, aber es gibt auf jeden Fall Menschen, die aus dem genannten Grund unter drückender Armut zu leiden haben. Angesichts dessen scheue ich mich nicht, die Worte des Propheten Jeremia in die rhetorische Frage umzuwandeln: "Wenn es denn die Väter waren, die saure Trauben aßen, warum sollen dann die Kinder darunter leiden?" Es kann doch nur ein lächerlicher Irrweg sein, wenn die Justiz von den unterentwickelten Ländern verlangt, sie sollten ihre "Erblast" an Schulden anerkennen

und zurückzahlen.

Zusätzlich zu der verheerenden Armut werden die afrikanischen Gemeinschaften noch durch eine weitere Plage von enormem Ausmaß dezimiert " die Aids-Pandemie. Wenn wir im Kampf gegen diese Krankheit nicht bedeutende

Anstrengungen unternehmen, sieht die Zukunft düster aus.

In allen Staaten südlich der Sahara ist Aids die häufigste Todesursache. Obwohl unzählige Menschen dem Krieg zum Opfer gefallen sind: Aids ist heutzutage tödlicher. Es wird zum Beispiel geschätzt, dass im Jahre 1998 200.000 Menschen durch Kriegshandlungen ums Leben kamen, während im selben Jahr mehr als 2 Millionen Menschen Aids-bedingten Krankheiten zum Opfer fielen. Nach den von der UNAIDS-Behörde in ihrem Bericht über die globale HIV/Aids-Epidemie im Juli 2002 veröffentlichten Statistiken sind 2001 etwa 2,2 Millionen Erwachsene und Kinder in den Ländern südlich der Sahara an Aids gestorben. Als Erwachsene gelten dabei Männer und Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren, die Altersgruppe, in der die sexuelle Aktivität am intensivsten ist.

Wir verlieren unsere zukünftigen Führungspersönlichkeiten. Großeltern, die bereits ihre eigenen Kinder großgezogen haben, müssen jetzt ihre Enkel großziehen. In vielen Fällen erwartet man von Kindern, die nicht älter als acht

oder neun Jahre sind, dass sie die Führung eines Haushalts übernehmen. Auch diese jungen Leute sind sexuellen Gefahren ausgesetzt, ein Problem, dem nur schwer beizukommen ist, weil man in der afrikanischen Kultur über Sexualität nicht offen spricht. Wir müssen uns mit der menschlichen Sexualität in ihrer gesamten Bandbreite befassen, und dabei hat die Kirche eine bedeutende Rolle zu spielen.

Täglich werden immer mehr Kinder zu Waisen, so dass mittlerweile etwa 95% aller Waisen auf der Welt in Afrika südlich der Sahara leben. Obwohl wir Afrikaner uns aus Tradition heraus um die Mitglieder unserer Großfamilien kümmern, wird es durch die Aids-Pandemie für unsere Familien zunehmend unmöglicher, das Problem der Aids-Waisen zu bewältigen.

Traumatisiert durch den Verlust beider Eltern und konfrontiert damit, die Verantwortung von Erwachsenen übernehmen zu müssen, benötigen diese Kinder besondere Zuwendung, zumal sie unter dem mit Aids verbundenen Stigma oft noch zusätzlich zu leiden haben.

Besonders gefährdet sind auch Frauen, Witwen und junge Mädchen: angesichts ihrer untergeordneten Stellung, die durch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Faktoren unterstützt wird.

Auf die eine oder andere Weise ist jeder in Afrika von der Pandemie betroffen. Während der Rest der Welt Pläne schmiedet, um Macht und Markteinfluss noch weiter auszudehnen, kämpfen die Menschen in Afrika ums nackte Überleben. Die verheerende Armut erschwert die Lage noch: Die Afrikaner müssen wieder auf das Land zurückkehren. Wer mit dem HIV-Virus lebt, braucht eine gesunde Ernährung. Daraus folgt, dass die Landwirtschaft wieder mehr der Bedarfsdeckung dienen muss als kommerziellen Zwecken.

Erschwert werden diese Probleme in Afrika zusätzlich durch Regierungsmitglieder, deren Beziehung zu ihrer jeweiligen Volkswirtschaft rein "extraktiver" Art ist: Die Erträge von Rohstoffen, die eigentlich allen, und besonders den Unterprivilegierten, zugute kommen sollten, dienen lediglich dazu, die Habgier einiger weniger Auserwählter zu befriedigen. Deshalb sollte sich jeder, der eine Führungsposition übernimmt, folgende grundsätzliche Frage stellen: Was kann ich für mein Land tun? Und nicht: Was kann mein Land für mich tun?

Es zeugt von Verirrung, dass die Regierungen einiger afrikanischer Länder zäh an ihrer Macht festhalten; zu diesem Zweck wird auch jede Form der Opposition mundtot gemacht. Einigen afrikanischen Staaten stünde es gut an, sich an F.W. de Klerk und Nelson Mandela zu orientieren, den beiden früheren Staatspräsidenten von Südafrika, denen gemeinsam der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Beide hielten es für richtig, sich zurückzuziehen und die Macht anderen zu überlassen. Welch beispielhaftes Verhalten für einen Kontinent, auf dem einige Staatsoberhäupter fest entschlossen scheinen, in den Sielen zu sterben. Es heißt ja: der Tod in den Sielen mag für ein Pferd schön und gut sein - aber nicht unbedingt für die Siele.

Wie ein Beobachter einmal anmerkte, kann man "den Erfolg einer Führungspersönlichkeit nicht an Äußerlichkeiten festmachen, wie z. B. daran, wieviele neue Autos er hat oder wie luxuriös er lebt. Viel wesentlicher ist die Frage, ob die Kluft zwischen Reich und Arm breiter oder schmaler wird, ob die Zahl der Unterprivilegierten steigt oder sinkt und ob ein jeder Zugang zu einer soliden medizinischen Grundversorgung und adäquaten Bildungsmöglichkeiten hat. Daran lassen sich Führungsqualitäten viel besser messen." Wenn die Führer Afrikas sich in Zukunft nicht unbeirrbar an dieses Ziel halten, ist unser Kontinent dem Untergang geweiht. Genauso wichtig ist aber, dass sich die Führung der Kirche dieser Verschwörung des Schweigens nicht anschließen kann, nicht anschließen darf. Die Kirche muss den Mächtigen die Wahrheit sagen. Korrupten Führern muss sie standhaft entgegentreten. Sie muss die Stimme all derer sein, die keine eigene Stimme haben. Denjenigen, die die Macht in den Händen halten, muss gesagt werden, dass in jeder Führungsrolle Vorrechte und Verantwortung untrennbar miteinander verbunden sind.

Was kann man von einem Führer anderes erwarten als Gerechtigkeit, die nach Aristoteles darin besteht, jedem das zu geben, was ihm oder ihr gebührt? Aristoteles hatte auch Recht, als er darauf hinwies, dass jeder ein Anrecht auf Liebe hat und dass Gerechtigkeit eben darin besteht, jedem seinen Anteil an Liebe zukommen zu lassen. In genau dieser Hinsicht haben verschiedene afrikanische Führer versagt. In den Korridoren der Mächtigen, die sich eines Vertrauensbruchs gegenüber ihren Untertanen schuldig gemacht haben, sollten die Worte des Propheten Amos widerhallen: "Es soll aber das Recht offenbart werden wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein starker Strom" (Amos 5, 24).

Was können wir tun?

Mir ist bewusst, dass ich mit meinem Diskurs über die Probleme des afrikanischen Kontinents kaum an der Oberfläche gekratzt habe. Meiner Meinung nach würden wir unsere Pflicht verletzen, wollten wir nicht auch einige Lösungsvorschläge anbieten. Dazu möchte ich mit besonderer Berücksichtigung Südafrikas darauf hinweisen, in welcher Hinsicht die politische Handlungsfreiheit un

serer Regierung und Bevölkerung durch die Zwänge der Globalisierung eingeschränkt wird. Als unsere Zollbarrieren wie Kegel fielen, war unsere Industrie trotz ihrer noch von der Apartheid herrührenden Ineffizienz plötzlich gezwungen, am internationalen Wettbewerb teilzunehmen. Die Bekleidungs- und Schuhindustrie wurde zum Beispiel völlig dezimiert. Im Laufe der letzten sieben Jahre haben wir eine Million Arbeitsplätze verloren, obwohl die Arbeitslosigkeit ohnehin schon unser größtes Problem war.

Zweitens wurden die Wechselkurse mehr oder weniger freigegeben, um ausländisches Kapital ins Land zu holen, während das inländische Kapital auf der Suche nach besseren Renditen ins Ausland abwanderte. Es kann nicht überraschen, dass mehr Geld abgeflossen als zugeflossen ist.

Drittens fand keine Umverteilung des Einkommens statt, d. h. es gab keinen Versuch, die durch die Apartheid aufgerissene Kluft zwischen Reich und Arm wieder zu schließen. Es stimmt zwar, dass eine erfolgreiche schwarze Mittelklasse entstanden ist (was ja auch zu erwarten war, nachdem die Fesseln einmal gelöst waren) - aber die Kluft zwischen den Reichen und den Armen aller Rassen hat sich verbreitert. Unsere Armen sind ärmer und unsere Reichen reicher geworden. Das ist nicht nur bei uns so. Auch international wirkt sich der freie Weltmarkt ähnlich aus, und der Prozess scheint unaufhaltbar.

Viertens sind die Zwänge schärfer geworden, denen unsere Regierung unterworfen ist. Ursprünglich war der African National Congress eine Bewegung mit egalitären Wurzeln, teils marxistisch, teils sozialdemokratisch. Misst man sie an ihren Bestrebungen vor der Befreiung, dann hätte diese Bewegung eigentlich eine Gesellschaft schaffen müssen, in der eine Umverteilung der Einkommen unabdingbar wäre. Und in der Tat bildete die Bekämpfung der Armut und die Umverteilung unseres Vermögens auch die Grundlage für das erste Dokument, das die Wirtschaftspolitik der Regierung verkörperte: das Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm. Bei seiner Einführung wurde dieses Programm von den meisten Südafrikanern begeistert unterstützt, auch von den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft.

Dieses Programm wurde jedoch durch die GEAR-Politik abgelöst, die auf Wachstum, Selbstbestimmung und Wiederaufbau abzielt. Sie geht davon aus, dass Südafrika Auslandsdirektinvestitionen ins Land holen, den Exporthandel fördern und die Beaufsichtigung durch die Regierung einschränken muss, um wachsen zu können. Im weiteren Verlauf war die Regierung gezwungen, ihre Politik voll und ganz auf den Zustrom ausländischen Kapitals auszurichten. Entscheidend dabei ist, dass die Regierung dadurch in vielerlei Hinsicht an der Umsetzung ihrer Umverteilungspolitik gehindert wurde. Sogar die Arbeitsgesetzgebung ist bedroht, die dazu dienen soll, anständige Beschäftigungsbedingungen zu sichern.

Die Regierung ist aber auch anderen Zwängen unterworfen, die auf historische Zusammenhänge zurückzuführen sind. Unter dem Apartheid-Regime war der öffentliche Dienst, d.h. die Polizei und die Streitkräfte, der Öffentlichkeit in keiner Weise zu Diensten. Polizisten und Soldaten wurden eingestellt und ausgebildet, um den Staat der Weißen zu unterstützen; sie waren schlecht motiviert, korrupt und ineffizient. Viele der Besten schieden aus dem Dienst aus, als man ihnen vor der Befreiung üppige Gehälter anbot. Der Wiederaufbau der Strukturen musste deswegen auf einer sehr schlechten Grundlage erfolgen. Die neuen Rekruten stammten aus einer Bevölkerung, der es an Selbstwertgefühl mangelte - eine der schlimmsten Auswirkungen des Rassismus - und sie waren von ihrer Bildung und ihrer Erfahrung her krass benachteiligt. Die Aufgabe ist gewaltig und - wie wir aus der Geschichte wissen - nicht über Nacht zu lösen. Trotzdem wurden von der Regierung weitreichende Maßnahmen eingeleitet, um ihre ehrgeizigen politischen Pläne zu verwirklichen. Einige dieser Maßnahmen sind fehlgeschlagen, weil der öffentliche Dienst ungenügend vorbereitet war. Obwohl z. B. beim Wohnungsbau, bei der Strom- und Wasserversorgung und in anderen Teilen der Infrastruktur durchaus Fortschritte zu erkennen sind, mangelt es an dem nötigen Tempo. Die Korruption besteht weiter und hat sich in mancher Hinsicht sogar verschlimmert.

Die Führung hat etliche Fehler begangen, sicherlich. Es muss aber auch gesagt werden - und hier sind wir wieder bei der Geschichte -, dass keine noch so erfahrene und ehrenhafte Regierung die Bedingungen hätte schaffen können, die wir uns alle wünschen. Als der ANC die Regierung übernahm, hätte man sich über jeden lustig gemacht, der behauptet hätte, dass die noch aus der Zeit der Apartheid stammenden Probleme von Kriminalität, Korruption, krasser Ungleichbehandlung und Arbeitslosigkeit bis heute gelöst werden könnten.

Bei unseren Überlegungen zur Globalisierung und ihren Auswirkungen auf die Weltgemeinschaft dürfen wir nicht vergessen, dass uns die großen Religionen der Welt, die unser moralisches Verhalten beeinflussen, beständig daran erinnern, dass jeder Mensch Würde und Wert besitzt. Dass der Mensch von Gott nach seinem Ebenbild erschaffen wurde, ist allgemein anerkannt. Die Rabbiner sagen, dass vor jedem Menschen ein Engel hergeht und ruft: "Macht Platz, macht Platz für Gottes Ebenbild!" Die Einzigartigkeit unseres Menschentums bedeutet, dass wir unsere Mitmenschen nicht willkürlich behandeln oder ausbeuten dürfen. Sie bedeutet auch, dass die Menschen ihre Zukunft selbst in den Händen halten und an ihr Handeln höchste ethische und moralische Maßstäbe anlegen sollten, die sich auf den Respekt und die Fürsorge für unsere Mitmenschen und für die gesamte Schöpfung gründen.

Aus der Sicht der großen Religionen der Welt ist Gott nicht nur der Schöpfer, sondern der Urheber allen Lebens. Er hat der Erde das mitgegeben, was für das Wohlergehen der Schöpfung erforderlich ist und wirkt in diesem Sinne auch weiterhin. Daraus folgt, dass unser Schöpfer ein gastfreundlicher Gott ist. Er ist es, der von uns fordert, dass wir uns gleichermaßen gastfreundlich verhalten und unseren Mitmenschen liebevoll und tolerant begegnen. Unter anderem folgt daraus die Verpflichtung, das, was uns Gott zu unserem Wohlergehen mitgegeben hat, mit anderen zu teilen und unseren Mitmenschen zu ermöglichen, an den Entscheidungsprozessen in der Welt als gleichberechtigte Partner teilzunehmen.

Das heißt, dass die menschlichen Werte über den materiellen Werten stehen müssen, wenn es darum geht, die Welt zu ordnen. Der Mensch muss zu einem Faktor im Gewinnstreben werden. Um die Welt zu erhalten, brauchen wir eine Wissenschaft und eine Technik neuer Art, die wiederum zu ihrer Lenkung einer neuen Ökonomie und einer neuen Politik mit einer soliden moralischen Grundlage bedarf. Die Moral sollte stets den Vorrang vor Politik, Wirtschaft und Recht haben, weil politisches Handeln mit Wertbegriffen und Entscheidungen verbunden ist. Unsere politische Führung muss sich also von den Grundsätzen der Ethik leiten lassen, damit wir als Menschen unsere Verpflichtung für das Wohlergehen unserer Mitmenschen und unserer Welt erfüllen können.

Stellen Sie sich eine Welt vor, deren Wirtschaftssystem sich von dem heutigen unterscheidet: Eine Welt, in der der Erfolg nicht nur nach Kapitalgewinnen bemessen wird, die ohne Rücksicht auf Arbeitsplätze oder das Schicksal einzelner eingestrichen werden. Eine Welt, in der die mächtigen multinationalen Konzerne ihren Profit aus einem System beziehen, in dem Hilfeleistungen für andere genau denselben Wert haben wie eine positive Bilanz. Ein ausgewogenes, gerechtes Weltwirtschaftssystem, das sich darauf konzentriert, die Lebensumstände der größtmöglichen

Anzahl von Menschen spürbar zu verbessern. Eine kleine, aber grundlegende Änderung unserer Denkweise könnte ausreichen, um eine Bewegung in Gang zu setzen, an deren Ende echte Lebensqualität für alle steht, nicht nur für

wenige besonders Begünstigte.

Für jeden, der sich moralisch verantwortlich fühlt, ist es jetzt an der Zeit, eine neue Weltordnung zu schaffen. Wir brauchen kreative, innovative und phantasiebegabte Geister, um die Zukunft einer Welt zu gestalten, zu deren Haupteigenschaften Good Governance, Gerechtigkeit und allgemeines Wohlergehen zählen. In unserer heutigen Welt werden nicht nur der Zustand der Weltwirtschaft, die Zinssätze, die internationalen Handelsbilanzen und andere bedeutende finanzielle Fragen von der Wirtschaft beherrscht, sondern auch die wirtschaftliche Zukunft

aller einfachen Männer und Frauen.

Für mich als Einzelnen wie auch für die Kirche als Ganzes gilt für jede Führungstätigkeit der Rahmen der Zivilgesellschaft. Die Zivilgesellschaft ist die neue Bewegung des neuen Jahrtausends, international und - jawohl! - globalisiert. In unserer jetzigen Ordnung verfügt die Wirtschaft, die Geschäftswelt, in mancher Hinsicht über größere Macht als die Regierung. Die Zivilgesellschaft jedoch ist eine dritte Kraft, die man nicht unterschätzen sollte. Die Zivilgesellschaft wacht über unsere Werte, unsere Kultur und unsere Hoffnungen als Menschen. Die Zivilgesellschaft schafft die Bedingungen, die das Leben der Familien und Gemeinwesen bestimmen - den Kern unseres Lebens in der Realität. Also muß die Zivilgesellschaft auf die Regierung und die Wirtschaft einwirken, um den Aspekt der Menschlichkeit in die jeweilige Beschlussfassung mit einzubringen.

In Südafrika - und meiner Ansicht nach auch anderswo - besteht die Hauptaufgabe der Zivilgesellschaft darin, Wirtschaft und Politik zu humanisieren. Als Christ weiß ich, dass wir Gott seine Gaben praktisch ins Gesicht schleudern, etwa wenn in unserer Welt Lebensmittel weggeworfen werden, während anderswo Menschen verhungern, aber auch wenn das Wohl der Öffentlichkeit gering geschätzt wird, während im Privatleben der Überfluss herrscht. Die Armut ist eine große Herausforderung, genau wie der Rassismus. Ablehnen müssen wir beide - aus Prinzip.

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