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Leseprobe aus "Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR"

Abgrenzungsinstrument nach Westen und Herrschaftsmittel nach innen

in: Manfred Agethen/Eckhard Jesse/Ehrhart Neubert (Hrsg.): Der missbrauchte Antifaschismus. DDR-Staatsdoktrin und Lebenslüge der deutschen Linken, Freiburg 2002, S. 81f., 87f., 92f.

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(...) Wohl alle politischen Gemeinschaften haben zwecks Selbstdarstellung nach außen wie Integration nach innen auf politische Mythen zurückgegriffen und sich dabei entweder sagenhafter Erzählungen bedient oder aber historisch belegbare Ereignisse mythisch umgedeutet und überhöht. Oft sind es halb mythische, halb historische Gestalten, denen dabei eine herausragende Rolle als Stadt und Staatsgründer oder als Retter in höchster Not und Bedrängnis zukommt: Theseus in Athen, Romulus in Rom, Moses und David bei den Juden, Arminius, Barbarossa und Bismarck bei den Deutschen, Vercingetorix, Jeanne d Arc und Napoleon bei den Franzosen, Tell bei den Schweizern usw. In anderen Fällen sind es politische oder militärische Ereignisse, die für das Selbstverständnis einer politischen Gemeinschaft bedeutsam gemacht werden, wie etwa der Sturm auf die Bastille, die Schüsse des Panzerkreuzers¸ Aurora auf die PeterundPaulsFestung, die Schlacht auf dem Amselfeld oder das ¸Wunder an der Weichsel , als polnische Truppen 1920 die vorrückenden Verbände der Roten Armee zurückschlugen. Dabei unterscheiden sich politische Mythen von bloßer Geschichtsschreibung dadurch, dass sie sich eigentlich nicht für die Ereignisse selbst, sondern für deren Bedeutung hinsichtlich des Fortgangs der Geschichte und ihre Bedeutsamkeit für das aktuelle Selbstverständnis der jeweiligen politischen Gemeinschaft interessieren. Das Ereignis wird erzählt als eines, von dem an eine neue Zeit begonnen habe oder eine Niederlage mit verheerenden Folgen doch noch abgewendet werden konnte. Politische Mythen berichten insofern nicht von Ereignissen, sondern von Zäsuren der Zeit und Interpunktionen der Geschichte.

Politische Mythen sind Herkunfts- oder Zukunftserzählungen, die ¸Bedeutungsinvestitionen in die Gegenwart tätigen und so für das politische Selbstverständnis einer Gemeinschaft von großer Relevanz sind. Sie bestehen weniger in einer ausgeformten Ideologie als einem Gewebe historiographischer und literarischer Erzählungen, die feste politische Orientierungen und emotionale Präferenzen hervorbringen sollen. Politische Mythen finden sich dementsprechend in historischen Darstellungen wie literarischen Texten, vom Roman bis zum Gedicht, in politischen Reden, Widmungen politischer Bücher, in Denkmälern und Straßennamen, auf Münzen und Briefmarken, kurzum: sie um fassen nahezu alle Bereiche des Lebens von der Wissenschaft bis zum Alltag. Sie dringen auf diese Weise in das Selbstverständnis der Menschen ein und prägen ihre Orientierung und Wahrnehmung, ohne dass von ihnen dies als politische Indoktrination und Ideologisierung erkennbar ist. Das ist kein DDRspezifisches Phänomen, sondern lässt sich in der Geschichte nahezu aller politischen Verbände antreffen. Und es ist auch nicht DDR spezifisch, dass der politische Gründungsmythos dezidiert gegen einen anderen Staat gerichtet war, sondern dies lässt sich bereits an den politischen Mythen der Deutschen und Franzosen im 19. Jahrhundert beobachten. Selten freilich hat ein Staat seine politische Legitimation so stark und so ausschließlich aus seinem Gründungsmythos bezogen wie die DDR. (...)

So war der antifaschistische Gründungsmythos der DDR von vornherein immer auch eine Macht- und Herrschaftsressource derer, die über die offizielle Erinnerung verfügten. Oder pointiert formuliert: Wer über den Antifaschismus verfügte, hatte auch die Macht, Oppositionellen und Missliebigen den durch diesen gebotenen Schutz zu entziehen. Die schärfste Form dieses Schutzentzugs war die Bezeichnung Faschistª oder ¹faschistischª, die in der Frühphase der DDR zu einem willkürlich verwendbaren Vernichtungsbegriff wurde. Weil der antifaschistische Gründungsmythos der DDR immer beides zugleich war, Integrations- wie Exklusionserzählung, und weil die Verfügung darüber im Herrschaftssystem der SBZ bzw. DDR ausschließlich in der Hand der Machthaber lag, war er im Unterschied zu den Mythen des antifaschistischen Widerstands in Italien und Frankreich immer auch ein Herrschaftsinstrument. In den Diskussionen der westdeutschen Linken über Faschismus und Antifaschismus und der oft untergründigen, aber doch vorhandenen Bewunderung für den Antifaschismus der DDR, der gleichsam als Kompensation für deren fortgesetztes wirtschaftspolitisches Versagen diente, ist diese Dimension des Herrschaftsinstruments zumeist übersehen worden. Die Ideologiekritik, die in der westdeutschen Linken ansonsten eifrig gepflegt wurde, machte Halt vor der moralpolitischen Unantastbarkeit des Antifaschismus. Der Einfluss DDR-freundlicher Gruppen innerhalb der Linken speiste sich überwiegend aus diesem Instrument. War der Antifaschismus in der DDR eine Herrschaftsressource, so war er im Westen, zumindest in linken Kreisen, eine Einflussressource. (...)

Neben diesen Funktionen der narrativen Integration und Identitätsstiftung, die auf die DDR als Ganze und in Kontrast zu anderen politischen Einheiten bezogen war, diente der antifaschistische Gründungsmythos aber immer auch als ein Herrschaftsinstrument der SED im Innern, generell in der Denunzierbarkeit der sogenannten "bürgerlichen Opposition" als "faschistisch" und speziell der Unterwerfung der 1946 mit der KPD zur SED (zwangs)vereinigten Sozialdemokratie unter die Vorgaben der kommunistischen Führung. Zunächst aber ging es darum, vermittels der Mythen des antifaschistischen Widerstands die Arbeiterklasse von dem Verdacht freizusprechen, sie sei zu nicht geringen Teilen zur NSDAP übergelaufen bzw. zumindest Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR für nazistische Parolen empfänglich gewesen. Dies war um so mehr erforderlich, als sich die NSDAP ja explizit an die deutschen Arbeiter gewandt und gegen den internationalistischen Sozialismus den Nationalsozialismus als politische Parole und Leitidee gesetzt hatte. (...)

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