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Veranstaltungsberichte

„Radikale demaskieren, Besorgte informieren.“

Heinrich Oberreuter in der Reihe "PEGIDA hinterfragen" über die Kluft zwischen Politik und Wählern

Mehrere tausend Menschen gehen in Dresden und anderen deutschen Städten allwöchentlich unter dem Namen PEGIDA auf die Straße. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ sprechen sich u.a. für eine strengere Auslegung des Asylrechts aus, fordern eine „Pflicht zur Integration“ von Menschen mit Migrationshintergrund und wünschen sich mehr direktdemokratische Elemente im politischen Prozess.

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Das Bildungsforum Sachsen der Konrad-Adenauer-Stiftung setzt sich mit den Thesen der PEGIDA-Bewegung auseinander. Die Dresdner Themenreihe „PEGIDA hinterfragen“ beleuchtet die Kernbegriffe und Forderungen der Proteste. Ziel ist es, eine sachliche Diskussion und gegenseitiges Zuhören zu ermöglichen.

Am 5. Februar 2015 kamen etwa 200 Menschen in den Festsaal der Dreikönigskirche Dresden, um sich der Frage zu stellen, wer oder was denn „das Volk“ wäre.

Wer ist das Volk?

Für den Moderator des Abends, Joachim Klose, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sachsen, war nicht mehr eindeutig, was der Begriff des „Volks“ angesichts offener Grenzen und einer zunehmend globalisierten Kultur genau umschreibe. Wenn sich die Protestbewegungen die Parole „Wir sind das Volk“ auf die Fahnen schrieben, müssten sie aber auch den nächsten Schritt tun und rufen: „Wir sind ein Volk!“. Die große Herausforderung für Klose: „Schaffen wir es gemeinsam, ein Volk zu sein?“

Heinrich Oberreuter empfand es als anmaßend, dass PEGIDA die Parole der Demonstrationen von 1989 übernimmt. Anders als das SED-Regime wäre die heutige Demokratie breit legitimiert, Meinungsunterschiede könnten geregelt und frei ausgetragen werden. PEGIDA selbst wäre zu heterogen, als dass die Bewegung sich selbst als „das Volk“ bezeichnen könnte.

Heinrich Oberreuter war Gründungsdekan des Politikwissenschaftlichen Instituts an der TU Dresden und jahrelang selbst in der politischen Bildung tätig. Seinem Eindruck nach könnte man das Volk nicht als einheitlichen Block verstehen, sondern als ein „Bild notwendiger Pluralität“.

Dem demokratischen Staat wäre es nicht gestattet, Meinungen zu bewerten – vielmehr hätte jeder Mensch das Recht, „auch Unsinn zu reden, zu denken und zu wählen“. Eine liberale und offene Gesellschaft fundierte auf der Achtung des Einzelnen und seiner Menschenwürde.

Suchte man nach etwas wie einer deutschen oder europäischen Identität, fände man nicht nur gemeinsame Wurzeln in der Sprache, der Kultur oder der Geschichte. Sondern zur deutschen und europäischen Identität gehörte auch „ein schmaler Konsens von Menschenwürde und Meinungsfreiheit“. Wer also den Patriotismus verteidigen möchte, müsste, so Oberreuter, „die Menschenwürde dazudenken“.

Eine Gesellschaft müsste sich auf diesen Konsens verständigen. Sobald jemand die Menschenwürde des Einzelnen missachte, verließe er den Boden des Grundgesetzes. Niemandem, egal ob Inländer oder Mensch mit ausländischen Wurzeln, wäre es gestattet, die Pluralität der Gesellschaft zu demontieren.

Verstehen sich Volk und Politik noch?

Dass dieser Konsens heute aus dem Blick geraten ist, liegt laut Oberreuter an einem „Kommunikationsdefizit“. Komplex und überfordernd erscheinen die globalisierte Welt, europäische Krisen oder internationale bewaffnete Interventionen für viele Menschen. Erst wenn die Politik die von ihr ergriffenen Maßnahmen ausreichend erkläre, könnte Vertrauen entstehen.

In allen westlichen Demokratien verhielten sich die Menschen aber zynisch bis misstrauisch gegenüber den Volksvertretern – ein Gefühl von „die da oben, wir hier unten“ wäre entstanden. „Anti“-Bewegungen und -parteien profitierten europaweit.

„Die Ignorierung und Dämonisierung durch etablierte Parteien hat die Wahrnehmung bestätigt, dass Sorgen und Ängste nicht wahrgenommen werden“, kritisiert Oberreuter. Vieles, was die Politik heute tue, werde zu schwach erklärt oder als „alternativlos“ dargestellt.

„Das alles rechtfertigt nicht dumpfen Fremdenhass oder Islamophobie“, erinnert Oberreuter. Aber es wäre wichtig zu erkennen, dass die Redeverweigerung gegenüber vielen Anliegen erst für die Kluft zwischen „der“ Politik und „dem“ Volk sorge. Das Mittel zur Überbrückung? „Radikale demaskieren, Besorgte informieren.“

Oberreuter untermauerte seine Thesen mit empirischen Befunden. 71% der Deutschen vertrauten den politischen Parteien „eher nicht“. Politiker würden allgemein als negativ wahrgenommen und ihre Kompetenz in Frage gestellt. Eine „Sehnsucht nach Harmonie“ prägte das Politikbild vieler Deutscher, notwendige Debatten würden als „Parteienstreit“ verurteilt.

Die Befragten stellten an die Politik höhere moralische Maßstäbe als an Vertreter der Wirtschaft oder gar an sich selbst und ihr Umfeld. „Die Mitgliedschaft in Parteien verliert dramatisch an Attraktivität“, so Oberreuter weiter. SPD und CDU hätten seit 1990 etwa die Hälfte ihrer Mitglieder eingebüßt.

Wie geht es weiter?

Im Kern sei es nötig, eine politische Öffentlichkeit zu schaffen, also offen miteinander zu kommunizieren und debattieren. Zu oft passe sich die Politik aber den Gesetzen der Medien oder der Stimmung im Volk an, betreibe reine Personalisierung und erlaube kaum Zwischentöne und Rückfragen in durchchoreographierten Wahlkampfkampagnen.

„Das Volk“ wäre aber am Verfall der politischen Kultur auch nicht unschuldig, sagt Oberreuter: Vielen Menschen gehe es nur um die Steigerung des eigenen Wohlstands. Sobald die Politik das nicht mehr leistete, wendeten sich viele enttäuscht ab. Sich politisch zu engagieren, laufe dem Zeitgeist zuwider, dem „anti-institutionellen Bedürfnis nach Selbstbestimmung“.

Obwohl sich eine übergroße Mehrheit der Deutschen direktdemokratische Elemente wünsche: Nur ein Bruchteil wäre bereit, sich selbst politisch einzubringen, oder fühle sich in der Lage, über aktuelle Sachverhalte fachkundig abzustimmen.

Fazit? Politiker müssten Orientierung stiften und nicht nur „nach dem Mund reden“, meint Oberreuter. Darin liege der Schlüssel, um die Kluft zwischen Politik und Volk zu überwinden. Der Schlüssel greife aber nicht „ohne eine breite kommunikative Inklusion“.

Den Vortrag und den detaillierten Diskussionsverlauf können Sie im Audio-Mitschnitt nachhören.

Die Themenreihe wird am 25. Februar und 4. März 2015 fortgesetzt. Informationen dazu erhalten Sie auf dieser Homepage. Gern können Sie uns kontaktieren, damit wir Sie in unseren Post- oder E-Mail-Verteiler aufnehmen.

Autor: Friedemann Brause

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Kontakt

Dr. Joachim Klose

Dr. Joachim Klose

Landesbeauftragter für die Bundeshauptstadt Berlin, Leiter des Politischen Bildungsforums Berlin und Leiter Grundlagenforum

joachim.klose@kas.de 030/26996-3253 030/26996-53253

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