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Veranstaltungsberichte

Kultur des aktiven Erinnerns gefordert

von Simon Kremer

Joachim Gauck bei der Abschlussveranstaltung der Reihe "Wie schmeckte die DDR?"

Verklärend und nostalgisch war die gesamte Veranstaltungsreihe von vorneherein nicht angelegt. Und so warb der ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Joachim Gauck, bei der Gedenkveranstaltung zum 17. Juni 1953 in Dresden für eine Kultur des aktiven Erinnerns: „Nostalgie ist die Erinnerungsform, die ohne Schmerz auskommt, ohne Reue, ohne Trauer.“

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Daher ginge es heute, im zwanzigsten Jahr nach der friedlichen Revolution, darum, Fragen zu stellen und auch die eigene Verantwortung kritisch zu betrachten. Viel wichtiger, als ein Ost-West- sei vielmehr ein Ost-Ost-Dialog, sagte Gauck. Vor einer inneren Versöhnung stünde zunächst die Aufgabe, verborgene, verleugnete und versteckte Fakten auszugraben. „Es gibt eine Möglichkeit, mit Schuld umzugehen: Die Wahrheit zu sagen.“

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Joachim Gauck

Ganz bewusst hätten daher nicht die Erfolge der Wiedervereinigung im Mittelpunkt der Vortragsreihe gestanden, sagte Joachim Klose, der Leiter der Bildungswerks der Konrad-Adenauer-Stiftung in Dresden. „Es ging um den Einzelnen und wie er in und mit dem System zurechtkam.“

Denn die Staatsideologie drang nicht in alle Bereiche des Lebens in der DDR vor. Nische oder Parallelwelt? In 30 Vorträgen in Dresden und neun in Chemnitz, Zwickau und Leipzig stand diese Frage im Mittelpunkt. Mehr als 6.000 Besucher kamen seit September 2008 zu den Veranstaltungen nach Sachsen, 50 Referenten gaben Einblicke in Kirche, Natur, Sport, Kultur und Heimat der DDR. „Es haben sich verschiedene Parallelwelten in dieser Zeit herausgebildet“, sagte Klose. „Es gab immer das Private und das Öffentliche.“ Weil viele Fakten noch nicht erschöpfend aufgearbeitet sind hat die Reihe bewusst den sensualistischen Titel nach dem Geschmack der DDR gestellt.

Die Gedenkveranstaltung erinnerte an den Aufstand am 17. Juni 1953 in rund 800 ostdeutschen Städten, der von sowjetischen Panzern niedergerungen wurde. Knapp eine Million Menschen hatten sich an den Streiks beteiligt und Regierungsgebäude und öffentliche Plätze besetzt. Ein Erbe, das erst im November 1989 angetreten wurde.

Bei dem Termin, der zugleich den Auftakt bilden soll für ein jährliches Gedenken zum 17. Juni, mahnte der ehemalige Bundesbeauftragte Joachim Gauck dazu, die Erinnerungen an die mutigen Menschen wach zu halten, die gegen das System revoltiert hätten, als noch keine Wiedervereinigung in Sicht gewesen sei. „Wir wollen niemals vergessen, dass es Menschen gab, die den Mut hatten, gegen das Normale vorzugehen.“ Es sei nicht bösartig, sich als Mensch an ein System anzupassen. Man müsse dennoch heute Abschied nehmen von Mythen und Geschichten im Zuge der Aufarbeitung der SED-Diktatur, sagte er vor knapp 300 Besuchern im Dresdner Rathaus.

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Von links: Joachim Klose, Bildungswerks-Leiter der KAS in Dresden, Oberbürgermeisterin Helma Orosz, Joachim Gauck

Wie schmeckte die DDR? Die Betrachtung der verschiedenen Parallelwelten im Alltag der DDR förderte ein vielschichtiges Menü zu Tage, bei dem jeder, der unter der zweiten deutschen Diktatur gelebt hat, einen anderen Beigeschmack hat. Sie schmeckte bitter und scharf in der Ideologie, trocken und salzig im Alltag, aber auch lieblich und süß in den Aspekten des individuellen Lebens.

Joachim Gauck ist Pfarrer und war von 1990 bis 2000 Bundesbeauftragter für die Unterlagen der Stasi. Er studierte von 1958 – 1965 Theologie in Rostock. Bei den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990 wurde er als einziger Abgeordneter des Bündnis 90 in Mecklenburg-Vorpommern in die Volkskammer gewählt und am 3. Oktober durch die Bundesregierung zum Sonderbeauftragten für die Stasiunterlagen berufen. Seit November 2003 ist er Vorsitzender des Vereins „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“ zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der DDR-Geschichte.

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