Vortrag
Details
Nische oder Parallelwelt? Wie ließ es sich in der ehemaligen DDR leben? Drang die Staatsideologie in alle Lebensbereiche vor, sodass der Einzelne sich in Nischen zurückziehen musste, um den Angriffen des Staates zu entgehen? Oder bildeten sich nicht vielmehr Parallelwelten aus, die nebeneinander existierten und aus denen man sich mit der Ideologie auseinandersetzte, sie teilweise erdulden musste. Lebte nicht jemand, der in der DDR eine Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte, in einer ganz anderen Welt, als jemand, der sich im kirchlichen Raum engagierte? Welchen Wert haben heute die Erfahrungen der Parallelwelten?
In der Veranstaltungsreihe werden vier Parallelwelten zur Disposition gestellt und diskutiert:
Kirchen - Dieser Raum wird allgemein als Parallelwelt akzeptiert. Welche Erfahrungen konnte man in diesem Bereich neben der Religionsausübung machen? Wie wurde mit der Ideologie umgegangen, wie wurde sie kompensiert?
Natur und Sport - Über die Kletterszene in Sachsen, die FKK-Kultur an der Ostsee oder die vielen Kleingärtner gerät man leicht ins Schmunzeln. Aber gab es in der DDR einen Rückzugsraum Natur, frei von ideologischen Attributen? Wie wurde er genutzt und wie frei war er wirklich?
Sprache und Kultur - Der gesellschaftliche Umgang in der DDR war durch ein sehr differenziertes Sprachspiel, durch Anspielungen und Zwischen-den-Zeilen-Lesen geprägt. Wie formte sich dieses Sprachspiel aus? Welche Rolle kam der Sprache zur Kompensation der Ideologie zu?
Heimat - Das verzerrte Geschichtsbild, vermittelt durch das DDR-Bildungswesen, und der Heimatverlust vieler Aussiedler führte zur verstärkten Reflexion der eigenen Wurzeln, zur Identitätssuche. Was bedeutet es, wenn einem die Ideologie die religiösen und traditionellen Wurzeln kappt? Wurde die DDR ihren Bürgern jemals zur Heimat, wie uns gegenwärtig die vielen DDR-Museen nahelegen?
Joachim Gauck (Jg. 1940) studierte Theologie in seiner Heimatstadt Rostock. Danach trat er in den Dienst der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche von Mecklenburg ein und arbeitete zunächst als Vikar. Mit seiner Ordination 1967 wirkte er als Pfarrer in Lüssow und später in Rostock-Evershagen. Ab 1982 war er für die Kirchentagsarbeit in Mecklenburg zuständig. Im Herbst 1989 leitete er die wöchentlichen Gottesdienste, die letztlich aus der Kirche auf die Straße wanderten und in die Rostocker Massendemonstrationen mündeten. Gauck war Mitbegründer des Rostocker Neuen Forums, dessen Sprecher er wurde. Bei der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 zog er als Abgeordneter des Bündnis 90 in das Parlament ein. Dort übernahm er die Leitung des Parlamentarischen Sonderausschusses zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. Am
2. Oktober 1990 wählte diese Volkskammer Gauck zum Sonderbeauftragten für die personenbezogenen Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR und am Tag darauf wurde er auch von der Bundesregierung zum Bundesbeauftragten berufen. Gauck leitete die Behörde für die Unterlagen der Staatssicherheitssicherdienstes der ehemaligen DDR insgesamt 10 Jahre. Seit November 2003 ist er Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“.
Gauck wurde für sein Engagement vor, während und nach der Friedlichen Revolution vielfach ausgezeichnet, wie etwa mit der Theodor-Heuss-Medaille, dem Bundesverdienstkreuz mit Stern sowie dem Erich-Kästner-Preis. Die Universitäten von Rostock, Jena und Augsburg ehrten ihn für seine Verdienste jeweils mit der Ehrendoktorwürde.
Achtung! Diese Abschlussveranstaltung der Ringvorlesung am 17. Juni 2009 findet im Plenarsaal des Neuen Rathauses Dresden statt. Eine schriftliche Anmeldung ist erforderlich!