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Neue Verfassung für Tunesien tritt in Kraft

Unikat und Kompromiss zugleich

Gut zwanzig Staats- und Regierungschefs und Parlamentspräsidenten wohnten den Feierlichkeiten anlässlich der Verabschiedung der neuen tunesischen Verfassung am Freitag, dem 7. Februar 2014, in Tunesien bei. Der festlichen Zeremonie am Sitz der Verfassungsgebenden Versammlung, an der auch Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert teilnahm, folgte ein Staatsbankett auf Einladung von Staatspräsident Moncef Marzouki.

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Zum 10. Februar 2014 tritt die neue Verfassung nunmehr in Kraft, ein Dokument, dessen Erarbeitung mehr als zwei Jahre in Anspruch genommen und zahlreiche politische Auseinandersetzungen verursacht hatte. Doch das „neue Karthago“ wollte es sich nicht nehmen lassen, trotz oder auch gerade angesichts der weiterhin bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Herausforderungen diesen historischen Abschnitt in der post-revolutionären Geschichte des Landes würdig zu begehen. Auch angesichts der übrigen regionalen politischen Unruheherde wollte man diesen Etappenerfolg in Wert setzen. Das kleine Land, das am Anfang der Umbrüche in der arabischen Welt stand und einen Gemüsehändler namens Mohamed Bouazizi aus Sidi Bouzid zu Weltruhm verhalf, zeigte sich stolz auf das Erreichte.

Die Bilder und Emotionen des 26. Januar 2014, als sich gegen Abend zuvor für schier unglaublich gehaltene Szenen der Verbrüderung und Freude ob der überwältigenden Annahme der neuen Verfassung bei 200 Ja-Stimmen (12 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen) in der Verfassungsgebenden Versammlung Bahn brachen, werden vielen Tunesiern lange in Erinnerung bleiben. Dass sich teilweise extreme Vertreter der islamistischen Ennahda mit radikal Linken in den Armen lagen und gemeinsam die Nationalhymne sangen, war dem berauschenden Moment wie der Tatsache zu verdanken, es nach über zwei Jahren teils verbitterter Diskussionen geschafft zu haben. Es war sodann vor allem auch Erleichterung, denn mit der Verabschiedung der Verfassung und der Installierung der neuen Technokratenregierung wurde die Blockade des politischen Prozesses aufgehoben.

Der geopolitische Kontext, Libyen zum einen, Ägypten zum anderen, von Syrien nicht zu reden, legt nahe, dass es Tunesien bislang noch am besten getroffen oder gewählt hat mit der politischen Transition. Daher verwundern auch die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft kaum; Superlative reihen sich aneinander im Versuch, sich – wenn irgend möglich – noch zu überbieten. „Vorbildlich“, „modernste Verfassung der arabischen Welt“, „exemplarisch“, das Land des Jasmins als „Beispiel und Vorbild für die gesamte arabische Welt“. Aus Sicht der internationalen Gemeinschaft verständlich, suchte man doch seit Monaten nach einem Rest des Aufbruchs in der Region, der noch stehen würde, wenn Aleppo bereits in Asche liegt. Und die politische Klasse im Land selber nimmt diese Gratulationen gerne entgegen, jeder reklamiert für sich, das Seinige dazu beigetragen zu haben, dass dieser Prozess gelingt. Sicher nicht ganz zu Unrecht.

Wo sich alle Tunesier wiederfinden...

Mustapha Ben Jaafar, Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung, hatte den Charakter der Verfassung noch am Abend der Abstimmung selber am treffendsten umschrieben: „In dieser Verfassung finden sich alle Tunesier und Tunesierinnen wieder, sie bewahrt das Erreichte und legt die Grundlagen eines demokratischen Staates.“ Deutlicher konnte man nicht zum Ausdruck bringen, dass der vorliegende Text vor allem ein Kompromissdokument ist, das an manchen Stellen viel Raum für Interpretation lässt, an anderen wiederum einfach Widersprüche aufzeigt und dann wiederum doch zahlreiche Forderungen aufgreift, auf die die Opposition gegenüber der dominierenden islamistischen Ennahda immer wieder drängte. Dass diese überwältigende Mehrheit in der 2011 gewählten Verfassungsgebenden Versammlung Präambel und die folgenden 149 Artikel, aufgeteilt in zehn Kapitel, so nahezu einmütig annahm, ist bereits selber Ausdruck dieser Kompromisssuche.

Diese Suche war, so Beobachter, auch von dem Bemühen geleitet, ein für den Fall des Scheiterns in der Verfassungsgebenden Versammlung vorgesehenes Referendum zu dem Verfassungsentwurf zu vermeiden. Für diesen Fall wäre der politische Transitionsprozess erneut ins Stocken geraten. Für eine politische Klasse, die bislang Erfolg nur sichtete in der reinen Umsetzung der eigenen Forderungen, ist es zudem ein politisches Lehrstück, das den Kompromiss als Lösung in die Politik einführt.

Ziviler Staat und Gewaltenteilung

Bereits die lang diskutierte Präambel der Verfassung definiert den zivilen Charakter des Staates, dessen Volk eng mit den Lehren des Islam verbunden ist, der in seiner Finalität jedoch auf Offenheit, Toleranz, die menschlichen Werte sowie die Prinzipien der universellen Menschenrechte abzielt. Diese lang umstrittene Festlegung unter Einschluss der universellen Men-schenrechte muss als ein entscheidender Fortschritt im Vergleich zu den vorherigen Fassungen gewertet werden. Der Staat wird zudem als Wächter der Freiheiten und Rechte der Menschen gesehen, wie denn auch allgemein von Experten anerkannt wird, dass gerade die Freiheitsrechte eine starke Stellung in der Verfassung einnehmen. Grundlegend für das Selbstverständnis des Staates sind dabei insbesondere die beiden ersten Artikel der Verfassung, die lange diskutiert und umkämpft waren, da Fragen rund um die Identität der Tunesier Gegenstand der Diskussionen im Parlament wie in der breiten Gesellschaft waren, insbesondere mit Blick auf die Rolle der Religion.

Mit der nunmehr verabschiedeten Formulierung des Artikels 1, der definiert, dass „Tunesien ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, der Islam seine Religion ist, Arabisch seine Sprache und die Republik das politische System“, wird der bereits seinerzeit für die erste Verfassung von 1959 gefundene historische Kompromiss beibehalten. Die Präambel wie der genannte Artikel nennen dabei die Religion, ohne jedoch spezifischer darauf einzugehen, auch nicht mit Blick auf die Scharia als Quelle der Gesetzgebung.

In der Einschätzung dessen, was diese ungenaue bzw. offen gehaltene Rolle der Religion angeht, unterscheiden sich jedoch die Geister. Einige Beobachter qualifizieren dies als den notwendigen und zudem tragfähigen Kompromiss, andere sehen darin ein Einfallstor für spätere gesetzgeberische Verschärfungen. Artikel 1 und 2 sind zudem als sogenannte Ewigkeitsparagraphen qualifiziert, deren Abänderung explizit nicht erlaubt ist. Der letztere garantiert insbesondere den zivilen Charakter des Staates. Widersprüchlichkeiten ergeben sich mit Blick auf Artikel 6. Nach teils heftigen und aggressiven Debatten der letzten Wochen konnte auch mit Blick auf diesen Teil des Verfassungstextes ein Kompromiss gefunden werden. Er bezeichnet den Staat als „Wächter der Religion“ (sic!), der zugleich Gewissens- und Glaubensfreiheit garantiert, die Freiheit des Kultes und die Neutralität der Moscheen sowie jegliche parteipolitische Instrumentalisierung der Kultorte verwehrt. Er sieht den Staat als Garanten für Offenheit und Toleranz, der zugleich „das Heilige“ schützt und gegen jede Art der Verleumdung des Unglaubens oder des Aufrufes zur Gewalt vorgeht. Verfassungsrechtler sehen in diesem Paragraphen zumindest zwei in der Tendenz widersprüchliche Aussagen: Glaubens- und Gewissensfreiheit einerseits und der etwas ungenau gehaltene „Schutz des Heiligen“ könnten in ihrer Finalität leicht kollidieren.

Ebenso verhält es sich nach Auffassung vieler mit der einerseits garantierten Meinungsfreiheit (Artikel 31) und dem demgegenüber festgehaltenen Verbot, jemanden des Unglaubens zu bezichtigen. Demgegenüber ist es als geradezu revolutionär für ein islamisch-arabisches Land, die Garantie der Gewissens- und Glaubensfreiheit aufzugreichen, die in der Konsequenz auch die Konversion festhält. Breite Teile der Ennahda wollten diesbezüglich nicht so weit gehen, sondern vor allem die Freiheit der „eigenen Religion“ gesichert wissen, was sich als Reminiszenz gleichwohl immer noch im Singular zu Beginn des Artikels festhält, wo der Staat als „Garant der (sic!) Religion“ bezeichnet wird.

Ebenfalls im Kontext der Identitätsfrage wurde lange Zeit heftig über die kulturellen Wurzeln und den Gebrauch der arabischen Sprache debattiert. Deren Gebrauch wurde nunmehr als verpflichtend festgeschrieben (Artikel 39), jedoch zugleich durch die „Öffnung gegenüber ausländischen Sprachen, Zivilisationen und der Kultur der Menschenrechte“ erweitert.

Den kompletten Länderbericht finden Sie oben als PDF-Datei zum Download.

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