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Künstlerdramen, Dichterlieben

von Prof. Dr. Michael Braun

Neuerscheinungen der KAS-Literaturpreisträger zur Leipziger Buchmesse 2013

„Vorsicht Buch“: Wovor und wen warnt die Werbekampagne, die der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zur Leipziger Buchmesse initiiert hat? Bedroht scheint zunächst der klassische Buchleser. Jeder zehnte Leser ist schon zum E-Book abgewandert, der Online-Buchhandel hat ein Marktsegment von 20 Prozent erobert, die Umsatzrendite des Buches liegt unter einem Prozent, und nur jeder 50. Buchautor kann, schätzt man, von seiner Tätigkeit leben. Hinzu kommen, in Europa, etwa 20 Prozent funktionale Analphabeten.

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Doch so schlecht ist es um das Buch nicht bestellt. Wohl noch nie hat es so viele Lesende und so viele Schreibende gegeben wie im Internetzeitalter. 80 Prozent aller Deutschen tragen den Wunsch in sich zu schreiben, wie die Autorin Eva Menasse im Gespräch mit „Zeit“-Kritiker und KAS-Juror Ijoma Mangold auf der Leipziger Buchmesse berichtete. Dort wurden rund 100.000 Titel präsentiert, davon ist jedes fünfte Buch eine belletristische Neuerscheinung. Der Leipziger Buchpreis 2013 ging an ein Buch, das für eine radikale autobiographische Wendung der deutschen Literatur steht: David Wagners Überlebensgeschichte „Leben“ über eine Lebertransplantation.

 

Und wo stehen die Literaturpreisträger der Konrad-Adenauer-Stiftung? Nun, wenn sie nicht inmitten eines aktuellen Schreibprojekts stecken wie Daniel Kehlmann oder Uwe Tellkamp, haben sie eines auf dem Markt: Günter de Bruyn, Hartmut Lange, Petra Morsbach und Patrick Roth.

 

 

Film und Literatur

1976 kam Patrick Roth als Filmstudent und passionierter Cineast nach Hollywood. Er schrieb Drehbücher, interviewte Starregisseure – und lernte vom Film auf abenteuerliche Weise das Schreiben. Von seiner Liebe zum Film und den Erfahrungen mit dem Kino erzählt der neue Band „Die amerikanische Fahrt“ des Autors. Er enthält Filmgeschichten im besten Sinne des Wortes: Erzählungen, die von magischen Momenten klassischer Filme (von Orson Welles oder von John Ford) und von Begegnungen mit Henry Fonda und David Lynch ausgehen. Unter den Bildern entdeckt der Erzähler eine existentielle Ebene, die uns unmittelbar anspricht. Der Film als Schule des Sehens: Selten ist davon so empathisch, so einsichtig und umsichtig erzählt worden wie in Patrick Roths „Stories eines Filmbesessenen“.

 

 

Dichterliebe: Petra Morsbachs Künstlerdrama

Die 1956 geborene Petra Morsbach gilt als versierte Meisterin des Milieuromans. Geduldig, feinsinnig und empathisch hat sie die Welt der Oper (1998 in dem „Opernroman“), der Musik (in „Der Cembalospieler“ 2008) oder der Kirche (2004 in „Gottesdiener“) beschrieben. Es war eine Frage der Zeit, bis sie sich dem eigenen Milieu zuwendet. „Dichterliebe“ ist ein Künstlerroman, der ins Herz des Literaturbetriebs führt. Er spielt in einem ostfriesischen Stipendienhaus, wohl in den späten 1990er Jahren. Der aus dem Erzgebirge stammende Dichter Heinrich Steiger, der sich jetzt Henry nennt, hat sein DDR-Renommee, seine Familie und seine Schreibmotivation verloren, quält sich nun auf Rat seines Verlegers mit „Provinzskizzen“, Nachdichtungen und Studien zu einem ehrgeizigen Projekt namens „Metamorphosen“ herum. Ein sprechendes Bild für die „Wenden“ im Literaturbetrieb nach 1989/90. Petra Morsbach durchleuchtet den deutschen Literaturbetrieb mit heiterer Ironie und subtilen Freuden. Ein Lesevergnügen der besonderen Art.

 

 

„Irrtum als Erkenntnis“: Hartmut Langes Novellen

Dem 1937 in Berlin geborenen Hartmut Lange verdanken wir eine erstaunliche Renaissance der Novelle. Niemand ist so produktiv wie er in diesem Genre, dem er mit Kleistscher Diktion und raffinierten Spannungsbögen eine ganz neuartige Seite abgewonnen hat.

 

Fünf Geschichten enthält „Das Haus in der Dorotheenstraße“, der jüngste Novellenband Langes. Auch hier kommt es wieder zum Einbruch des Rätselhaften in den Alltag, zum Überschreiten der Schwelle zwischen der sichtbaren und der nicht sichtbaren Welt. Einmal verschwindet ein Taxifahrer, der den frühen Tod seiner Frau nicht verwindet, spurlos aus der Geschichte, die „Die Ewigkeit des Augenblicks“ heißt. Und die Frau eines Hotelberaters, der selten zuhause ist, zieht einen vor ihrem Haus auftauchenden Schatten dem abwesenden Partner vor („Der Schatten“). Hartmut Lange schreibt philosophische Novellen. Geschichten über transzendental obdachlose, unerlöste Erkenntnisabenteurer wider Willen, die uns etwas die Illusion nehmen, dass nur das Erkennbare existiere. Hartmut Langes Novellen sind realistische Lehrstücke der Transzendenzsehnsucht.

 

 

Klassiker auf Abwegen: Günter de Bruyns Jean Paul

Man kennt den Dichter (1763-1825), aber kennt man auch sein Werk? Als Klassiker sitzt Jean Paul zwischen den Stühlen, Goethe und Schiller war er offenbar zu modern, den Modernen klang er schon wieder zu biedermeierlich, wenige erkannten seine „gestörten Idyllen“ (Monika Grütters). Die Idylle als „Vollglück in der Beschränkung“, Wortneuprägungen wie „Leihbibliothek“, „neureich“, „Katzensprung“ und „Selberlebensbeschreibung“ (für Autobiographie) – allein deswegen lohnt es sich, Jean Paul wiederzulesen.

 

Am besten mit einem Leitfaden wie dem von Günter de Bruyn. Der 1926 in Berlin geborene Autor ist einer der ein- und umsichtigsten Leser Jean Pauls. 1975 erschien seine Jean Paul-Biographie, die ersichtlich vom trockenen Jean Paulschen Sprachwitz angesteckt ist. Sie ist zum 250. Geburtstag des fränkischen Dichters in einer aktualisierten Ausgabe neu herausgekommen.

 

Für de Bruyn ist Jean Paul ein unklassischer Klassiker in der „Zeit der schweren Not“ zwischen Französischer Revolution und Restauration, umschwärmt und vielverehrt, ein gottgläubiger Aufklärer, ein Weltbürger in Bayreuth. Mit Empathie und stillem Humor nähert sich Günter de Bruyn seinem Kollegen. Ohne aber den Fehler zu begehen, mit dem Jean Paul einige Leser verschreckt hat. Er ging nämlich zu verschwenderisch mit dem Reichtum der Sprache um, der dem Dichter zu Gebote steht, wollte seine Feder wie einen „Eiszapfen“ führen, geriet aber immer ins „Sieden und Flammen“.

 

Günter de Bruyn empfiehlt uns die frühen, die „heroischen“ Romane zu lesen: In Die unsichtbare Loge (1793), Hesperus (1795) und auch im Titan (1800) – dem er eine Einladung bei Königin Luise verdankte – lässt Jean Paul uns tief ins Kuriositätenkabinett der bürgerlichen Seele blicken. Günter de Bruyns Jean Paul-Biographie ist eine kundige Lese-Einladung.

 

 

 

 

 

  • Günter de Bruyn: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter – Eine Biographie. S. Fischer. Frankfurt am Main 2013.
  • Hartmut Lange: Das Haus in der Dorotheenstraße. Novellen. Zürich: Diogenes, 2013.
  • Petra Morsbach: Dichterliebe. Roman. München: Knaus Verlag, 2013.
  • Patrick Roth: Die amerikanische Fahrt. Stories eines Filmbesessenen. Göttingen: Wallstein, 2013.

 

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Herausgeber

Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.

erscheinungsort

Berlin Deutschland