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Gespräch mit Hélène Gutkowski - Überlebende des Holocaust

Am 8. Juni sprach Hélène Gutkowski vor einer Gruppe von Schülern des Colegio de Valle über ihre Lebensgeschichte als „verstecktes Kind“, das den Holocaust in Frankreich überlebte.Das Gespräch haben Lidia Assorati und die Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert.

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Gleich zu Anfang ihrer Rede stellte Hélène die erschreckenden Zahlen an Toten des 2. Weltkrieges und des Holocausts heraus: 66 Millionen Tote insgesamt; sechs Millionen davon Juden, die dem Holocaust zum Opfer fielen und unter denen auch 1,5 Mio. Kinder waren. Um dem aufmerksamen Publikum aus Schülern die Ausmaße dieses Verbrechens vor Augen zu führen, wurde Hélène, die seit ihrem einundzwanzigsten Lebensjahr in Argentinien lebt, noch deutlicher: „Stellt euch eine 450 km lange Kette von Kindern zwischen Buenos Aires und Mar del Plata vor. Dies ist in etwa die Menge an jüdischen Kindern, die von den Nazis ermordet wurde.“ Spätestens mit dieser illustrativen Darstellung hatte Hélène die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Zuhörerschaft für sich gewonnen.

Trotz der Ausmaße dieses Verbrechens, so erklärt Hélène, fiel es vielen Überlebenden des Holocaust lange Zeit sehr schwer über ihre Erfahrungen zu berichten. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus weiß sie zu berichten, dass es vielen Überlebenden lange Zeit kaum gelang, öffentlich über die erlebten Verbrechen zu berichten. Zum Teil wurde ihnen allein angesichts der Unvorstellbarkeit der menschenverachtenden Verbrechen der Nationalsozialisten nicht geglaubt. Dies änderte sich allmählich nachdem der israelische Geheimdienst Adolf Eichmann, den ehemaligen Leiter des Reichsicherheitsamtes, das die Vertreibung und die Deportation von Juden organisierte, im Jahr 1960 in Argentinien aufgespürt und festgenommen hatte. Der in den Folgejahren in Israel durchgeführte Prozess gegen Eichmann führte dazu, dass sich viele jüdische Opfer zum ersten Mal öffentlich zu den Verbrechen äußerten.

Ein weiteres wichtiges Ereignis, dass die Überlebenden ermutigte, über ihre Erlebnisse zu berichten, war der 1993 erschienene Film „Schindlers Liste“, der einem weltweiten Publikum die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzeigte, darüber hinaus aber auch schilderte, wie Einzelne den Mut aufbrachten, jüdische Mitbürger zu retten. „Nichtsdestotrotz fiel es besonders uns, den Überlebenden, die zu der Zeit der Nazi-Diktatur noch kleine Kinder waren und zum Teil als versteckte Kinder in fremden, nicht-jüdischen Familien lebten, weiterhin schwer, über das Erlebte zu berichten. Manche von uns hatten ihre Identität verloren, ihren Namen und ihre Familie. Außerdem konnten sich die Wenigsten aufgrund ihres jungen Alters an das Erlebte erinnern. Viele von uns fühlten sich nicht einmal als Überlebende, die das Recht hatten über ihre Erfahrungen zu berichten.“ Besonders deshalb betonte Hélène während ihres Gesprächs im Colegio de Valle immer wieder, dass es ihr vor allem darum ginge, den Überlebenden durch ihre Erzählungen ebenfalls den Mut zu geben über das Erlebte zu berichten. Aus diesem Grund rief Hélène die Gruppe der „Versteckten Kinder“ ins Leben. Außerdem ist sie Mitglied der Organisation „Generation Shoá“, dessen Mitglieder ebenfalls die Erinnerung an den Holocaust aufrecht und lebendig halten wollen.

Die Familie von Hélène floh im Jahr 1936 von Polen nach Frankreich, da sich in diesem Jahr der Antisemitismus in Polen immer stärker bemerkbar machte. Laut Hélène waren es besonders die Werte der Französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die viele jüdische Flüchtlinge nach Frankreich gehen ließ. Nachdem die Mutter Hélènes im Jahr 1938 nach Frankreich nachgekommen war, eröffnete die Familie in Paris ein kleines Einzelhandelsgeschäft. Doch auch in Frankreich verschlechterte sich die Lage für die jüdische Bevölkerung zusehends, nachdem die Nazis im Jahr 1939 Polen annektiert hatten. In Folge dessen wurde der Vater der mittlerweile zwei Jahre alten Hélène ins französische Militär eingezogen. Da Frankreich 1940 jedoch die Kampfhandlungen gegen Deutschland einstellte und in der Folge ebenfalls annektiert wurde, begann bald darauf auch hier die systematische Verfolgung von jüdischen Familien. Hélène betonte in diesem Zusammenhang, „dass die Nazis es nicht nur auf die jüdischen Männer abgesehen hatten, sondern dass auch Frauen und Kinder verfolgt wurden. Obwohl viele Franzosen mit den Nazis kollaborierten, gab es auf der anderen Seite eine Unmenge an mutigen Franzosen, die uns, den jüdischen Familien, halfen. In Frankreich überlebten mehr Juden den Zweiten Weltkrieg als in irgendeinem anderen Land.“ Nachdem die Nationalsozialisten 1942 das Wohnhaus der Familie in Paris durchsucht hatten – wobei Hélènes Familie die einzige jüdische Familie gewesen war, die die Razzia überlebt hatte – entschieden sich ihre Eltern für die Flucht in den sichereren Süden Frankreichs. Schweren Herzens gaben sie Hélène in die Obhut einer katholischen Familie, wohl wissend, dass diese schmerzliche Trennung sowohl die Überlebenschancen der kleinen Hélène, als auch die der Eltern und des inzwischen elfjährigen Bruders, der seine Eltern auf der Flucht begleitete, deutlich steigern würde.

Während Hélène also die letzten Jahre des Krieges in einer christlichen Familie versteckt verbrachte, lebten ihre Eltern und ihr Bruder in einem kleinen Dorf auf dem Land. „Und auch auf dem Land gab es mutige Franzosen, die ihren jüdischen Mitbürgern halfen“, so Hélène. „Für einige Jahre lebten mein Bruder und meine Eltern versteckt auf dem Dachboden eines Landhofes. Tagsüber arbeiteten sei auf dem Feld, aber in der Nacht, dann nämlich, wenn die Besatzer ihre Razzien durchführten, hielten sie sich im Haus versteckt. Nur der Mut dieses französischen Ehepaars ermöglichte es, dass meine Familie überleben konnte.“ Später erhielt das Paar, auch dank der Bemühungen Hélènes, den Orden der „Gerechten unter den Völkern“, eine der höchsten Auszeichnungen, die der Staat Israel vergibt.

Nach dem Ende des Krieges kehrte die Familie nach Paris zurück, um einerseits Hélène abzuholen und andererseits ihre Arbeit als Einzelhändler wieder aufzunehmen. Es sollte dieser Moment sein, den Hélène als erste Erinnerung an ihre Eltern und ihren Bruder wahrnehmen würde.

Da Paris jedoch stark zerstört war und folglich an den Aufbau einer neuen Existenz in diesem Umfeld nicht zu denken war, traf die Familie die Entscheidung aufs Land zurückzukehren. Aufgrund einer anhaltenden Nahrungsmittelknappheit entschiedenen sich Hélène Eltern, das mittlerweile fünf Jahre alte Mädchen erneut in die Obhut einer Pflegefamilie zu geben. In diesem Fall handelte es sich jedoch keinesfalls um Unbekannte, denn Hélène wurde von der Familie aufgenommen, bei der schon ihren Eltern in den Jahren des Krieges Zuflucht gefunden hatten. Bis heute, so Hélène, bezeichne sie das Ehepaar als Onkel und Tante.

Als Abschluss richtete Hélène noch einige mahnende Worte an die von ihrer Geschichte sichtlich bewegte Zuhörerschaft: „Der Mut und die Überzeugung einzelner Personen rettete das Leben vieler tausender Juden in Frankreich. Deshalb rufe ich euch auf, immer eurem eigenen Gewissen und euren eigenen Überzeugungen zu folgen. Trefft eure eigenen Entscheidungen und eifert nicht einfach nur fremden Ideologien nach. Nur so kann in Zukunft ein derart unmenschliches Verbrechen, wie es der Holocaust war, verhindert werden.“

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