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Holocaustüberlebende: "Wir wurden dazu gezwungen im Ghetto zu wohnen"

Zeitzeugengespräch mit einer Holocaustüberlebenden

Am Montag, den 26. April 2014 organisierte die Konrad-Adenauer-Stiftung Argentinien e.V. gemeinsam mit Lidia Assoratti ein Zeitzeugengespräch zwischen der Holocaustüberlebenden Irene Dab und Studierenden der Universität Maimónides in Buenos Aires.

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„Sowohl katholische als auch evangelische Christen haben ihr Leben riskiert, um Juden zu retten”, sagte die Koordinatorin des Bildungsprogramms der Raoul-Wallenberg-Stiftung, Lidia Assorati. Mit warmen Worten begrüßte sie das Publikum zu einem Zeitzeugengespräch mit Irene Dab. Die Überlebende des Warschauer Ghettos schilderte bewegend ihre Erlebnisse mit der Nazi-Diktatur.

Irene Dab wurde in Warschau geboren, als Tochter eines Händlers für chirurgisches Besteck. Als sie sechs Jahre alt war, erinnert sie sich, liefen eines Tages die Leute auf die Straße und riefen: „Es gibt Krieg!“ Dann begann das harte Leben für sie. Die Juden mussten die Armbinde mit dem gelben Stern anlegen. Dab erzählt: „Meine Mutter war eine rebellische Frau. Sie weigerte sich, die Armbinde zu tragen.“ Ihren Vater steckten die Nazis in ein Arbeitslager, die kleine Irene blieb allein mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter und deren Schwester. „Die Deutschen steckten ein bestimmtes Gebiet ab und machten daraus ein Ghetto, in dem alle Juden leben mussten.“ 400.000 Menschen, sagte Irene Dab, wurden damals zusammengepfercht. „Wir lebten in einer Wohnung zusammen mit fünfzehn bis zwanzig Personen.“ - So beginnt die Geschichte einer geraubten Kindheit. Nach kurzer Zeit tauchten die schweren Infektionskrankheiten auf, allen voran Typhus. Die Kinder konnten nicht mehr zur Schule gehen und um die Zeit zu vertreiben, bildeten sie Gruppen in verschiedenen Häusern. Zu diesen Treffen habe sie immer ein wenig Essen mitgenommen, so viel es eben gab. „Aber die Stückchen Brot, die ich dabei hatte, wurden mir oft auf der Straße aus den Händen gerissen.“ So verging Tag um Tag, bis irgendwann Irenes Vater wieder im Ghetto erschien, und beim Desinfizieren der Häuser und den alltäglichen Dingen half. „Meine Tante und meine Großmutter haben sie in die Lager gebracht, meine Mutter rettete sich, indem sie eine Arbeit bekam.“ Auch der Vater bekam Arbeit, weil er deutsch sprach, und da die Stelle außerhalb des Ghettos lag, kam er hinaus. „Eines Tages fingen sie an, die Kinder mitzunehmen und mein Vater überlegte, wie er mich schützen könnte. Also steckte er mich in einen Sack und trug mich so aus dem Ghetto zu einer Polin, die mich aufnahm.“ So begann für Irene Dab ein Alltag aus Flucht und häufig wechselnden Verstecken. Alle, die sie bei sich unterbrachten, riskierten ihr Leben. Der Vater brachte sie von einem Ort zum nächsten, aber oft hielt sie es nicht lange an einem Platz aus. Als sie aus der Stadt heraus in ein Dorf gebracht wurde, lebte sie im Stall: „Schau, schau! Da wohnt ein Mädchen, das sich versteckt“, riefen dort die anderen Kinder und zeigten mit dem Finger auf sie. Sie flüchtete zurück ins Zentrum von Warschau zu einer jungen Frau, die dort mit zwei anderen Kindern lebte. Irene Dab wusste nicht, ob auch sie Juden waren. Die Frau besaß ein Möbelgeschäft, in dem es leichter war, sich zu verstecken. „Ich war eine Zeit dort, bis eines Tages die Gestapo hereinkam und mich fand. Sie suchten aber eines der anderen Kinder. Ich antwortete nicht auf ihre Fragen. Irgendwann gingen sie einfach wieder und ich war vorerst gerettet.“ Nach diesem Vorfall wollte sie aber niemand mehr aufnehmen und so holte sie ihr Vater wieder ab. „Es war im Jahr 1942 als mich mein Vater wieder ins Ghetto zurück brachte. Das war inzwischen fast völlig zerstört. Ich war aber glücklich, nach all der Zeit meine Mutter wieder zu sehen“, erzählte Irene Dab sichtlich bewegt, auch noch nach so vielen Jahren.

Im Januar 1943 wollte ihr Vater sie erneut aus dem Ghetto bringen: „Er steckte mich also wieder in den Sack und brachte mich zu seiner Arbeitsstelle. Dort holte mich ein Herr ab, der mich zu sich nach Hause nahm.“

Irene Dab erzählt weiter, wie ihre Gasteltern ihr das Haar blond färbten, sie verkleideten, ihr falsche Papiere anfertigten und sie von nun an Teresa nannten. Sie selbst sollte die beiden Onkel und Tante nennen. An eine Szene erinnert sie sich heute noch besonders. Es war nach dem Aufstand und das Ghetto war bereits völlig zerstört. Da sagte ihr die „Tante“: „Wir werden eine Weile auf die Straße gehen und auf der anderen Seite wirst du jemanden sehen, aber du darfst nicht mit ihr sprechen.“ So taten sie es und nun wusste Irene, dass ihre Mutter dem Tod entkommen war.

Eine Weile ging sie nun in die Schule, doch die Sache ging nicht lange gut, denn man fing an, Verdacht zu schöpfen. Ende 1944 kam eine Frau in ihre Wohnung und drängte auf eine rasche Flucht. Mit ihrer Hilfe schafften ihre Tante und sie es aus der Stadt heraus. Nach einer Strecke im Zug ging es mehrere Tagesmärsche durch den Wald. Endlich gelangten sie in ein Dorf, wo sie bei einer Dame Unterschlupf fanden. Dort konnte Irene endlich ihre Eltern wieder in die Arme schließen. Und ihr Vater erzählte die Geschichte seiner Flucht: Im Ghetto hatte er sich mit einem Klempner angefreundet und als eines Tages die Abwasserkanäle verstopft waren, wurden die beiden zur Reinigung gerufen. Unter dem Vorwand, das Problem liege weiter im Inneren der Kanäle, gelangten sie immer tiefer und konnten schließlich entkommen. Schließlich öffneten sie einen Kanaldeckel irgendwo in der Stadt und kamen zu einer Kirche, wo man sie aufnahm und ihnen etwas zu essen gab. Von dort aus half man ihnen, in das Versteck im Dorf zu gelangen. Hier hatte sich die Familie nun wieder gefunden, versteckt hinter einer doppelten Wand, harrten sie mit einem Radio aus und hatten nicht mehr zu essen als eine Kartoffel am Tag.

Die Zeitzeugin erzählte wie erleichtert sie war, als 1945 die Russen mit Lastwagen ins Dorf kamen und Essen und Freude brachten. „Wir fielen uns alle in die Arme, küssten uns und feierten mit den Russen.“ Der erste der nach Warschau zurückkehrte war Irenes Vater. Er fand ihr altes Haus unzerstört vor, da es neben einem Hotel stand, in dem während des Kriegs Deutsche untergebracht waren. Kurz darauf folgte sie mit ihrer Mutter. Doch es war unmöglich, dort länger zu bleiben, in einer fast völlig zerstörten Stadt, über der übler Gestank lag und es nichts zu essen gab. Nach dem Krieg standen jedoch viele Wohnungen leer, da die Menschen geflüchtet waren, und so konnte sich die Familie in einer anderen Stadt niederlassen. Schließlich folgten sie 1948 dem Großvater, der nach Argentinien ausgewandert war um in Amerika sein Glück zu suchen. Hier vereinten sich die Familienzweige wieder.

Unter den Dingen, die Irene Dab während des Kriegs haften blieben, ist die Erinnerung, ihre Eltern niemals Mama und Papa nennen zu dürfen, da sie ihre wahre Identität in Polen stets geheim halten musste.

Als ihr Vater noch lebte, habe sie ihre Geschichte nie erzählt, sagte Irene Dab: „Mein Vater erzählte sie allen möglichen Leuten, aber immer wenn er davon anfing, stand ich auf und ging.“ Nun aber ist sie es selbst, die erzählt. Es sei wichtig, die Erinnerung aufrecht zu halten, damit nicht vergessen werde, was wirklich geschehen sei und dass die Menschen nicht in Vergessenheit geraten, die dies erlebten.

(mjg)

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