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Runder Tisch mit dem Thema “Die Frage: Forderung der Journalisten, oder der Gesellschaft?“

Am 17. Juni fand im argentinischen Nationalkongress ein runder Tisch zum Journalismus in Argentinien statt. Zur Expertenrunde gehörten Journalisten und Politiker. Kernpunkte des Expertengesprächs waren zum einen die Frage nach der Rolle des Journalismus in der argentinischen Gesellschaft und zum anderen die Bedeutung der journalistischen Frage als Werkzeug der demokratischen Partizipation.

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Einer der Ausgangspunkte für das Expertengespräch war das Gesetzesprojekt zur Institutionalisierung einer obligatorischen Pressekonferenz, vergleichbar mit der in Deutschland existierenden Bundespressekonferenz, das Cornelia Schmidt-Liermann, nationale Abgeordnete der Partei PRO (Propuesta Republicana), im Mai diesen Jahres eingebracht hatte. Die Initiative sieht vor, dass Personen, die hohe staatliche Führungspositionen innehaben, verpflichtet werden, vor einem akkreditierten Publikum von Journalisten Auskunft über ihre Tätigkeiten zu geben. Denn laut der Journalistin Adriana Amado, die das Gespräch als Moderatorin leitete, sei es in den letzten Jahren in Argentinien zu einer schleichenden Distanzierung zwischen dem Journalismus und der Politik gekommen. Journalisten in Argentinien werde immer häufiger die Möglichkeit verwehrt, Fragen an die Regierung zu stellen. Das Recht der Bürger auf Information sei dadurch ernsthaft gefährdet. Generell müsse vor allem die journalistische Frage wieder mehr Gewicht bekommen, so Amado. Sie rief die im Saal Versammelten dazu auf, über die Bedeutung und die Rolle der journalistischen Frage als demokratisches Werkzeug zu diskutieren.

Cornelia Schmidt-Liermann eröffnete das Expertengespräch mit einer Anekdote aus ihrem politischen Leben: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Journalisten mir auf Pressekonferenzen keine Fragen mehr stellen, sondern nur noch zuhören.“ Die argentinischen Journalisten hätte sich von aktiven Akteuren, die die leitenden Politiker durch ihre Fragen dazu zwingen würden, Rechenschaft über ihre Aktivitäten abzulegen, zu passiven Akteuren gewandelt, die lediglich Informationen empfingen. Die Abgeordnete bedauerte diese Entwicklung, denn für sie sei der Journalismus die entscheidende Verbindung zwischen der Zivilgesellschaft und der Politik. Der Journalismus interpretiere zum einen die politischen Entscheidungen, zum anderen gäbe er den Politikern Rückmeldung über die zivilgesellschaftliche Meinung. Eine obligatorische Pressekonferenz sei demnach eine wichtige demokratische Institution.

Kristin Wesemann, Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Argentinien, umriss in ihrem Beitrag die Funktionsweise der deutschen Bundespressekonferenz (BPK). Diese könne womöglich als Vorbild für das argentinische Modell dienen. Im Fall der deutschen BPK sind leitende Politiker oder deren Sprecher dreimal wöchentlich dazu verpflichtet vor einer Gruppe von Journalisten Auskunft über ihre politischen Tätigkeiten zu geben. Des Weiteren betonte sie, dass die in Argentinien aktuell vorherrschende Spaltung der Journalisten in ein oppositionelles und ein regierungsfreundliches Lager befremdlich erscheine. Argentinischer Journalismus berichte nicht mehr nur über Politik, sondern wolle sie selbst mitgestalten. Sie plädierte für einen freien Journalismus, der in erster Linie fundiert und sachgetreu informiere.

Silvio Santamarina, seines Zeichens ebenfalls Journalist, bestätigte diese Ansicht, wobei die Polarisierung des Journalismus seiner Meinung nach Teil eines deutlich größeren gesellschaftlichen Problems sei. Die Spaltung zwischen Oppositionellen und Regierungsfreundlichen ziehe sich durch die gesamte Gesellschaft. Die Journalisten müssten aus diesem System ausbrechen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Journalismus sich lediglich mit sich selbst beschäftige oder selbst Teil des politischen Systems werden würde. Vielmehr müsse erneut das Interesse an der neutralen Nachricht im Vordergrund stehen, damit die Bürger wieder die Möglichkeit hätten sich ein unverfälschteres Bild der Politik zu machen. Damit appellierte Santamarina leidenschaftlich an das journalistische Berufsethos und sprach sich für einen unabhängigen Journalismus aus.

Andrés D’Alessandro, Direktor der Vereinigung der journalistischen Institutionen Argentiniens (Asociación de Entidades Periodísticas Argentinas, ADEPA), erklärte sich generell einverstanden mit dem Gesetzesentwurf zur Schaffung einer obligatorischen Pressekonferenz. Dennoch gab D’Alessandro, der selbst viele Jahre als Journalist tätig war, zu bedenken, dass insbesondere der in der Initiative vorgeschlagene Prozess der Akkreditierung problematisch sei. „Wenn diejenigen, die die Journalisten akkreditieren dieselben sind, wie die, die am Ende die Pressekonferenz geben, sehe ich die Gefahr dass alles beim Alten bleibt. Eine ernsthafte journalistische Befragung der Politiker würde auf diese Weise nicht zustande kommen“, so der Experte. Außerdem gab er zu bedenken, dass Journalisten aus dem Landesinneren bei der Vergabe der Sitze in der Pressekonferenz nicht benachteiligt werden sollten. Eine obligatorische Pressekonferenz sei aber auch definitiv eine Möglichkeit zu verhindern, dass Politiker sich nur mit eng vertrauten Journalisten umgäben, die „angenehme Fragen“ stellen. Dies sei seiner Meinung nach die aktuelle Praxis in Argentinien.

Die Journalistin Alejandra Gallo, die ein eigenes Radioprogramm leitet und für die Zeitung „El Cronista“ schreibt, sprach sich dafür aus, Journalismus wieder weniger als das Mitteilen von Meinungen, sondern vielmehr als Form der Informationsweitergabe zu verstehen. Sichtlich überzeugt sagte Gallo: „Für mich gibt es keine gute oder schlechte Nachricht, was natürlich nicht bedeutet, dass mich eine Nachricht nicht auch persönlich berühren kann. Aber als Journalistin sehe ich meine Aufgabe darin, Informationen zu kommunizieren, nicht darin Informationen meiner persönlichen Ideologie entsprechend zu verändern.“ In Übereinstimmung mit den anderen Experten betonte Alejandra Gallo, dass auch die beste journalistische Frage keinen Sinn hätte, wenn der Befragte nicht gezwungen sei, zu antworten. Aus diesem Grund bejahte auch sie das von Cornelia Schmidt-Liermann eingebrachte Gesetzesprojekt.

Letztlich waren sich alle versammelten Experten einig: der argentinische Journalismus müsse von einem politischen Instrument zu einem Instrument der Kommunikation zwischen der Zivilgesellschaft und der Politik umgeformt werden. Nicht die Ideologie, sondern die Weitergabe von Informationen sollte das primäre Ziel des Journalismus sein. Die Implementierung einer obligatorischen Pressekonferenz scheine ein erster Schritt in Richtung dieses Ziels zu sein.

Literatur zum Thema

Donsbach - Cómo entender el periodismo

Amado - La comunicación pública como espectáculo

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