Die NSS ist ein strategisches Dokument, das von jeder neuen US-Regierung veröffentlicht wird, um die Ausrichtung und Prioritäten ihrer Außenpolitik und nationalen Sicherheit festzulegen. Obwohl sie auf verschiedene Bereiche Auswirkungen hat, dient sie in erster Linie administrativen Zwecken. Sie legt die Leitlinien für die Politik und Arbeit der nationalen Sicherheitsbehörden und -agenturen fest, dient dem Kongress als Orientierung für die Zuweisung von Ressourcen, die zur Bewältigung der identifizierten außenpolitischen Herausforderungen benötigt werden, und sendet Signale an Partner und Gegner gleichermaßen über die Rolle der USA in der Welt.
Neuer strategischer Ansatz
Die NSS 2025 markiert eine Abkehr von früheren Strategien. Erstens ist ihr Rahmen eher kritisch angelegt und konzentriert sich auf eine Kritik an dem, was sie als zielloses globales Engagement der USA seit dem Kalten Krieg charakterisiert – ein Ansatz, der als weitestgehend ohne Nutzen für die USA und ihre Bevölkerung dargestellt wird. Diese Kritik deckt sich mit einer unter Trump-Anhängern populären Sichtweise, die seit langem für eine Reduzierung des Engagements der USA im Ausland eintreten. Angesichts der Kritik eines Teils seiner Anhängerschaft, er konzentriere sich zu sehr auf außenpolitische Themen, scheint das Dokument auch als Versicherung zu dienen, dass die Außenpolitik weiterhin fest mit Präsident Trumps innenpolitischer Agenda „Make America Great Again“ verbunden bleibt.
Zweitens stellt die Strategie wirtschaftliche Ungleichgewichte und Einwanderung als zentrale Bedrohungen für die nationale Sicherheit der USA dar und untermauert so Trumps „transaktionale Diplomatie“. Sie beschreibt die Zukunft des amerikanischen Engagements als „realistisch“ und „pragmatisch“. Das bedeutet die Priorisierung von kurzfristigen Wirtschaftsabkommen mit einer Vielzahl von verhandlungsbereiten und teils undemokratischen Akteuren, während traditionelle Partner und Verbündete nur unter Vorbehalt unterstützt werden.
Russland und China
Die Bedrohungslage durch traditionelle Widersacher wird als spürbar geringer dargestellt als noch unter vorhergehenden Administrationen. In der ersten Amtszeit von Präsident Trump wurden sowohl China als auch Russland als systemische Rivalen für „die Sicherheit und den Wohlstand Amerikas” angesehen. Im Gegensatz dazu beschreibt die neue NSS die Beziehungen zwischen den USA und China nun als Streben nach einer „für beide Seiten vorteilhaften Wirtschaftsbeziehung” und isoliert damit Chinas wirtschaftliche Ambitionen von der sich verschärfenden sicherheitspolitischen Situation im indopazifischen Raum. Russland wird nicht mehr als akute Bedrohung, sondern mehr als illusorische Gefahr der Europäer dargestellt, eine Einschätzung, die der Kreml begrüßt hat. Nordkorea und Iran hingegen werden kaum erwähnt.
Westliche Hemisphäre
Viel größerer Nachdruck wird auf die Bedrohungen aus der westlichen Hemisphäre gelegt. Das ist nicht überraschend: Von den Bedenken über die Kontrolle des Panamakanals bis zu den jüngsten Angriffen auf Schiffe in der Karibik lässt sich seit Anfang der Trump-Regierung ein zunehmendes Bestreben erkennen, die geopolitischen Dynamiken in Lateinamerika direkter zu beeinflussen.
Die Regierung identifiziert drei zentrale Bedrohungen in der Region für die nationale Sicherheit der USA: Migration, Drogenhandel und der Einfluss „nicht-hemisphärischer Konkurrenten“ (d.h. China). Die Strategie greift den Geist der Monroe Doktrin auf, indem sie nahelegt, dass diesen Bedrohungen am besten durch eine erneute „amerikanische Vorherrschaft“ in der Region begegnet werden kann, sei es durch erweiterten wirtschaftlichen Einfluss, intensivierte Sicherheitszusammenarbeit oder eine stärkere militärische Präsenz. Diese Darstellung lässt den Regierungen in der Region nur begrenzten Handlungsspielraum und definiert die regionale Stabilität ausschließlich im Hinblick auf die strategische Vorrangstellung der USA.
Europa
Was Europa betrifft, so wurde die übliche Kritik an der sicherheitspolitischen Abhängigkeit Europas von den USA durch eine viel grundlegendere Neubewertung der transatlantischen, wertebasierten Partnerschaft ersetzt. Dieser Abschnitt weckt Erinnerungen an die Rede von JD Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz, in der er vor der Auslöschung der europäischen Zivilisation aufgrund von Migration und Überregulierung warnte. Zwar wird Europa als wichtiger Partner der USA identifiziert, doch die Parameter, auf denen die Zukunft dieser Beziehung basieren soll, geben Anlass zur Sorge.
Es ist nicht völlig überraschend, dass die EU – eine zentrale Säule des Friedens und der Stabilität in Europa – für den vermeintlichen Niedergang Europas verantwortlich gemacht wird. Präsident Trump hat der EU bereits zuvor vorgeworfen, die Vereinigten Staaten in den Bereichen Handel und Sicherheit auszubeuten. Neu ist jedoch seine ausdrückliche Unterstützung für „patriotische europäische Parteien”, ein Schritt, der den bereits heute europafeindlichen rechtsextremen Kräften direkt in die Hände spielen könnte.
Andere Schwerpunkte des Kongresses
Es überrascht nicht, dass die Strategie auch im Inland polarisiert. Die Demokraten haben die Strategie als „voller Widersprüche“ kritisiert und davor gewarnt, dass ein solcher Ansatz irreparable Folgen für die Rolle der USA in der Welt haben wird. Gegensätzliche Ansichten, auch wenn sie nicht offen geäußert werden, gibt es auch bei den Republikanern im Kongress. Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der NSS verabschiedete das US-Repräsentantenhaus den National Defense Authorization Act (NDAA), der zwei Wochen später auch vom Senat bestätigt wurde. In beiden Kammern haben Trumps Republikaner die Mehrheit.
In der NDAA sind mehrere verteidigungspolitische Prioritäten festgelegt. So begrenzt das Gesetz etwa eine mögliche Reduzierung der US-Truppen in Europa auf 76.000 Soldaten (bislang 80.000-100.000), sofern zuvor keine Konsultationen mit den NATO Verbündeten stattfinden, und legt zugleich fest, dass der militärische Oberbefehlshaber der NATO für Europa (Supreme Allied Commander Europe, SACEUR) weiterhin von einem US-Offizier gestellt werden muss. Eine bisherige Tradition, die von der aktuellen Administration in Frage gestellt wurde.
Die NDAA weist das Pentagon an, jährliche Bewertungen der Bedrohungen durch russische und chinesische Aktivitäten zu erstellen, und stellt 400 Millionen Dollar für die Produktion von Waffen bereit, die an die Ukraine geliefert werden sollen. Dies stellt eine bemerkenswerte Abweichung von den Prioritäten der NSS dar – etwas, das im gegenwärtigen Kongress nur selten zu beobachten ist. Darüber hinaus zeigt es, dass unter den Abgeordneten weiterhin eine Vorstellung amerikanischer Verteidigungspolitik zu finden ist, die auf die Unterstützung von Partnern und Verbündeten setzt und der transatlantischen Sicherheitsarchitektur eine zentrale Rolle beimisst.
Fazit
Die NDAA kann zwar die strategischen Entscheidungen der Regierung nicht einschränken, zeigt jedoch, dass sich die Außenpolitik der USA an einem Wendepunkt befindet. Diese gemischten Signale sind für Europa und die Zukunft der transatlantischen Allianz beunruhigend aber sollten gleichzeitig als Aufforderung für den weiteren Aufbau der europäischen Verteidigung und Resilienz verstanden werden.