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Brasilien übernimmt Führungsrolle

von Anja Czymmeck, Stephanie Adam, Kristin Müller

Vor dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen

Viel Zeit bleibt den 192 Teilnehmerstaaten zur Ausarbeitung ihrer Positionen zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen (11. bis 17. Dezember 2009) nicht mehr. Knapp drei Wochen vor Beginn der Konferenz scheint die Möglichkeit, dass sich die internationale Staatengemeinschaft auf einen rechtsverbindlichen Folgevertrag für das im Jahr 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll einigt, immer weiter in die Ferne zu rücken. Doch es gibt auch Lichtblicke. Als einziges Schwellenland fährt Brasilien mit ehrgeizigen Klimaschutzzielen nach Dänemark.

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Schon im September dieses Jahres hat sich Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva auf dem deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen in Vitória zu der enormen Verantwortung seines Landes im Klimaschutz bekannt. Für Brasilien bietet die UN-Klimakonferenz eine einmalige Gelegenheit, sich als verantwortungsbewusstes Land zu behaupten und seinem Verlangen nach noch mehr außenpolitischem Einfluss Geltung zu verschaffen. Denn wenn die internationale Gemeinschaft ihr Ziel, die CO2 Emissionen bis zum Jahr 2050 um fünfzig Prozent zu senken, erreichen will, müssen Industrie- und Entwicklungsländer an einem Strang ziehen.

Als die brasilianische Regierung am 13. November in São Paulo, unter Führung der Präsidialamtsministerin und möglichen Kandidatin für die Nachfolge von Präsident Lula da Silva, Dilma Rousseff, ihren Fahrplan für Kopenhagen verkündete, waren sich alle Regierungsangehörigen einig: Die Chance ganz weit vorne auf internationalem Parkett mitzumischen will sich das größte lateinamerikanische Land – gerade auch mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr - nicht entgehen lassen. Bis 2020 hat sich die brasilianische Regierung vorgenommen die CO2-Emissionen des Landes um mindestens 36,1 Prozent, im besten Fall sogar um 38,9 Prozent zu reduzieren. Insgesamt würde Brasilien dann noch 1,7 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen, was dem Niveau von 1994 entspräche. Bei einem antizipierten Wirtschaftswachstum von vier bis sechs Prozent jährlich könnte so rund eine Milliarde Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids eingespart werden.

Um dem Klimawandel effektiv entgegenzuwirken, ist vor allem der Schutz der Regenwälder im Amazonasgebiet und des Cerrado, einer Savannenlandschaft im Zentrum und Nordosten Brasiliens, von gröβter Bedeutung. 75 Prozent der jährlich von Brasilien emittierten Menge an CO2 werden durch Waldrodungen verursacht. Auch die Viehzucht auf dem durch die Waldrodungen gewonnenen Land ist verantwortlich für einen Löwenanteil der von Brasilien emittierten Treibhausgase. Landesweit verursacht die Viehzucht 10 Millionen Tonnen Methan pro Jahr. Das entspricht einem Äquivalent von mehr als 200 Millionen Tonnen CO2. In ihrer Vorlage für Kopenhagen sieht die brasilianische Regierung deshalb eine Reduktion der Waldrodungen im Amazonasgebiet um 80 Prozent und des Cerrado, einer Savannenlandschaft im Zentrum und Nordosten Brasiliens, um 40 Prozent bis zum Jahr 2020 vor.

Allein durch die Realisierung dieser Ziele soll eine Verminderung der CO2-Emissionen um 20,9 Prozent beziehungsweise 3,9 Prozent, also insgesamt um 24,8 Prozent, erreicht werden. Trotz dieser Zielsetzung dürften dann allerdings immer noch 3.800 km2 Regenwaldfläche pro Jahr gerodet werden. Für die nachhaltige Bewahrung des Regenwaldes in Amazonien und die Rettung des Klimas sei allerdings, laut Angaben von Greenpeace Brasilien, das „Desmatamento Zero“, die komplette Einstellung sämtlicher Abholzungen im Amazonas bis zum Jahr 2015 dringend erforderlich. Die brasilianische Regierung müsse sich, um ihre Pläne glaubhaft erscheinen zu lassen, jährliche Reduktionsziele setzen, deren Einhaltung überprüfbar sei. Denn während die Regierung offiziell über eine Einstellung der Abholzung berät, wurden im August 2009 nach Satellitenaufnahmen der brasilianischen Weltraumbehörde INPE (Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais) und Untersuchungen der Naturschutzbehörde IBAMA (Instituto Brasileiro do Meio Ambiente e dos Recursos Naturais Renováveis ) 273 Quadratkilometer Waldfläche im Amazonasgebiet gerodet – im Vergleich zum August 2008 entspricht das einem Anstieg von 167 Prozent.

Klimafreundlicher soll in Brasilien in Zukunft auch im Energiesektor, bei der Stahlproduktion sowie in der Land- und Viehwirtschaft gearbeitet werden. Was den Energiesektor betrifft möchte die brasilianische Regierung verstärkt auf klimaschonende und regenerative Methoden setzen. Das Angebot an alternativen Energieformen, vor allem an Wind- Wasser- und Solarenergie, soll dazu ausgebaut, die Nutzung von Biotreibstoffen intensiviert, und die Energieeffizienz insgesamt gesteigert werden. Auf diese Weise können 6,1 bis 7,7 Prozent an CO2 eingespart werden. Die Umstellung der Stahlproduktion auf die Verwendung von Holzkohle, deren Holz aus geplantem Anbau stammt, soll zu einer weiteren Reduzierung der Emissionen um 0,3 bis 0,4 Prozent beitragen. In der Land- und Viehwirtschaft sieht man durch die Einführung nachhaltigerer Bewirtschaftungsmethoden ein Reduktionspotential von 4,9 bis 6,1 Prozent an CO2.

Auch bei der Ausbeutung der vor der brasilianischen Küste kürzlich entdeckten Ölfelder will man den Klimschutz nicht außer acht lassen. Im Blickpunkt steht dabei vor allem die CCS-Methode (Carbon Capture and Storage Method). Bei diesem Verfahren soll das hauptsächlich für den Treibhauseffekt verantwortliche Gas Kohlendioxid nach der Verbrennung im Kraftwerk eingefangen, in unterirdische Lager transportiert und dort aufbewahrt werden. Durch die Einlagerung soll verhindert werden, dass das CO2 direkt in die Atmosphäre gelangt, wo es als Treibhausgas wirkt.

Die Maßnahmen sollen in erster Linie mit Hilfe von Regierungsgeldern und privaten Investitionen unterstützt und langfristig finanziert werden. Allerdings sieht Brasilien auch auf Seiten der internationalen Staatengemeinschaft eine Verantwortung, dem lateinamerikanischen Land bei der Umsetzung der neuen Klimaziele zu helfen und ihren Teil zu den freiwilligen Vorgaben, die sich Brasilien mit Blick auf Kopenhagen auferlegt hat, beizutragen. Vor allem von den Industrieländern erwartet Brasilien finanzielle Unterstützung und die Bereitstellung technischer Hilfen.

Im Gegensatz zu Indien und China, bei denen die Forderungen nach einer Reduzierung der Emissionen bis 2050 auf kein Echo stoßen, versucht Brasilien als einziges Schwellenland das Ruder noch rumzureißen. Während Indien ankündigte, seine Emissionen bis 2020 zu verdreifachen und China die Menge der Treibhausgase, die es jährlich in die Atmosphäre schickt, verdoppeln will, beschloss Präsident Lula bei seinem Besuch in Paris, gemeinsam mit Frankreichs Präsidenten Nikolas Sarkozy weltweit für mehr Engagement in der Klimafrage zu werben. Mit seinem französischen Amtskollegen Sarkozy forderte Lula die Teilnehmerländer des Gipfels auf, sich bis 2050 auf eine Senkung der CO2 Emissionen um 50 Prozent gegenüber 1990 zu einigen. Einen besonderen Appell richteten die beiden Präsidenten an die USA und China: Die beiden Länder sollten endlich mehr Einsatz in der Klimafrage zeigen. Die Initiative Brasiliens fand weltweit großen Anklang. Vor allem Umweltschutzorganisationen lobten die mutigen Worte Lulas.

Ob der Vorstoß Brasiliens die Verhandlungen in Kopenhagen neu beleben wird ist fraglich. Es bleibt zu hoffen, dass mit Hilfe des Engagements des südamerikanischen Landes noch eine Einigung in Kopenhagen zu erreichen ist. Nach Einschätzung der UNO besteht jedoch kaum mehr Aussicht auf ein rechtsverbindliches Abkommen, das hätten die bisherigen Vorbereitungskonferenzen gezeigt. Bestenfalls könne bei dem Gipfel noch eine politische Vereinbarung erreicht werden, die Klarheit über die Verminderung von Treibhausgasen in Industrieländern sowie Finanzhilfen für ärmere Länder festlegt.

Wenn Brasilien tatsächlich mit seinen ambitionierten Plänen in Kopenhagen auftritt, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass sich auch andere Entwicklungsländer in den Fragen des Klimagipfels kooperationsbereit zeigen. Vielleicht kann auf diese Weise dann doch eine Annäherung an die angestrebte politische Vereinbarung zum Ausbau des Klimaschutzes weltweit erfolgen. Zumindest sollte ein Rahmen abgesteckt werden, der dann auf den UN-Folgekonferenzen in Bonn (Mai/Juni 2010) und Mexiko (November/Dezember 2010) konkrete Formen annehmen könnte.

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