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Manege frei! Brasiliens Wahlkampf beginnt

Über ein Jahr vor dem Wahltermin laufen sich die Parteien warm

Bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen in Brasilien ist es zwar noch eine ganze Weile hin. Der erste Wahlgang ist auf den 5. Oktober 2014 festgelegt. Doch die Parteien und Kandidaten laufen sich bereits jetzt schon warm.

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Den Wahlkampf inoffiziell eröffnet hatte die Amtsinhaberin Dilma Rousseff bei einer Rede im Februar selbst, in der sie das Ende der extremen Armut in Brasilien verkündete – eines ihrer wichtigsten Wahlkampfversprechen 2010 und Motto ihrer derzeitigen Regierung. Damals glaubte noch niemand an eine ernsthafte Bedrohung für die Wiederwahl Rousseffs. Doch seitdem bekommt die Präsidentin starken Gegenwind – und das nicht nur von Seiten der Opposition, sondern auch von bisherigen Verbündeten. Die massiven Probleme bei der Infrastruktur und die seit kurzem wieder stark zunehmende Inflation sind die Kerben, in denen ihre politischen Kontrahenten die Axt ansetzen. Noch hat „Dilma“ den Zuspruch von über der Hälfte der Brasilianer, doch befinden sich ihre Beliebtheitswerte bei Umfragen in einer klaren Abwärtstendenz.

Proteste in zahlreichen Städten

Dieser Tage beginnt in Brasilien nicht nur der FIFA Confederations Cup, die Generalprobe für die Fußball-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr, sondern es zieht auch eine Welle von Demonstrationen durch viele Städte des Landes, die zumeist in Tumulten und einer gewaltvollen Auflösung enden. Der Stein des Anstoßes dafür waren Erhöhungen der Preise für Busfahrten des öffentlichen Nahverkehrs in mehreren Städten. Doch entlädt sich in den Demonstrationen generell der Frust über steigende Preise sowie über die immer noch sehr ungleiche Einkommensverteilung und die Korruption. Viele der Demonstranten sehen es zudem als Provokation, dass für den Aus- und Neubau für die Stadien der Fußball-Weltmeisterschaft hunderte Milliarden Reais zur Verfügung gestellt wurden, viele der Stadien am Ende sogar doppelt so teuer wurden wie zu Beginn geplant, für anderes anscheinend jedoch kein Geld vorhanden sei. Beim Eröffnungsspiel des Confederations Cup zwischen Brasilien und Japan gab es nicht nur eine Demonstration mit etwa 1.000 Teilnehmern vor den Eingangstoren des Stadions in Brasília, sondern auch ein Pfeifkonzert der Fans im Stadion, als die Präsidentin das Wort ergriff, um den Wettbewerb offiziell zu eröffnen.

Vor allem die Bildung, das Gesundheitswesen sowie der öffentliche Nahverkehr und der Zustand der Infrastruktur in den Städten sehen die Demonstranten – wie so oft in der Geschichte des Landes – benachteiligt. Linksextreme Parteien haben sogleich ihre Sympathie und Unterstützung der Demonstranten bekundet, doch wollen die Organisatoren, dass eine sehr viel breitere Masse die Proteste mitträgt. Sie appellieren an die Teilnehmer, keine Parteifahnen oder –banner auf die Demonstrationen mitzubringen.

Auch wenn die Demonstrationen nicht direkt gegen Präsidentin Rousseff oder ihre Partei PT zielen, sondern Günstlingswirtschaft und Korruption im Allgemeinen anprangern und gegen die Ungleichheit innerhalb der brasilianischen Gesellschaft sowie die enormen Preissteigerungen vieler Produkte des täglichen Lebens gerichtet sind, so sind sie doch symptomatisch dafür, dass die PT in den letzten Jahren Unterstützung aus der ursprünglichen Stammklientel eingebüßt hat. Parteien, die im politischen Spektrum links der PT anzusiedeln sind, haben bei den vergangenen Wahlen an Stimmanteilen zugelegt. Außerdem finden sich zahlreiche ehemalige PT-Politiker in deren Reihen. Der „Mensalão-Prozess“, in welchem letztes Jahr mehrere Urteile gegen ehemalige und aktuelle hochrangige PT-Politiker ergangen sind, zeigte auf beeindruckende Weise, dass auch die Arbeiterpartei nicht über allem erhaben ist und tief in einem der größten Korruptionsskandale des Landes steckt. Nun kehrt unter ihrer Führung auch noch das lange Zeit gebändigt geglaubte Gespenst der Inflation zurück und trifft die unteren Einkommensklassen besonders hart. Auch zeigt sich, dass die PT während ihrer Regierungszeit zwar die extreme Armut mit Hilfe riesiger Transferleistungen erfolgreich bekämpft hat, dass aber gerade das öffentliche Bildungssystem immer noch so defizitär ist, dass viele Menschen nicht die Möglichkeit haben, ein Einkommen zu erwirtschaften, was die Abhängigkeit von staatlichen Transferzahlungen aufzulösen vermag. Derzeit erhalten rund 50 Millionen Brasilianer Bezüge aus dem Sozialprogramm „Bolsa Familia“. Das ist ein gutes Viertel der Bevölkerung.

Dilma in der Zwickmühle

Die Präsidentin findet sich mehr und mehr zwischen der langjährigen Opposition aus DEM, PSDB und PPS auf der einen und bisherigen Verbündeten auf der anderen Seite eingeengt. Die extrem linken und kommunistischen Parteien PSOL, PSTU, PCdoB und PCO sind dabei trotz Achtungserfolgen in einigen Städten bei den zurückliegenden Kommunalwahlen noch zu keiner Größe gekommen, die der PT ernsthaft gefährlich werden könnte. Wohl aber hat sich die PSB im Windschatten der PT in den letzten Jahren rasant entwickelt und kam mit breiter Brust aus den Kommunalwahlen 2012 heraus.

Das neue Selbstbewusstsein dieser Partei wird durch niemanden besser repräsentiert als durch den Parteivorsitzenden und Gouverneur von Pernambuco, Eduardo Campos. Jung, erfolgreich und ambitioniert sucht er die Präsidentin offen heraus zu fordern. Alle Versuche, ihn als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft zu gewinnen, um ihn nicht als Gegner zu haben, sind bisher gescheitert. Selbst Luiz Ignácio „Lula“ da Silva war hierzu in den Nordosten gereist, konnte Campos aber augenscheinlich auch nicht überzeugen. Seitdem attackiert er Rousseff in regelmäßigen Abständen und versucht der PT dort Unterstützer abzugraben, wo es der Arbeiterpartei am meisten weh tut: bei den Gewerkschaften.

Zu Jahresbeginn nutzte Campos dazu die Diskussion über die Privatisierung der Häfen. Angesichts der gravierenden Probleme, die an den Häfen und Flughäfen des Landes bei der Abfertigung von Fracht und Personen und der Überlastung der unzureichenden Infrastruktur herrschen, hatte Rousseff ein provisorisches Präsidentengesetz erlassen, welches die Privatisierung ermöglichen soll, um das Management einiger Häfen und Flughäfen zu verbessern. Campos lief dagegen Sturm und wusste die Gewerkschaften der Hafenarbeiter hinter sich. Er suchte den offenen Konflikt mit der Präsidentin über die Presse und diese reagierte nervös. Angeblich wurde die Gewerkschaft des Hafens von Suape im Bundesstaat Pernambuco unter verschärfte Beobachtung des Geheimdienstes gestellt, was von diesem jedoch ausdrücklich zurückgewiesen wurde. Dennoch hinterließ die entsprechende Meldung in der Zeitung „O Estado de S. Paulo“ einen bitteren Beigeschmack.

In einer Mammutsitzung im Nationalkongress am 15. und 16. Mai kam das Präsidentengesetz zur Abstimmung, nachdem diese in den Wochen zuvor stets verschoben werden musste. Ohne die Verabschiedung durch den Nationalkongress wäre die Gültigkeit des Präsidentengesetzes nach 90 Tagen verfallen. Wenige Stunden vor Ende dieser Frist und nach einer 48-stündigen Marathonsitzung der Abgeordnetenkammer wurde es letztlich verabschiedet. Abgeordnete wurden einem Zeitungsbericht zur Folge aus ihren Betten und aus Nachtclubs geholt, um mit letzter Kraft für das Gesetz zu stimmen. Vorher war nicht das notwendige Quorum erreicht worden, was die Anwesenheit von wenigstens der Hälfte der Abgeordneten für eine gültige Abstimmung vorsieht. Das Regierungslager ging letztlich als Sieger aus dieser Parlamentsschlacht, jedoch mit einem nicht nur wegen der Übernächtigung blauen Auge.

Die PSDB mit neuem Gesicht

Auf der anderen Seite steht die langjährige Opposition der PT, vor allem PSDB, DEM und PPS. Die seit einigen Wochen wieder stark anziehende Inflation ist Wasser auf deren Mühlen. Allen voran für die PSDB, die unter Präsident Fernando Henrique Cardoso in den 1990er Jahren die damalige Hyperinflation erfolgreich eingedämmt hatte und daher beim Thema Inflationsbekämpfung über eine hohe Glaubwürdigkeit verfügt.

Mit Aécio Neves hat die PSDB einen neuen Vorsitzenden, der noch relativ jung ist, aber bereits einschlägige Erfahrungen und Erfolge als Gouverneur des Bundesstaats Minas Gerais und als Senator vorweisen kann. Als Neves im Mai mit 97,3 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, war damit auch ein lang schwelender Lagerkampf innerhalb der Partei beendet, der vor allem von José Serra und Geraldo Alckmin ausging, den beiden Platzhirschen aus São Paulo. Neves ist zwar noch nicht offiziell zum Präsidentschaftskandidaten ernannt, ist nach diesem Ergebnis jedoch der wahrscheinlichste und wohl auch aussichtsreichste Kandidat. Serra, der 2002 und 2010 Präsidentschaftskandidat war und 2012 als Kandidat für den Oberbürgermeisterposten in São Paulo gegen den PT-Kandidaten Fernando Haddad unterlag, vermochte es nicht mehr, Wahlen zu gewinnen. Das Parteiidol Fernando Henrique Cardoso hatte hinter den Kulissen seine Parteifreunde zur Vernunft aufgerufen und gemahnt, dass man nicht zerstritten in den Wahlkampf gehen könne, wenn man einen Regierungswechsel anstrebe. Scheinbar hat dies gewirkt, womit der Weg für einen Generationenwechsel geebnet sein dürfte.

Neves attackiert die Regierung Rousseff und deren Finanzminister Guido Mantega beim Thema Inflation massiv. Diese ist mittlerweile bei 6,5 Prozent angelangt, macht sich aber noch sehr viel stärker in der Bevölkerung bemerkbar, da viele Lebensmittel, der öffentliche Nahverkehr, einige Dienstleistungen des täglichen Lebens und auch Krankenversicherungen eine höhere Teuerungsrate über die letzten 12 Monate aufweisen. Außerdem konnte Neves als Wortführer der PSDB im Senat das Gesetz als seinen Erfolg verkaufen, welches die Rechte der Angestellten in privaten Haushalten stärkt. Das sind in Brasilien über sieben Millionen Menschen.

Übers Fernsehen in die Wohnzimmer

Mit Eduardo Campos und Aécio Neves mischen zwei junge und noch unverbrauchte Gesichter den inoffiziellen Vorwahlkampf mächtig auf. Beiden ist gemein, dass sie eine erfolgreiche Bilanz als Gouverneure ihrer jeweiligen Bundesstaaten vorweisen können und dort jeweils über eine sehr starke Basis verfügen. Beide sind zudem befreundet. Campos ermutigt Neves sogar offen, ein starker Oppositionsführer gegen die Regierung Rousseff zu sein, da er selbst, trotz oder gerade wegen seiner Ambitionen, nicht alle Regierungsanhänger verprellen kann. Rousseff und Campos konkurrieren schließlich um dieselbe Klientel. In Fernsehspots, die zur besten Sendezeit zwischen den beliebten Telenovelas ausgestrahlt werden, machen Neves und Campos ihre Gesichter derweil landesweit bekannt. Das ist ein langwieriges und notwendiges Vorhaben, denn nicht jeder Brasilianer im Süden und Südosten kann etwas mit dem Namen des „Nordestinos“ Campos anfangen. Gleiches gilt umgekehrt für den „Mineiro“ Neves. Auch brauchen beide eine breite Unterstützung im Land, um die parteiinterne Konkurrenz, die trotz ihrer derzeitigen Popularität weiterhin existiert und bei politischen Fehlern gefährlich werden kann, in Schach zu halten.

Auch Marina Silva dürfte noch ins Wahlkampfgeschehen eingreifen. Die ehemalige Umweltministerin kandidierte 2010 für die grüne Partei für das Präsidentenamt und erzielte mit fast 20 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang ein mehr als beachtliches Ergebnis. Mittlerweile ist sie aus der grünen Partei wieder ausgetreten und befindet sich derzeit im Gründungsprozess einer neuen Partei, deren Spitzenkandidatin sie werden möchte. Neben ihr dürften auch noch zahlreiche andere Kandidaten antreten, die aber aller Voraussicht nach keine entscheidende Rolle bei der Wahl spielen dürften.

Doch nicht nur Campos und Neves oder eine mögliche Kandidatur Silvas machen der Präsidentin zu schaffen. Auch der Gouverneur von Rio de Janeiro und PMDB-Politiker Sérgio Cabral schießt quer zur Wunschstrategie Rousseffs. Diese würde Cabral, so kann man zwischen so mancher Zeile lesen, eigentlich gerne zum Minister ernennen, sollte sie auch die nächste Regierung führen. Im Gegenzug möchte sie einen PT-Gouverneur im Bundesstaat der künftigen Olympiastadt installieren. Lindbergh Farias steht für diesen Posten bereit und hatte auch bereits angefangen, TV-Spots zu verbreiten, in denen er Rios Bevölkerung erklärt, worauf es für ihn in der Politik ankommt. Dies ließ Cabral jedoch als unzulässigen Wahlkampf gerichtlich unterbinden. Er würde sehr viel lieber seinen bisherigen Vize-Gouverneur und Parteifreund Luiz Fernando „Pezão“ de Souza als seinen Nachfolger sehen und ist derzeit darum bemüht, die PT-Bürgermeister des Bundesstaats gegen die Linie der Bundes-PT von dieser Idee zu überzeugen.

Ausblick

Der Wahlkampf ist noch lange nicht vorbei. Genau genommen hat er sogar offiziell noch lange nicht begonnen. Dennoch bringen sich wichtige Personen und Parteien bereits in Position. Die derzeitige Wirtschaftslage mit minimalen Wachstumszahlen und steigender Inflation sowie die hohe Unzufriedenheit mit dem öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem und die schlechte Infrastruktur des Landes machen der Präsidentin zu schaffen. Dass ihr derzeit noch nicht einmal der Fußball helfen kann, sondern auf Grund der Vorwürfe der Geldverbrennung beim Stadionbau für die Weltmeisterschaft sogar gegen sie zu wirken scheint, ist im fußballverrückten Land Brasilien ein wirkliches Alarmzeichen. Das Pfeifkonzert, das bei der Eröffnung des Confederations Cup nicht nur dem FIFA-Vorsitzenden Joseph Blatter sondern mindestens genauso ihr galt, ist Ausdruck hiervon. Ihr zerknirschtes Gesicht bei der Zeremonie sprach Bände und zeigte, dass ihr diese Lage trotz der immer noch hohen Beliebtheitswerte bei Umfragen (57 Prozent Zustimmung, allerdings noch 65 Prozent vor drei Monaten) klar ist.

Sie hat noch über ein Jahr Zeit, hieraus Konsequenzen zu ziehen. Auf diese Konsequenzen wird es in zweierlei Hinsicht ankommen. Zum einen dahingehend, ob sie die Kritiker aus den eigenen Reihen besänftigen kann und die Zügel in ihrem Regierungsbündnis in der Hand behält. Zum anderen, ob die Konsequenzen ausreichen, um ihren Kontrahenten nicht zu viele Felder zu überlassen. Statt sich im Erfolg des Confederations Cup sonnen zu können, wird sie in den nächsten Wochen an ihrem Krisenmanagement gemessen werden, wie sie mit den landesweiten Demonstrationen umgeht. Bisher blieb sie diesbezüglich ziemlich blass.

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8. April 2013
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Dilma Rousseff

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