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Ein Gipfel, der niemanden glücklich macht

von Marc Bürgi
Das Ergebnis der Konferenz über nachhaltige Entwicklung Rio+20 in Rio de Janeiro ist bescheiden. Der kontroverse Inhalt, der ungünstige Zeitpunkt und das ungewöhnliche Vorgehen Brasiliens führten zu einer Abschlusserklärung ohne Ambitionen. Hoffnung schaffen die vielen Initiativen und Engagements, die im Laufe der Konferenz verkündet wurden.

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Das Ergebnis der UNO-Konferenz über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro „macht niemanden glücklich“. Dieses Urteil ist ein Zitat des Leiters der Konferenz, Sha Zukang. Wie ein Blick in die deutschen und internationalen Leitmedien zeigt, teilen viele Kommentatoren seine Einschätzung. Die Stimmung nach dieser größten Veranstaltung der Vereinten Nationen aller Zeiten ist verhalten.

Vor allem Umweltschützer und Hilfswerke kritisierten das Ergebnis. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace nannte das Gipfeltreffen gescheitert. Die Bilanz von Organisationen wie WWF und Oxfam ist ähnlich negativ.

Das Urteil von Vertretern von Staaten, der UNO und des Gastgebers Brasilien ist weniger deutlich. Viele dieser Konferenzteilnehmer betonten die positiven Aspekte. Umweltminister Peter Altmaier sprach beispielsweise von einem gemischten Bild. Die „hochfliegenden Erwartungen“ an die Konferenz seien nicht alle erfüllt worden, aber es gebe neben Enttäuschungen auch Fortschritte.

An Altmaiers Worten und anderen Stellungnahmen lässt sich es sich aber herauslesen: Das Ergebnis machte in der Tat niemanden glücklich.

Grüne Wirtschaft und Reform der Institutionen

Auf dem Programm des Gipfeltreffens in Rio de Janeiro vom 20. bis 22. Juni stand nachhaltige Entwicklung. Es war die vierte große Konferenz der Vereinten Nationen zu diesem Thema. Das Treffen in Stockholm im Jahre 1972 gilt als Beginn der globalen Umweltpolitik.

Ein weiterer Meilenstein stellt die Konferenz in Rio de Janeiro 1992 dar. Damals wurde unter anderem die Agenda 21 beschlossen, das Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung. Auch die internationalen Verhandlungen über den Klimaschutz und den Schutz der Biodiversität nahmen in Rio ihren Anfang. An der Konferenz in Johannesburg 2002 verhandelten die Staaten in erster Linie darüber, wie sie die Beschlüsse von Rio umsetzen wollten.

Auf der Agenda des diesjährigen Gipfeltreffens in der brasilianischen Metropole standen zwei Themen zuoberst: Die so genannte Grüne Wirtschaft und die Reform von Institutionen, um nachhaltige Entwicklung zu fördern. Ein drittes, inoffizielles Thema war die Idee, eine Reihe von Nachhaltigkeitszielen zu erarbeiten.

Zudem standen sieben weitere Themen im Fokus, unter anderen Energie, Wasser, Meeresschutz und Städte.

Kontroverse Themen

Das Thema Grüne Wirtschaft ist kontrovers. Es gibt keinen Konsens darüber, wie dieses Konzept der ressourcenschonenden Wirtschaft genau zu verstehen ist. Strittig ist vor allem die Rolle der Privatwirtschaft, und welches Gewicht soziale Faktoren wie Armut neben dem Umweltschutz haben sollen. Manche Schwellenländer sehen im Konzept zudem eine Gefahr für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Sie argumentieren, dass ihnen die finanziellen und technologischen Mittel fehlten, um eine nachhaltige Ökonomie zu realisieren.

Auch die Nachhaltigkeitsziele sind umstritten. Gemäß der Idee von Kolumbien und Guatemala sollen einige Ziele formuliert werden, welche die Weltgemeinschaft auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft erreichen will. Diese Ziele sollten mit den acht Milleniumszielen zusammengeführt werden. Insbesondere Entwicklungsländer befürchten jedoch, dass Probleme wie Hunger und Armut wegen des Umweltschutzes in den Hintergrund rücken könnten.

Fruchtlose Vorbereitung

Angesichts dieser inhaltlichen Differenzen gestaltete sich die Vorbereitung auf die Konferenz schwierig. Während rund zwei Jahren fand eine Vielzahl von Treffen statt, inklusive zwei offiziellen Verhandlungsrunden in New York. Kurz vor Beginn der Veranstaltung bestand aber nur über wenige Punkte eine Einigung. Die Verhandlungsrunde in Rio de Janeiro eine Woche vor dem Gipfeltreffen endete ohne Ergebnis.

Hinzu kamen zwei weitere ungünstige Faktoren. Die Krisen in Europa und im arabischen Raum machten es schwierig, dem Gipfeltreffen die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zahlreiche, vor allem europäische, Staats- und Regierungschefs blieben dem Anlass fern.

Gastgeber Brasilien wählte zudem ein ungewöhnliches Vorgehen. Weil aus dem Vorbereitungstreffen kein Resultat hervorging, erstellte Brasilien das Abschlussdokument in Eigenregie. Die Delegationen anderer Staaten wurden lediglich konsultiert. Ein Tag vor Beginn des Gipfeltreffens war die Abschlusserklärung bereits veröffentlicht. Bei der Konferenz wurde das Dokument drei Tage später praktisch unverändert verabschiedet.

Bescheidene Neuerungen

Das Abschlussdokument enthält nur wenige klare Definitionen. Auch Ziele, Verpflichtungen und Fristen gibt es nicht viele. Entscheidungen werden vertagt und Fragen nach der Finanzierung nur am Rande erwähnt.

Die Staaten verpflichten sich, eine nachhaltige, grüne Wirtschaft anzustreben. Dabei wird aber klar betont, dass jeder Staat etwas anderes unter diesem Konzept verstehen kann. Die institutionellen Reformen sind bescheiden. Neu ist, dass alle Staaten im Verwaltungsrat des UNO-Umweltprogramms (UNEP) vertreten sind. Das Programm erhält zudem mehr Geld. Die UNO bekommt den Auftrag, ein hochrangiges politisches Forum zu schaffen. Es soll die UNO-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) ersetzen, und vor allem das Thema Nachhaltige Entwicklung innerhalb der Vereinten Nationen koordinieren und stärken.

Europäer vor den Kopf gestoßen

Beobachter erklären sich die bescheidenen Resultate auch mit der Verhandlungsführung Brasiliens. Einige Delegationen empfanden das Vorgehen als eigenmächtig und fühlten sich brüskiert. Es wurde stark kritisiert, dass der Text bereits vor Beginn des eigentlichen Treffens öffentlich gemacht wurde.

Brasilien wollte damit verhindern, dass die Konferenz ohne Ergebnis endet – etwa wie die UNO-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen. Der Abschlusstext ist vage, die umstrittenen Passagen wurden einfach getilgt. Brasilien wollte sicherstellen, dass alle Länder dem Dokument zustimmen können.

Parallelveranstalungen und Selbstverfplichtungen

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Abschlussdokument. Dabei wird oft übersehen, wie viel am Rande dieser Konferenz mit gut 45.000 Teilnehmern passierte. Es wurde eine Vielzahl von Initiativen und Vereinbarungen beschlossen oder bekannt gegeben.

Die offiziellen Parallelveranstaltungen lösten einige positive Impulse aus. Während gut einer Woche fand die „Cúpula dos Povos“ statt, der Gipfel der Völker. An den Vorträgen, Diskussionsrunden und kulturellen Aktivitäten nahmen Zehntausende von Besuchern teil. Die Organisatoren hatten eine kritische Haltung zur Konferenz und verstanden ihre Aktivitäten als Alternative dazu.

Eine weitere Veranstaltung war das „Corporate Sustainability Forum“. Rund 2000 Manager und andere Vertreter der Privatwirtschaft nahmen an diesem Forum teil, das Nachhaltigkeit in der Wirtschaft fördern sollte. Einige Großkonzerne, darunter Puma und Unilever, gaben beispielsweise das Ziel bekannt, Umwelteffekte in ihrer Buchführung zu berücksichtigen.

Auch viele Staaten gaben Initiativen bekannt. Australien und die Malediven kündeten an, große Schutzgebiete vor ihren Küsten zu schaffen. Die USA finanzieren Projekte für neue Solar-, Wind- und Wasserkraftkraftwerke in Afrika mit 20 Millionen Dollar. Das Programm soll später um hunderte von Millionen aufgestockt werden.

Laut der UNO gab es in Rio insgesamt 715 freiwillige Verpflichtungen von Staaten, aus der Privatwirtschaft und aus der Zivilgesellschaft. Diese Verpflichtungen seien mit 513 Milliarden Dollar finanziert.

Als Teil vieler Probleme und gleichzeitig derer Lösungen rückten während der Tage des Gipfels Städte als zentrale Akteure weiter in den Mittelpunkt. Die großen Metropolen der Welt konsumieren rund drei Viertel der globalen Energie und verursachen rund zwei Drittel der Treibhausgase.

Vertreter von 58 Großstädten, darunter z.B. New York, Shanghai, Berlin und São Paulo kamen zum Treffen der C-40 Gruppe zusammen, um hierfür Lösungsansätze zu diskutieren und sich über Erfahrungen auszutauschen. Sie verpflichteten sich unter anderem, den Ausstoß des Treibhausgases CO2 in den nächsten 18 Jahren um 1,3 Milliarden Tonnen zu verringern (dies entspricht den Emissionen von Mexiko und Kanada im Jahre 2008). Rio de Janeiro setzte sich zu diesem Anlass das Ziel, die Emissionen bis 2020 um einen Fünftel gegenüber dem Niveau von 2005 zu senken. Dazu beitragen sollen neue Bus-Schnellstrassen und eine neue Müllbewirtschaftung.

Es braucht neue Ansätze

Viele Kommentatoren schöpften aus diesen Initiativen und Veranstaltungen Hoffnung. Wie Rio+20 zeigte, haben Staaten angesichts der Kräfteverschiebungen in der internationalen Politik zunehmend Mühe, eine Übereinkunft zu finden.

Dieses Führungsvakuum bietet die Chance, dass die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und auch die kommunale Verwaltung eine größere Rolle übernehmen. Es braucht das Engagement neuer Akteure, um auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft und Gesellschaft Fortschritte zu machen. In Rio gab es Anzeichen, dass dieser Prozess schon im Gang ist.

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Installation im Forte de Copacabana während Rio+20 (Foto: Helcio Nagamine/ Creative Commons Lizenz 2.0) Helcio Nagamine/ Creative Commons Lizenz 2.0

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