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Seminarbericht

Die Wirtschaft, die wir wollen

Mit einer Debatte zur aktuellen Wirtschafts- und Sozialpolitik Brasiliens sowie zukünftigen Perspektiven lud die Konrad Adenauer Stiftung Teilnehmer aus Universitäten, der Politik, der Privatwirtschaft und weiteren Interessierten ein. Als Beitrag bot die Stiftung einen Expertenvortrag zum Thema "Soziale Marktwirtschaft".

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Die Mitgestaltung der sozioökonomischen Strukturen unserer Gesellschaft ist eine der grundlegendsten Errungenschaften der heutigen Demokratie. Es stellt sich dabei jedoch die Frage in welchem Umfang und auf welche Art und Weise der Staat in die Wirtschaft eingreift. Einzelne Komponenten des deutschen Modells der Sozialen Marktwirtschaft, wurden beim Seminar diskutiert und über ihre Anwendbarkeit in der brasilianischen Realität beraten.

Um Experten, Professoren, Studenten und interessierten Bürgern die Gelegenheit zu geben, sich über Gestaltungsmöglichkeiten der Wirtschaft auszutauschen, lud die KAS am 28. September 2012 zum offenen Dialog in Rio de Janeiro ein. Alle Teilnehmer wurden zunächst durch den Repräsentanten der KAS in Brasilien, Felix Dane, begrüßt. Olaf Jacob, Repräsentant des Regionalprogramms „Soziale Ordnungspolitik in Lateinamerika“ (SOPLA), wies im Anschluss auf zwei zentrale Punkte der sozialen Marktwirtschaft als Basis für die folgende Diskussion hin. Zum einen mache die extreme Anpassungsfähigkeit des Modells an die Gegebenheiten eines Landes die Soziale Marktwirtschaft dynamisch und praktikabel. Zum anderen sei es wichtig, dass das Modell nicht mit einem solidarischen Wirtschaftsmodell verwechselt würde. Es handele sich ausdrücklich um eine Marktwirtschaft, allerdings mit einer starken sozialen Komponente.

Vorstellung des Buches „Einführung in die Soziale Marktwirtschaft“

Das Buch von Marcelo Resico, Leiter des Promotionsprogramms für Wirtschaftswissenschafter an der Katholischen Universität Argentiniens in Buenos Aires, war mit Unterstützung der Konrad Adenauer Stiftung erstmals in Argentinien erschienen. Die Folgeausgabe war auf Lateinamerika ausgerichtet und wird an Universitäten einiger Länder als Studienbuch für Volkswirtschaftlehre eingesetzt.

Der Autor beschreibt in seinem Buch, nach einer allgemeinen Einführung in die Volkswirtschaftslehre, ausführlich die Entstehung und den Kontext der Sozialen Marktwirtschaft. Während seines Vortrages in Rio betonte er die Interdisziplinarität der Gruppe von Gründervätern, die aus verschiedenen Bereichen der Wissenschaft kamen und so liberale Perspektiven mit weiteren wie der der Christlichen Soziallehre verband. Das Buch geht desweiteren auf Grundpfeiler, Prinzipien und den ordnungspolitischen Rahmen sowie die Rolle der einzelnen Akteure wie dem Staat oder der Privatwirtschaft ein. Die wirtschaftspolitische Praxis der Sozialen Marktwirtschaft erklärt Resico anhand von Geld- und Finanzpolitik, Wettbewerbspolitik oder auch dem deutschen Arbeitsmarkt.

Das Buch wurde nun auf Portugiesisch übersetzt und ist über die Homepage der Konrad Adenauer Stiftung in Brasilien erhältlich.

Verhältnis von Wirtschaft und Politik

Einen ersten Anstoß für eine rege Debatte, bot der Vortrag des ehemaligen Planungsministers João Paulo dos Reis Velloso, der zunächst eine Übersicht über die Entwicklung der brasilianischen Wirtschaft in den letzten Jahrzehenten gab. Er schlussfolgerte, dass man zunächst eine Politik finden müsse, die es ermöglicht die Wirtschaft im Sinne des brasilianischen Volkes, anstatt einiger Weniger, zu gestalten. Er betonte vor allem auch die Rolle der wachsenden Mittelschicht in Brasilien. Diese habe mit wachsender ökonomischer Macht auch mehr Verantwortung und müsse aktiv an einer Transformation der Politik und Gesellschaft teilnehmen. Dieses Resümee fand auch in der Expertenrunde, die sich danach dem Auditorium präsentierte, auf viel Zustimmung und entfachte eine Diskussion über das Verhältnis von Politik und Wirtschaft in Brasilien. Allzu oft erwarteten die Bürger von ihrem Staat, dass dieser im Alleingang Lösungen für Probleme biete und das Streben der Bürger nach Glück befriedige, gab Thales Castro von der Katholischen Universität Pernambuco zu bedenken. Das Modell der sozialen Marktwirtschaft baut hingegen auf das Prinzip der persönlichen Verantwortung in der Überzeugung, dass die Fähigkeiten jedes Einzelnen so am besten entfaltet werden können. Mit einem Hinweis auf die Effizienz des Staates lenkte Thales Castro die Aufmerksamkeit zusätzlich auf ein Thema, das in der Debatte immer wieder auftauchte: Die Kritik am Umfang der Staatstätigkeit auf Bundesebene. Die 39 Ministerien, darunter 9 Sekretariate und 6 Organe mit ministerialem Status, sorgen für fehlende Transparenz und ungeklärte Zuständigkeiten, sowie einen extrem aufgeblähten bürokratischen Apparat. Reis Velloso nannte das Ministerium für Kommunikation beispielhaft für die Ineffizienz der staatlichen Institutionen. Dieses habe den größten Teil des ehemals staatlichen Sektors der Kommunikation privatisiert. Trotzdem habe das Ministerium bis heute keine Anpassung an die weit geringeren Zuständigkeiten oder gar eine Abschaffung in Erwägung gezogen.

Subsidiaritätsprinzip und die Stärkung der Kommunen

Rubens Penha Cysne, Professor und Direktor der Wirtschaftsfakultät der Universität Getúlio Vargas in Rio de Janeiro, knüpfte an diesen Gedanken an, indem er auf die essentielle Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips verwies. Dieses besagt, dass Probleme und Herausforderungen in erster Linie von der kleinsten Einheit einer Organisation bewältigt werden sollen. Erst wenn diese Einheit nicht mehr eigenverantwortlich zu effizienten Lösungen kommen kann, greift die nächst höherer Ebene. In der Praxis Deutschlands betrifft dies vor allem die Sozialpolitik. Weiterhin findet sich das Prinzip in der Organisation des Staates, der in einer Art Bottom-up- Ansatz die Verantwortlichkeit zuerst bei den Kommunen sieht, und nur diejenigen Politiken auf die höheren Ebenen des Kreises, der Länder und des Bundes verlagert, welche dort effizienter gelenkt und umgesetzt werden können.

Die zwei größten Hindernisse für die Umsetzung dieses Prinzips seien laut Rubens Penha Cysne, zum einen, fehlende Kapazitäten auf kommunaler Ebene, und zum anderen, die ungleiche Verteilung der materiellen und immateriellen Güter in der brasilianischen Bevölkerung. Jemand der die Gesellschaft, in der er lebt, als ungerecht und repressiv empfinde, sei auch nicht bereit, selbstverantwortlich zu handeln. Beide Gedanken trafen im Publikum auf Zustimmung. Vor allem die Umverteilung von Mitteln von Bundes- auf Kommunalebene wurde gefordert. Oft sei der brasilianische Staat zu groß für das, was er tatsächlich tue, und zu klein bzw. zu ineffizient für das, was er tun sollte.

Umstrukturierung der Wirtschaft

Der Wirtschaftswissenschaftler und Blogger Vitor Wilher betonte in seiner Kurzpräsentation, dass von Brasiliens wirtschaftlichem Erfolg der letzten Jahre nur die 15 Millionen reichsten profitiert hätten, während sich für die restlichen 175 Millionen kaum etwas verändert habe. Die Verbesserung und Ausweitung Bildung, gerade in den qualitativ oft schlechten Grundschulen seien daher das zentrale Mittel für einen Weg zu mehr Partizipation der Bevölkerung an der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Hierbei stimmte ihm auch Maria Antonieta Del Tedesco Lins der Universität São Paulo zu, die noch einmal nachdrücklich die ökonomischen und sozialen Herausforderungen betonte, denen gerade Schwellenländern gegenüber stehen.

Brasiliens Wirtschaftspolitik heute und ihre Perspektiven

Bei Debatten zum Thema Wirtschafts- und Sozialpolitik in Brasilien wird zumeist dem Thema der sozialen Gerechtigkeit Priorität eingeräumt, so auch hier. Aufgrund einer langen Geschichte von extremer Ungleichheit des Einkommens der Bevölkerung und eines moderaten bis mittleren aber doch konstanten Wachstums stellt sich vor allem die Frage nach der Beteiligung der Bevölkerung an dieser Entwicklung. Oftmals wird eine liberalere Wirtschaftsform als gegen-läufig zum sozialen Fortschritt wahrgenommen, da die teilweise nur bedingt funktionierenden Märkte zu suboptimalen Ergebnissen führten und viele Arbeiter weiterhin in der Informalität arbeiten oder geringe Gehälter verdienen. Dem Staat wird daher oft die Rolle zugesprochen, nicht nur die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Wirtschaft zu schaffen, sondern auch direkt in die Prozesse einzugreifen. Auch große Teile der Industrie, die von Subventionen profitieren oder mehr Protektion gegen die Konkurrenz aus dem Ausland fordern, folgen oftmals dieser Vorstellung.

Die Soziale Marktwirtschaft wird in diesem Kontext daher einerseits als wenig anwendbar für die brasilianische Realität empfunden. Gerade die wachsende Ungleichheit in Deutschland läuft dem prioritären Ziel Brasiliens entgegen, mehr soziale Teilhabe und Umverteilung zu schaffen. Der freie Markt der Sozialen Marktwirtschaft wird weniger mit Effizienz und mehr mit Unsicherheit und den teilweise gescheiterten Konzepten der Bretton-Woods-Institutionen in Verbindung gebracht. Dieser wird daher von vielen Brasilianern eher als Bedrohung wahrgenommen und ist politisch nur schwer kommunizierbar.

Gerade an diesen Punkten wird die Soziale Marktwirtschaft andererseits jedoch auch als Referenz genutzt. Einige der Komponenten werden als Inspiration genutzt. Eine effektivere Wettbewerbspolitik könnte beispielsweise viele der ineffizienten Gesetze für die Privatwirtschaft ersetzen. Die Praxis eines für die Soziale Marktwirtschaft typischen Prinzips des „Konsenses“ zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, das gerade durch seine langfristige Ausrichtung zu einer nachhaltigen Gestaltung führt, scheint auch für die brasilianische Wirtschaft interessant zu sein.

Die Konrad Adenauer Stiftung fördert auch zukünftig den Austausch von Vertretern verschiedener Wirtschaftsmodelle. Mit der Präsentation des Modells der Sozialen Marktwirtschaft und dessen Komponenten und Wertesystem möchte die Stiftung einen Beitrag zur Diskussion um neue Entwicklungsmodelle liefern.

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